Der Garten Eden
Da er vom Niederrhein stammt, interessiert sich Lutz Mommartz, in seinem Film von 1977, für eine Legende, „wonach der Paradiesgarten, der Garten Eden, im alten Mündungsdelta des Rheins, irgendwo am heutigen linken Niederrhein, im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Holland gelegen haben soll.“ Es ist sehr viel gemalt worden in dieser Gegend in allen Jahrhunderten. Aber es gibt nur wenige Filme, denen anzusehen ist, dass sie dort entstanden sind. Die räumliche Freiheit, die unerhörte Höhe des Himmels, sagt ein Experte im Film, habe der Niederrheiner verinnerlicht.
Der Garten Eden ist wie jeder Garten: Menschenwerk. Im großen Urstromtal ist durch mehrfache Verlagerung des Flusses eine Art Sumpfaue entstanden, die, schon im Mittelalter durch Entwässerung in fruchtbares Weideland umgewandelt, zur Existenzgrundlage der Bauern wurde. Die lebten im Wesentlichen vom Erzeugen von Milch und Fleisch – nicht vom Ackerbau. Das war ein Leben, das vielleicht weniger problematisch war, jedenfalls weniger mühsam und weniger strapaziös als das der eigentlichen Feldbauern. Daher mag es kommen, meint der Experte, dass die niederrheinischen Bauern ihre Landschaft als das Paradies empfunden haben.
In der planmäßigen Befragung von Passanten und erst recht beim Auftritt eines angereisten Aktionskünstlers hängt der Film spürbar in den Seilen seiner Konzeption, aber das Schöne ist, er merkt es zeitig und wählt den Weg ins Freie, raus in den asynchronen Ton und rein in die Zufallsbekanntschaft. Mir war ganz komisch, als wären all die Leute auf den Straßen mit mir über Ecken verwandt. Und es wundert mich, wie selten dieses Gefühl doch ist.
Von den Preußen wurden sie als ausgesprochen faul und liederlich bezeichnet. Denn, was die Menschen am linken Niederrhein zum Leben brauchten, war dort mit geringerem Fleiß zu erwerben als im Nordosten. Der Experte, mit grauer Samtfliege, ist tatsächlich ein Experte, denn er weiß: „Die Menschen der Rheinischen Tiefebene sind nicht von der unverbindlichen Lustigkeit, wie wir sie im Rheinland gewöhnt sind. Die Leute der Niederung neigen eher zum Depressiven, sind eher in sich gekehrt, ohne abweisend zu sein.
Witzig sind die Niederrheiner schon, aber nicht auf eine unverbindliche Weise, eher auf eine aggressive. Sie halten denjenigen auf dessen Kosten sie einen Witz gemacht haben, allerdings schadlos durch ihre Gastfreundschaft – gleich im nächsten Augenblick.“
Ein leichtes Gruseln begleitet den Film Die Schiller aus dem Jahre 1976. Das liegt auch an den gesprochenen Eingangsworten; Lutz Mommartz wollte einen Film „über Düsseldorf“ und die „Neurosen der Zeit“ machen und hielt wohl tatsächlich die Freundin eines alten Freundes für ein „Medium, das in der Lage war die inhaltliche Leere der Stadt darzustellen“.
In meinen Augen triumphiert Brigitte Schiller unzweifelhaft über diese finstere Absicht. Indem sie ein ungeheuer eloquentes Plädoyer improvisiert: für die ziellose Schönheit des Flirts. Und auch indem sie sich beim Gefilmtwerden persönlich herausgefordert fühlt durch den Filmmacher. Es geht ihr nicht um Mitteilung sondern um das, „was sich“ – so sagt sie es Mommartz direkt in die Kamera – „zwischen dir und mir abspielt“. Nicht das vermeintlich Symptomatische an ihr ist für das Vorhaben des Filmemachers wertvoll, sondern das einzigartig Sympathische an ihr ist für den Film die Rettung. Die Schiller dokumentiert keine inzwischen vergangene Gegenwart, sondern verlebendigt auf alle Zeit die Zukunft.
Die Schiller (30 Minuten), Der Garten Eden (in 2 Teilen von 75 und 79 Minuten) und viele andere Filme von Lutz Mommartz kann man sich glücklicherweise anschauen in der „German Cinema Collection“ im Internet Archive, auch den paradiesisch schönen Weg zum Nachbarn, mit Renate Meves (10 Minuten, 1968).