2010

Samstag, 16.10.2010

Directed by

„From the late 1950’s through the early 1970s Martin C. Johnson took a number of road trips criss-crossing the country from his home in Suburban Chicago to both coasts and all points in between. For each trip he put together a slide show to document his travels. Judging from these shows he (and his wife who must be responsible for at least some of the photographs) was far more interested in the road itself than wherever his final destination might have been. For every photograph of Mount Rushmore or The Grand Canyon there were three or four shots of the empty (or not so empty) road taken through the windshield of the car… “
squareamerica.com

Dienstag, 12.10.2010

Paul Schrader

Kann ich gar nichts behalten? Was ist von mir noch übrig? So könnten viele Figuren in Paul Schraders Filmen fragen. Das tun sie aber nicht.

Sie fragen »Was bin ich wert?«, wenn sie vergeblich hoffen, sich freikaufen zu können. Oder sie sagen: »Einige meiner Illusionen wurden zerstört«, wenn ihr bisheriges
Leben in Trümmern daliegt.

Ihnen werden existenzielle Entscheidungen in Form drastischer Bedrohungen aufgezwungen.

Einer muss zum Mörder werden, wie John LeTour in »Light Sleeper«. Manche sehen ihre bisherige Existenz vernichtet, ihren Ruf ruiniert und finden sich des Mordes angeklagt, wie Julian Kay in »American Gigolo« oder Carter Page III in »The Walker«. Eine Figur muss gar ihren menschlichen Körper aufgeben: Irina Gallier in »Cat People«.

Das bisherige Leben der Figuren war, bevor der Film sie in die Hände bekommt, ganz erfreulich, oft sogar erfolgreich, sie genossen eine gewisse Unabhängigkeit, waren gut vernetzt, doch enthüllt sich bald, dass sie etwas Entscheidendes übersehen oder den Falschen vertraut haben. Während ihnen ein Privileg nach dem anderen genommen wird, oder eine Sicherheit nach der anderen, müssen die Figuren ihre Werte neu definieren. Sie werden auf das reduziert, was sie sind, wobei sie oft noch gar nicht wissen, wer oder was das ist, und erfahren dabei bis zur letzten Konsequenz den Verlust ihrer bisherigen Identität. Aber genauso sicher hängt davon auch die Hilfe, die Lösung, die Erlösung ab, dass sie den Weg zu Ende gehen oder sich ihrem Schicksal ergeben. Dann erhalten sie ein neues Leben, eine neue Liebe, einen neuen Körper.

Schraders Filme zeigen uns verschiedene Formen von Gefangenschaften, solche außerhalb von Gefängnismauern, in sozialen Gefängnissen, in Abhängigkeiten, von öffentlicher Meinung in Schach gehalten. Sie zeigen ein Entführungsopfer, das durch die Freiheitsberaubung und Gehirnwäsche von sich selbst getrennt wird.

Aber sie führen auch vor, wie jemand im eigenen (menschlichen) Körper gefangen ist. Dass Menschen in ihren Körpern eingesperrt sind, das scheint für Schrader die Voraussetzung, von der er ausgeht. Ganz in der platonischen Tradition, die der Calvinismus (Schraders konfessioneller Hintergrund) nicht unterbrochen hat. Seine Filme behandeln jedoch besondere Ausnahmen.

Viele der Filme haben kurze Episoden, meist gegen Ende, die in einem Gefängnis spielen, und immer versprechen diese Räume ein Aufatmen, eine neue Freiheit. Oft finden viele vorherige Suchbewegungen im Film an diesem Ort ein Ende.

In Schraders Filmen gibt es viele Formen des (Sich-) Suchens und Findens. Manche Suche ist geradezu selbstzerstörerisch und die Suchenden können von Glück sagen, dass äußere Hindernisse den Weg versperren. Oft haben wir es mit Figuren zu tun, die in der Freiheit ihre Suche begannen, aber nicht beenden konnten, keine Entscheidung treffen konnten. Manchmal wussten sie nicht, dass sie nach sich selbst suchten.

Wenn ein Paar nicht zueinander finden konnte, und einer der beiden gefangen gesetzt wurde, beginnt auch der Suchende, der sich noch in Freiheit befindet, wieder klar zu sehen.

Im Epilog seiner Filme bringt Schrader oft zwei Figuren zusammen, die durch eine Geste der Erlösung verbunden sind: In »American Gigolo« Julian Kay und Michelle Stratton, in »Light Sleeper« John LeTour und Ann, in »Cat People« Irena Gallier und Oliver Yates.

Es wird beschrieben, wie Schrader seine Figuren preisgibt – und rettet.

***

* Vorwort zu Bettina Klix, Verlorene Söhne, Töchter, Väter. Über Paul Schrader, Reihe Filit, Band 6, Verbrecher Verlag, 2010.

* Buchvorstellung am 19. Oktober, 20.30 Uhr, Monarch, Skalitzer Str. 134.

Donnerstag, 07.10.2010

Langtexthinweis

* „Der gehende Mann“ von Aurelia Georges – Anmerkungen und Notizen
Manfred Bauschulte zu „L’homme qui marche“ (Der gehende Mann), Regie und Buch: Aurelia Georges, Frankreich 2007

Mittwoch, 06.10.2010

Wie was anfängt

Titelsequenz von To Kill a Mockingbird (Robert Mulligan, 1962)

Der Trailer des Films wird sehr schön kommentiert von Mary Badhams Bruder, John Badham,
dem Regisseur von Saturday Night Fever und The Bingo Long Traveling All-Stars & Motor Kings.
Ein Vergnügen ist auch Badhams Kommentar zu einem weiteren Film, in dem seine Schwester eine Hauptrolle spielt: Let’s Kill Uncle (William Castle, 1966).

Born in England, raised in Alabama… Vielleicht stammt daher seine elegante Art zu sprechen?

Die Spur von Badhams Karriere führt im Kreis, vom Fernsehen weg und wieder dorthin zurück. Anfang der 70er drehte er mal eine Episode von „Kung Fu“ – oder etwas mit dem tollen Titel „Rex Harrison Presents Stories of Love“ – und 2004 dann eine neue Version von „Evel Knievel“!
Gibt es einen Adel des vergangenen, vergessenen Ruhms?


Saturday Night Fever (John Badham, 1977)

Als ich zwei alte New Yorker auf dem Bürgersteig überholte, hörte ich, dass sich beide einig waren, wer der beste Schauspieler aller Zeiten sei: Paul Muni. Mir gefiel, dass Rentner in New York beim Spaziergang solche Urteile fällen. Denkbar, dass sie da nur wiederholten, was sie vor 70 Jahren schon auf dem Schulhof zueinander gesagt haben.

Es gibt ein sehr schönes Gespräch, etwa 25 Minuten lang, zwischen Wes Anderson und Peter Bogdanovich über dessen unbekanntes Meisterwerk They All Laughed (1981), in drei Teilen auf Youtube. Es geht da um Persönliches: das Glück, die Zeit.

Es war im letzten Winter. Ein fröhlicher Gast im „Kölsche Boor“ trat an unseren Tisch und ließ uns sein Alter schätzen, zeigte uns dann stolz den Personalausweis (*1943) und sagte gutgelaunt: „Man fühlt sich so alt, wie man ist.“

Badham und Bogdanovich sind beide Jahrgang 1939. Das Geburtsjahr von Larry Cohen ist, je nachdem, wo man nachschaut, 1938 oder 1941. Die Viennale wird heuer dem famosen Mann den verdienten Tribut zollen. Auf „Trailers from Hell“ erzählt er, dass er mal einem Schauspieler vormachte, wie man sich aus einem (langsam) fahrenden Auto wirft, „that’s called directing“.


Michael Moriarty in Q – The Winged Serpent (Larry Cohen, 1982)

Samstag, 02.10.2010

Der Sekretär aus Karatschi

Vier Stewardessen sprechen von ihrem besonderen Leben. Davon daß sie, weil sie überall hin konnten – mit der Interflug, der DDR-Fluggesellschaft – als Privilegierte galten. Allein schon wegen der Mitbringsel: aus Amsterdam der Kaffee und aus Kopenhagen der Selastikschlüpfer. Aus Karatschi ein ganz spezielles Möbelstück, der Sekretär, praktischerweise zerlegbar, konnte beim Zoll als „Holz“ deklariert werden. „Ich denke es gibt keine Flugbegleiterin, die nicht so einen Sekretär hat“, sagt Sonja Kahle, die ein tolles Lächeln hat und eine spektakuläre Haarpracht. Wenn sie in ihrer schmucken Wohnung steht und schmunzelnd auf das Profane im Exotischen hinweist, hat der Film schon gleich zu Beginn seinen Ton gefunden, eine Mischung aus Humor und Stolz, Reflexion und Traum.

Karin Röseler erzählt: „Wenn die vielfältigen Reiseeindrücke zuhause aus einem heraussprudelten, schaute man in verständnislose – und traurige – Gesichter. Und irgendwie habe ich aufgehört zu erzählen, um sie nicht traurig zu machen. Fuhr man mit der Familie oder Freunden nach Bulgarien, sagten die: Das ist ja jetzt nichts für dich – Bulgarien. Was ist schon Bulgarien, du warst ja schon in Bangkok. Ich konnte ihnen nicht sagen: Bulgarien war für mich viel wertvoller, weil wir darüber reden konnten, weil wir gemeinsame Erlebnisse hatten, weil wir gemeinsam dahin durften.“

Röseler erzählt auch, daß sie später im Westen gelernt habe, Verbesserungsvorschläge stets als „neue Ideen“ auszugeben, auch wenn es sich um längst Erprobtes aus der Zeit bei Interflug handelte. Anders hätte man ihr manche Verbesserung bei Lufthansa oder Condor nie abgekauft. In vielerlei Hinsicht ist FREIFLIEGEN ein ganz famoser Film über die DDR und das „vereinigte Deutschland“, aber noch viel mehr als das. Vom Widerstand gegen Systeme sind symbolische Bilder allseits im Umlauf, seltener sichtbar ist das Naheliegende: das wache Widerstreben, ein vorgezeichnetes Leben zu leben.

FREIFLIEGEN von Undine Siepker, heute 23.40 Uhr, im Bayerischen Fernsehen

Samstag, 25.09.2010

Mittwoch, 22.09.2010

Suffragettenfilme

Ich erinnere, dass meine Oma, 1906 kam sie auf die Welt, oft über die Suffragetten schimpfte, aber ich nicht verstand, was sie damit meinte. Als meine Oma über die Suffragetten schimpfte, das war in den 1970er Jahren und im Fernsehen war oft Alice Schwarzer zu sehen, da war ich 5, 6, 7, 8, 9 Jahre alt und das Wort »Suffragetten« hatte einen geheimnisvollen Klang und wenn man nachmittags italienische Sandalenfilme gesehen hatte, verband sich der schön mit anderen Namen — Dyraden, Zyklopen und Minotauren. Später lernte ich mehr. Die Suffragetten waren zur Zeit, als meine Oma aufwuchs und bestimmt auch oft ins Kino ging, allgegenwärtig. Eine erste audiovisuell verarbeitete Protestkultur. Auch deshalb wird meine Oma das Wort noch in den 70ern erinnert haben. Dieses Jahr in in der Frühkinosonderreihe vom Festival in Oberhausen gab es ein Programm mit Suffragettenfilmen zu sehen, mit Aktualitäten von damals, Komödien, Karikaturen, Dramen – politischer Film. Das war sehr klug ausgewählt und kommentiert von Madeleine Bernstorff und Mariann Lewinsky. Viele, tolle, merkwürdige Sachen. Noch mehr Suffragettenfilme sind jetzt ab morgen, Donnerstag, 23.9. und bis Montag, 27.9. im Zeughauskino in Berlin anzugucken. Super Untertitel: Extremistinnen der Sichtbarkeit. Das Programm stellt – ich zitiere aus den Programmnotizen – » Filme über, für und gegen die Suffragetten vor und präsentiert außerdem frühe Filme zu weiblicher Arbeit und Klassenverhältnissen, zu Geschlechter-Inszenierungen, Crossdressing und Hysterie, zu frühen Stars und athletischen Artistinnen. Anhand rarer Filmbeispiele vor allem aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist ein noch wenig normiertes Kino zu entdecken: ein Kino, das sich selbst beim Erfinden zusieht und das gerade im Begriff ist, sich ein eigenes Publikum zu schaffen.«

Hier kann man sich schon mal einen der vielen Filme angucken, »Un duello allo schrapnell« (Italien 1913, Regie: Ernesto Vaser), in dem die Sache mit dem Penisneid ein wenig anders gedacht ist.


*
Programmtexte und -daten: Madeleine Bernstorff | Zeughauskino

Montag, 20.09.2010

Schlingensief ohne Pause

Volksbühne Berlin, 1993. „Kühnen 94 – Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“.

Das Stück wurde ohne Pause gespielt, so dass es keine bequeme Möglichkeit zu entkommen gab. Deshalb schloss ich mehrmals meine Augen, wie sonst nur bei Filmen. Es war aber nicht nur das Bühnengeschehen, sondern auch das, was auf zwei Leinwänden eingespielt wurde, was die Zumutung darstellte…Das Thema neuer und unbewältigter Nationalsozialismus wurde in einer Show verhandelt, mit einer gespielten Diskussionsrunde und einer Techno-Einlage, die zugleich brutal und lustig war…Der Regisseur trat selbst auf und sprach von sich in der dritten Person: „Was der Schlingensief sich alles traut!“ rief er fröhlich. Und immer wieder – begleitet von seinem Dackel: „Tabubruch! Noch ein Tabubruch!“ Das waren für mich die schönsten Momente.

Davor und danach war tatsächlich einiges auf der Bühne zu sehen, was ich noch nie dort gesehen hatte und auch nicht zu sehen wünschte…-

Wenn ich meine alten Notizen wieder lese, kommen sie mir so rückständig vor. Aber das liegt daran, dass man das Werk eines Menschen erst von seinem Tod aus beurteilen kann. So wie er selbst dann wohl auch, von draußen.

In seinem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ schreibt er an sich selbst: „Schau Christoph, versuch es doch, schreibe oder male irgendetwas, schau, dass du deine Sachen in Gedanken weiterführst. Und wenn du nicht mehr kannst , dann machst du halt eine Pause. Oder du schreibst drauf: „Pause“.“

Ganz lange Pause.

Donnerstag, 09.09.2010

Montag, 06.09.2010

Tränen vor der Leinwand

Wer glaubt, dass der Film – und ganz besonders als ein Produkt, das die von ihm ausgelösten Tränen im voraus kalkuliert, wie ein weepie – konkurrenzlos ist auf dem Gebiet der Künste, hat noch nie davon gehört, was Gemälde anrichten können – so wie ich bisher.

Belehrt wurde ich darüber durch die außergewöhnliche Zeitschrift Fuge. Journal für Religion & Moderne. In der aktuellen Nummer erzählt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp dort in einem Interview von Pictures and Tears, einem Buch von James Elkins: „Der Autor stellt sich die Frage, warum Menschen vor Kunstwerken weinen, und beginnt mit einer eindrucksvollen Szene im Atelier von Rothko. Im Jahre 1967 kommt der Kunstkritiker Ulrich Middeldorf in Begleitung einer Kunstkritikerin, die auch Theologin ist, in Rothkos Atelier. Die beiden Besucher wenden sich den Werken des Künstlers zu, und die Kunstkritikerin bricht, ohne den Vorgang kontrollieren zu können, minutenlang in Tränen aus…Es scheint gewiss, dass vor den Werken keines anderen Künstlers des 20. Jahrhunderts Menschen öfter und länger geweint haben als vor den Gemälden Rothkos. An zweiter Stelle folgt dann Barnett Newman. Ich vermute, dass sich die Kontinuität des Religiösen an der Oberfläche abstrakter Malerei sich hier so unbezwingbar aufdrängt, dass der Mensch ergriffen wird. Er ist konfrontiert mit einer Oberfläche, die ihm die Gewissheit entzieht, dass diese Oberfläche nur Oberfläche sei.“

Zu finden in der Nummer 6/2010 der Fuge.


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