Montag, 01.08.2011

Der goldene Sommer

Ein schönes Bild. Ein Mann reist allein von München mit dem Zug nach Köln, im Gepäck ein guter Zentner feinstes Zelluloid. Bernd Brehmer, einer von jenen, die als Außenseiterbande das beste deutsche Kino – das Werkstattkino – machen, war am Wochenende zu Gast im Filmclub 813 und zeigte Kennern und Neugierigen den legendären Monarch (1979 Stelzer/Flütsch) – und dazu einige unbekannte Scopitones, jene kleinen Musikfilme aus den 60ern, die in öffentlichen Automaten für Kleingeld zu betrachten waren, kleine Lektionen in Körperlichkeit und Ekstase.

Als Spätvorstellung lief passend dazu Kommissar X in den Klauen des goldenen Drachen (1966 Frank Kramer), der – ganz im Gegensatz zu dem davor gezeigten Trailer zu Operazione Lady Chaplin (1966 Alberto de Martino) – in meinem Gedächtnis keine Überlebenschancen hätte. Wäre da nicht die kurze Tanzszene, in der Brad Harris demonstriert, wie wild einer tanzen kann. Einer, der wahrscheinlich jahrelang täglich an irgendeinem Bahnhof oder in einer verruchten Milchbar ein paar schnelle Scopitones konsumiert hat.

Eine ganz unglaubliche Entdeckung brachte dann der folgende Sonntagabend: Eine Kugel auf der Rechnung / Un choix d’assassins aus dem Jahr 1966 oder 1967. Den Namen des Regisseurs, Phillippe Fourastié, hatte ich noch nie gehört. Nur wenige Filme hat er inszeniert, nachdem er zuvor Regieassistent von Rivette, Chabrol, Godard war; ein geheimnisvoller Unbekannter mitten in der gut erforschten und allseits vermessenen Nouvelle Vague. Das Gesicht des Hauptdarstellers kam mir äußerst bekannt vor, vielleicht weil Bernard Noël, kurz vor seinem frühen Tod, noch in der französischen Fernsehserie Vidocq der Titelheld war.


Bernard Noël in Un choix d’assassins (1967 Phillippe Fourastié)

Die Musik in Un choix d’assassins ist wie von ferne hineinwehender Jazz von Alain Goraguer, zu dessen originellen Arrangements einst die Karriere von Serge Gainsbourg begann. Der Ort der Handlung ist Tanger. Und worum geht es? Was passiert? – Ich verrate es nicht.
Nein, ich verrate es nicht. Denn wie schön ist es doch, ganz unvorbereitet auf so einen Film zu stoßen, in dem die größten Tugenden des Kriminalfilms mit den seltensten Qualitäten eines Autorenfilms Hand in Hand gehen, in dem Spannung und Muße sich perfekt ergänzen, in dem jeder Moment hellwach von der Lebensmüdigkeit erzählt.
Von diesem raren Film, über den es im Internet so aufregend wenig, ja, nichts zu erfahren gibt, will ich nur festhalten, dass ich, ha, ich, hier die erste ganz bescheidene Notiz von seiner Größe mache. Voilà.

Ein aktueller Kinotipp noch: Der Sommerfilm, der Riesenerfolg aus dem Land der Scopitones: Kleine wahre Lügen / Les petits mouchoirs (2010 Guillaume Canet), ein ganz und gar unbescheidener aber ehrlicher Film. US-Verleihtitel: Little White Lies.

So remember when you tell those little white lies that the night has a thousand eyes.
Das sang Bobby Vee zum Ausklang des Kinowochenendes. Unterwegs durch die weite Nacht in einem wunderbar engen Studio zwischen zappelnden Halbnackten, die vielleicht unter dem Einfluss von Lachgas, mit Algen um sich schlugen. Als hätte Frank Tashlin Scorpio Rising vorskizziert.

Bobby VeeThe Night Has a Thousand Eyes (1963, Scopitone)

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