CNN goes Andy Warhol
Hier.
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Lady on a Train (1945 Charles David). Ein Film, der schon mit dem ersten Bild das Gefühl vermittelt, dass er Wünsche kennt, die das Kino erfüllen kann.
Wunsch Nummer Eins: Zeuge zu werden.
Schon wie sie da im Zug sitzt und „The Case of the headless Bride“ by Wayne Morgan liest, macht klar, dass es lustig wird mit Deanna Durbin.
Wunsch Nummer Zwei: In etwas hineingezogen zu werden.
Der berühmte Krimiautor will mit seiner Verlobten (r.) und seiner Sekretärin (l.) Weihnachten feiern, doch am Telefon ist seine Leserin – in Not. Äußerste Gefahr zwingt Deanna Durbin zu kontinuierlichen Kostümwechseln und neuen Frisuren in einem noblen, aber zwielichtigen Etablissement.
Wunsch Nummer Drei: Angst.
Es ist schön, dass Something Weird, trotz ungewisser Zukunft des Kölner Filmhaus Kinos, heute abend um 20 Uhr mit Dario Argentos Geheimnis der schwarzen Handschuhe / L’uccello dalle piume di cristallo (1970) den Spielbetrieb (35mm) fortsetzt.
Es ist schade, dass dieses Gebäude an der Kölner Nord-Süd-Fahrt kürzlich abgerissen wurde.
Unter dem Namen Nightingale stelle ich mir ein kleines, altertümliches Kino mit Samtsitzen, Holzvertäfelung und schummrigem Licht vor. Stattdessen ist es ein weiß gestrichenes Ladenlokal mit LCD-Projektor und Laptop, wie man es sicher auch in Kreuzkölln finden könnte. Eine unscheinbare Tür führt vom Bürgersteig direkt in den Projektionsraum. Eintritt zwischen 7 und 10 Dollar, sliding scale: Man zahlt innerhalb des angegebenen Rahmens soviel wie man für richtig hält.
Der Raum ist mit 20 Klappstühlen gut gefüllt. Vorne ein Sofa und ein durchgesessener Fauteuil. Projiziert wird von einer Empore, auf die man durch eine steile Leiter hinaufklettert. Es ist nicht ganz klar, ob der Steenbeck-Schneidetisch links am Eingang noch benutzt wird oder hier nur abgestellt wurde, damit man sein Rennrad daran anlehnen kann. Keines der vier Räder hat eine Gangschaltung.
In seiner Einführung erinnert sich Dan Eisenberg, der bei Wyborny studiert hat, an dessen Offenheit und Neugier. Das sei ein erholsamer Kontrast zur Ernsthaftigkeit der Experimentalfilmzirkel damals gewesen. Mit Partituren in der Hand ging es raus in die Landschaft, ein Filmemachen, das sich am frühen Kino und an den musikalischen Vorstellungen der Zwölftonleute orientierte.
Bevor „Studien zum Untergang des Abendlands“ (2010) beginnt, wird eine schlichte gelbe Tasche mit Kodak-Logo verlost. Eisenberg, der vorne links neben dem Steenbeck sitzt, wird aufgefordert, eine Zahl zwischen 1 und 23 zu nennen. Vierzehn, sagt Eisenberg, und die Tasche fliegt in die vierte Reihe, wo jemand diese Zahl auf seinem Ticket stehen hat. In einigen Jahren, so der junge Taschenverloser, der den Film nach Chicago geholt hat und Wyborny Why-bornie ausspricht, wird keiner mehr wissen, wofür Kodak steht, und dadurch wird die Tasche besonders wertvoll sein.
Das Screening will nicht gelingen. Zuerst sieht man die Befehlszeile des Laptops, dann stimmt das Format nicht. Der Computer muss neu hochgefahren werden und das enervierende Hochfahrgeräusch eines bekannten Computer und Telefonherstellers grätscht unsanft zwischen die sanft tröpfelnden Klavierklängen von Wybornys Film. Als dieses Problem gelöst ist, kommt der Projektor nicht mit den schnellen Auf-, Ab- und Überblenden zwischen den 6299 Einstellungen klar. Jeder Bildwechsel, und besonders die ganz kurz aufflickernden Bildimpulse sind von horizontalen Balken überlagert, als solle dem Super 8-Material ein digitales Wasserzeichen verpasst werden. Zwar legt sich dies aus unerklärlichen Gründen in der Mitte des Films, aber aus genauso unerklärlichen Gründen kehrt es am Ende zurück. Die Bilder pulsieren vehement gegen die technischen Widrigkeiten an.
Trotzdem spürt man die vibrierende Intensität dieser Einstellungen, und wie sich Bild und Musik aneinander entzünden. Das Ruhrgebiet wirkt wie aus einem Murnaufilm, dann wieder erinnern die Metallverstrebungen von Lastkränen, Fördertürmen an Vertov und die konstruktivistischen Utopien der 20er. Viel Ruinöses und Düsteres, wie sollte es beim Untergang des Abendlands anders sein, aber auch klare, helle Farben schwimmen sich im Laufe der fünf Sätze der Komposition allmählich frei. Unvermittelt ist man plötzlich in Rimini oder bei New York. Auch an Epstein musste ich denken.
Als ich nach draußen komme, empfindet ein junger Mann mit seinen Armen das Zittern der Kamera in manchen Einstellungen nach. Seine Geste begleitet er mit einem Satz, der anerkennendes Staunen ausdrückt. Dreißig Fuß weiter lehnt ein älterer Mann, der rechts in der zweiten Reihe gesessen hatte, an einer Laterne. Gedankenverloren schreibt er etwas in sein Notizbuch.
[Sonntag, 30. September 2012, White Light Cinema at the Nightingale, 1084 N. Milwaukee Ave., Chicago]
Das Münchner Underdox Festival zeigt in den nächsten Tagen neben vielen neuen Sensationen auch Traité de bave et d’éternité (1951 Isidore Isou) – am Samstagabend im Filmmuseum.
Heute zeigt das Arsenal in Berlin um 20 Uhr Peter Przygodda, Schnittmeister (1993 Peter Goedel). Und die Cologne Conference lockt mit neuen HBO-Serien ins Residenz-Kino, darunter Girls von und mit Lena Dunham, und The Newsroom mit Jeff Daniels. In der Schauburg in Karlsruhe läuft morgen früh um 11 Uhr How the West Was Won (1962 Henry Hathaway) als Auftakt des achten 70mm-Festivals, und am Samstagmorgen dann First Men in the Moon (1964 Nathan Juran).
Die Ausgabe der Schriften von Serge Daney – „La Maison cinéma et le monde. 1. Le Temps des Cahiers 1962-1981 (Paris 2001) und „2. Les Années Libé 1981-1985 (Paris 2001) – ist jetzt komplettiert worden durch „La Maison cinéma et le monde. 3. Les Années Libé 1986-1991 (P.O.L. éditeur, Paris 2012). Dieser Band, 870 Seiten stark, samt Index, ist angeordnet in dreizehn Komplexen, es geht also nicht nur um Texte am ‚Leitfaden der Filme’, sondern auch um Wiederbesichtigungen, Filme am TV, Dreharbeiten, Gespräche, die ‚politique des auteurs’, die ‚poétique des acteurs’, Figuren, Buchbesprechungen, Bilderpolitik, um dies und jenes (‚Ici et ailleurs’), Kunst und Industrie, um das, was sich im ‚Innern der Medien’ abspielt, um Tennis, rumänische Telechroniken und den Golfkrieg. (Bereits in frühere Bücher aufgenommene Texte oder Teile – „Le Salaire du zappeur“, 1988 und 1993, „Devant la recrudescence des vols de sac à main“, 1993, „L’Amateur de tennis“, 1994 – sind in diesem Band 3 nicht enthalten.)
Der Schritt von den ‚Cahiers’ zur Tageszeitung ‚Libération’ (wo Daney den Bereich ‚Cinéma’, später die Seiten ‚Rebonds’ betreute) war sicher einer ins Ungewisse, vielleicht auch ins Freie – das tägliche Schreiben (in den Niederungen des Tagesjournalismus) stellte einen andern Anspruch an die eigene Formulierungsgabe, forderte sie heraus. Es kam darauf an, das Schreiben geschmeidig zu halten und dennoch Konsistenz zu erreichen, den bei den ‚Cahiers’ geprägten Stil in der täglichen Auseinandersetzung zu formen und zu stählen. (Nur ein Beispiel für die Vielzahl der Sujets: am 30. Januar 1986 schreibt Daney einen Nachruf auf die am Vortag verstorbene Lilli Palmer.) Wo ich auch blättere, in diesen Seiten, – es kommt mir immer interessant vor, sicher wäre da (wie im Tagesjournalismus von André Bazin) mancher Theoriebrocken zu heben.
Ich übersetze noch einen Abschnitt aus ‚Serge Daney, le voyeux’ von Pierre Eugène (‚artpress’, Nr. 391, Paris, Juli/ August 2012), der diesen Band 3 vorstellt (und unter anderem auch eine „Parallele“ Serge Daney – Saint-Simon zieht). „Es bedarf einer längeren Lektüre, um das schätzen zu können im Schreiben von Daney, was durch ein fragmentweises Lesen nicht unbedingt erscheint. Das sind seine Beunruhigungen und Besorgnisse. So gibt es eine permanente Sorge um die ‚Gesundheit’ (so wie man sich um die Gesundheit des Königs sorgt): die schlechte Gesundheit des Kinos, die ‚falsche gute Gesundheit’ des Fernsehens, die Krise der Drehbücher und der Ideologien, das Ende der grossen Erzählungen, Identitätswirren, das Erstarken der Rechten, der Zerfall der UdSSR … Ein Subtext, der sich immer stärker bemerkbar macht. Die Kritik, wie Daney sie sieht, wird zu einer Art Klinik, die den Zustand des Kinos zum Zeugnis für den Zustand der Welt nimmt. Eine Kino-Hypothese, an der Daney eisern festhalten wird, – der dokumentarische Blick (auch der an der Seite der Fiktion) als Vermittlung [‚passeur’] einer Erfahrung der Welt.“
Goethe Institut Boston hat sich schnell noch angeschlossen, eine Veranstaltung zum Thema zu machen, nachdem das MoMA die Vorführungsreihe ankündigte. Ralph Eue’s DVD-Präsentation im Art déco Coolidge Theater war gut besucht, trotz deutscher Übersättigung durch die gleichzeitig stattfindende große Werner Schroeter Retrospektive im Harvard Film Archive und Symposium (Boston University/Goethe Inst. Boston, w/Gertrud Koch, C. Noll-Brinkmann, Stefan Drössler u.a.).
Am 2. Oktober findet eine weitere Vorführung mit Oberhausen-Filmen hier statt. Balagan Films, die seit etwa einer Dekade in Boston unabhängige Experimental- und Dokumentarfilme zeigen, seit einem Jahr regelmäßig im traditionsreichen Brattle Theatre in Cambridge, beauftragten mich, eine Auswahl der restaurierten Kopien zu präsentieren. Wen’s interessiert > www.balaganfilms.com