2012

Donnerstag, 16.08.2012

… to watch girls by

People,
people who need people,
are the luckiest people in the world …

Es war ein schöner Sommermorgen, oder um es lapidarer zu sagen: The sun shone, having no alternative, on the nothing new – wie es im ersten Satz von Becketts Murphy heißt. Mehr durch einen ebenfalls schönen Zufall traf ich Ba, Bla und Scha morgens um 10:00 Uhr im Kino. Be war auch erschienen, verließ das Kino aber zügig nach der Vorstellung, ohne sich weiter zu äußern. Ba und Bla hatten sich im Anschluss zu einer Partie Tischtennis auf einem Kinderspielplatz im alten Zentrum West-Berlins verabredet und in weiser Voraussicht jeweils einen zweiten Schläger mitgebracht. So spielten wir zu viert. Eine weitere Rolle übernahm der Wind. Ba, ein ambitionierter Spieler mit langjähriger Erfahrung auf der elterlichen Eigenheimkellertischtennisplatte mit Möglichkeiten zu eingeübten Tricks und Kunststücken, und Bla, ein versierter Returnspieler, der seiner Attacke noch Mankos bescheinigte, die es auszuputzen galt, trafen so auf Scha, einer weit erfahreneren Spielerin, als man zunächst denken würde, mit der Tendenz zu unerwarteter Raffinesse – und mich. Zwanzig Jahre Tischtennisabstinenz im Zusammenspiel mit wechselndem Rücken- und Gegenwind brachten mir zumindest die Bewertung ein, dass altes Potential zu erkennen wäre.

… we are children,
needing other children,
and yet letting our grown up pride,
hide all the need inside,
acting more like children than children.

Rudolf Thome hat wieder einen Film gemacht, in dem dabei zugeschaut werden kann, wie Mädchen durch Bilder zappeln, arrangiert um ein Drama mit ausgedachten Problemen, das eigentlich kein Drama ist, in dessen Verlauf ein älterer Mann auf unabsehbare Zeit – für immer? – verschwindet. Es lässt sich in vielerlei Hinsicht feststellen, was der Film alles nicht ist, was ihm nicht gelingt, an welchen Stellen er sich überall weigert, für irgendetwas Verantwortung zu übernehmen, worin er scheitert. Aber irgendetwas muss diesen Film auf den Weg gebracht haben, was positiv benannt werden kann, sonst wäre er nicht entstanden.

Der Film ist nicht Camp.
Wie alle deutschen Italienschnulzen der 50er und 60er Jahre fällt auch INS BLAUE über Italien her, ohne sich nur einen Deut für Land und Leute zu interessieren. Italien wird quasi überfahren und kommt im Film nicht vor. Das Drehbuch ist geschickt genug, allen romantischen Kitsch in die Filmhandlung des innerhalb des Films zu drehenden Films zu legen, mag diesen Kitsch aber nicht genüsslich überziehen, sondern nimmt ihn ernst. Grotten mit Lichteinfall sind magisch, Vögeln ist magisch – also wird in Grotten gevögelt. Die Gleichsetzung von Sex und Magie könnte Camp nur ironisch zitieren.

Es ist die absolute Ironieresistenz in diesem Thome-Film, die ihn so schwer genießbar macht bei gleichzeitiger Interesselosigkeit an jeder einzelnen Person. Einzig dem von Vadim Glowna gespielten alten Mann wird ein gewisses Gefühl von Rührung entgegen gebracht. Man denke nur an die Zeit, die darauf verwendet wird zu zeigen, wie er sein Hotelzimmer des Nachts verlässt, um ins Nachbarzimmer seiner Angebeteten zu kommen oder wie er ihr mit Hingabe ein Getränk mixt, das sie gefügig machen soll. Sein Leiden erreicht zuweilen den Erdboden.

In Interviews während der Dreharbeiten in Italien hat Thome von seinen eigenen Depressionen zu dieser Zeit erzählt und wie er sie überwand, indem er sich neu verliebte.

Lovers,
are very special people
they are the luckiest people in the world.

Filmfragen

Ein sehr verdichteter Film wird nicht auf Anhieb sein Bestes geben. Zunächst wird man in ihm das sehen, was dem gleicht, was man schon gesehen hat. (Es müsste in Paris ein ganz kleines, sehr gut ausgestattetes Kino geben, wo nur ein oder zwei Filme pro Jahr gezeigt würden.)

SORGE DAFÜR DASS MAN DIR GLAUBT. Wenn Dante im Exil durch die Straßen von Verona spaziert, wird gemunkelt, dass er in die Hölle geht, wann immer er will, und von dort Neuigkeiten mitbringt.

(Aus: Robert Bresson, Notizen zum Kinematographen, Alexander Verlag Berlin, 2007)

Samstag, 11.08.2012

It’s cool inside


Mönchengladbach, Busbahnhof, Lux Kino


Los Angeles, Anouk Aimée


Model Shop (1968 Jacques Demy)


Lissabon, Animatógrafo do Rossio

Gerade sehr neugierig geworden auf einen Exorzismus-Film mit Daliah Lavi, Il Demonio (1963 Brunello Rondi), der entstand zwischen den sündhaft schönen Filmen, die Vincente Minnelli, Mario Bava und Hugo Fregonese zu jener Zeit mit Daliah Lavi drehten.

Stille Vorfreude außerdem auf einen Striptease-Film mit Margarete von Trotta und Dunja Rajter, Tränen trocknet der Wind… (1967 Heinz Gerhard Schier) – am Mittwoch im Kölner Filmhauskino, um 21:30.

Bis dahin: Musik, die vor der Sonne flieht. Miss Nevada 1963, Cheryle Thompson: „Black Night“ (1964)

Freitag, 03.08.2012

Jean-Marie Straub et Danièle Huillet: Écrits (Independencia éditions, Paris 2012, 287 S.)

September 1954 hat der 21jährige Jean-Marie Straub für ‚Rythmes 54’ in zwei Teilen vom Filmfestival in Venedig berichtet: „Die Eröffnungsveranstaltung – der Vorstellung von Rear Window gewidmet – war ein wahres Geschenk für die Anhänger Hitchcocks, zu denen ich mich zähle.“ Der zweite Artikel befasst sich ausführlicher mit Touchez pas au grisbi von Jacques Becker, mit Shichi nin no samourai (Die sieben Samourai) von Akira Kurosawa, mit dem bulgarischen Film Poème de l’homme von Borislav Charaliev und vor allem mit El río y la muerte von Luís Buñuel. Dessen „verborgene Bedeutung“ sieht Straub in der Faszination Buñuels mit der Tradition Mexikos – welchen Umgang mit dem Tod man da pflegte und wie das, was „Kultur“ genannt wird, dem entgegensteht. Eindruck hinterlassen hat bestimmt auch Sanshô dayû von Kenji Mizoguchi.
Februar und März 1955 vier Artikel in ‚Radio Cinéma Télévision’: über die Bedeutung des Christlichen im Werk Rossellinis und über fünf Rossellini-Filme, die in der aktuellen Spielzeit anliefen (auch über Projekte: Straub hatte offensichtlich persönlichen Kontakt mit Rossellini). Der „dumpfen Selbstgefälligkeit“ Henri-Georges Clouzots (Les Diaboliques) und Léo Joannons (Le Défroqué) werden Filme von Howard Hawks, Orson Welles, Nicholas Ray, Alfred Hitchock und Robert Bresson entgegengestellt: „Verachtung und Liebe. Auf der einen Seite, setzt man den Zuschauer herab, indem man behauptet, ihm den hässlichen Spiegel der heutigen Realität vorzuhalten; auf der anderen Seite wird das Publikum erhoben, indem man es teilhaben lässt am Wunder einer transfigurierten Realität.“ Letzter Artikel: „Wer ist Nicholas Ray?“ – Straub beschäftigt sich mit der Art der Einstellungen bei Ray, und kommt dann auf das Hauptthema zu sprechen: die männlichen Akteure (etwa Humphrey Bogart, Robert Ryan) als „Gefangene der Gewalt“ – und wie die Begegnung mit einer Frau es ist, die sie sich besinnen und ihren inneren Frieden finden lässt. In Johnny Guitar – für Straub ein stendhalscher Film – entziehen sich am Ende nur Vienna und Johnny Guitar der Spirale der Gewalt und des Hasses. Der Text (verfasst zusammen mit Daniel Kostoveski) endet mit einem Zitat aus Rivettes Kritik zu The Lusty Men (die wäre deutsch nachzulesen in ‚CICIM’ 24/25, München, Januar 1989: Jacques Rivette, Schriften fürs Kino).
Es folgen dann, ab 1962, all die kleinen und grösseren Texte zu den einzelnen Filmen, diverse Stellungnahmen, Hinweise, Arbeitsmaterialien, Handschriftliches (vor allem in der ‚Filmkritik’, in ‚Cahiers du cinéma’ und ‚Filmcritica’), auch das schöne kleine Spottlied „Il était une fois un petit cinéaste“ von 1962 (!), das erst 2001 veröffentlicht wurde und auf der DVD-Ausgabe von Pedro Costas Onde jaz o teu sorriso (Wo liegt Euer Lächeln begraben?, 2001) mit der Stimme von Straub zu hören ist. Zwei Texte, schreiben die Herausgeber Philippe Lafosse und Cyril Neyrat im Vorwort, seien endgültig verloren: ein siebzigseitiger Text von Straub aus den fünfziger Jahren, der die „Architektur des Films“ Cronaca di un amore von Michelangelo Antonioni untersuchte, und die von Danièle Huillet 1954 besorgte Übersetzung von „The Art of Fugue, Bach’s last Harspicord Work. An Argument“ von Gustav Leonhardt (1952).

Der zweite Teil des Buchs ist mit ‚Portfolio’ betitelt: das sind Fotografien aus der Sammlung von Renato Berta, von ihm selbst kommentiert.

Der dritte Teil – ‚Atelier’ – stellt überaus detaillierte, umsichtige, vorausschauende (meist maschinengeschriebene) Briefe von Danièle Huillet etwa an Renato Berta, Willy Lubtchansky, Caroline Champetier vor, die als „feuille de route“ der Vorbereitung von Dreharbeiten dienten – kommentiert von Jean-Marie Straub. Folgen Notizen bei der Drehortsuche und den Proben, Drehpläne, ein „annotierter“ Drehbuchauszug von Ouvriers, Paysans, der Kommentartext von Une visite au Louvre („Der verrückteste Kampfplatz in diesem Bereich“, sagt Straub. „Wir haben Julie Koltaï bis zum letzten Detail geplagt … Weil das ein Off-Kommentar war, musste das noch genauer sein als ein gefilmter Text“) und dann die dichten, farbigen Eintragungen sowohl von Danièle Huillet wie Jean-Marie Straub für die Darsteller im Textbuch von Ces Rencontres avec eux. Die Pressedossiers (von denen ebenfalls einige abgedruckt sind) seien seine Sache gewesen, für die habe sich Danièle nur halb interessiert, sagt Straub. Er habe sie zusammen mit Jean-Paul Archy gemacht: „einem manischen, typisch französischen Typographen, einer von der Art, die man 1871 erschossen hat – die Kommunarden waren mehrheitlich Schriftsetzer.“
(Übersetzungen von mir.)

Samstag, 28.07.2012

Emil Jannings

Im Tagesspiegel vom 26. Juli fragt sich Frank Noack, woran es liegen mag, dass Emil Jannings so ganz und gar vergessen ist und antwortet darauf gleich selbst: es liegt „wohl eher an einem generellen Desinteresse an der Schauspielkunst früherer Epochen.“

Ich hätte dazu noch ein paar andere Antworten: es liegt auch an dem generellen Desinteresse für deutsche Filmgeschichte. Und die, die sich überhaupt noch dafür interessieren, teilen die Filmgeschichte so ein: bis 1933 und etwa ab 1965 – ich setze hier mal Kluges „Abschied von gestern“ als Zäsur – interessant, innovativ, spannend. Zwischen 1933 und 1965 liegen Sumpf, Nebel und Moor, die Leichen des deutschen Films, Wüste und Ödnis, Verdrängung und Propaganda. Da sehen wir nicht hin, wir wissen sowieso Bescheid, das ist ja alles Mist und Papas Kino und Opas Kino.
Leider stimmt das auch noch zum großen Teil und es stimmt natürlich genauso wenig als wenn ich jetzt sagen würde: alle Filme der Berliner Schule sind einfach stinklangweilig und öde, stinkende Moorleichen der Luxusproblematiker. Das eine ist so falsch wie das andere.
Es ist ja wirklich so, dass man sich vieles ansehen muss, um einiges Gutes zu entdecken. Das ist halt Arbeit, die wir uns nicht antun wollen. Deswegen sparen wir uns das und haben dann mangels Wissen gar keine Argumente mehr gegen die, die uns weiß machen wollen, dass der Film zwischen 1933 und 1945 eigentlich unpolitisch war, und wenn es dann politisch wurde, dann war nur Herr Goebbels schuld. Im Grunde war ja die ganze Filmindustrie unpolitisch und Anti-Nazi. Gab es außer Leni Riefenstahl überhaupt irgendjemanden, der mit dem System paktiert hat und nicht weiterfilmen durfte? Karl Ritter, NSDAP-Mitglied und Regisseur militaristischer Propagandafilme, durfte selbstverständlich in der Bundesrepublik weiterfilmen. Er behauptete allen Ernstes, er hätte im Dritten Reich lieber Märchenfilme gedreht als seine Fliegerfilme. Man ließ ihn reden, damit nur ja keine Diskussion aufkommt.

Was hat das nun alles mit Jannings zu tun? Jannings hat ebenfalls in einigen schlimmen NS-Filmen wie „Der Herrscher“ mitgespielt, und das fällt ihm natürlich bei denen, die die Filme kennen, zentnerschwer auf die Füße. Es liegt halt nicht „an dem generellen Desinteresse an Schauspielkunst“, sondern auch daran, dass sich keiner, der sich mit dem  Film-Erbe beschäftigt, durch ein Dickicht von Lügen und Beschönigungen kämpfen will. War Jannings nun Gegner, Mitläufer, Opportunist oder vielleicht auch Täter? Oder welche anderen Kriterien greifen hier? Man hätte es gern gewusst, aber es ist wohl zu mühsam, auch darüber noch nachzudenken.

Es ist schon symptomatisch, dass Frank Noack, der ein Buch über Jannings geschrieben hat, im Tagesspiegel einen Beitrag über Jannings schreibt und darauf hinweist, dass er ein Buch über Jannings geschrieben hat. Übrigens hieß „Madame Dubarry“ in den USA nicht „Power“, sondern „Passion“. Woran mag es nur liegen, dass man nicht einmal die Filmtitel richtig auf die Reihe kriegt?

Werner Sudendorf

Montag, 23.07.2012

shomingeki No. 24

Das sehr verspätete shomingeki No 24 ist gerade erschienen.

Titelthema ist Terrence Malicks Meisterwerk „The Tree of Life“.

Es finden sich außerdem im Heft: Texte über Filme von Naomi Kawase, Helke Misselwitz, Jia Zhang-ke,  Jafar Panahi, Celia Caturelli, Yoichi Higashi, Robert Mulligan, Minuru Shibuya.

Und eine erneute Empfehlung von Helmut Färbers großartigem Buch „Partie/Renoir“.

Samstag, 21.07.2012

Geschichten der Freundschaft – Dem Gedächtnis Walter Benjamins (WDR/arte 2010, 53 Minuten). Film von David Wittenberg

1. Die Sprachebene ist hier autonom, bildet in einem dichten Gewebe aus Text-, Brief- und Gedichtstellen die Beziehungen einer Handvoll Menschen ab – beginnend mit dem Brief von Theodor W. Adorno vom 8. Oktober 1940 aus New York an Gershom Scholem in Jerusalem, in dem er ihm mitteilt, dass Benjamin sich das Leben genommen hat. „Ich weiss überhaupt nicht, wie es nach dem Tod von Walter weitergehen soll.“
Ein Leben zwischen zwei Weltkriegen, die frühe und enge Freundschaft Walter Benjamins und Gershom Scholems – beide ergreifen nicht den vom Elternhaus gewünschten Brotberuf, sind von „des Kaisers deutscher Armee“ ausgeschlossen (Benjamin wegen Ischias, Scholem wegen „Schwachsinns“!), Benjamin „überlebt mit viel Glück in der Schweiz“. Entscheidende Gespräche zwischen den beiden finden bei Wanderungen im Berner Oberland und an der Uni Bern statt (Bekanntschaft auch mit Ernst Bloch, Lektüre von „Geist der Utopie“); Annäherung aneinander über Gedichte und Volksliedhaftes (der späte Hölderlin, Rilke, Eichendorff und Mörike): „Für Scholem galt deutsche Kultur.“ Benjamin sieht eine „mangelnde jüdische Orientierung in seiner Kindheit“ – folgt aber nicht der zionistischen Ausrichtung seines Freundes (dessen Sprachkenntnisse und umfassende Studien des Talmud und der jüdischen Mystik er gleichwohl bewundert). Das Desaster des ersten Weltkriegs: die, die zurückkommen, sind versehrt, verstummt, „nicht reicher, ärmer an mittelbarer Erfahrung“. „Denn nie sind Erfahrungen gründlicher Lügen gestraft worden als die strategischen durch den Stellungskrieg, die wirtschaftlichen durch die Inflation, die körperlichen durch den Hunger, die sittlichen durch die Machthaber.“ „Die deutschen Generäle verkünden, sie hätten im Weltkrieg doch gesiegt“ – Attentate auf prominente Juden, Terror, Plünderungen, Überfälle. „Von 1923 bis 1932 wurden 189 jüdische Friedhöfe zerstört.“ „Der Kaiser, der mal Wilhelm der II. war, der schon viel an Wahnvorstellungen produziert hatte, sitzt in Holland und findet Nazis gut und meint: Juden loswerden. Am besten mit Gas.“ 1921 ewirbt Benjamin Klees Bild „Angelus Novus“, das ihn fortan durchs Leben begleitet. „Was heisst Fortschritt?“ „Der messianische Ton der Romantiker.“ Die Aufklärung. Das Gartenreich Wörlitz bei Dessau („hier war ein Anfang um die Emanzipation der Juden“), das 15 Kilometer entfernte Bauhaus. Klee, Kandinsky, die französischen Surrealisten, die Proust-Übersetzungen. „Benjamin liebt amerikanische Groteksfilme, Chaplin.“ „Kitsch, Trödel, Reklame, Mythen des Films: eine Stadtlandschaft der Träume kurz vor dem Erwachen.“ Die Gespräche, die Freundschaft mit Bertolt Brecht. Die Hinneigung zur französischen Kultur – das Projekt einer „Urgeschichte der Moderne“ anhand Paris. Eine Karriere an der Universität war Benjamin verwehrt: freigesetzt, in existentieller Unsicherheit, bringt er seine einzigartigen Texte hervor. Auf Ibiza (1932 und 1933) erneute Arbeit an „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“. Kafka und das Volkslied vom „bucklicht Männlein“. 1940 soll der „Angelus Novus“ in bedrängter Lage veräussert werden. Lisa Fittko. „Die Freunde waren sein Archiv.“ Bericht über den Nachlass. „Arbeit des Eingedenkens.“

2. Die Bildebene – strikte Gegenwart. Was enthält diese Gegenwart noch von dem, was da ausgeführt wird? Das Opake der Bilder wirkt irgendwie faszinierend – nicht durchgängig, aber immer wieder mal. Der Standpunkt ist oft etwas ‚abseitig’ gewählt, wie ‚leicht verschoben’ – also genau richtig, auf diesem Abseits beharrend. Die Ansicht des Reichstags, die menschlichen Gestalten, die sich im Rund der Glas-Kuppel vorwärts bewegen – ein Blick auf einen fremden Planeten. Die Siegessäule, die in Benjamins Kindheit hineinragte, „als Verkehrsmittelpunkt“ am jetzigen, von den Nazis gewählten Standort. Ein Hin und Her zwischen Paris und Berlin. Ibiza. Die Passagen. Die französisch-spanische Grenze, Port Bou. Die Friedhofsmauer mit dem Tor. Das Meer. Der Bahnhof Grunewald. Der Bahnhof Austerlitz. Das ‚Mémorial de la Shoah’ in Paris.
Die fotografischen Schwarz-Weiss-Dokumente, die in die farbige Materie dieser Gegenwart hineingesetzt sind, kommen von weit her – wirken wie ‚hinübergerettet’. Porträts von Benjamin, Scholem, Adorno, Gretel Karplus, später Gretel Adorno. Pariser-Fotografien von Germaine Krull. Das Porträt von Germaine Krull. Der Umschlag für die „Einbahnstrasse“ (1928) von Sasha Stone. Bertolt Brecht. Benjamin und Brecht in Dänemark im Freien bei einer Partie Schach. Das Visum nach Palästina, das verfallen ist. Identitätskarten, Bibliotheksausweis. Gesichter der „Spezialisten des Massenmords“ (die Hälfte mit Doktortitel), Teilnehmer an der Wannseevilla-Konferenz: „fünfzehn sogenannte gebildete Männer, die mit Eifer und Elan dabeiwaren.“
Ein einziger Filmausschnitt aus dem Archiv: Autorennen auf der Avus – der Zwischentitel: „Plötzlich Regen …“ – zu dem Metall- und Menschen-Chaos ist die markante Stimme Brechts mit dem ‚Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens’ zu hören.

3. „Mein Leben so gut wie mein Denken bewegen sich in extremen Positionen.“ Ein Denken, das sich an seiner Basis – der Sicherheit des Körperlichen – gefährdet sieht, wird mit einer schärferen Wahrnehmung einhergehen. Es wird sich vorwagen müssen, wird um sich schauen, umsichtig sein, sehen und hören, wie die Situation im Moment ist, abschätzen, was der nächste Moment bringt, was die Zukunft. „Antizipierendes Bewusstsein“. Die Sphäre des Traums rückt an die Realität des eigenen Lebens heran: nicht in psychologischem Sinn – es geht um die ‚Winke’, die im Traum stecken. Die Gefährdung macht, dass man seine Fühler ständig ausstrecken muss, die Nazigefahr schon 1922 wittert. Ein Schreiben und Denken, das nuanciert, sich unendlich verfeinert, um ‚hinter die Dinge zu kommen’. (Darin, daneben, nichtsdestotrotz natürlich auch das Bedürfnis, sein Leben abzusichern, Geldnöte zu beheben, zu einer Position zu kommen.)
In der „Einbahnstrasse“ gibt es den Eintrag vom Instinktverlust des ‚Inflationsmenschen’ – ein Eintrag, den Adorno 1955 aufnimmt in dem kurzen Text über ‚Benjamins „Einbahnstrasse“’: „Der Weltlauf hat Benjamins ursprünglich der Politik abgewandtes, metaphysisches Ingenium gezwungen, seine Regungen in politische umzusetzen. Zum Dank für solche Entäusserung sind ihm – schon während der Inflation der ersten Jahre nach 1918 – gesellschaftliche Einsichten zuteil geworden, die heute noch gelten wie damals, und in denen die Prognose des Unheils beschlossen liegt, dessen Opfer Benjamin selber wurde. So heisst es in der ‚Reise durch die deutsche Inflation’: ‚Eine sonderbare Paradoxie: die Leute haben nur das engherzigste Privatinteresse im Sinne, wenn sie handeln, zugleich aber werden sie in ihrem Verhalten mehr als jemals bestimmt durch die Instinkte der Masse. Und mehr als jemals sind die Masseninstinkte irr und dem Leben fremd geworden.’“ („Über Walter Benjamin“, Frankfurt am Main 1968, S. 60).
Es scheint, als wolle Adorno – bei der Frage, weshalb sich Benjamin nicht zu retten vermochte – dieses Zitat (und die Instinktunsicherheit) auf den Urheber zurückwenden: darin versteckt ist ja die Kontroverse über die Freundschaft mit Brecht und dessen Einfluss auf Benjamin. (Was wiederum zur Kontroverse Heißenbüttel – Adorno führte, indem jener diesem vorwarf, diese Seite Benjamins zu unterdrücken.)

4. Den Film von David Wittenberg kann man sich als in Wort und Bild gefasstes Exempel für die jüdische Diaspora ansehen. („Die Israelis sind keine Juden“, ist anderswo gesagt worden.) Es geht darin, wie fragmentarisch auch immer und Kontroversen nur nebenbei aufgreifend, um diese Handvoll in alle Welt zerstreuten Menschen, ihren Zusammenhalt und ihr Schicksal.
Die Kraft der einen Stimme – ein männlicher Sprecher – stiftet sozusagen den verlorenen Zusammenhang, der eine Text nimmt das Verzettelte, Disparate in sich auf, macht es sich zu eigen und bringt es fast beschwörend zur Sprache. Was sich vermittelt ist eine Dringlichkeit des Redens, die vormals eine des Denkens und Schreibens war. Die Ebene der Bilder ist dazugesetzt, auch zugeordnet, und doch relativ autonom – im losen Zusammenhang mit dem Gesagten, Ausgeführten. Keine Beweisführung, blosse Evidenz der Gegenwart – und als Verfahren weitab von dem, was der philosemitische Zeitgeist (mit seinen Bocksprüngen und seiner Staatsräson) so produziert. Schon deshalb also wohltuend.

Dienstag, 17.07.2012

Malen nach Musik


L’enfant sauvage (1969 François Truffaut)

Über den Wirbel triumphiert die gerade Linie. Kaum ein Sieg ist so verlustreich. Truffaut selbst verkörpert als Lehrer des Wolfjungen die harten Einbußen des zivilisierten Daseins, das Unbehagen in der Kultur. Unnachgiebig und einsam erzielt er seine Erfolge. Dann eines Tages wagt er ein grausames Experiment: Durch ungerechte Bestrafung provoziert er bewusst den Zorn des Kindes. Hätte der Junge sein Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit eingebüßt, dann wäre durch die Erziehung nichts erreicht, alles wertlos.


Es geschah am hellichten Tag (1958 Ladislao Vajda)

Ein Kind hat seinen Mörder und dessen Auto und das Wappentier des Kantons Graubünden auf dem Nummernschild und ganz klein sich selbst mit den geschenkten Schokoladentrüffeln wunderschön gemalt und das Bild sogar datiert: 11. März 1958. Doch all die Hinweise führen zu nichts. Da trifft Polizeioberleutnant Matthäi einen einsamen Entschluss. Er sucht sich, um den Täter zu ergreifen, einen lebendigen Köder: ein Kind.


Mühe. Hingabe. Unschuld. Aufsätze (1963 Peter Nestler)


Ritterkampf. Ähnlichkeit. We Are The Lambeth Boys (1958 Karel Reisz)

Als ich versuchte, Utrillo dazu zu bringen, dass er von ’seinem Handwerk‘ sprach, sagte er mir, im Jahr 1921, einer Epoche, da er noch redselig war, während er einen feinen Staub buntscheckiger Farben auf sein Bild warf: „Das hab ich gern. Diese Mauer hat mir viel Mühe gemacht, aber jetzt ist sie so, wie ich sie wollte.“
„Du bist also mit dir zufrieden?“
„Nein, niemals. Aber, verstehst du, ich bin mit der Mauer zufrieden, die ich gerade gemalt habe, und ich glaube, dass kein Mensch sie besser gemalt hätte als ich.“

(Florent Fels, 1956)


Anny Ondra und Cyril Ritchard in Blackmail (1928 Alfred Hitchcock)

Sie hat das lustige Gesicht gemalt, er hat ihr beim Rest die Hand geführt. Später dann, nachdem sie den zudringlichen Maler in Notwehr getötet hat, pinselt sie Farbe über ihre Signatur, löscht ihren Namen unter der Gemeinschaftsproduktion, deren Heiterkeit fortwährt.
via


Barbara Bel Geddes und James Stewart in Vertigo (1958 Alfred Hitchcock)

Ihr Selbstportrait ist Parodie auf das, was er begehrt.


Robert Walker und Marion Lorne in Strangers on a Train (1951 Alfred Hitchcock)

Die Mutter malt. Der Sohn lacht: „Ja, das ist Vater!“


Barbara Rütting in Neues vom Hexer (1965 Alfred Vohrer)

Man könnte zu der Ansicht gelangen, das Kino habe unentwegt mit der Malerei ein Hühnchen zu rupfen. Natürlich gab es Minnelli, Tashlin, Pialat, aber tatsächlich ist die Zahl der Überläufer klein. Klopfenstein, van der Schoot, Müller, mehr fallen mir spontan nicht ein. Die famosesten Romane über das Malen (Russell H. Greenans „In Boston?“, Charles Willefords „The Burnt Orange Heresy“, Kurt Vonneguts „Bluebeard“) sind unverfilmt. Unverfilmbar? Warum?


The Moon and the Six Pence (1942 Albert Lewin).

Ein Fahnenmast, ein Tischtuch. In den besten Filmen über das Malen wird wenig gemalt. Es geht darum, was Malerei auslöst, die Unruhe, die Ablehnung. Unvergesslich (in Jacques Beckers Montparnasse 19): das Kalkül des Kunsthändlers, dargestellt von Lino Ventura, der den frühen Tod des erfolglosen Malers abwartet, dann schnell und stapelweise ankauft.


Karel Gott: Oči barvy holubí (Sealed With a Kiss – 1972)

Zeigen lässt sich: Die routinierte Entstehung eines Bildes.


Hurd Hatfield, gemalt von Henrique Medina, The Picture of Dorian Gray (1944 Albert Lewin)

Der ruinöse Verfall eines Menschen. Es gibt Pressefotos, auf denen die Zwillinge Ivan and Malvin Albright bei ihrer irgendwie gruseligen Beschäftigung zu sehen sind, das Bildnis des Dorian Gray in seine letzte Phase zu überführen. Im Blog underpaintings stellt ein Kommentator die schöne Frage nach dem Verbleib all der ausrangierten Gemälde, those portraits used in movies … like „Rebbeca“, „Portrait of Jenny“ (Jennifer Jones) …?

Wenn es ein großes Museum gäbe… Es müsste darin auch das Bett stehen, an dessen verziertem Kopfende das gemalte Gesicht Alida Vallis prangt. Der Betrachter würde dann, wie einst Gregory Peck in The Paradine Case (1947), Alida Vallis Blick nicht ausweichen können.


The Lady in Cement (1967 Gordon Douglas)

Um irgend etwas in der Hand zu haben, hat der Detektiv (Frank Sinatra) diese Zeichnung in Auftrag gegeben. Sie entstand aus dem Gedächtnis des Künstlers.


The Big Clock (1948 John Farrow)

Die Malerin (Elsa Lanchester) hat mit eigenen Augen den Mann gesehen, der des Mordes verdächtigt wird. Sie fertigt ein Phantombild an. Sie malt modern.


After Hours (1985 Martin Scorsese)

Die Zeichnung für diesen Steckbrief entstand ursprünglich aus zärtlichem Interesse am Dargestellten. Eine Komödie randvoll mit Angst – vor den Frauen, vor dem Lebendigbegrabensein, vor der Kunst – stark inspiriert von den Filmen Roger Cormans.


The Tomb of Ligeia (1964 Roger Corman)

Die Initialen einer Anderen, mit blauem Wachs auf Schweinebraten.

Nie übertroffene Darstellung der Unversöhnlichkeit. Olivia de Havilland in The Heiress (1949 William Wyler). Gegen das, was an ihre Tür klopft, stickt sie das nutzlos gewordene Alphabet zu einer unverrückbar stummen Barrikade.



The Agony and the Ecstasy
(1965 Carol Reed), das ist vielleicht der schönste Film über die Malerei – weil Charlton Heston als Michelangelo, „born to sculpt, not paint“, die Schufterei, die Erschöpfung plastisch erfassbar macht, samt seiner Wut, dass man ihn von wichtigerem Schaffen abhält wegen dieser Sixtinischen Kapelle. Der Auftraggeber, Rex Harrison als Papst Julius II., geboren eine Rüstung zu tragen, ist der erste Bewunderer des neuen Werks. Er sieht einen Himmel aus Muskeln und Adern, aus Fleisch und Blut, stolz und schamlos. ****


Dorothy Malone und Jerry Lewis in Artists and Models (1955 Frank Tashlin)

Samstag, 14.07.2012

Vortragshinweis

Peter Nau: Fassbinder und Jean-Marie Straub, “der Vampir”

Ein Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe Hands on Fassbinder.

Heute, Samstag 14.7., 17.00 Uhr, Collegium Hungaricum Berlin, Dorotheenstraße 12.


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