2012

Mittwoch, 13.06.2012

Amsterdam

Wer in Reichweite der Niederlande Teenager war, wurde unweigerlich über die Grenze ins nahe Ausland gelockt. Man folgte dem Lockruf der Zivilisation. Amsterdam war so sehr Stadt wie nichts, was man kannte.
Jahrzehnte später beim nostalgisch gestimmten Stadtbesuch blieb das einst so verlässlich Verlockende irgendwie im Vertrauten verborgen, wie etwas, das in der eigenen Wohnung verlegt, nicht aufzufinden ist, und doch ganz bestimmt da sein muss. Erst jetzt fand ich es wieder, zufällig, via Old Chum, in diesem 16mm-Film in Farbe.

Een Fotograaf Filmt Amsterdam (1982 Ed van der Elsken, 57 Min.) *

Zwei Kraftquellen ergänzen sich: Zuerst der Sog der schnurgeraden Gassen, knapp kommentiert vom Regisseur, hinein in „mein Jagdgebiet“ – dann die elektrische Ladung, die entsteht, wenn Ed van der Elsken alle Passanten, die ihm gefallen, mit seiner Kamera aus leichter Distanz so kaltschnäuzig, lüstern und stur konfrontiert, bis Reibung, Funkenflug, Blickkontakt da ist. Die Mannigfaltigkeit des Sommers wird in räumliche Ordnung gebracht: Konter und Kurzpassspiel. Die dazu nötige Unverschämtheit ist spezifisch holländisch, besonders fotografisch, filmisch und ausgesprochen sommerlich.

Mittwoch, 06.06.2012

Aber das Wort Hund bellt ja nicht

Hier ist ein interessanter Text von Stefan Pethke zu Bernd Schochs Film Aber das Wort Hund bellt ja nicht. Dieser wird heute um 20.00 Uhr im Arsenal gezeigt.

Dienstag, 05.06.2012

Freitag, 01.06.2012


[Erscheinungsdatum wird nachgereicht]

Mittwoch, 30.05.2012

[aus: Viennale. Vienna International Film Festival. Das Jubiläum. 50 Jahre, 50 Projekte, Wien: 2012, S. 124]

Dienstag, 29.05.2012


[Erscheinungsdatum wird nachgeliefert]

Sonntag, 27.05.2012

Vorbehaltsfilm

Im Berliner Zeughauskino sehen wir einen Vorbehaltsfilm. Als im Vorspann der Name „Kristina Söderbaum“ erscheint, höre ich gleich von zwei Seiten hämisches Geflüster: „Reichswasserleiche“ – als wäre das eine Erkenntnis.

Man möchte Distanz beweisen.

Sehen und sich selbst darüber belehren – der Riss geht in jedem einzelnen Moment durch einen hindurch. Nur diesmal gab es in Kolberg (1945), dem Kriegsfilm im Krieg von Veit Harlan, etwas völlig Unerwartetes. Zwar hatte ich einiges über den Film gelesen, doch noch nichts über die Szene, die mich spontan an Spielbergs Blaue Fee in „Artificial Intelligence“(2001) erinnerte, aber damit ist über den Zauber, dem ich mich völlig ergab, nichts gesagt. Eine so kunstvolle Szene in diesem fast völlig kunstlosen, unfilmischen Film, die Herstellung eines so überzeugenden Effektes von weitweg, unerreichbar, berückend: die überirdische Schönheit der Königin (Irene von Meyendorff), der das Mädchen Marie (Kristina Söderbaum) – nach langer Unfähigkeit – einen Brief für den König übergibt. (Gerade bei dieser völlig unerwarteten, keinem Kriegsziel dienenden Szene, hört man im Publikum komische Geräusche, die Kinder machen, wenn sie zeigen wollen, dass sie nicht mehr daran „glauben“.)

Vielleicht weiß jemand, womit ein Filmfreund diese Szene verglich, er meldete sich in der Diskussion zu Wort und wenn ich es richtig verstand, verglich er es mit einem Effekt in „The Ten Commandments“, aber so als sei der bei „Kolberg“ abgeguckt. Klingt jetzt völlig abstrus, aber vielleicht gibt es eine Spur?

Donnerstag, 24.05.2012

The Greatest Show on Earth


Sign of the Cross (1932 Cecil B. DeMille)

Vor dem Palast werden Esel gemolken. Deren Milch, in Eimern weitergereicht und in einen Zulauf gegossen, fließt durch eine Leitung und füllt einen kleinen Pool, in dem Neros Gattin Poppaea (Claudette Colbert) ein Bad nimmt. Am Beckenrand zwei durstige Kätzchen.

James Agee lobte (in Time, 1947, anlässlich Unconquered) „die Überschwänglichkeit, die der 66jährige DeMille sich als fast einziger seines Faches aus den alten Tagen bewahrt hat, als selbst die Leute, die über das Kino lachten, nicht umhin konnten, es zu genießen.“


The Godless Girl (1929 Cecil B. DeMille)


Ein Flugblatt und dessen Kehrseite. Provokationen zwischen den Geschlechtern.


Er ist Anführer einer wilden Horde gläubiger Christen. Sie leitet den Klub der Gottlosen.

„Mr. Cecil B. DeMille: über diesem warmherzigen und sentimentalen Heilsbringer lag immer ein Hauch von Genie, aber auch von Absurdität.“ (Graham Greene, im Spectator, 1937, begeistert von The Plainsman)

Weitere Bewunderer: Sadoul und Sarris und Scorsese („His miniatures were as powerful as his frescos“). Die Jamaikaner… (Basil Wright hat das John Grierson erzählt) …“went crazy over The Sign of the Cross„.

DeMille war „by far the most popular director that ever lived“, sagt Hawks (im Gespräch mit Bogdanovich). Aber „auch derjenige“, meint Luc Moullet (in den Cahiers du Cinéma), „dessen Werk am unbekanntesten und am verkanntesten ist.“


Claudette Colbert in Four Frightened People (1934 Cecil B. DeMille), beim Kartenspiel im Dschungel, eine Schlange neben ihr.

Kurz danach, während sie unter einem Wasserfall duscht, klaut ihr ein Affe sämtliche Kleidung. Aus Blättern schneidert sich die Lehrerin dann in der Not ein schickes, bauchfreies Abendkleid.

Ihre Gefährtin, die lustige Mary Boland, wird von einem wilden Stamm verschleppt. Als der Häuptling ihre Hinrichtung ankündigt, erschallt Protest der Stammesfrauen. Denn mit denen hat sie sich angefreundet, ihnen beigebracht, wie man verhütet.


The Story Of Dr. Wassell (1944 Cecil B. DeMille), Bluttransfusion und Tanzperformance für Soldaten.

Einen so großen Papagei hatte ich nie zuvor gesehen. Der Nachtklubbesitzer, dessen Pornokino wir für einen Abend gemietet hatten, lud uns zu sich nach hause ein, in seinen Bungalow, der mit farbenfrohen Lackmöbeln aus Italien im Stil eines Antikfilms ausgestattet war. Er führte uns in den kargen Garten und ließ uns von dort durchs Fenster ins leerstehende Kinderzimmer schauen, in dem die Tapeten in Fetzen von den Wänden hingen.

Die wankende Gangart, mit der sich der Riesenvogel aus seinem Zimmer heraus über den Flur uns näherte, ließ mich an Boris Karloff denken, wohl wegen der gleichzeitigen Empfindung von Bedrohung und Traurigkeit. Die an allen Türen der Wohnung abgenagten Oberkanten verrieten, dass es dem flügelgestutzten Wesen trotz täuschender Schwerfälligkeit nicht unmöglich war, Höhen zu erklimmen. Sein Schnabel war so groß wie die Schneide einer Axt.

Im Keller, dem einzigen Raum, aus dem der Papagei ausgesperrt blieb, fühlte ich mich sicher. Außerdem war dort ein Schatz versteckt: Ein 35mm-Projektor, dazu ein paar Sessel vor einer kleinen Leinwand, und schmale Gänge mit Regalen voll Filmkopien. Herzstück der Sammlung waren Filme mit Brigitte Bardot, der unser Gastgeber vor langer Zeit, als junger Mann, für einen kurzen Moment im Garten ihrer südfranzösischen Villa gegenübergestanden hatte, unbefugt eingedrungen und zu schüchtern irgendwas zu sagen.

In der leicht bedrückenden Atmosphäre dieses – wie wohl aller – Privatkinos durften wir uns etwas zum Lachen ansehen, den letzten Akt eines W.C.-Fields-Films, die Autofahrt zur Frauenklinik aus Never Give a Sucker an Even Break (1941 Edward Cline). Aber „der beste Film, der je gemacht wurde!“ – den wollte Peter Hübner uns, wegen der Länge, ein andermal zeigen. Sein Lieblingsfilm – „in Technicolor!“ – das war (vor nunmehr einem Vierteljahrhundert, und ist, wenn er noch lebt, bestimmt bis heute) The Greatest Show on Earth (1952 Cecil B. DeMille).

Überblendung in Four Frightened People (Kamera: Karl Struss)
Cocteau nannte DeMille einen Prinzen der Leinwand, und pries „seinen Stil, seine kühne, kindliche Handschrift, in Großbuchstaben“.

Züge und Schiffe, und Wracks von Zügen und Schiffen. Kerker und Tempel, und Ruinen davon. Dschungel, Wüste, Ozean. Drei Manegen.
Wolkenwände, Nebelschwaden, Blitze und Feuer. Schleier aus Tinte und Blut.

Man muss das Wort „Aufladung“ ins Feld führen, wie Theweleit es tut in einer Fußnote im „Buch der Könige“, um dem Gedanken, die Kunst käme aus „Versagung“, noch einmal das Misstrauen auszusprechen.

DeMilles Cutterin bei allen seinen Filmen war Anne Bauchens. Die Story eines Films unbemerkt in ständigem Fluss, unter Strom zu halten, daran sah sie ihre Hauptaufgabe. Sie stritt viel mit DeMille.

Ein Leopard und ein Schwan geraten tatsächlich aneinander, gleich zu Beginn von The King of Kings (1927). In Sign of the Cross bekämpfen sich „Pygmäen“ und „Amazonen“ mit Fackeln und Spießen. Der Riesenoktopus in Reap the Wild Wind (1942) ist knallrot.


Reap the Wild Wind (1942 Cecil B. DeMille)

„Over the years, DeMille handled every existing film genre and formulated some that never existed before.“ (Ephraim Katz)

„DeMille, dieses Hollywoodmonument, war gegen das Starsystem. Er machte mit Massen Filme fürs große Publikum. Kollektivbauten, wie die Eisenbahnlinie, die von Osten nach Westen alle Amerikaner miteinander verband, das waren seine Sujets.“ Frieda Grafe, 1979 in der SZ, anlässlich einer Münchner Nachmittagsvorstellung von Union Pacific (1939).

3. August 1956: Charlton Heston, per Telefon über die ersten Reaktionen auf The Ten Comandments informiert, schreibt in sein Tagebuch: DeMille was full of quotes from people like Rabbi Magnin and Cardinal McIntyre. It made for a happy afternoon.

Gary Cooper richtet ein Gebet an einen fremden Gott in The Story Of Dr. Wassell (1944). Hat er damit Erfolg? Wie geht die Geschichte weiter? Always entertaining – Das ist die Quintessenz aller, auch der herablassendsten Bewertungen von DeMilles Schaffen.

Seine Autobiographie berichtet, Sign of the Cross sei auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise ins Kino gekommen, als während des „Bank Holiday“, um einen Kollaps des Bankensystems zu verhindern, jede Bank im Land geschlossen war, und der Bargeldmangel die Kinobesitzer veranlasste, von den Besuchern an der Kasse auf Papierfetzen handgefertigte Schuldscheine zu akzeptierten. Nahezu alle wurden eingelöst, schreibt DeMille, when cash began to flow again.


The Godless Girl (1929 Cecil B. DeMille)

Ein Unglück bringt beide, das gottlose Mädchen und den Fundamentalisten hinter Gitter. Auf gemeinsamer Flucht, ausruhend am Ufer eines Gewässers, genügt dem Insassen Nr. 7734 ein Bleistiftstrich, um in der umgedrehten Zahlenfolge, im Wäschekragen, dem Mädchen zu lesen zu geben, was die Haft aus seinem Dasein machte. Widerborstig korrigiert sie dararufhin ihre eigene Nummer 3107 zur entgegengesetzten Botschaft. „LOVE“ versus „HELL“. Er hat seinen Glauben verloren, sie ihren gefunden, über Kreuz und aneinander vorbei, so tragen die Liebenden ihre Vierbuchstabenwörter auf dem Leib und teilen das Wesentliche, ihre Art sich auszudrücken.

DeMilles Lieblingsmaler war übrigens Lawrence Alma-Tadema.
Mehr zur Wiederentdeckung des populärsten Regisseurs aller Zeiten: von Susan Doll, Dave Kehr, Craig Keller und Michel Mourlet.

Mittwoch, 23.05.2012

Am Anfang waren Schafe

TRAS – OS – MONTES  (Antonio Reis/M.M. Cordeiro 1976)

Diese Exposition muß eine Inspiration für SWEETGRASS (Castaing-Taylor/Barbash, USA 2009) gewesen sein: Unter einem langen Schwenk über die nordportugiesische Berglandschaft Tras-os-Montes sind die unablässigen Rufe eines Hirten zu hören: „Zurück! Zurück, ihr blöden Schafe! Zurück!“. Dann ein paar Einstellungen vom Treiben der Tiere und schon ist man mit dem Hirtenjungen in einem der Dörfer der abgelegenen, armen Region.
Das entschiedene „Zurück“ klingt wie ein Kennwort. Gekocht und geheizt wird mit offenem Feuer in verrauchten Räumen, uraltes Holz überall und roher Stein. Ochsenkarren, Frauen spinnen Wolle mit Spindeln, arbeiten an einem riesigen archaischen Webstuhl. Das Transportmittel ist der Esel. Die einzige Verbindung zur Stadt und Gegenwart stellt die Eisenbahn her, die im Dunkeln an einer Station hält. Eine Mutter überläßt dieser Geisterbahn ihre Tochter, die als Dienstmädchen in der Stadt eine Stelle antritt. Wie dieser Zug mit schriller Pfeife durch die Dämmerung rattert, beschließt den Film in einem grandiosen Schwenk, dem aufsteigenden weißen Rauch der Dampflok folgend.
Alltagsmomente transformiert der Film in magische Zeitlosigkeit. Kinder gehen am vereisten Fluss spielen. Ein Junge fischt aus dem Wasser einen glatten schwarzen Stein und erfindet spontan die Legende seiner Entstehung. Ein andermal strolchen die Kinder durch ‚das große Haus‘, wo sie unter Spinnweben alte Porträts und wertvolles Mobiliar bestaunen und einen Phonographen entdecken – der wundersamerweise sogar Musik spielt. Man erfährt nichts über die Bewohner des Hauses, die es verlassen haben. Sie könnten jeden Moment zurückkehren und das Leben dort fortsetzen. Sind sie ausgewandert? Das Haus wartet mit der Zeit.
Ein Mädchen wurde vor einem Jahr verheiratet und besucht zum ersten Mal ihre Familie – sie kommt in Festtracht auf einem Esel geritten und nur diese trippelnde Wegbewältigung, minutenlang, wird gezeigt, bis sie zum Hof gelangt. Ein schlichter, gleichförmiger Ritt durch die Landschaft, die stolze Haltung der jungen Frau, zugleich ihre Kindlichkeit, und die Ungeheuerlichkeit dieses Jahres, was sich in dieser Zeit für das Mädchen verändert hat, wird ahnbar.
Eine Fahrt in spiegelglattem Fluss, der in steilen Fels gebettet gar nicht zu fließen scheint, enthebt die Handgriffe des Netzauswerfens und -einholens beim Fischfang aus jeglicher Profanität.
Am Ende resümiert ein Schmied, auf den Amboß hämmernd, seine mehr als 60jährige Tätigkeit – kein Ackerbau ohne den Schmied. Er hat, seit er 15 Jahre alt wurde, nichts anderes getan.
In wahrer Bildsprache verknüpft dieser Film die menschliche Existenz mit der Landschaft, der Arbeit, den Tieren. Und ohne story erzählt er Geschichte. Und ohne sichtliche Ausflüge in die Vergangenheit macht er die Zeit zu einem Ganzen, wo die Gegenwart nicht dominiert. Gegen Ende des Films eine einzige Referenz – der Postbote bringt einen Brief, datiert von 1970, ein Mann sendet Grüße aus Deutschland an die ganze Familie.

Dienstag, 22.05.2012


[15. Juni 1980]


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