Einträge von Bettina Klix

Mittwoch, 23.09.2009

Augen-Kamera

Als ich begeistert von meiner bisherigen Lektüre des  Romans „Der Kantakt“ von Giwi Margwelaschwili erzähle, fragt mich S. , ob das ganze Unternehmen eine Art von Medientheorie sei, was ich – nach kurzem Zögern – bejahe. Das Buch beschäftigt sich mit den Freuden und Gefahren des Lesens von Büchern und mit den Leserplätzen in der Literatur, auf eine oft sehr komische Weise. „Schon an der Tür des Kinos brauchte ich auf die Frage ‚Was wollen Sie denn hier? Wer sind Sie überhaupt?’ nur zu bedeuten: ‚Ich bin der Leser.’ Sofort wurden mir die Tore wie nach einem Zauberspruch ohne Zögern aufgetan.“ Es findet sich aber auch folgende Szene aus dem eigenen Bestand: „Nun gibt es leider Situationen, die Leben und Lesen für immer auseinanderreißen, Situationen, in denen der Gebrauch von Kameras, der diesen brutalen Riß wenigstens künstlich beheben… könnte, nicht gestattet ist…Dann hat der bloße Blick die Funktion einer Kamera zu übernehmen. Dann mußt du mit deinen Augen fotographieren, was du später erinnern, dir als verlesestofflichte Bildvorstellung vorführen willst, wenn das geht, wenn du überhaupt noch einen Leserplatz hast auf dieser Erde. Als sowjetische Soldaten mich aus jenem Zimmer führten, in das sie uns über Nacht eingesperrt hatten, rief mein Vater laut meinen Namen. Ich drehte mich nach ihm um, und es traf mich noch einmal sein Blick, krampfhaft fixierend, photographierend, bis die Tür von den Bewachern zugeschlagen wurde und diese kurze Verlesestofflichung zu Ende war.“

Giwi Margwelaschwili, Der Kantakt, Verbrecher Verlag, Berlin, 2009, 800 S., 36 €

Donnerstag, 27.08.2009

Was ist Film?

Wieder erhältlich, in zweiter Auflage. André Bazin, „Was ist Film“, im Alexander Verlag, Berlin, herausgegeben von Robert Fischer, 440 S. 29,90 €. Unentbehrlich!

Mittwoch, 19.08.2009

Feier

Die Filmzeitschrift „shomingeki“ wird 14 Jahre und erlebt das Heft No. 21. Das wird gefeiert. Rüdiger Tomczak, Bettina Klix und Überraschungsgäste lesen aus neuen, älteren und noch unveröffentlichten Texten.

Donnerstag, den 20. August 2009 um 19 Uhr im Kiezcafé,  Brusendorfer Str. 19 (Ecke Braunschweiger Str.), Berlin-Neukölln,  S-Bahnhof Sonnenallee

Sonntag, 02.08.2009

letzter Film

Ein 17jähriger deutscher Soldat, noch im März 1945 regulär eingezogen zum Wehrdienst, berichtet in „Totentanz Berlin“, ein Buch, das, lange nur noch auf Englisch erhältlich, jetzt wieder auf Deutsch zugänglich gemacht wurde, auch von den Kämpfen in der U-Bahn im April 45 und von einem besonderen Moment nach dem Weg durch die Dunkelheit:

„Mit der U-Bahn fährt man von einer zur anderen Station zwei bis drei Minuten. Und wir sind nun fast schon eine halbe Stunde unterwegs. Die Eingänge zu den Bahnhöfen sind mit Gittern verschlossen. Einige Kolbenstöße brechen die Türen auf. Ich sehe im Halblicht das glänzende Schild der Station. Wir sind am „Kaiserdamm“. Eine große Kinoreklame wirbt für den neuen Farbfilm „Opfergang“. Wir brauchen kein Kino mehr…“

Helmut Altner, Totentanz Berlin, Kommentiert und illustriert von Tony Le Tissier, Berlin Story Verlag, Berlin, 2009, 383 S., 19,80 Euro.

Freitag, 03.07.2009

Der Zynische Körper

Am 5. Juli um 21 Uhr wird im Berliner Arsenal der Film „Der Zynische Körper“ von Heinz Emigholz wieder aufgeführt, – festlich, „in Anwesenheit vieler Mitstreiter“. Außerdem wird die Originalmusik von Nikolaus Utermöhlen vollständig zu hören sein. Wer Emigholz nur als Architekturfilmer kennt, hat hier die Chance das reifste Werk aus seiner Spielfilmphase kennen zu lernen. Das Sterben eines Freundes wird für eine Gruppe von Künstlern zu einer tiefen Erfahrung. Während sie den Kranken auf selbstverständliche Weise zum Ende hin begleiten, setzen sie sich miteinander, ihrer Kunst, dem Leben und dem Tod auseinander. 

Dienstag, 30.06.2009

Have seen worse

Ein Buch, das Samuel Beckett ins Kino begleitet, führt uns auch in das nationalsozialistische Deutschland von 1936: „Her Kraft durch Freude conversation kills me.“, schreibt Beckett über eine ihm zugeteilte Begleiterin, mit der er den Film „Verräter“ von Karl Ritter sieht, der als „Born sittlicher Kraft“ gefeiert wurde und sowohl ein großes Publikum als auch die nationalsozialistische Führung zufrieden stellte. Beckett notiert in seinem Tagebuch angewidert: „Poor Ufa Film (Der Verräter), all the stale Chinoiseries of take & cut.“ Die Autorin Carola Veit ermöglicht uns diese aufregende Zeitreise, weil sie dem Einfluss des Kinos auf Becketts Werk nachgehen will und sein Tagebuch während einer halbjährigen Bildungsreise nach Deutschland darüber viele Aufschlüsse gibt. Es sind nicht nur deutsche Filme, denn es gab noch zugelassene ausländische Werke zu sehen,  aber das Angebot zeigt die brutale Säuberung der Filmindustrie. Es ist unheimlich und komisch zugleich, wie Beckett sich in der Diktatur konsumierend bewegt,  mit seinen Kurzkommentaren sich die Machwerke vom Leib hält und die wenigen goutierten Filme respektiert. „Have seen worse“, anlässlich von „Premiere“ von Geza von Bolvary,  ist zum Beispiel ein Lob. Der volle Überraschungseffekt ergibt sich aber nur durch die Vorarbeit der Autorin, die mit Filmnacherzählungen und politischen Hintergründen all das liefert, was man braucht, um die Lakonie der Eintragungen zu verstehen.

Unbedingt empfehlenswert.   

Carola Veit, Die Kraft der Melone, Samuel Beckett im Kino, 2009, Reihe Filit im Verbrecher Verlag, herausgegeben von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen,  11 €

Donnerstag, 14.05.2009

shomingeki

Die Nr. 21 der Zeitschrift shomingeki ist erschienen:

Erinnerungen an Claude Forget (Rüdiger Tomczak)
Roger Toupin, Epicier Variété von Benoit Pilon (Rüdiger Tomczak)
Milch (Weiße Serie III) (Bettina Klix)
Navy Cut von Wolfgang Schmidt (Johannes Beringer)
The Killing Of A Chinese Bookie von John Cassavetes (Stefan Flach)
La Ricotta von Pier Paolo Pasolini (Stefan Flach)
Interview mit einem 13jährigen von Bärbel Freund (Johannes Beringer)
Zu drei Filmen:
Der Rote Punkt von Marie Miyayama
Toi von Francois Delisle
The New World (erweiterte Fassung) (Rüdiger Tomczak)
Heimlich und allein (Bettina Klix)
So Long No See von Véronique Goël (Johannes Beringer)
Zu Johannes Beringers Text zu So Long No See (Charles Hersperger)
Zum Kino und Anderswohin (Michael Girke)
Texte zur Berlinale:
L’Encerclement von Richard Brouillette (Rüdiger Tomczak)
Pink von Rudolf Thome (Livia Theuer)
Japan auf dem Festival des Films du Monde, Montreal 2008 (Claude R. Blouin)
Gulabi Talkies von Girish Kasaravalli (Pradip Biswas)
Filmfestivals in Antalya und Kars (Gönül Dönmez-Colin)
The Civil War von John Ford (Stefan Flach)

Donnerstag, 07.05.2009

The Quiet Man

In seinem Buch „Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen“ erzählt Slavoj Zizek eine Filmszene nach, die ihm als Beispiel dient für einen Triumph des Lebens über den Tod. Sie stammt aus John Fords irischer Komödie „The Quiet Man“ (1952): „Eine Szene, in der ein alter Mann stirbt“. Dass er diese Absicht hat, erkannte ich aber beim ersten Sehen nicht, ich sah zwar die Versammlung, die sich um sein Bett eingefunden hatte, hörte die Worte, die ihm von einem Geistlichen vorgelesen wurden, die aber nicht eindeutig biblisch, sondern theatralisch und antik klangen. Erst als der alte Mann den Vorgang unterbricht und sich anders besinnt, wurde für mich nachträglich klar, was die Szene bedeutete. „Doch plötzlich wird die feierliche Würde durch den Lärm einer gewalttätigen Auseinandersetzung gestört.“, schreibt Zizek weiter. „Vor dem Haus findet endlich das Duell zwischen den beiden Helden statt, auf das das ganze Dorf seit langem gewartet hatte; der Sterbende verfolgt das Geschehen aufmerksam, vergisst, dass er eigentlich gerade mit dem eigenen Ableben beschäftigt ist, steht auf und schließt sich den begeisterten Zuschauern des Kampfes an.“ Obwohl ich den Film zum ersten Mal sah, glaubte ich der Inszenierung des Sterbens offenbar nicht, so, als wüsste ich, dass gleich der Weckruf käme. Vielleicht nur deswegen, weil ich mich in einer Komödie befand, die laut Zizek „der Triumph des unzerstörbaren Lebens ist – aber nicht des erhabenen Lebens, sondern des opportunistischen, gewöhnlichen, vulgären Lebens.“

Montag, 04.05.2009

Mahlzeit

Er ließ einen verdächtig aussehenden Zettel in der Innentasche seines Jacketts verschwinden, als sie näher kam.

„Ist das eine Opferliste oder eine Einkaufsliste? Scheint jedenfalls sehr lang zu sein!“, sagte sie belustigt, als sie sich an den Tisch setzte.

Er lächelte geschmeichelt, als hätte er nur das Wort „Opfer“ gehört und als sei es nur ein anderes Wort für Frau.

„Für so gefährlich hältst du mich?“

Sie sah ihn unentschlossen an.

Sehr ungern verabschiedete er sich von dem Bild dieses Mannes, der nicht seine Probleme hatte.

„Ich stelle nur gerade eine Liste von Filmen zum Thema Nahrung, Küche, Essen zusammen. Für meine blöde Kolumne.“

„Kennst du ‚Mahlzeiten‘ von Edgar Reitz?“

„Nein, nie gehört.“

„Ich hab ihn auch nur zufällig vor Jahren im Fernsehen entdeckt. Eigentlich passt nur der Titel in deine Liste, denn um Essen geht es nicht. Es ist ein sehr verrückter Film. Das Thema ist eher das Verschlingen eines anderen Menschen, aber auch nicht handgreiflich, nicht in sexueller Aneignung und schon gar nicht kannibalisch. Es ist nicht klar, wer wen aufisst, die Frau den Mann oder der Mann die Frau. In einer Liebesszene stellt sie die großartige Frage: Lebst du noch? Sie scheint sich wirklich nicht sicher zu sein. Aber noch weniger, ob sie selbst noch lebt.“

„Muss ich sehen.“

Mittwoch, 29.04.2009

Straßenecke

Die Straßenecke ist auch im Trickfilm eine ganz besondere Grenze der Sichtbarkeit. Vor allem für die Bösen. Wenn einer, der sich anschleicht, auf einem Verfolgungsweg dort ankommt, so kann er höchst präzise dort anhalten und sich schmal machen. Seine finsteren Absichten hat er bestens im Griff, sie schießen nicht hervor. Sein böser Wille lässt ihn korrekt bremsen und seine Gestalt so wandeln, dass nur ein winziger Teil von ihm ins Sichtbare gerät, nur so viel wie nötig ist, um selbst zu sehen, wo die Beute sich befindet.


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