Einträge von Bettina Klix

Montag, 02.09.2013

Neubeleuchtungen

„Westberlin hatte bestimmte Wandlungen ins Kalte und Amerikanische nicht mitgemacht. Es wurde zu einem Ort für Menschen eigener Art, von denen wir einigen in diesem wehmütigen Film, der voll tiefen Wissens ist, begegnen. Einzelgänger aller Schattierungen kamen damals aus dem Bundesgebiet, Zweifler, Sensible, vom Aroma der Stadt Faszinierte, deren bizarres, merkwürdiges Klima sie genossen.“
So schreibt Peter Nau in einem Text über den (mir unbekannten) Film „Mmh“ von Karl Heil (1981) und findet damit eine treffende Form, die Menschen zu beschreiben, denen wir hier gebliebenen West-Berliner begegnen durften. Das kluge Buch reist durch Berlin-Filme und die selbst erfahrene Stadt, von Ost nach West und hält Momente des Glücks und der Wehmut fest, Augenblicke der Erkenntnis, was verloren ist und was noch aufbewahrt bleibt. Eine ganz besondere Art von Dankbarkeit, die in einer kleinen Skizze des Himmels oder eines entscheidenden Filmmoments zum Ausdruck kommt.
„Gäbe es die Unterbrechungen des Daseins nicht, nie käme es zu Neubeleuchtungen aller Dinge, nie zu einem neuen Epochenmorgen.“ (Nau)
Peter Nau: „Irgendwo in Berlin“, Reihe Filit, Band 10, Verbrecher Verlag, Berlin, 2013

Montag, 26.08.2013

„Winter Adé“ von Helke Misselwitz

Im Berliner Zeughauskino läuft am Freitag, den 30.8. um 19.30 der Film „Winter Adé“ in Anwesenheit der Regisseurin und mit einer Einführung von Tobias Hering.
„Helke Misselwitz Werk scheint sich – wie die Werke vieler anderer DDR-Dokumentarfilmer – einer Vergangenheit einzufügen, die abgeschlossen wirkt. Die Filme werden vor allem als Erinnerung an eine untergegangene gesellschaftliche Realität wahrgenommen und nicht mehr unabhängig davon in ihrer ästhetischen Einzigartigkeit. Und sie sind doch so viel mehr.

Aus Sicht der Protagonisten der Nouvelle Vague gibt es ja keine wirkliche Trennung zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Diese Nicht-Anerkennung der Grenzen fasste Frieda Grafe so zusammen: „Bilder im Kino sind zuerst Dokumente aus der Welt der sichtbaren Dinge.“

Die Bilder, für die sich Misselwitz in ihrem Dokumentarfilm „Winter Adé“ (1988) entscheidet, auch die am Wegrand, am Schienenweg, die sie aufsammelt, die Ausschnitte, die sie findet, die Abbrüche, die sie verantwortet, die Zufälle, von denen sie sich finden lässt, all das lässt einen tief bewegenden Film entstehen…“ (Schrieb ich in shomingeki Nummer 24 /2012)

Sonntag, 18.08.2013

Berliner Zerstörungseuphorie

Das großartige Buch von Hanns Zischler „Berlin ist zu groß für Berlin“ (Galiani Berlin, 2013) ist selbst für geborene Berliner eine Spuren- und Schatzsuche – nicht nur nach dem Verlorenen, Zerbombten, Zerstörten, sondern auch dem Aufgegebenen, sinnlos für das Schlechtere Preisgegebenen. Trotzdem ist es auch ein Trost, nicht nur durch das wunder- und sonderbare Bild- und Kartenmaterial, das Entdeckungen erlaubt, sondern durch den Hinweis auf verbliebene Schönheit und Gelungenheit.
Besonders begeistert hat mich das Kapitel „Das Stadtbild gehört uns“ – ein Satz des hellsichtigen Kritikers Karl Scheffler, den Zischler darin ausgiebig zitiert. Nach der Fertigstellung des neuen Doms – eines der Projekte der Bauwut der wilhelminischen Zeit, die Zischler „Zerstörungseuphorie“ nennt – schreibt Scheffler angesichts des größenwahnsinnigen Neubaus, für den der alte Dom gesprengt worden war:
„Wenn der Plan, in Berlin eine neue Domkirche zu bauen…immer wieder vertagt worden war, so war im wesentlichen das Gefühl für die Wichtigkeit und Verantwortlichkeit der Aufgabe schuld daran. Die Beteiligten, zu denen auch Schinkel gehörte, empfanden, dass das Beste gegeben werden müsse, was moderne Baukunst zu leisten vermag.“ Selbst „mit der Fülle seines nachgeborenen Genies“ seien Schinkel keine überzeugenden Entwürfe gelungen, denn: „Er fühlte, und mit ihm seine Zeit, zu romantisch-hellenisch, zu goethisch-heidnisch, um eine schlichte protestantische Predigthalle vorschlagen zu können; und andererseits blieb ihm die Idee einer kalten Repräsentationskirche fremdartig.“
Zischler sieht bei Scheffler das Beharren auf „einem gemeinschaftlichen Besitz“ der Stadt und ihres Bildes: „Was in der ‚kalten Wüste Berlins’ seit der Gründerzeit hochgezogen und ins Breite gedehnt wurde, geht mit einer grotesken und gefährlichen Einseitigkeit der Planung einher: die Residenzstadt hat sich zur imperialen Metropole gemausert (Dom) und die Volksvertretung vor das Tor gesetzt (Reichstag)“

Freitag, 26.07.2013

Die Regenschirme von Cherbourg

Auf TV 5 werden derzeit sonntags um 21 Uhr Filme von Agnes Varda und Jacques Demy gezeigt (Original ohne UT), am kommenden Sonntag das bezaubernde Musical „Les parapluies de Cherbourg“ (Die Regenschirme von Cherbourg, 1964) von Demy mit der fantastischen Musik von Michel Legrand. Am vergangenen Sonntag lief schon „Jacquot de Nantes“(1991) von Varda über ihren Ehemann und seine Jugend, in der er zum Film fand. Durch dieses berührende Werk erhalten wir viele Anhaltspunkte biographischer Art zum Verständnis seiner Filme. – Komisch und traurig ist die Szene, in der der todkranke Demy die Hauskatze – nicht sehr insistierend – vom Tisch verscheucht mit den Worten: „Laisse-moi ecrir!“ Dabei ist alles andere so unbarmherzig fühlbar, was ihn daran gehindert hat, den Film selbst zu machen und was ihn zwang, zu delegieren.

Mittwoch, 17.07.2013

Zwischen Lebenden und Toten

In Olivier Assayas neuem Film „Après Mai“ wird eine junge Frau, Leslie, in ein Haarlemer Museum geschickt, in dem sie sich zwei Bilder von Frans Hals ansehen soll. Der junge Mann will sie eigentlich begleiten, da der Grund der Reise nach Holland eine Abtreibung ist, was Leslie aber ablehnt. So gibt er ihr ein Buch des Dichters Paul Claudel in die Hand und weist sie auf einen Text darin hin, der die beiden Gemälde beschreibt. Zuerst können wir Zuschauer uns nicht recht vorstellen, dass Leslie dieser Empfehlung folgt, doch dann sehen wir sie, leider viel zu kurz im Museum. Es handelt sich offenbar um Spätwerke von Frans Hals. Über die Veränderung, die mit dem Menschen und Maler vor sich gegangen war, hat John Berger in „Das Leben der Bilder“(deutsch 1981) einen erschütternden Text geschrieben „Frans Hals und der Bankrott“. Der französische Dichter Paul Claudel hat in seinen Schriften über die Malerei die Grenze beschrieben, die durch die holländische Malerei und diesen Künstler auf seine ganz besondere Weise bezeichnet wurde. „Grenze zweier Welten! Finden wir sie nicht auf einer anderen Ebene in den Museen wieder unter dem flüchtig spiegelnden Glanz und Firnis, wenn wir unsere schwankende Gegenwart gegen jene Bildnisse halten, die die Kunst am Fenster der Vergangenheit zur Starre gebannt hat…Zwischen Lebenden und Toten ist dank dieser Abdrücke der Verkehr noch nicht eingestellt.“
Als Leslie zurückkehrt, weist sie die Berührung ihres Freundes zurück, ihr Blick, der früher vor allem auf eine verwöhnte Weise unbestimmt war, scheint sich jetzt illusionslos auf das zu besinnen, was ihr noch möglich ist. Sie hat sich entschlossen, in die USA zurück zu gehen und ihr Studium wieder aufzunehmen. Für mich die traurigste Szene des Films, weil sie den Bankrott der Beziehung zeigt: Das was zwischen ihnen hätte entstehen können, wurde mit dem ungeborenen Kind zerstört.

Donnerstag, 04.07.2013

Überlebende

Ein Buch und ein Film, die in diesem Jahr herauskamen, widmen sich den sogenannten „Judenältesten“ in den Konzentrationslagern, über die noch immer zu wenig bekannt ist, die aber oft der Kollaboration verdächtigt wurden. Über einen von ihnen hat Hans Dieter Arntz nun eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt: „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen. Josef Weiss – würdig in einer unwürdigen Umgebung“ (Helios, 2013). Arntz schreibt in seinem 2012 abgeschlossenen Werk, beklagend: „Claude Lanzmann drehte 1975/76 für seinen Dokumentarfilm „Shoah“ auch in Rom und führte ein langes Gespräch mit dem Rabbiner Dr. Benjamin Murmelstein. Die wissenschaftliche Auswertung hätte schon damals das begründete Selbstverständnis eines Judenältesten konstatieren können. Aber das wurde leider unterlassen.“ Inzwischen hat Claude Lanzmann den Dokumentarfilm „Der letzte der Ungerechten“ über Murmelstein beim Festival in Cannes vorgestellt. Er sagte dazu in einem Interview, gefragt, ob der Film eine Rehabilitierung leisten könne: „Das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Man ist mit Benjamin Murmelstein sehr ungerecht gewesen. Es geht um eine Wiedergutmachung, die ich leisten will. Der Film zeigt, dass es nicht die Juden waren, die ihre Brüder ermordet haben…“ (FAZ, 27. Mai 2013)
Die ersten Fragen, die Lanzmann Murmelstein gestellt hatte, waren „Warum wurden die Judenältesten mehr gehasst als die Nazis?“ und „Warum leben Sie?“. Diesen Fragen geht auch Arntz in seinem Buch nach. Der Überlebende erscheint verdächtig. Er zitiert einen Häftling aus Bergen-Belsen, Werner Weinberg: „In seinem Buch „Wunden, die nicht heilen dürfen“ vertritt er die Ansicht, dass das Holocaust-Überleben zeitlich unbegrenzt und negativ klassifiziert ist: ‚Ein Überlebender des Krieges ist ein Veteran…Aber ein Überlebender des Holocaust ist geradezu ein Widerspruch in sich selbst, denn ein Ganzopfer lässt keine Überreste…’“

Dienstag, 25.06.2013

Zwischen Nacht und Licht

Bressons Verfilmung von Bernanos „Tagebuch eines Landpfarrers“(1950) ist beim Wiederanschauen – nach nochmaliger Lektüre des Buches – von einer immer wieder erstaunlichen Radikalität – und geradezu grausamen Treue. André Bazin schrieb darüber:
„ Bressons Treue zu seiner Vorlage ist jedenfalls nur das Alibi für eine Freiheit, die sich mit Ketten schmückt; er respektiert den Buchstaben, weil er ihm dienlicher ist als nutzlose Freiheiten, weil dieser Respekt letzten Endes, mehr noch als eine erlesene Last, ein dialektisches Moment in der Schöpfung eines Stils ist.“
Im Dunkel des Beichtstuhls erlebt der Pfarrer eine Art „Erscheinung“, aber von einer tatsächlich anwesenden Person. Das Gesicht einer jungen Frau, Chantal, die sich mit Selbstmordgedanken trägt, beginnt ihm, „nach und nach, stufenweise zu erscheinen. Dort verblieb es vor meinen Augen in wunderbarer Unbeständigkeit, und ich hielt atemlos still, als ob die geringste Bewegung es hätte auslöschen können. Übrigens machte ich die Beobachtung nicht in jenem Augenblick, sie kam mir erst hinterdrein. Ich frage mich, ob diese Art von Gesicht nicht etwa mit meinem Gebet in Verbindung stand, ob es nicht gar eben mein Gebet selbst war.“ Bei Bresson wird diese Verwandlung ganz schlicht gezeigt, so dass Chantals Gesicht wie ausgeschnitten ist, vom Körper getrennt, wie für einen Moment der Betrachtung herangeholt. Wie Bazin schreibt: „zögernd zwischen Nacht und Licht…“
Die Darstellerin der Chantal, Nicole Ladmiral, die als Schauspielerin wenig erfolgreich war, beging – wohl auch aus diesem Grund – 1958 (mit 28 Jahren) Selbstmord.

(Ich danke Eta, die mich auf diese Szene im Buch von Bernanos hinwies, im Hinblick auf die Erforschung des lebenden Gesichts, das für einen kurzen Moment die Anmutung einer Ikone hat.)

Dienstag, 28.05.2013

Il Vangelo Secondo Matteo

Salvatore, der Held des gleichnamigen Buches von Arnold Stadler sieht Pasolinis „Il Vangelo Secondo Matteo“ und ist gebannt, obwohl mehrere Verwandte von ihm mitwirken, was desillusionierend wirken könnte beim Wiedererkennen. Doch im Gegenteil: Sein Onkel etwa, der den Teufel spielt, versetzt ihn trotzdem in Erschrecken.
Salvatore lässt sich vom Film „evangelisieren“. „Der Text war nun an einer Stelle angekommen, wo der gewöhnliche Verbraucher nicht mehr so einfach folgen konnte oder mochte; die Bilder waren aber so, dass Salvatore und auch den anderen, die dies nicht gesehen haben, wenn sie es gesehen hätten, auf der Stelle „Ja!“ gesagt haben hätten und es geglaubt: dass dies der Messias war, der Sohn des lebendigen Gottes, wenn sie auch nach wie vor kein Wort davon verstanden hätten. Das war die Macht der Bilder. Die Augen besaßen Definitionshoheit über den Menschen…“
(Ein Hinweis auf dieses Buch findet sich in der Jan./Febr.- Ausgabe 2013 der Zeitschrift Communio. Internationale katholische Zeitschrift, im Text von Erich Garhammer, „Epiphanie der Stille“- Arnold Stadler und Hanns-Josef Ortheil)

Dienstag, 30.04.2013

Der einsame Wanderer

“Now I lay me down to sleep
I pray the Lord my soul to keep
If I shall die before I wake
I pray the Lord my soul to take.”
Der junge Mann im Film “Der einsame Wanderer”(1968) von Philip Sauber kommt erst nicht über die zweite, dann nicht über die dritte Zeile hinweg. Immer wieder nimmt er einen qualvollen Anlauf. Und die vierte Zeile hören wir gar nicht. Das ist genau der Punkt, an dem auch der Film stehen bleibt. So scheint es mir jedenfalls, nach dem ersten Sehen an einem Abend mit hoher Erwartung und in schlechter Luft, im Hotel Bogota in Berlin-Charlottenburg. Ulrike Edschmid liest vor der Aufführung aus ihrem Buch „Das Verschwinden des Philip S.“ eine Passage über die Dreharbeiten dieses Films und ihre schönen Worte wecken in mir Bilder, die der Film nicht einlöst. Es scheint so, das wird auch bei der Diskussion nach der Aufführung deutlich, dass Edschmid von ihrem ehemaligen Lebensgefährten, der später in den bewaffneten Untergrund ging und unter nicht ganz geklärten Umständen 1975 erschossen wurde, ein Bild aufbewahrt, an dem sie mit einer Treue festhält, wie wir sie den geliebten Toten ja auch schuldig sind. Aber in diesem Fall ist es ein unerlöstes Bild, das sozusagen vor seinem Erwachen stehen geblieben ist.

Donnerstag, 18.04.2013

Grenze des Konsums

Am letzten Montag in der „Denkerei“ am Oranienplatz in Berlin unter der Überschrift „Asketen des Luxus“ konnte man sich unwillig oder amüsiert von Bazon Brock belehren lassen: etwa über die Abschaffung des Limbo 2007 oder die Herkunft der phrygischen Mütze, sich von der Künstlerin Stephanie Senge von ihren Ideen zur Ermutigung des Konsumenten und ihrer eigenwilligen Version des Ikebana bezaubern lassen oder sich am neuen Buch von Wolfgang Ullrich erfreuen, das von ihm vorgestellt wurde:
Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung, Wagenbach, 2013,
Ullrichs Untersuchungen vieler abergläubischer Praktiken des Konsums, die immer auch mit Ironie betrieben werden, verlieren nicht das aus den Augen, was dieser Praxis ein Ende setzt und die Dinge wieder freigibt. So endet das Buch mit einem Zitat von F. T. Vischer von 1879:
„Es ist auch deswegen in Ordnung, dass der Mensch endlich stirbt, er soll sich schon deswegen gern darein fügen, weil sich mit der Zeit gar zu viel Sach um ihn ansammelt…“


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