Einträge von Bettina Klix

Samstag, 13.04.2013

Der ewige Schandfleck des deutschen Films

Neulich bekam ich „Das gab’s nur einmal“(Ausgabe 1957), von Curt Riess geschenkt – mit dem irreführend harmlosen Untertitel „Das Buch der schönsten Filme unseres Lebens“ Von Filmfreunden hatte ich noch nie etwas von diesem schönen Buch mit fantastischen Filmfotografien gehört, das aber wohl via Bertelsmann Lesering vor allem in Haushalte kam, in das sich nie ein Filmkritik-Heft verirrte. Heut las ich im großartigen Kapitel über die Propagandafilme des Nationalsozialismus unter dem Titel „Der ewige Schandfleck des deutschen Films“ die Schilderung der Entstehung von Veit Harlans „Jud Süß“. Riess berichtet von den immensen Schwierigkeiten bei der Besetzung der Rollen. Gustaf Gründgens sagte später dazu: „Als Goebbels merkte, daß wir Schauspieler uns grundsätzlich nicht an diesem Film beteiligen wollten, wurde die Herstellung des Films für ihn schließlich zu einer Prestigesache.“ Heinrich George, der den Herzog Carl spielt „hat immerhin eine Ausrede. Er spielt keinen unsympathischen Juden, er spielt einen unsympathischen Christen. Und er erklärt: „Ich werde alles so eklig spielen, daß den Leuten übel wird!“ Kurz, er will versuchen, seine Rolle so zu spielen, dass das Publikum den Eindruck gewinnt, nicht Jud Süß, sondern Herzog Carl sei eigentlich an allem schuld – was übrigens historisch vollkommen richtig ist.“

Samstag, 23.03.2013

Schönheit

„Schönheit heißt das Wort, das unser erstes sein soll. Schönheit ist das letzte, woran der denkende Verstand sich wagen kann, weil es nur als unfassbarer Glanz das Doppelgestirn des Wahren und Guten und sein unauflösbares Zueinander umspielt, Schönheit, die interesselose, ohne die die alte Welt sich selbst nicht verstehen wollte, die aber von der neuen Welt der Interessen unmerklich-merklich Abschied genommen hat, um sie ihrer Gier und ihrer Traurigkeit zu überlassen. Schönheit, die auch von der Religion nicht mehr geliebt und gehegt wird und die doch, wie eine Maske von deren Antlitz gehoben, darunter Züge freilegt, die für die Menschen undeutbar zu werden drohen. Schönheit, an die wir nicht mehr zu glauben wagen, aus der wir einen Schein gemacht haben, um sie leichter loswerden zu können, Schönheit, die (wie sich heute weist) mindestens ebenso viel Mut und Entscheidungskraft für sich fordert wie Wahrheit und Gutheit, und die sich von den beiden Schwestern nicht trennen und vertreiben lässt, ohne in geheimnisvoller Rache beide mit sich fortzuziehen…“
(Hans Urs von Baltasar)

Mittwoch, 20.03.2013

Steine sehen dich an

In einem Vorwort zu dem großartigen schwarz-weißen Fotobuch „Andreas Feininger fotografiert Steine“ (1960) schreibt Kasimir Edschmid:
„In einem Zeitalter, das solche Zauberdinge wie die Kanzeln der Pisani hervorbrachte, an deren Wänden Hunderte von Gestalten sich tummeln, hätte man die Sublimität besessen, höchst persönliche Porträts herzustellen – aber die Bilder, die wir auf der Goldmünze oder auf der Plastik des damaligen Weltwunders, des Staufers Friedrich des Zweiten, bestaunen, zeigen nur die Majestas. Das Übermenschliche und Unpersönliche. Keine Person, nur den Verkörperer des Reichs.
Hitler meinte in seiner ersten Kulturrede (und glaubte es sicher auch), dass die Künstler dieser Frühepoche, welche die romanischen Kathedralen bauten, ihre Figuren nicht porträt-ähnlich, sondern verkauzt, verbogen und dämonisiert gebracht hätten, weil sie es nicht anders gekonnt hätten. Sie hätten es natürlich gekonnt, aber sie sahen anders. Sie wollten und sahen ihre Verkürzungen und Verbildungen, die immer dem Allgemeinen dienten. Nur Hitler sah nicht richtig.“

Sonntag, 17.03.2013

Das Nein ist die Grundlage jeder Ethik

Heute in 3sat um 21.50: „Fritz Bauer – Tod auf Raten“(2010), Dokumentarfilm von Ilona Ziok über den unerschrockenen Staatsanwalt, der am 1. Juli 1968 unter nie geklärten Umständen starb. Der Film widmet sich aber hauptsächlich dem Geklärten, aber viel zu wenig Bekannten; dem, was Fritz Bauer für die Bundesrepublik tat – und dem, woran er gehindert wurde.
Da der Film hier im Blog recht kritisch bewertet wurde, möchte ich jedem empfehlen, sich selbst ein Bild zu machen. Dieser Film erweist Fritz Bauer die schuldige Ehre, die ihm die Republik nur spät und nicht angemessen zukommen ließ.
„Das Nein ist die Grundlage jeder Ethik.“ (Fritz Bauer)

Donnerstag, 14.03.2013

Franziskus

Einer der schönsten und übermütigsten Filme von Roberto Rossellini ist „Francesco, Giullare de Dio“, 1950 (Franziskus der Gaukler Gottes). Am Anfang hören wir den „Sonnengesang“ des Heiligen, die hymnische Bejahung der Schöpfung – aber auch des Todes. Danach sehen wir ihn und seine Mitbrüder in strömendem Regen, singend und disputierend, vergeblich ein Obdach suchend. Sie werden an einer Hütte, die sie selbst gebaut hatten, von einem Bauern, der darin mit seinem Esel Unterschlupf gefunden hat, bösartig abgewiesen, doch Franziskus befiehlt den Brüdern, sich fröhlich wieder auf den Weg zu machen. Der Film setzt einige der Episoden aus den Fioretti, den Blümlein, altitalienischen Legenden über den Heiligen ins Bild.
Wie auch Nikos Kazantzakis in seinem Buch „Mein Franz von Assisi“ zeigt Rossellini die Radikalität und Verrücktheit dieses Heiligen, ganz körperlich bedrängend, aber er zeigt es mit einer befreienden Heiterkeit.

Mittwoch, 27.02.2013

Beim jüngsten Gericht/ Erschienen sie nicht

Richard v. Schirach, Die Nacht der Physiker. Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe, 2012, Berenberg Verlag,

Hier geht es nicht nur um die nicht gebaute „deutsche Bombe“, sondern auch um die Bombe, die die Amerikaner bauten und warfen und sich damit als erste schuldig machten. Deshalb stimmt das Buch sehr, sehr nachdenklich. Die Erleichterung, dass nicht Nazi-Deutschland den Wettlauf gewann, wird vom Horror von Hiroshima und Nagasaki, den das Buch noch einmal vergegenwärtigt, verdrängt. Die verantwortlichen amerikanischen Wissenschaftler wie Robert Oppenheimer kamen nicht mehr zur Ruhe: „Wir wussten, dass die Welt nicht mehr dieselbe sein würde…Ich erinnerte mich der Zeilen aus der Hindu-Schrift, der Bhagavadgita: ’Jetzt bin ich zum Tod geworden, zum Zerstörer der Welten.’ Ich nehme an, dass wir alle in der einen oder anderen Weise so dachten.“ Eisenhower, der Oberkommandierende der alliierten Truppen begründete damals seine Ablehnung des Bombenabwurfs so: „Einmal waren die Japaner bereit zu kapitulieren, und es war nicht notwendig, sie mit dieser furchtbaren Waffe zu schlagen. Zum andern war mir der Gedanke verhasst, dass unser Land als Erstes eine solche Waffe einsetzen sollte.“
Schirachs Buch zeigt nachvollziehbar, wie bei den 1945 von den Alliierten internierten deutschen Physikern (u. a. Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker) ein Umdenken einsetzt, aber wie verhältnismäßig komfortabel es doch für sie ist, dass sie keine Chance hatten, direkt schuldig zu werden, weil ihre Forschung noch weit zurück lag. Die Abhörprotokolle aus dem englischen Landsitz Farm Hall zeigen die Entwicklungen in den Monaten der Isolation. Ich wünschte mir beim Lesen, dass jemand daraus eine schöne Fernsehserie machen würde, mit all den tragischen und komischen Bestandteilen, die den Beteiligten selbst klar waren und mit Elementen des alten Bildungsfernsehens, wo die Geheimnisse des Atoms sich mir dann auch erschließen würden.
Carl Friedrich von Weizsäcker, der sich dort die Zeit mit dem Dichten von Sonetten und Limericks vertrieb, trägt seinen Kollegen kurz vor der Entlassung aus der Gefangenschaft diese erstaunlichen Verse vor – von der Erleichterung wohl zur frivolen Verdrehung ermutigt:
„Es waren zehn Forscher in Farm Hall,
Die galten als fürchterlich harmvoll.
Beim jüngsten Gericht
Erschienen sie nicht,
Denn sie saßen noch immer in Farm Hall.“

Montag, 28.01.2013

Zeitbild Berlin

Im Berliner Zeughauskino werden begleitend zu der Ausstellung „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933-1938“ Spielfilme aus den letzten Jahren der Weimarer Republik und aus der Zeit des Nationalsozialismus gezeigt, die Bilder von Berlin, vor und nach der „Bereinigung“ zeigen, alle aber vor der Zerstörung durch den Bombenkrieg, der letzte davon Großstadtmelodie (R: Wolfgang Liebeneiner) von 1943. Im Programmheft heißt es dazu so schön: „Ein letztes Mal erstrahlt Berlin in Großstadtmelodie im alten Glanz auf der Leinwand. Kurz danach vernichteten die Bombenangriffe das Gesicht einer Stadt, deren Seele – Toleranz und Vielfalt – schon viel früher zerstört worden war.“

Ich freue mich vor allem auf Emil und die Detektive(1931) von Gerhard Lamprecht (am 16.3. und 17.3) und Die vier Gesellen (1938) (R: Carl Fröhlich) mit Ingrid Bergmann in ihrem ersten und einzigen deutschen Vorkriegfilm. (27.2.)

Zeitbild Berlin – 1. Februar bis 31. März im Zeughauskino

Dienstag, 22.01.2013

Sklaverei

Mit Spielbergs „Lincoln“ und Tarantinos „Django Unchained“ wird das Thema Sklaverei gerade auf der Leinwand verhandelt. Wer aber legte die geistigen Grundlagen für die Abschaffung, wie wurde der Skandal der Sklaverei der Menschheit zu Bewusstsein gebracht? In der ersten deutschsprachigen Biographie wird der zwanzigjährige Kampf des Briten William Wilberforce gegen die Sklaverei geschildert, der schließlich zum Sieg im Britischen Empire führte.

Wir erfahren auch einiges über die Gegner, einer davon scheint einem Tarantino-Film entsprungen: „…Banastre Tarleton, einer der rücksichtslosesten und prinzipienlosesten Gegner der Abschaffung des Sklavenhandels, was einiges heißen wollte. Der schneidige Tarleton hatte sich im amerikanischen Revolutionskrieg einen Namen als grausamer Schlächter gemacht…Unter anderem zwang er die Witwe eines amerikanischen Generals, dem Leichnam ihres exhumierten Mannes eine Mahlzeit zu servieren.“ 

Eric Metaxas, William Wilberforce. Der Mann der die Sklaverei abschaffte, SCM Hänssler,

Samstag, 12.01.2013

Letzte Versuchungen

Martin Scorseses Film “The Last Temptation of Christ” (USA, 1988) ist morgen, am 13. 1. um 19 Uhr im Berliner Kino Arsenal in der OF zu sehen.

Einige meiner Überlegungen zu diesem Film finden sich in den Zeitschriften shomingeki Nr.23, 2011 und in der Ausgabe der Zeitschrift Fuge Nr. 9 „Angesichts der Anfechtungen“, inspiriert von Überlegungen zum Ebenbild von Max Picard, die mich ebenso verstörten wie der Film:

„Christus wurde, als er die Gestalt des Menschen annahm, in der Menschengestalt ans Kreuz geschlagen: darum ist die Menschengestalt für immer getroffen, zu Ende getroffen, sie ist geächtet. Der Mensch hätte eigentlich von diesem Augenblick an aufhören müssen, auszusehen, wie ein Mensch. Es ist ein Wagnis, so auszusehen, wie ein Mensch, da Gott vergebens es gewagt hatte, wie ein Mensch auszusehen.“ 

Der großartigste Moment dieses Films ist für mich die Erweckung des Lazarus. In diesem Moment gibt der Film Jesus alle Macht, die er ihm sonst bestreitet.

Mittwoch, 26.12.2012

Fragment unseres Lebens

Dietrich Bonhoeffer schreibt in einem Brief vom 23. 2. 1944 aus dem Gefängnis:

„…Wo gibt es heute noch ein geistiges „Lebenswerk“? Wo gibt es das Sammeln, Verarbeiten und Entfalten, aus dem ein solches entsteht? Wo gibt es noch die schöne Zwecklosigkeit und doch die große Planung, die zu einem solchen Leben gehört? Ich glaube, auch bei Technikern und Naturwissenschaftlern, die als einzige noch frei arbeiten können, existiert so etwas nicht mehr. Wenn mit dem Ende des 18. Jahrhunderts der „Universalgelehrte“ zu Ende geht, und im 19. Jahrhundert an die Stelle der extensiven Bildung die intensive tritt, wenn schließlich aus ihr sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der „Spezialist“ entwickelt, so ist heute eigentlich jeder nur noch „Techniker“, selbst in der Kunst (in der Musik von gutem Format, in Malerei und Dichtung nur von höchst mäßigem!). Unsere geistige Existenz aber bleibt dabei ein Torso. Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente, die nur noch auf den Kehrichthaufen gehören (selbst eine anständige Hülle ist noch zu gut für sie) und solche, die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen – ich denke zum Beispiel an die Kunst der Fuge. Wenn unser Leben auch nur ein entferntester Abglanz eines solchen Fragmentes ist, in dem wenigstens eine kurze Zeit lang die sich immer stärker häufenden verschiedenen Themata zusammenstimmen und in dem der große Kontrapunkt vom Anfang bis zum Ende durchgehalten wird, so dass schließlich nach dem Abbrechen – höchstens noch der Choral: „Vor Deinen Thron tret’ ich allhier –“ intoniert werden kann, dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern sogar daran froh werden.“

Gefunden bei der Lektüre von „Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, herausgegeben von Eberhard Bethge, 1962


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