Einträge von Bettina Klix

Freitag, 18.06.2010

Das Leben an Land bleibt schwierig

„Ich schaue mir viele traurige französische Filme an. Im Kino recke ich den Hals, Schmerzen hinter jedem Auge, denn die Münder der Schauspieler bewegen sich rasch wie Rotoren. Am Ende sollte ich wissen, wie jeder zu sich selbst geworden ist, weiß es aber nie.“

Im Roman „Schwimmen“ geht es nicht um die Lebensvermeidung durch das Kino, sondern durch Sport. Aber wer auch nur einmal versucht hat, Schmerz durch Leistung zu betäuben, liest dieses großartige Buch – komisch und traurig – nicht nur als Erzählung von einer Ausnahme. „Sag mir nur, was ich bin, und ich bin’s.“

Nicola Keegan, „Schwimmen“, Rowohlt, 2010, 476 Seiten, 19,95 €

Sonntag, 13.06.2010

Überdruss

„An der Grenze des Gestern“ befand sich Siegfried Kracauer 1932 im gleichnamigen Text, als er eine „permanente Film- und Foto-Schau“ in Berlin besuchte. Er berichtet von unheimlichen und lächerlichen Eindrücken. Denn: „Durch diese Sammlung erst wird das ungewusst mitgeführte Leben offenbar und tritt uns fremd gegenüber.“ Beim Anblick einer Fotografie aus der „Urzeit“, von „Niépce , der zwischen 1816 und 1830 gewirkt hat und der Vorläufer Daguerres gewesen ist“, kommt Kracauer zu dem Gedanken: „Und die Rührung, die sich der heutigen Betrachter beim Anblick des vergilbten Blattes bemächtigt, erklärt sich daraus, daß es zum Unterschied von den meisten modernen Photos das Vergängliche retten, nicht aber bis zum Überdruß verewigen will.“

Und so verschiebt sich diese „Grenze des Gestern“ bis zu uns.

(Zu finden mit vielen anderen Fern-Blicken in: „Straßen in Berlin und anderswo“)

Donnerstag, 10.06.2010

Umbenennung

Heute wird in Berlin der Holtzendorffplatz in Kracauerplatz „feierlich“ umbenannt. Damit soll nicht nur an Siegfried Kracauer, sondern auch an seine Frau Elisabeth erinnert werden.

„Mitten in einem großstädtischen Wohnviertel gelegen und Treffpunkt mehrerer breiter Straßen, entzieht sich der kleine Platz so sehr der Aufmerksamkeit, dass kaum jemand auch nur seinen Namen kennt“ So schreibt Kracauer, aus seinem Haus schauend, in „Straßen in Berlin und anderswo.“

Mittwoch, 02.06.2010

Filmroman

„Was heißt das denn, wenn sich eine Gruppe Leute am allermeisten für Film interessiert – mehr als für die Mitmenschen, mehr als für Essen und Schlafen? Wir, dachte ich damals, als das alles losging, sind eigentlich kaputt, verdreht. Wenn man uns eine Weile zuschaut, wie wir uns so als Zuschauer mit nachtwandlerischer Eleganz jedem Versuch entziehen, uns in die Welt außerhalb des Films zu verstricken, kommt man zu dem bedrückenden Ergebnis, wir könnten überhaupt nur Aufmerksamkeit spenden, etwas wahrnehmen, einfach: hingucken, wenn wir durch eine Kamera, auf eine Leinwand oder einen Bildschirm schauen.“

Wer noch nicht auf Ekkehard Knörers Empfehlung (für CARGO) gehört hat: Dietmar Daths Filmroman„Sie schläft“ hält einige unbequeme Zerrspiegel bereit, für dich und mich.

Edition Phantasia, 253 Seiten, 20 €

Freitag, 21.05.2010

Fremd gestellte Blicke

„Unvollkommenheit als Menschenrecht“- diese schöne Lektion hat Romuald Karmakar aus seiner Zeit als Punk herübergerettet. So zitiert ihn Tobias Ebbrecht in seiner kleinen, feinen Studie. Er bringt nicht nur die politische Position des Künstlers in Erinnerung, sondern leistet eine genaue Abgrenzung von dem, was bei anderen filmischen Bearbeitungen „seiner“ Themen in den letzten Jahren so schrecklich falsch lief: „Karmakars Geschichten aus Deutschland unterscheiden sich fundamental von den zahlreichen Geschichtsfiktionen der letzten Jahre von „Napola“ bis zu „Der Untergang“.

Bilder hinter den Worten, 2010, Reihe Filit im Verbrecher Verlag, Band 5, 13 €

Sonntag, 16.05.2010

shomingeki 22

Die neue Nummer 22 von shomingeki ist da. Darin findet sich etwa ein Gespräch mit Tag Gallagher, dem großen John Ford-Forscher, – zeitnah zur Gelegenheit, im Kino Arsenal den Filmen des Regisseurs wieder zu begegnen.

www.shomingeki.de

Dienstag, 23.03.2010

Tageskino

„In der Münzgasse hinter dem Alexanderplatz befinden sich mehrere Tageskinos, die alle schon um 11 Uhr vormittags eröffnen. (…) Wie in jenen verschollenen Zeiten, als noch die Filme stumm waren und schöner, muss man an der niederen Leinwand vorbei in die Hintergründe des Zuschauerraums, der ein unermesslich langer Schlauch ist. Er strömt einen Geruch aus, an dessen Herstellung offenbar Generationen gearbeitet haben, und wimmelt von Menschen.“ Wir erleben auch mit, wie Hans Albers („der Favorit der Münzstraße“) zu Heinz Rühmann in die Badewanne springt und das Publikum begeistert ist, als er den Schmächtigen mehrmals untertaucht. – Von diesem Kinobesuch erzählt Siegfried Kracauer in dem schönen Band „Straßen in Berlin und anderswo“, der neu herausgegeben wurde, 1964 zuerst erschienen, blieb er fast unbeachtet. Die Sammlung von Feuilletons (entstanden zwischen 1926 und 1933) lässt uns Kracauer als wachen und auch wahr-träumenden Beobachter des Vorkriegsalltags kennen lernen. Und nicht nur für Filmfreunde ist der Text „Ansichtspostkarte“ aufregend und unheimlich zu lesen, weil sowohl Kommendes hinein- oder herausgelesen werden kann. Die Ausgabe ist mit einem (interessante Verbindungen herstellenden) Nachwort von Reimar Klein versehen. Siegfried Kracauer, Straßen in Berlin und anderswo, Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt, 2009, 268 Seiten, 15,80 €.

Dienstag, 09.02.2010

Spoiler Alarm!

Wer seine Verehrung für Robert Bresson intakt lassen will, sollte dieses Buch nicht in die Hand nehmen. „Jeune Fille“ von Anne Wiazemsky ist eine Initiationsgeschichte, die viele Abgründe enthält. Nicht umsonst hat Wiazemsky nicht nur Bressons Tod abgewartet, sondern noch einige Jahre zwischen sich und diesen ersten Abschied bringen müssen. In Form eines Romans erzählt sie von den Dreharbeiten zu „Au hazard Balthazar“. Schon das Casting für ihre Hauptrolle darin ist äußerst seltsam. – Wer immer auch – trotz großer Begeisterung für das, was Bresson erreicht – unbehagliche, nicht zuzuordnende Gefühle hatte, findet alles hier bestätigt. Anne, die fast die ganze Projektionslast aushalten muss, verhält sich manchmal wie ein normaler Teenager und entkommt so dem Druck. Dann sieht sie für einen Moment die Komik einer Situation: Der für den Kornhändler Vorgesehene wird mit Probeaufnahmen malträtiert wie alle anderen und stellt sich nicht so geschickt an wie das junge Mädchen: „Der Gegensatz zwischen der äußeren Erscheinung von Pierre Klossowski, seinem etwas gekünstelten Tonfall, seiner rauen Stimme, seiner Art, schief auf der Bank zu sitzen und diesem Dialog, den ich auswendig konnte – das war zu viel: Obwohl ich mit allen Mittel versuchte, mich zusammenzureißen, brach ich in schallendes Gelächter aus.“

Anne Wiazemsky, Jeune Fille, C.H. Beck, 18,90 €

Sonntag, 18.10.2009

Cinecittà Aperta

Gestern waren wir im Prater bei „Cinecittà Aperta“, dem neuen Stück von Rene Pollesch. Ein Vorspann auf der Leinwand klärt das Publikum darüber auf, was heute zu erwarten ist. Es geht um die Schwierigkeiten einer Neuverfilmung von „Deutschland im Jahre Null“. In Film- und Schauspielszenen, die sich gewohnt halsbrecherisch-gekonnt abwechseln, geht es um die Nöte von Regisseur und SchauspielerInnen, Körper und Geschlechter und Identitäten wechseln dabei wie immer bei Rene Pollesch. Identitätskrise beim Regisseur: „Nein, ich will nicht inszenieren!“ fällt ihm plötzlich ein. Oder Wirklichkeitsverlust einer Schauspielerin, die leugnet, welcher Art der Film ist, in dem sie spielen soll. „Wir drehen doch Franz von Assisi!“ Das interessiert sie nicht, denn sie hat schon ihr Kleopatra-Kostüm angelegt. Manchmal verpasste man gleich zwei Pointen, weil das Publikum noch über die wahnwitzige Wendung davor lachte. Manchmal standen auch Sätze auf der Leinwand in Ruhe nachzulesen. Von den hinreißenden Schauspielerinnen ist die fabelhafte Inga Busch besonders zu preisen. Wie sie etwa in einer Szene koboldhaft-mütterlich den beiden Männern, die sich in minderjährige, niedliche Zuhörer verwandelt haben, zur guten Nacht vorliest, das ist unglaublich komisch. Ich kenne Inga Busch erst seit Robert Bramkamps „Prüfstand VII“ (2002) und habe sie seitdem hauptsächlich auf der Bühne gesehen. Sie ist unvergleichlich – für mich die Größte!

Samstag, 10.10.2009

Last Temptation

Gerade sah ich THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (1988) von Scorsese wieder und wunderte mich, wie „biblisch“ der Film doch jedenfalls aussieht. Da man ja jetzt mehr über den Islam weiß, fiel mir als nächstes auf, dass die Halluzination des nicht stattfindenden Kreuzestodes genau die muslimische Sicht der Dinge darstellt. (Natürlich nur bis zur Revision im Film, bis zum Erwachen aus der Versuchung, dem Selbstopfer zu entgehen.) Denn der Islam sieht Jesus als einen zu wichtigen Gesandten Gottes an, als dass er einen solch erniedrigenden Tod hätte sterben dürfen: „Die meisten Kommentatoren stimmen darin überein, dass der Qur’an nicht das historische Ereignis einer Kreuzigung als solcher verneint, wohl aber die Kreuzigung Jesu. Vielmehr sei ein anderer an Jesu Statt gekreuzigt worden. Wie Gott letzten Endes Jesus vor dem Kreuz bewahrte und errettete, bleibt allein Sein Geheimnis.“ (Bekir Alboga) Die ganz große Überraschung aber war für mich das Stückchen „Experimentalfilm“ zum Schluss, nachdem die Filmerzählung wieder die Heilsgeschichte einholte und der vorgesehene Tod die halluzinatorische Abirrung in das Leben beendet hat. Vorher hatte Willem Dafoe als Jesus – den ich mir in „Antichrist“ nicht ansehen kann – seine besiegelnden Worte gesprochen: „It is accomplished.“ Was damit vollbracht ist, beanspruchen die darauf folgenden, flackernden Farben nicht zu wissen.


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort