Einträge von Ekkehard Knoerer

Freitag, 06.06.2008

Ein Samstagabend der Ratlosigkeit

Eigentlich sollte, Anlass natürlich das Jubiläum von 68, darüber diskutiert werden, wie man Filme politisch macht statt politischer Filme. Irgendwann aber ging es, was für die ganze Diskussion leider bezeichnend war, um tote Bulgaren.

Das war im Arsenal am letzten Samstag. Aller Ehren wert war zuvor immer wieder die Ratlosigkeit, wenn sie im Raume stand, etwa bei Äußerungen des Filmemachers Ulrich Köhler, der keine politischen Filme machen will, sich aber ganz gewiss dennoch als politischer Filmemacher begreift. Und die Frage, ob man der schieren ästhetischen Radikalität eines Filmemachers wie Albert Serra, der so ziemlich alles, was das große Publikum vom Kino erwartet, verweigert, um ein anders Publikum, das sich darum unversehens als elitär zu begreifen genötigt scheint, umso reicher zu beschenken, die Frage also, ob man der Radikalität des Ästhetischen einen Aspekt abgewinnen kann, der sinnvoll als politisch zu bezeichnen wäre, diese Frage wurde gestellt, aber um eine klärende Antwort wurde dann entschieden nicht lange genug gerungen. Es schien aber, als sei im Verhältnis dieser beiden als solche gar nicht recht kennlich werdenden Positionen die alte, die nun wirklich sehr alte Frage nach dem Verhältnis einer politischen zu einer ästhetischen Linken gespenstisch zurückgekehrt; gespenstisch, weil sie als Wiedergänger in die veränderte Gegenwart gar nicht zu passen scheint. Eine Gegenwart, in der sich aus den Trümmern der alten ästhetischen Linken etwas, das sich, selbst diffus genug, als Pop-Linke konfiguriert hat, den alten Kulturindustrievorwurf in sich aufhebend; oder sich selbst und alles Linke, wie es von der anderen Seite scheinen kann, in der Kulturindustrie aufhebt.

Von selbst verstand sich fürs Podium – und nirgends, auch in mir nicht, ein Widerwort -, dass wir links sind. (Wir. Links.) Und dass politisch zu sein im richtigen Sinne heute wie 1968 heißt, links zu sein. Unklarer schon, ob das einzig im Modus des Wir-Seins geht und welche Kräfte durch den Modus des Ich-Seins zu mobilisieren sind. Und noch viel unklarer, ob man ausdrücklich und unmissverständlicher Weise die Verhältnisse umstürzen wollen soll oder erst einmal über die Produktionsbedingungen beim Filmen (und darüber hinaus beim Sprechen und Schreiben und Denken über die Filme) reflektieren; oder ob das eine nicht ohne das andere geht; oder ob der politische Wille zum Umsturz/zur Veränderung der Verhältnisse als Wille zum Widerstand gegen die Konvention in eine ästhetisch-politische Form direkt oder indirekt – also grundsätzlich: überhaupt – überführt werden kann.

Ob etwa ein Begriff wie Subversion, der beides recht unbefangen einst zusammenzudenken erlaubte, seit längerem aber, und mit Grund, abgewirtschaftet hat, in irgendeiner Weise noch zu retten ist; oder ob ein ästhetischer Widerstand mit einem politischen nicht notwendig, sondern nur im Werk von Straub oder Godard oder Farocki (etc.) nicht zufällig, aber doch im Schein eher einer Notwendigkeit als in einem wirklichen logischen Junktim zusammengeht; ob, die Beispiele wurden genannt, die Werke von ästhetisch recht besinnungslosen, politisch aber effektiven Regisseuren wie Ken Loach oder Michael Moore oder Errol Morris auf irgendeiner, wenn auch nicht ästhetischen Ebene zu begrüßen sind; ob umgekehrt die Filme von politisch indifferenten, ästhetisch aber wagemutigen Regisseuren als politische Geste gerade in ihrem radikal apolitischen Gestus zu appropriieren wären. (Aber wofür?)

Ob Rancière weiterhilft, Schüler Althussers und vielleicht nur ein weiterer in der Reihe französischer Philosophen, die in eleganter Ziselierung von Denkfiguren von aller Konkretion immer schon absehen und so sich leichterdings radikal gebärden können; oder ob etwa Agamben etwas bringt (von dem dann gestern Abend bei einer anderen Veranstaltung, über die noch zu berichten ist, die Rede war), ob also der Heideggo-Benjaminianer Agamben hilft, der zart erklügelte, der Sprache sanft abgelistete Wege ins Offene sucht, die dann, sind sie heraus, plötzlich sehr rabiat tun; oder ob man doch gleich zurückmuss zu Marx, an dessen ökonomischen Analysen die ästhetische Linke, offen gesagt, immer ein wenig den ästhetischen Appeal vermisst hat; ob eine marxistische Linke weiterhilft, die die Ästheten dafür verachtet, dass sie sich nicht zur klaren marxistischen Analyse durchringen wollen oder können und ihre Zeit mit jenen Oberflächen-Kinkerlitzchen und Formfragen vertun, auf die es ihnen, fragt man sie selbst, dann auch wirklich so ankommt, als seien sie nichts anderes als die Sache selbst; ob also irgendwo in diesem Feld die Frage, was es heißt, Filme politisch zu machen, sinnvoll zu stellen und dies Feld strukturierend gar zu beantworten ist, das blieb am Samstag leider auf recht unbefriedigende Weise offen.

Mittwoch, 04.01.2006

2005 – 22 Filme, 2 Serien (Kino, DVD)

Bahram Beyzaie: Mosafaran (Iran 1991), Sagkoshi (Iran 2001) # Hong Sang-soo: The Power of Kangwon Province (Südkorea 1998), The Turning Gate (Südkorea 2002) # Jean-Claude Guiguet: Faubourg-Saint Martin (F 1986), Le Mirage (F 1992), Les Passagers (F 1999) # Lucrezia Martel: La Nina Santa (Argentinien 2004) # Liu Jiayin: Niu Pi (Oxhide; China 2005) # Jared Hess: Napoleon Dynamite (USA 2004) # Brian De Palma: Body Double (USA 1984) # Dead Like Me (1. Staffel, Bryan Fuller, USA 2003) # The West Wing ? 2., 3. Staffel (Aaron Sorkin) # Masahiro Shinoda: Double Suicide (J 1969) # Kim Ki-young: The Housemaid (Südkorea 1960) # Apichatpong Weerasethakul: Tropical Malady (Thailand 2004) # David O. Russell: I Heart Huckabees (USA 2004) # Kamal Amrohi: Mahal (Indien 1949) # Frederick Wiseman: Welfare (USA 1975) # Tomu Uchida: The Mad Fox (Japan 1962) # Raymond Depardon: Profils paysans (F 2005) # Jean Eustache: La Maman et la putain (F 1973), Mes petites amoureueses (F 1974)# Hayao Miyazaki: Das wandelnde Schloss (Japan 2004)

Freitag, 01.04.2005

m/other

Seltsames Exemplar eines manieristischen Naturalismus. Das natürliche Licht als Fetisch und der Enthusiasmus, mit dem noch der banalsten Regung gefolgt wird. Interessant wird es genau da, wo es bricht. Wo sich erst einmal nicht sagen lässt, ist das nun reine Manier oder reiner Naturalismus. Diese Schlenker ins Leere, die sich als Punktierung sonst weithin ödester Erstreckung umso heftiger aufdrängen. Was war das jetzt, das Herzklopfen, die Belichtungs“fehler“ am Meer, das Auslaufen der Filmrolle, der schneidende Musikeinsatz und dann Schwarzblende. Mein schlechtes Gefühl die ganze Zeit: Der Naturalismus ist kein offener, auf die Welt mit Neugier gerichteter, sondern ein geschlossener, der die Figuren und ihre Regungen in seinen fertigen Blick hineinkadriert. In den Brechungen und Spiegelungen, in der Beweglichkeit der Kamera wird eine Offenheit herbeisimuliert, das bleibt aber logisch nachträglich. Die Künstlichkeit wird markiert, aber auch das bleibt Manier. Zwischen dem Naturalismus und der ausgestellten Künstlichkeit letztlich nur Abstoßungsreaktionen.

Freitag, 18.03.2005

Bruno Dumont: Twentynine Palms

„Twentynine Palms“ macht mich auch beim zweiten Mal ratlos, aber ich neige dazu, das als Qualität zu sehen. Verfremdende Aneignung der Wüste – eine Seelenlandschaft, die ich allerdings schon im eigenen Dorf, das sich Dumont bisher als Schauplatz gewählt hatte, nicht wirklich verstanden habe. Postkatholische Verhängnisse, an denen die Figuren in aggressiver Weise leiden. Ein Gott, der sein Verschwundensein heillos fühlbar macht. Mitleid, so viel ist klar, ist nicht angebracht. Aber ist die Komik, die es hier in Spurenelementen gibt, dann zynisch? Welche Position hat der Film zu dem, was er zeigt? Vielleicht ist das die Frage, die entscheidend unbeantwortbar bleibt.

Sonntag, 06.03.2005

Assault on Precinct 13

Präzise zeitliche Bestimmtheit und doch keine Gebrauchsspuren, sagt M. Es ist, als weigerte sich die zu Zeichen geronnene Wirklichkeit (1976, LA, Gangs, Rasse, Geschlecht), hier wirklich ins Bild zu finden. Ein wenig wie eine Fotografie von Thomas Demand: Alles aus Pappe nachgebaut, sieht auf dem Bild aber täuschend echt aus. Was Carpenter nachbaut (aus Pappe?) sind Genre-Versatzstücke, die hier im Zusammenbau ihr altes Datum verlieren, ihren Kontext, ihren Ort, ohne doch eine neue Verbindung mit ihrem Datum, ihrem Kontext, ihrem Ort einzugehen. Das Künstliche affiziert das Reale, aber nur in Form einer Entleerung. Sieg des Silencers über die Materialität.

Mittwoch, 09.02.2005

100 Worte Lola

Wie eine frisch aufgezogene Spieluhr tanzen die Tänzerinnen im Club, in dem, vor dem sich manche Wege kreuzen. Was sich verfehlt, was trifft, bei all den Begegnungen, von denen die Kamera berichtet, die sie herbeiführt – ohne dass die Beteiligten davon erfahren müssen – bleibt allerdings schwer zu sagen. Vielleicht deshalb, weil jede Szene loslegt wie eine frisch aufgezogene Spieluhr und vieles nebeneinander her, aneinander vorbei tanzt, vor und in der Kulisse von Nantes. Das Schicksal stellt sich zuletzt ein, aufgezogene, tanzende, abbrechende, neu ansetzende Fata dazwischen. Widerhaken im Trivialen: Die Zeitlupe, der Existenzialismus. „Lola“: Nouvelle Vague ohne Neorealismus, aber mit Coutard.

Freitag, 31.12.2004

25 tolle Filme 2004 erstmals gesehen – Kino, DVD, Video, Fernsehen

The Brown Bunny (Gallo), Marseille (Schanelec), Elephant (van Sant), Children of the Beehive (Shimizu), Adieu (des Pallières), One Way Passage (Garnett), Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben (Schanelec), Raja (Doillon), S 21 – la machine de mort Khmère rouge (Panh), L’Intrus (Denis), Seven Women (Ford), The Missing (Lee), Rois et Reine (Desplechin), Triple Agent (Rohmer), Before Sunset (Linklater), Mr and Mrs Iyer (Sen), Demi-Tarif (Le Besco), Crimson Gold (Panahi), L’amour, l’argent, l’amour (Gröning), Kalter Frühling (Graf), Reshma aur Shera (Dutt), Die Geschichte von Marie und Julien (Rivette), Ruthless (Ulmer), Mr. Shosuke San (Shimizu), Michel Gondry DVD

Freitag, 08.10.2004

The Hunted (100 Wörter)

Ein Film über die Liebe zum Handwerk. Des Tötens, als Kampf Mann gegen Mann. Der Rest ist Überbau: Tierliebe, Abraham und Isaak, Johnny Cash und Vorgeschichten. Was Kultur ist, soll Natur werden, der Film nimmt die Witterung auf fürs Proto-Signifikative im Unterholz der Zivilisation. Keine Hermeneutik der Spur, sondern Rückkehr in die Urzeit animalischer Jagdinstinkte. Werwölfe in Portland. Die geblähten Nüstern von Tommy Lee Jones und der Faustkeil. Verlust der Unschuld, Heilung durchs Sohnesopfer. Im Hintergrund das Tosen der Ideologie. Friedkin inszeniert, schneidet, schlitzt mit Bewegungseleganz. Auge in Auge mit einem Regisseur, der sein Handwerk versteht: Wenn Schnitte töten könnten.

Freitag, 27.08.2004

Cammell: Wild Side (100 Wörter)

Du hast mich um 100 Dollar betrogen, sagt Alex zu Bruno. Das ist mein Kick, sagt er, und erstattet ihr 200 Dollar zurück. Tony gibt Alex 500 Dollar und vergewaltigt sie. Virginia, Brunos Frau, eröffnet in Brunos Auftrag bei Alex‘ Bank ein Konto für ihre Schuhproduktion in Höhe von 375.000 Dollar. Brunos Coup, geplant für 12 Uhr des nächsten Tages, soll 179.000.000 Dollar bringen, danach kann sich Mr. 13 Prozent zur Ruhe setzen. Was dazwischenkommt: die Liebe, Christopher Walkens overacting (Verausgabungsökonomie), eine rote Blende, eine blaue. Worauf es hinausläuft: die Dritte Welt, die Sonne, Erlösung, a buck is a buck.

Sonntag, 07.03.2004

Sieh an

Suggested citation:
Rosenbaum, Jonathan. Moving Places: A Life at the Movies. Berkeley: University of California Press, c1995. http://ark.cdlib.org/ark:/13030/ft3s2005n8/

Umsonst und da draußen.

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