Fernseh-Hinweis
Von Valeska Grisebach, deren bemerkenswerter Spielfilm “Mein Stern” im Januar 2002 in den Kinos anläuft, kann man morgen, Sonntag 9.12.2001, auf 3Sat um 22:30 Uhr den Kurzdokumentarfilm “Berlino”, Österreich 1999, 30 Minuten, sehen.
Von Valeska Grisebach, deren bemerkenswerter Spielfilm “Mein Stern” im Januar 2002 in den Kinos anläuft, kann man morgen, Sonntag 9.12.2001, auf 3Sat um 22:30 Uhr den Kurzdokumentarfilm “Berlino”, Österreich 1999, 30 Minuten, sehen.
Etwas für enthusiasmierte Medienkonzernanteilhaber mit Vorschlagsrecht, oder für Serienautoren mit Writer’s Block: Der große TV-Movie-Titel-Generator.
Etwas zu Baz Luhrmans Moulin Rouge von Michael Girke.
Sandrine Veyssets neuer Film Martha… Martha, Frankreich 2001, ist nur noch morgen, Mittwoch 5.12.2001 im fsk-Kino, Berlin anzugucken. Um 20:30 Uhr. Ich war eben bei der ersten Projektion im Kino und nach dem Film derart durcheinandergebracht von ihm, dass ich meinte, erstmal einen Schnaps zur Verdauung zu brauchen. Sowas macht das Kino mit mir sehr selten. Außerdem war es ja auch kalt draußen. Es macht jetzt und hier keinen Sinn, behaupten zu wollen, ich wäre imstande, mehr als die Dringlichkeit dieses Hinweises aufzuschreiben, und das liegt nicht an dem einen Schaps, dem kein zweiter folgte. Die Leute vom fsk meinten, der Film wird in Deutschland nicht verliehen, deshalb und sowieso für die Leute, die “Gibt es zu Weihnachten Schnee?” und “Victor” von Veysset mochten: Tipp!
Budd Boetticher ist gestorben. In Berlin gibt’s ein paar seiner Filme auf Video, in der AGB und im Videodrome. Vor ein paar Jahren hat’s die auch zu sehen gegeben im Zeughauskino, in einer Westernreihe, auf Leinwand. Schön wäre es, würde man die jetzt wieder zeigen, weil die Filme wohl auch leihbar wären, wenn man Goettler glaubt, der im SZ-Nachruf von einer Retrospektive erzählt: 1995, in München. War da jemand?
Ich kenne nur eine Handvoll dieser Filme. Sie sind besonders dicht und konzentriert, was zu verbinden wäre mit den Bemerkungen hier über Zitieren und postklassisches Kino (von Jan Distelmeyer, Michael Girke, und jetzt auch Christian Petzold). Dazu, zum Zitieren und Wiederholen, folgt hier jetzt ein Zitat aus einem Interviewauszug mit Budd Boetticher, über die Arbeit mit seinem Kameramann an Ride Lonesome, USA 1959, 73 Minuten, das von einer amerikanischen Werkschauseite aus dem Internet stammt.
“I’ll tell you a wonderful thing about that, a great story. We were in Lone Pine and I wanted the opening of Ride Lonesome to show how infinitesimal the American cowboy was in those days, so Randolph Scott starts in this vast background before the titles about two inches high with his pack mule and his horse and you’d say „Wow, how did they even get across these mountains much less survive?“ So Lucien and I got up about 4:00 and we got in the van and we drove out to where the horses were and we rode up the mountain as far as we could and I wanted to get there by 5:30 when we could see where the sun was least lightening the sky and we got off the horses and the grooms took them and we walked and walked and walked and we got way up the top of this mountain and I said „Luce, right here, tomorrow morning, at 6:02, with a 35 lens.“ He said „Wait a minute“ and walked about ten feet and he dug his foot in the ground and there was a spike. He said „Come over here and look see which one you like best. Raoul Walsh and I made this shot about twelve years ago.“ I said „I like mine better.“ (laughter) So you see, there’s nothing new, but you have to have a great rapport with your cameraman.”
Von Michael Girke, den ich für einen bemerkenswerten Filmkritiker halte, ist hier jetzt etwas sehr schönes zu lesen zum neuen Film der Gebrüder Coen, The Man who wasn’t there.
-von Thomas Arslan eine Folge von Aufzeichnungen über Filme von Hou Hsiao Hsien und Abbas Kiarostami
-von Hartmut Bitomsky ein Fortsetzungs-Tagebuch zu den Dreharbeiten an seinem neuen Film
-von Gene Reuter eine knallige Serie über die Arbeit als Nachrichten-Kameramann
-von Jan Distelmeyer Notizen über Film Studies in den U.S.A. und in Deutschland
-von Antje Ehmann eine Reihe über europäische Querschnittsfilme
-von Harun Farocki einen vielteiligen Bericht über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schneiden und Schreiben
-von Michel Freericks Notizen zu den Vergessenen des Weltkinos
-von Claudia Lenssen eine Weiterführung ihrer „Liste des Unverfilmten“ in mindestens 60 Folgen
-von Stefan Pethke Stücke über Suchen und Finden
-von Christian Petzold etwas über den bevorstehenden Angriff auf die Majors
-von Bert Rebhandl Anekdoten über den Wiener Filmtheorie-Korruptionssumpf, mit Namen
-von Angela Schanelec Texte über’s Drehbuchschreiben
Weil den Film vielleicht noch nicht jeder kennt und weil er ein bißchen versteckt in einer Minireihe im Eiszeit-Kino Berlin läuft, hier der Hinweis auf Time Code von Mike Figgis. Zu sehen noch heute, Dienstag 20.11 und morgen, Mittwoch 21.11. um jeweils 18:30 Uhr. Der Film ist sehr bemerkenswert in vier gleichzeitigen Kadern erzählt, split-screen wäre also eine Untertreibung, aber quadrupled-screen gibt’s noch nicht als Wort dafür, Mittelalterforscher wissen wahrscheinlich am Besten, wie sowas mal genannt wurde wegen der Erforschung von Klappaltären. Außerdem läuft seine Handlung in ununterbrochener, d.h. auch nicht unterschnittener Echtzeit ab, was Handwerkerlob hervorruft, mindestens in einer Szene um Minute 20 herum, in der auf allen Screens Großaufnahmen, ohne Text, zu sehen sind. Man versteht nach anfänglicher Verwirrung über die Vielzahl der Bilder leicht die Fabel des Films zu vollziehen; eine kluge Tonmischung hebt den Sound des für den Fortgang wichtigen Bildkaders hervor. Es geht um ein Casting in L.A., zum Schluß gibt’s Tote und eine Film-im-Film-Burleske (mit einer osteuropäischen Avantgardefilmerin). Tipp.
In der Nacht, gestern, liefen auf West3 zwei Filme von Joseph H. Lewis, Western, B-Filme, schwarz-weiß, der eine mit Joseph Cotton und Ward Bond und der andere mit Sterling Hayden. Ich hatte meinen Videorecorder angeschaltet, auf record gedrückt und bin ins Bett gegangen, mit Schnupfen und Kopfschmerzen. Am Nachmittag, heute, beim Lesen für eine andere Sache, habe ich die Aufnahmen stumm laufen lassen und hin und wieder einen Blick auf den Bildschirm geworfen. Zwischen den beiden Filmen, voller Gewalt und Verzweiflung und drastischer Geschwindigkeit, kam plötzlich etwas anderes, ein Interview mit Joseph H. Lewis, 1997 aufgenommen, drei Jahre vor seinem Tod 2000, natural cause nennt die Biographie der Internet Movie Database als Ursache. Da saß Lewis auf einer gepolsterten Bank an einem Tisch, halbnah aufgenommen, so dass im Hintergrund noch eine Kücheneinrichtung zu sehen war. Ich mußte an Christians Einwurf von Zuhause denken, über den Ärger mit den TV-Slots.
Die Sendung dauerte keine 15 Minuten, Lewis saß da mit einer Baseballkappe auf dem Kopf und beantwortete allerhöflichst Fragen, erzählte mit blitzenden Augen Geschichten, die er bestimmt schon tausendmal erzählt hatte, wieso sie ihn Wagon-Wheel-Joenannten (weil er immer Wagenräder dabei hatte für den Bildvordergrund, seinen Einstellungen Tiefe zu geben) und wieviel Geld die Studios ihm gezahlt haben für seine Western („Oh, you just hurt me with that question. They paid me 600 Dollars for an entire picture“)und zwischendrin waren Ausschnitte zu sehen aus seinen Filmen und Texte eingesprochen, die klug und präzise die Bilder kommentierten. Der Film war von Christian Bauer, von dem ich noch nicht gehört hatte.
Für einen Moment war da die Ahnung eines anderen Fernsehens, für 15 Minuten. Nicht 15 Minuten Ruhm, von denen immer zu lesen ist, sondern 15 Minuten Wissen, wirklicher Text, eine Zur-Verfügung-Stellung zwischen zwei tollen Filmen, die keiner heute üblichen Längennorm entsprechen. B-Filme. Neben den Kranken, den Alten, den Betreuten und den Einsamen, den Menschen, die Tabak in Hülsen stopfen und die fertigen Zigaretten in Reih und Glied auf das Tischtuch legen, sind die Videorecorder der Republik die einzigen Wahrnehmungsorgane, die von solchen 15 Minuten und solchen Filmen „live“ etwas mitbekommen. Ich stelle mir vor (weil ich an die Umsturzlust der Alten und Kranken nicht glauben mag): wie die Videorecorder einmal miteinander sprechen werden während ihrer einsamen Tätigkeit und eine Revolution abmachen in der Nacht- oder Nachmittagsschiene, keiner kriegt davon „live“ was mit, aber am anderen Tag ist das Fernsehen anders und alle wundern sich, dass es nicht schon vorher so war. Zum Schluß noch ein Bild aus einem anderen Film von Joseph H. Lewis, aus „Gun Crazy“ (USA 1949), auch bekannt als „Deadly is the female“. Jörg Becker hat in einer späten Filmkritik darüber geschrieben.
„Seine ganze Sorge ist jetzt, nach Westen zu kommen, weg von Baltimore, Washington, das wie ein zweiköpfiger Hund die Küstenstraße nach Westen überwacht. Er will nicht mehr am Wasser entlang fahren, er sieht sich jetzt anders: er will in die Mitte des Landes vorstoßen, mitten hinein in den breiten, weichen Bauch, und die dämmernden Baumwollfelder mit seinem nördlichen Nummernschild überrraschen.
Vorläufig ist er aber noch irgendwo hier. Ein Stück weiter aber geht eine mit 23 bezifferte Straße nach links ab – nein, nach rechts. Die führt wieder nach Pennsylvania zurück, aber wenn er sie erstmal hat, kann er eine kleine, schmale, blaue Straße nehmen, die keine Nummer hat. Auf der kann er ein Stückchen südlich fahren und dann auf die 137 überwechseln. Dann kommt eine lang sich ziehende, holprige Kurve, auf die 482 und 31 stoßen. Rabbit fühlt sich schon durch diese Kurve lavieren und dann auf die rote Linie einbiegen, die die Zahl 26 trägt und dann auf eine andere mit der Zahl 340. Auch eine rote. Er fährt mit dem Finger darüberhin, und plötzlich weiß er, wohin er will. Links drüben laufen drei rote Straßen parallel nebeneinander her, von Nordost nach Südwest. Und Rabbit sieht deutlich vor sich, wie sie die Täler der Appalachen durcheilen. Auf eine von ihnen muß er kommen, und sie wird wie eine Rutschbahn sein, die ihn in liebliches, morgendlich sich dehnendes Baumwollland schüttet. Ja. Dort will er hin, und dann kann er alle Gedanken an den Wirrwarr hinter ihm auslöschen.“
[John Updike: Hasenherz]