Einträge von Rainer Knepperges

Mittwoch, 05.09.2012

Auf Platz 894

Das Ergebnis der Sight-&-Sound-Umfrage sei unoriginell, heißt es – alle zehn Jahre. Dagegen ist kein Kraut gewachsen; auch die schönsten Listen lassen, in rauen Mengen aufgehäuft und ausgewertet, den Eindruck des Überraschungslosen entstehen. Es ist dennoch bemerkenswert: Unter den insgesamt 2045 genannten Filmen ist kein einziger von Allan Dwan, nur zwei von DeMille, drei von Aldrich, drei von Chabrol, aber vierzehn verschiedene Filme von Fassbinder, fünfzehn von Straub. Es geschieht auch, dass einer, der Kurosawa als Gott verehrt, eh der Hahn dreimal kräht, keinen Kurosawa mehr auf seiner Liste hat. Mich interessiert etwas anderes.

Wie schon mal zuvor gilt mein Augenmerk den Filmen, die in den über achthundert Listen nur ein einziges Mal auftauchen: Blackmail (1929 Alfred Hitchcock), Me and My Gal (1932 Raoul Walsh), Peter Ibbetson (1935 Henry Hathaway), Merlusse (1935 Marcel Pagnol), Holiday (1938 George Cukor), Unter den Brücken (1945 Helmut Käutner), Hachi No Su No Kodomotachi (1948 Shimizu Hiroshi), Three Godfathers (1948 John Ford), Twelve O’Clock High (1949 Henry King), Traité de bave et d’éternité (1951 Isidore Isou), Casque d’Or (1952 Jacques Becker), Roman Holiday (1953 William Wyler), It’s Always Fair Weather (1955 Stanley Donen & Gene Kelly), Wind Across the Everglades (1958 Nicholas Ray), Il sorpasso (1962 Dino Risi), Le Trou (1960 Jacques Becker), The Miracle Worker (1962 Arthur Penn), America, America (1963 Elia Kazan), The Nutty Professor (1963 Jerry Lewis), The Naked Prey (1965 Cornel Wilde), A New Leaf (1970 Elaine May), Sylvie (1973 Klaus Lemke), The Bad News Bears (1976 Michael Ritchie), Rocky (1976 John G. Avildsen), Harlan County, USA (1976 Barbara Kopple), Saturday Night Fever (1977 John Badham), Texasville (1990 Peter Bogdanovich), Van Gogh (1991 Maurice Pialat), The Bridges of Madison County (1995 Clint Eastwood), Anchorman (2004 Adam McKay). Keiner kann mir erzählen, er könne mir erklären, wieso diese Filme auf dem letzten Platz landen. Auf dem 894sten, dem am dichtesten bevölkerten Platz der „Wertung“, da zeigt sich erst, wie sehr alles Zufall ist.

Samstag, 11.08.2012

It’s cool inside


Mönchengladbach, Busbahnhof, Lux Kino


Los Angeles, Anouk Aimée


Model Shop (1968 Jacques Demy)


Lissabon, Animatógrafo do Rossio

Gerade sehr neugierig geworden auf einen Exorzismus-Film mit Daliah Lavi, Il Demonio (1963 Brunello Rondi), der entstand zwischen den sündhaft schönen Filmen, die Vincente Minnelli, Mario Bava und Hugo Fregonese zu jener Zeit mit Daliah Lavi drehten.

Stille Vorfreude außerdem auf einen Striptease-Film mit Margarete von Trotta und Dunja Rajter, Tränen trocknet der Wind… (1967 Heinz Gerhard Schier) – am Mittwoch im Kölner Filmhauskino, um 21:30.

Bis dahin: Musik, die vor der Sonne flieht. Miss Nevada 1963, Cheryle Thompson: „Black Night“ (1964)

Dienstag, 17.07.2012

Malen nach Musik


L’enfant sauvage (1969 François Truffaut)

Über den Wirbel triumphiert die gerade Linie. Kaum ein Sieg ist so verlustreich. Truffaut selbst verkörpert als Lehrer des Wolfjungen die harten Einbußen des zivilisierten Daseins, das Unbehagen in der Kultur. Unnachgiebig und einsam erzielt er seine Erfolge. Dann eines Tages wagt er ein grausames Experiment: Durch ungerechte Bestrafung provoziert er bewusst den Zorn des Kindes. Hätte der Junge sein Aufbegehren gegen Ungerechtigkeit eingebüßt, dann wäre durch die Erziehung nichts erreicht, alles wertlos.


Es geschah am hellichten Tag (1958 Ladislao Vajda)

Ein Kind hat seinen Mörder und dessen Auto und das Wappentier des Kantons Graubünden auf dem Nummernschild und ganz klein sich selbst mit den geschenkten Schokoladentrüffeln wunderschön gemalt und das Bild sogar datiert: 11. März 1958. Doch all die Hinweise führen zu nichts. Da trifft Polizeioberleutnant Matthäi einen einsamen Entschluss. Er sucht sich, um den Täter zu ergreifen, einen lebendigen Köder: ein Kind.


Mühe. Hingabe. Unschuld. Aufsätze (1963 Peter Nestler)


Ritterkampf. Ähnlichkeit. We Are The Lambeth Boys (1958 Karel Reisz)

Als ich versuchte, Utrillo dazu zu bringen, dass er von ’seinem Handwerk‘ sprach, sagte er mir, im Jahr 1921, einer Epoche, da er noch redselig war, während er einen feinen Staub buntscheckiger Farben auf sein Bild warf: „Das hab ich gern. Diese Mauer hat mir viel Mühe gemacht, aber jetzt ist sie so, wie ich sie wollte.“
„Du bist also mit dir zufrieden?“
„Nein, niemals. Aber, verstehst du, ich bin mit der Mauer zufrieden, die ich gerade gemalt habe, und ich glaube, dass kein Mensch sie besser gemalt hätte als ich.“

(Florent Fels, 1956)


Anny Ondra und Cyril Ritchard in Blackmail (1928 Alfred Hitchcock)

Sie hat das lustige Gesicht gemalt, er hat ihr beim Rest die Hand geführt. Später dann, nachdem sie den zudringlichen Maler in Notwehr getötet hat, pinselt sie Farbe über ihre Signatur, löscht ihren Namen unter der Gemeinschaftsproduktion, deren Heiterkeit fortwährt.
via


Barbara Bel Geddes und James Stewart in Vertigo (1958 Alfred Hitchcock)

Ihr Selbstportrait ist Parodie auf das, was er begehrt.


Robert Walker und Marion Lorne in Strangers on a Train (1951 Alfred Hitchcock)

Die Mutter malt. Der Sohn lacht: „Ja, das ist Vater!“


Barbara Rütting in Neues vom Hexer (1965 Alfred Vohrer)

Man könnte zu der Ansicht gelangen, das Kino habe unentwegt mit der Malerei ein Hühnchen zu rupfen. Natürlich gab es Minnelli, Tashlin, Pialat, aber tatsächlich ist die Zahl der Überläufer klein. Klopfenstein, van der Schoot, Müller, mehr fallen mir spontan nicht ein. Die famosesten Romane über das Malen (Russell H. Greenans „In Boston?“, Charles Willefords „The Burnt Orange Heresy“, Kurt Vonneguts „Bluebeard“) sind unverfilmt. Unverfilmbar? Warum?


The Moon and the Six Pence (1942 Albert Lewin).

Ein Fahnenmast, ein Tischtuch. In den besten Filmen über das Malen wird wenig gemalt. Es geht darum, was Malerei auslöst, die Unruhe, die Ablehnung. Unvergesslich (in Jacques Beckers Montparnasse 19): das Kalkül des Kunsthändlers, dargestellt von Lino Ventura, der den frühen Tod des erfolglosen Malers abwartet, dann schnell und stapelweise ankauft.


Karel Gott: Oči barvy holubí (Sealed With a Kiss – 1972)

Zeigen lässt sich: Die routinierte Entstehung eines Bildes.


Hurd Hatfield, gemalt von Henrique Medina, The Picture of Dorian Gray (1944 Albert Lewin)

Der ruinöse Verfall eines Menschen. Es gibt Pressefotos, auf denen die Zwillinge Ivan and Malvin Albright bei ihrer irgendwie gruseligen Beschäftigung zu sehen sind, das Bildnis des Dorian Gray in seine letzte Phase zu überführen. Im Blog underpaintings stellt ein Kommentator die schöne Frage nach dem Verbleib all der ausrangierten Gemälde, those portraits used in movies … like „Rebbeca“, „Portrait of Jenny“ (Jennifer Jones) …?

Wenn es ein großes Museum gäbe… Es müsste darin auch das Bett stehen, an dessen verziertem Kopfende das gemalte Gesicht Alida Vallis prangt. Der Betrachter würde dann, wie einst Gregory Peck in The Paradine Case (1947), Alida Vallis Blick nicht ausweichen können.


The Lady in Cement (1967 Gordon Douglas)

Um irgend etwas in der Hand zu haben, hat der Detektiv (Frank Sinatra) diese Zeichnung in Auftrag gegeben. Sie entstand aus dem Gedächtnis des Künstlers.


The Big Clock (1948 John Farrow)

Die Malerin (Elsa Lanchester) hat mit eigenen Augen den Mann gesehen, der des Mordes verdächtigt wird. Sie fertigt ein Phantombild an. Sie malt modern.


After Hours (1985 Martin Scorsese)

Die Zeichnung für diesen Steckbrief entstand ursprünglich aus zärtlichem Interesse am Dargestellten. Eine Komödie randvoll mit Angst – vor den Frauen, vor dem Lebendigbegrabensein, vor der Kunst – stark inspiriert von den Filmen Roger Cormans.


The Tomb of Ligeia (1964 Roger Corman)

Die Initialen einer Anderen, mit blauem Wachs auf Schweinebraten.

Nie übertroffene Darstellung der Unversöhnlichkeit. Olivia de Havilland in The Heiress (1949 William Wyler). Gegen das, was an ihre Tür klopft, stickt sie das nutzlos gewordene Alphabet zu einer unverrückbar stummen Barrikade.



The Agony and the Ecstasy
(1965 Carol Reed), das ist vielleicht der schönste Film über die Malerei – weil Charlton Heston als Michelangelo, „born to sculpt, not paint“, die Schufterei, die Erschöpfung plastisch erfassbar macht, samt seiner Wut, dass man ihn von wichtigerem Schaffen abhält wegen dieser Sixtinischen Kapelle. Der Auftraggeber, Rex Harrison als Papst Julius II., geboren eine Rüstung zu tragen, ist der erste Bewunderer des neuen Werks. Er sieht einen Himmel aus Muskeln und Adern, aus Fleisch und Blut, stolz und schamlos. ****


Dorothy Malone und Jerry Lewis in Artists and Models (1955 Frank Tashlin)

Mittwoch, 13.06.2012

Amsterdam

Wer in Reichweite der Niederlande Teenager war, wurde unweigerlich über die Grenze ins nahe Ausland gelockt. Man folgte dem Lockruf der Zivilisation. Amsterdam war so sehr Stadt wie nichts, was man kannte.
Jahrzehnte später beim nostalgisch gestimmten Stadtbesuch blieb das einst so verlässlich Verlockende irgendwie im Vertrauten verborgen, wie etwas, das in der eigenen Wohnung verlegt, nicht aufzufinden ist, und doch ganz bestimmt da sein muss. Erst jetzt fand ich es wieder, zufällig, via Old Chum, in diesem 16mm-Film in Farbe.

Een Fotograaf Filmt Amsterdam (1982 Ed van der Elsken, 57 Min.) *

Zwei Kraftquellen ergänzen sich: Zuerst der Sog der schnurgeraden Gassen, knapp kommentiert vom Regisseur, hinein in „mein Jagdgebiet“ – dann die elektrische Ladung, die entsteht, wenn Ed van der Elsken alle Passanten, die ihm gefallen, mit seiner Kamera aus leichter Distanz so kaltschnäuzig, lüstern und stur konfrontiert, bis Reibung, Funkenflug, Blickkontakt da ist. Die Mannigfaltigkeit des Sommers wird in räumliche Ordnung gebracht: Konter und Kurzpassspiel. Die dazu nötige Unverschämtheit ist spezifisch holländisch, besonders fotografisch, filmisch und ausgesprochen sommerlich.

Donnerstag, 24.05.2012

The Greatest Show on Earth


Sign of the Cross (1932 Cecil B. DeMille)

Vor dem Palast werden Esel gemolken. Deren Milch, in Eimern weitergereicht und in einen Zulauf gegossen, fließt durch eine Leitung und füllt einen kleinen Pool, in dem Neros Gattin Poppaea (Claudette Colbert) ein Bad nimmt. Am Beckenrand zwei durstige Kätzchen.

James Agee lobte (in Time, 1947, anlässlich Unconquered) „die Überschwänglichkeit, die der 66jährige DeMille sich als fast einziger seines Faches aus den alten Tagen bewahrt hat, als selbst die Leute, die über das Kino lachten, nicht umhin konnten, es zu genießen.“


The Godless Girl (1929 Cecil B. DeMille)


Ein Flugblatt und dessen Kehrseite. Provokationen zwischen den Geschlechtern.


Er ist Anführer einer wilden Horde gläubiger Christen. Sie leitet den Klub der Gottlosen.

„Mr. Cecil B. DeMille: über diesem warmherzigen und sentimentalen Heilsbringer lag immer ein Hauch von Genie, aber auch von Absurdität.“ (Graham Greene, im Spectator, 1937, begeistert von The Plainsman)

Weitere Bewunderer: Sadoul und Sarris und Scorsese („His miniatures were as powerful as his frescos“). Die Jamaikaner… (Basil Wright hat das John Grierson erzählt) …“went crazy over The Sign of the Cross„.

DeMille war „by far the most popular director that ever lived“, sagt Hawks (im Gespräch mit Bogdanovich). Aber „auch derjenige“, meint Luc Moullet (in den Cahiers du Cinéma), „dessen Werk am unbekanntesten und am verkanntesten ist.“


Claudette Colbert in Four Frightened People (1934 Cecil B. DeMille), beim Kartenspiel im Dschungel, eine Schlange neben ihr.

Kurz danach, während sie unter einem Wasserfall duscht, klaut ihr ein Affe sämtliche Kleidung. Aus Blättern schneidert sich die Lehrerin dann in der Not ein schickes, bauchfreies Abendkleid.

Ihre Gefährtin, die lustige Mary Boland, wird von einem wilden Stamm verschleppt. Als der Häuptling ihre Hinrichtung ankündigt, erschallt Protest der Stammesfrauen. Denn mit denen hat sie sich angefreundet, ihnen beigebracht, wie man verhütet.


The Story Of Dr. Wassell (1944 Cecil B. DeMille), Bluttransfusion und Tanzperformance für Soldaten.

Einen so großen Papagei hatte ich nie zuvor gesehen. Der Nachtklubbesitzer, dessen Pornokino wir für einen Abend gemietet hatten, lud uns zu sich nach hause ein, in seinen Bungalow, der mit farbenfrohen Lackmöbeln aus Italien im Stil eines Antikfilms ausgestattet war. Er führte uns in den kargen Garten und ließ uns von dort durchs Fenster ins leerstehende Kinderzimmer schauen, in dem die Tapeten in Fetzen von den Wänden hingen.

Die wankende Gangart, mit der sich der Riesenvogel aus seinem Zimmer heraus über den Flur uns näherte, ließ mich an Boris Karloff denken, wohl wegen der gleichzeitigen Empfindung von Bedrohung und Traurigkeit. Die an allen Türen der Wohnung abgenagten Oberkanten verrieten, dass es dem flügelgestutzten Wesen trotz täuschender Schwerfälligkeit nicht unmöglich war, Höhen zu erklimmen. Sein Schnabel war so groß wie die Schneide einer Axt.

Im Keller, dem einzigen Raum, aus dem der Papagei ausgesperrt blieb, fühlte ich mich sicher. Außerdem war dort ein Schatz versteckt: Ein 35mm-Projektor, dazu ein paar Sessel vor einer kleinen Leinwand, und schmale Gänge mit Regalen voll Filmkopien. Herzstück der Sammlung waren Filme mit Brigitte Bardot, der unser Gastgeber vor langer Zeit, als junger Mann, für einen kurzen Moment im Garten ihrer südfranzösischen Villa gegenübergestanden hatte, unbefugt eingedrungen und zu schüchtern irgendwas zu sagen.

In der leicht bedrückenden Atmosphäre dieses – wie wohl aller – Privatkinos durften wir uns etwas zum Lachen ansehen, den letzten Akt eines W.C.-Fields-Films, die Autofahrt zur Frauenklinik aus Never Give a Sucker an Even Break (1941 Edward Cline). Aber „der beste Film, der je gemacht wurde!“ – den wollte Peter Hübner uns, wegen der Länge, ein andermal zeigen. Sein Lieblingsfilm – „in Technicolor!“ – das war (vor nunmehr einem Vierteljahrhundert, und ist, wenn er noch lebt, bestimmt bis heute) The Greatest Show on Earth (1952 Cecil B. DeMille).

Überblendung in Four Frightened People (Kamera: Karl Struss)
Cocteau nannte DeMille einen Prinzen der Leinwand, und pries „seinen Stil, seine kühne, kindliche Handschrift, in Großbuchstaben“.

Züge und Schiffe, und Wracks von Zügen und Schiffen. Kerker und Tempel, und Ruinen davon. Dschungel, Wüste, Ozean. Drei Manegen.
Wolkenwände, Nebelschwaden, Blitze und Feuer. Schleier aus Tinte und Blut.

Man muss das Wort „Aufladung“ ins Feld führen, wie Theweleit es tut in einer Fußnote im „Buch der Könige“, um dem Gedanken, die Kunst käme aus „Versagung“, noch einmal das Misstrauen auszusprechen.

DeMilles Cutterin bei allen seinen Filmen war Anne Bauchens. Die Story eines Films unbemerkt in ständigem Fluss, unter Strom zu halten, daran sah sie ihre Hauptaufgabe. Sie stritt viel mit DeMille.

Ein Leopard und ein Schwan geraten tatsächlich aneinander, gleich zu Beginn von The King of Kings (1927). In Sign of the Cross bekämpfen sich „Pygmäen“ und „Amazonen“ mit Fackeln und Spießen. Der Riesenoktopus in Reap the Wild Wind (1942) ist knallrot.


Reap the Wild Wind (1942 Cecil B. DeMille)

„Over the years, DeMille handled every existing film genre and formulated some that never existed before.“ (Ephraim Katz)

„DeMille, dieses Hollywoodmonument, war gegen das Starsystem. Er machte mit Massen Filme fürs große Publikum. Kollektivbauten, wie die Eisenbahnlinie, die von Osten nach Westen alle Amerikaner miteinander verband, das waren seine Sujets.“ Frieda Grafe, 1979 in der SZ, anlässlich einer Münchner Nachmittagsvorstellung von Union Pacific (1939).

3. August 1956: Charlton Heston, per Telefon über die ersten Reaktionen auf The Ten Comandments informiert, schreibt in sein Tagebuch: DeMille was full of quotes from people like Rabbi Magnin and Cardinal McIntyre. It made for a happy afternoon.

Gary Cooper richtet ein Gebet an einen fremden Gott in The Story Of Dr. Wassell (1944). Hat er damit Erfolg? Wie geht die Geschichte weiter? Always entertaining – Das ist die Quintessenz aller, auch der herablassendsten Bewertungen von DeMilles Schaffen.

Seine Autobiographie berichtet, Sign of the Cross sei auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise ins Kino gekommen, als während des „Bank Holiday“, um einen Kollaps des Bankensystems zu verhindern, jede Bank im Land geschlossen war, und der Bargeldmangel die Kinobesitzer veranlasste, von den Besuchern an der Kasse auf Papierfetzen handgefertigte Schuldscheine zu akzeptierten. Nahezu alle wurden eingelöst, schreibt DeMille, when cash began to flow again.


The Godless Girl (1929 Cecil B. DeMille)

Ein Unglück bringt beide, das gottlose Mädchen und den Fundamentalisten hinter Gitter. Auf gemeinsamer Flucht, ausruhend am Ufer eines Gewässers, genügt dem Insassen Nr. 7734 ein Bleistiftstrich, um in der umgedrehten Zahlenfolge, im Wäschekragen, dem Mädchen zu lesen zu geben, was die Haft aus seinem Dasein machte. Widerborstig korrigiert sie dararufhin ihre eigene Nummer 3107 zur entgegengesetzten Botschaft. „LOVE“ versus „HELL“. Er hat seinen Glauben verloren, sie ihren gefunden, über Kreuz und aneinander vorbei, so tragen die Liebenden ihre Vierbuchstabenwörter auf dem Leib und teilen das Wesentliche, ihre Art sich auszudrücken.

DeMilles Lieblingsmaler war übrigens Lawrence Alma-Tadema.
Mehr zur Wiederentdeckung des populärsten Regisseurs aller Zeiten: von Susan Doll, Dave Kehr, Craig Keller und Michel Mourlet.

Samstag, 05.05.2012

Sternstunden des Hörfunks (3)

Gestern morgen holte Xaver Frühbeis im WDR3 Arturo Toscaninis legendäres letztes Konzert aus ferner Historie in den ewig nahen Zusammenhang von Widerstand und Ohnmacht. Die spannende Erzählung vom rätselhaften „Black Out“ des Dirigenten – die kostbare Ungewissheit, ob Versagen oder Verweigerung – machte zwei unvergleichbare Situationen in einer Doppelbelichtung lebendig: Ein kommerzieller Rundfunksender, der die Entlassung eines Symphonieorchesters beschließt (NBC im Jahr 1954), und eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt, die den Protest gegen ihre fortschreitende Kommerzialisierung nur noch, entsprechend der Gepflogenheit in Diktaturen, verschlüsselt in die Welt hinaus dringen lässt.

Vor Wochen drang von außen durch eine Kommentarspalte kurz etwas ein, Empörung und Erinnerung, in Minutenschnelle wurde die Einfallschneise erkannt und geschlossen. Wer die Meinung seiner Hörer fürchtet, ist natürlich zu jeder Reform bereit, und gefällt sich in der Ansicht, um „näher dran an den Menschen“ zu sein, müsse man sich tief herabbeugen.

Was Kurzes zu Toscanini gibt es beim BR. Das grandiose Konzert bei archive.org.

Sonntag, 29.04.2012

Was ist das? Malerei


Beach Red (1967 Cornel Wilde) Der Filmtitel von Hand auf einen schmalen Zettel geschrieben, so könnte ein Film von Lemke beginnen.

Raus aus den Booten, durchs flache Wasser, über den Strand, ins hohe Gras und rein in den Dschungel, nur ein paar hundert Meter zu Fuß, das ist die Handlung des Films. Das Sujet: Was den Männern im Krieg durch Leib und Seele geht. Der Titelsong, der von der Gleichheit der Gegner im Krieg handelt, wird gesungen von Jean Wallace (Cornel Wildes Ehefrau – in den Rückblenden des Films und im Leben).

„Und manchmal ist Frühlingsstimmung in der Luft, als ob Veilchen u. Liebe dazu gehörten – fast rauscherregend, – O Dionys, wie leicht bist du zu erwecken, schon mit einem blauen Streifen in der Luft!“ (Gottfried Benn, 1945 in einem Brief, nicht an seine Frau)

Was ist das? Der Soldat erschrickt. Vor einer Spinne, die einen Falter frisst? Oder vor dem, was aussieht wie ein Brautkleid? Eine Ballerina?

Oliver Stone präsentierte den Film 1997 als Lieblingsfilm auf dem Festival von Locarno; Platoon (1986) sei von Beach Red inspiriert. Hat man Beach Red gesehen, ist Terrence Malicks Thin Red Line (1998) nur noch halb so originell. Malick ist verschwiegen. Stone hat weniger Fans. Ein Vorbild verraten; das ist doppelt zu verstehen. Preisgabe, Verrat. Kriegsvokabeln.

Ein Soldat, bewaffnet mit einer Kamera. Er duckt sich nicht, sondern beschimpft die Japaner, ob sie verrückt seien, auf ihn zu schießen, und beschimpft die Amerikaner, die ihre Verzweiflung nicht filmen lassen wollen.

Der japanische Scharfschütze, den die amerikanischen Soldaten aus der Baumspitze geschossen haben, ist nur eine Puppe. Die Täuschung hat Leben gekostet. Im leeren Gesicht der Attrappe findet der Zoom einen Ausdruck! Aber welchen?

Das Kino mag Menschen, die sich Bilder machen von ihrer Welt. Forscher, Kinder, Besessene.
Künstler, die an die belebende Wirkung ihrer Kunst glauben, gelten als „naiv“.

Eine der tollsten Wendungen in Cornel Wildes Lebenslauf ist seine Abkehr vom Studium der Chirurgie – hin zur Meisterschaft in der Fechtkunst. Dann, statt mit dem US-Fencing-Team 1936 zur Olympiade nach Berlin zu fahren, zog er die Broadwaybühne vor.

Der Soldat, der die Kokosnusshälften in den Dreck gedrückt hat, ist zufrieden mit seinem Werk. Es erinnert ihn an ein bestimmtes Mädchen.

Ob Georg Tressler Beach Red kannte? Wer kennt Sukkubus (1989 Georg Tressler)?

Dass der besoffene Abend – (Tall Girl Flashback) – nicht ganz in seinem Gedächtnis blieb, ärgert ihn. Die Erinnerung könnte er jetzt gut gebrauchen.

Beach Red ist ein Kriegsfilm, der mit seinen Gedanken oft woanders ist. So wie die Soldaten.

Andrew Tracys Artikel „Beyond Brut: The Art of Cornel Wilde“ richtet sich gegen die „hyper-sophisticated critics who brand and celebrate Wilde as a cinematic brute“. Aber auch Tracy attestiert ihm „naïveté“, insofern das Schaffen des Regisseurs seinen Zweck offenbart, das lebende Bild seiner Frau und leading lady Jean Wallace auf die Kinoleinwand zu bringen.

Cornel Wilde in Saadia (1953 Albert Lewin) und das Bild, das er da malt von Rita Gam.

Ein kurzer Blick in die Filmografie des Schauspielers Cornel Wilde ist ein Blick in die Schatztruhe Hollywoods: Juwelen funkeln zwischen Plunder. Filme vom John M. Stahl (Leave Her to Heaven), De Mille und Dwan, Preminger und Negulesco, Sirk und Dieterle, Delmer Daves, Robert Wise, Nicolas Ray, Lewis Allen (At Sword’s Point, mit Wilde als D’Artagnan jr.), Joseph H. Lewis (The Big Combo, mit Jean Wallace, von Wilde produziert) und Albert Lewin.

Albert Lewin war wie kein anderer Filmemacher fixiert auf die magischen Wirkungen der Malerei, die Schocks, Übertragungen, Belebungen.

Zurück zum Anfang. Einen ganz ähnlichen Vorspann wie Beach Red hat auch Cornel Wildes The Naked Prey (1967): Schrift auf Papier – auf Gemälden.

Dazu ein Hinweis: Die Galerie Susanne Zander in Köln zeigt (noch bis zum 16.Juni) Bilder von Dietrich Orth.

„Beim Beschauen dieses Bildes im Geiste vorn rechts und Schwingen des rechten Arms mit Faust verschwindet nach dem Aufstehen Restmüdigkeit.“

Orth malt „Anwendungsbilder“. In einem Lebenslauf schrieb er vor zwanzig Jahren über sich, er habe 1977 das Abitur „nachgeworfen bekommen. – Ich fühle mich als Zwerg. – Ich studiere und genieße die Vollkommenheit einer Sache, in die ich verwickelt bin, oft stundenlang. (…) – Mein Credo: Das Beobachten und Bearbeiten des kleinsten Teilchens der Zufriedenheit ist die stärkste Waffe gegen Chaos.“

Im Kleeblatt meiner Lieblingsmaler – Bosch, Rops, Wölfli – ist Orth mein D’Artagnan.

„Rosemary, die Rockerbraut, wie sie bei Dämmrigkeit über Musikgenuß und Visualisierung dieses Bildes durch Andere sich diesen zugänglich macht.“


Rip Torn in Beach Red

Nietzsche fand, nur als ästhetische Phänomene hätten wir unsere höchste Würde – „während freilich unser Bewusstsein über diese unsere Bedeutung kaum ein anderes ist, als es die auf Leinwand gemalten Krieger von der auf ihr dargestellten Schlacht haben.“

Nach rechts schwenkt die Kamera über ein Schlachtengemälde… auf den Nacken von Rip Torn, der sich aus dem Gemalten, wie aus einer Tarnung heraus, umwendet und Kautabak abbeißt, …und weiter schwenkt die Kamera nach rechts aufs graue Meer… (so was geht nur in 2D). Eine seltsame Idee für den Anfang eines Kriegsfilms. Wie aus einer Komödie der Zucker-Brüder.

Airplane! (1980 David Zucker, Jim Abrahams & Jerry Zucker) Die Malerei, wird hier gesagt, sei Therapie eines Kriegstraumas. Ein Schwenk geht von der Staffelei auf den, der da tatsächlich vor einem zertrümmerten Jeep, sein Bein hinterm Kopf, in der Linken eine Babypuppe, starr Modell steht.

Georges Sanders in The Private Affairs of Bel Ami (1947 Albert Lewin), und das Bild, das Max Ernst im Auftrag für diesen Film gemalt hat.

Zu dem Nietzschezitat will ich noch verraten, daß ich mit Vorliebe aus Büchern zitiere, deren Lektüre für mich nicht zur Gänze vergebens gewesen sein soll.

Zum Schluss die Frage: Liegt vielleicht „unsere höchste Würde“ in der Ohnmacht?

Das von den Indianern farbig in den Sand gemalte Bild in A Distant Trumpet (1964 Raoul Walsh).

„Im Hintergrund immer ein breiter, lehmiger Wasserfall“
(Helmut Färber: Filmbeschreibung in Filmkritik 10’/1969)

Freitag, 30.03.2012

Bye Bye Mockingbird


Ann-Margret wird am Telefon etwas los und bringt es in Umlauf. ***

Bye Bye Birdie (1963 George Sidney), ein Drei-Sterne-Film in den Cahiers du Cinema im März ’64, gleichauf mit Franjus Judex, zumindest in Jacques Rivettes Augen.

Satirische Filme sind herzlos und langweilig. Erlösung vom Fluch der Verächtlichkeit finden sie nur dann, wenn das, was ihnen verachtenswert erscheint, durch die Sorgfalt der Abbildung plötzlich und dauerhaft beworben wird. Das soziale Netzwerk beispielsweise.

Auf solche Erlösung hat kaum Aussicht, wer über Religiöses spottet. Es gibt natürlich Ausnahmen.

Patrick Bouchitey in La vie est un long fleuve tranquille (1988 Étienne Chatiliez).
Inmitten des 90minütigen Glücksfalls einer beseelten Satire: die konvulsivische Schönheit einer Musikperformance im höheren Auftrag. Allez!

Frank Apunkt Schneider, in dessen Kurzbiografie mir zum ersten Mal die intelligente Formulierung „unfreier Autor, unfreier Künstler“ begegnete, lockte letzte Woche im Kölner a-musik-Laden in die fremde und seltsame Welt des Sakropop. Der extrem kurzweilige Vortrag führte, angetrieben von Neugier, hin zu wirklich faszinierenden Erscheinungen, hin zu Vergnügen und Verständnis.

Der hart umkämpfte Friedenspakt zwischen Kirche und populären Klängen hat eine auf selten gehörten Konzeptalben dokumentierte Musik hervorgebracht, deren textliche Überfrachtung und gesangliche Akkuratesse jeden Aufstieg aus der Subkultur der Gläubigen gründlich verbaute. Musik, der Ekstase tabu ist.

„Wir dürsten im Beton unserer Geistlosigkeiten. Unsere Wüste findet sich auf keinem Atlas.“ Sakropop-Verse, wie diese von Alois Albrecht, sind nicht immer leicht zu singen. Ihre schleichende Wirkung ist, ungewollt, so etwas wie verschmitzte Euphorie.

Lässig und nebenbei eröffnete Frank Apunkt Schneider eine helle Einsicht: Die ökumenisch gestimmte Praktik, beim Alle-Umarmen Selbsterniedrigung zu üben, ist eng verwandt mit dem, was aussieht wie das Gegenteil: Auch wer im Alle-Verspotten Selbststärkung sucht, strauchelt… man könnte singen: …wir straucheln ins Gestrüpp unserer verleugneten Vergeblichkeiten. Der Sakropop ist der Vater von Harald Schmidt.

(Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass George Sidney viel bessere Filme als Bye Bye Birdie gemacht hat: The Three Musketeers (1948) mit Lana Turner, und Jeanne Eagles (1957) mit Kim Novak. Gerne sehen würde ich Show Boat (1951), und The Swinger (1966) mit Ann-Margret! Come on along!)

Jeff Daniels und Tobey Maguire in Pleasantville (1998)

Derzeit im Kino sehr zu empfehlen: Die Tribute von Panem (The Hunger Games 2012 Gary Ross), ein Blockbuster gegen die Gesellschaft des Spektakels – für Teenager – gegen die Welt als Casting, wohlbedacht jede romantische Ironie vermeidend, nicht im Geringsten amüsant. Ein entschieden dunkler Film, der den Radar des Feuilletons unterflogen hat, wegen Einspielergebnissen und Fortsetzungen aber noch Beachtung finden wird. Gary Ross hat viel bessere Filme gemacht: Pleasantville (1998) und Seabiscuit (2003), aber The Hunger Games ist wahrscheinlich bedeutender, historischer: Das Ende der Satire. Letzter Aufruf zur Solidarität.

Dienstag, 20.03.2012

Bakelitperücke und hölzerner Umhängebart (Teil 2)

Jede dieser Masken – „zauberhaft und einmalig“ – hat eine Seele, sagt der Sammler und Karnevalist (im überbordend schönen DVD-Bonusmaterial zu Anja Dreschkes Die Stämme von Köln). Dass es seiner Frau unheimlich ist, wenn er so etwas sagt, das kann der „Poller Böschräuber“ verstehen.


Gene Wilder in Silver Streak (1976 Arthur Hiller)

In manchen Filmen ist die Maskerade letzte Rettung in der Not, hilfreich auf der Flucht, heilsam in totaler Verzweiflung, dem Wahnsinn nahe und furchtbar zum Lachen.


Disneyland in 40 Pounds of Trouble (1962 Norman Jewison)

Auch das kommt vor: Eine Komödie, die nicht komisch ist.


Maskenball in Kiss Of The Vampire (1963 Don Sharp) via

Ein Gruselfilm, den ich noch gar nicht kenne.

Es gibt diese Partyfotos mit Ferres und Maschmeyer und dem alten Pastor, der „die Nähe zu Menschen, die Ja sagen zur Verantwortung“ zu seiner „Aufgabe“ erklärt hat. Ein Karnevalsrefrain reimt sich auf „Präsident“ / „ich bin berühmt, auch wenn mich keiner kennt“. Immerhin möglich, dass die Hundert, die sich am Sonntag bei der Wahl enthielten, den Unbekannten kennen, und deshalb Nein sagten zu der Verantwortung.

Montag, 05.03.2012

Von Bedeutung

WDR 5 meldete heute den Drehbeginn des ersten „Dortmund-Tatorts“ und sendete dazu einen Korrespondentenbericht in den 11-Uhr-Nachrichten. Ein Experiment in doppelter Hinsicht: Wie selbstbezüglich soll ein öffentlich-rechtlicher Sender den Kulturauftrag interpretieren? Wie viel Eigenwerbung kann als Nachricht gelten?

Ist der WDR noch zu retten?


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