Einträge von Rainer Knepperges

Donnerstag, 23.02.2012

Kinohinweis (München)

Einen Film von ihm erkennt man, bevor sein Name im Vorspann erscheint.

Seit Zbyněk Brynych vor nun schon fast zwei Jahrzehnten von Stefan Ertl „entdeckt“ wurde, hat Dominik Graf unermüdlich und, wie man inzwischen hier und da und dort lesen kann, mit einigem Erfolg auf diese Entdeckung hingewiesen. Brynychs unglaubliche Filme im Kino sehen zu können, ist dennoch ein sehr seltenes Vergnügen.

Werner Kließ schrieb in FILM über Brynychs Oberhausenbeitrag von 1964, den 40 minütigen Misto: „Jungen von etwa sechzehn Jahren haben die Brutalität und die Unschuld von Bestien. Ihre Grausamkeit ist ursprünglich, direkt, unverhüllt. Der Film ist genau, insofern er den Vorgang der Rollenwahl in einer Gruppe präzis zum Ausdruck bringt. Der Film ist unauffällig in seinen Kunstmitteln. Der Film ist schön. Das unverbrauchte Spiel der Jugendlichen offenbart Unschuld. Nicht die Unschuld der Frommen, sondern die des unreflektierten Daseins.“

Morgen und am Samstag zeigt das Werkstattkino Der Kommissar – Papierblumenmörder (1970) und dazu als Vorfilm: Misto / Der Platz (1964); am Sonntag dann Die Nacht von Lissabon (1971), 35mm; am Montag, Dienstag und Mittwoch Oh Happy Day (1970), 35mm; jeweils um 22:30.

Donnerstag, 09.02.2012

Fernsehhinweis

Heute, 23.15 – 00.45 Uhr im WDR: Die Stämme von Köln (2011 Anja Dreschke)

Mittwoch, 08.02.2012

Bakelitperücke und hölzerner Umhängebart

über Masken, Brillen, Schleier und Helme (Teil 1)

Welche Erwartungen, Wünsche und Träumereien ein einzelnes Bild auslösen kann, davon erzählt Scorsese am Anfang seiner Reise durch den amerikanischen Film. Mit einer gewissen Nostalgie sprach auch Michael Althen von der Zeit, in der das einzige, was man von einem Film besitzen konnte, ein einziges Standfoto aus dem Reclam-Filmführer war. Ein einzelnes Bild, zu dem man sich Gott-weiß-was vorgestellt hat.

Dainah la metisse (1931 Jean Gremillon), der an Bord eines Schiffes spielt, das zwischen Marseille und der Ile Rousse verkehrt, ist einer jener Filme, die in der Literatur womöglich nur deshalb abgetan werden, weil die betreffenden Autoren keine Gelegenheit mehr hatten, sie zu sehen. (Peter Nau: Auf den Spuren von Gremillon, Filmkritik, Juni 1982). Aber es gibt da dieses Szenenfoto: Eine Frau im Abendkleid, mit vier maskierten Männern an einem Tisch, starrt durch einen merkwürdigen metallenen Schleier, der einer Fechtmaske ähnelt, auf etwas, das ihren Blick leuchten lässt.

The Woman Who Came Back (1945 Walter Colmes) schaute ich mir nur wegen dieses Bildes* an und wurde nicht enttäuscht. Obwohl die maskierten Kinder keine sonderlich große Rolle spielen, durchzieht den Film im ganzen, was mich aus dem Bild heraus anlachte: eine gewitzte Finsternis. Mittels beherzter Perspektivwechsel wird das Sujet, der Verlust der vertrauten Gewissheiten, zum schaurigen Effekt der Erzählung. Was Nancy Kelly, die Hauptrollen bei Henry King, Allan Dwan und Mervyn LeRoy gespielt hat, hier in diesem feinen kleinen B-Film wiederfährt, das ist, verwandt mit den Stoffen des genialen Val Lewton, eine dunkle Vorwegnahme von Carnival of Souls.


Judex (1963 Franju)*

Der Maskenball ist ein filmischer Topos. Aber Filme können sich nicht wirklich für das Bad in der Menge erwärmen, ihre Helden oder Bösewichter müssen doch immer zumindest uns Zuschauern kenntlich bleiben. Ohnehin kündigt die Musik von Maurice Jarre unmissverständlich an, dass hier nicht mit fröhlicher Ausgelassenheit, sondern mit dem Tod zu rechnen ist.


Lady in a Cage (1964 Walter Graumann)

Einbrecher, die bei Tag in ein Haus eindringen, dessen Bewohnerin in einem steckengebliebenen Aufzug, hinter Gitterstäben, wie in einem Käfig gefangen ist. Links, im offenen Hemd, James Caan, in seiner ersten Kinoperformance. Neben ihm, das ist Jennifer Billingsley. Die beiden zusammen sind furchteinflößend sexy, purer Punk.


Fantomas (1964 André Hunebelle)

Zwischen diesen beiden Bildern gibt es, um unbemerkt vom dem einen (Jean Marais) zum anderen Darsteller (Louis de Funes) zu wechseln, eine Überblendung. Als ich den Film als Kind sah, stürzte mich das Offensichtliche, dass nicht Marais, sondern De Funes den als Inspector Juve maskierten Fantomas darstellte, und also etwas Schminke die Maske nur vortäuschte, in eine unauslöschlich komplizierte Verwirrung. Auch etwas Angst war dabei im Spiel. Um so lauter mein Lachen.


Santo y Blue Demon contra Drácula y el Hombre Lobo (1972 Miguel M. Delgado)

Die überaus populären Darsteller Santo und Blue Demon spielen sich selbst. Das mexikanische Publikum kannte ihre Gesichter nicht, nur ihre Masken.

Loki Schmidt testet Aufbauten, so lautet die offizielle Bildunterschrift zu diesem Foto von Engelbert Reineke aus dem Jahr 1980.

Sonntag, 29.01.2012

Karton

Ein Link zu meinem Lieblingsgitarrensolo im letzten Jahr. Und ein Foto (von Erik Goertz) zu meinem Eintrag vom Montag. Passend dazu noch ein Link zu einem Kurzfilm über die Schließung eines sehr alten Ladens in Little Italy: Closing Time (2006 Veronica Diaferia).

Montag, 23.01.2012

Die Kunst des Abschiednehmens

Seit der Laden Ende Dezember schloss, klebt an der Tür ein Text, mit dem sich der Inhaber von seiner Kundschaft verabschiedet. Auch an all die anderen längst verschwundenen, inhabergeführten Geschäfte der Ehrenstraße erinnert Wilhelm Schunk. An die Fischrestaurants, Kneipen, Bars und Spielhallen (im „Old Texas“ konnte man für DM 1.00 im Keller eine Stunde Tischtennis spielen!!). Auf bemerkenswerte Weise bestätigt dieser fabelhafte Abschiedsgruß, dass die ehemals attraktive Einkaufs- und Amüsierstraße nun endgültig, mit dem Verschwinden des schönen Sexshops, gestorben ist; doch die Worte sind nicht bitter, sondern voll von lebensbejahendem Stolz auf ein feines Gewerbe. Eine vornehme Aufgabe.

Freitag, 30.12.2011

Die Rückkehr der verschwundenen Schriftrolle

Dass ein vorbeifahrender Bus und die bunte Vielfalt parkender Autos vor Jahrzehnten noch als Zierde einer Stadtansicht begriffen wurden, kommt heute dem überwältigenden Umfang einer von Auto-Liebhabern zusammengetragenen Postkartensammlung zugute. Man könnte meinen, es triumphiere so im Nachhinein das Allgegenwärtige über das Besondere. Aber waren es denn je die Sehenswürdigkeiten, Gebäude oder Landschaften, die auf diesen Fotos festgehalten werden sollten? Waren es nicht vielmehr schon immer die Straßen? Die Ferne? War es nicht das Unterwegssein selber, was sich da stolz zeigen wollte?

Jedem, der eine Reise antritt, ins Gepäck hinein: ein paar Internationalismen. Das sind Worte, die überall auf der Welt verstanden werden: Ananas – Atom – Bar – Bus – Diktator – Gorilla – Hotel – Komödie – Maschine – Motor – Operation – Pistole – Radio – Satan – Taxi – Zentrum.

Auf langen Reisen außerdem von Nutzen: Diskussionsstoff – und zwischendurch ein kleines Quiz: Welches „Verschwinden“ beschäftigt die zeitgenössische Philosophie? a) Das Verschwinden der Realwirtschaft? b) Das Verschwinden der Fortbewegung? c) Das Verschwinden des Geldes? d) Das Verschwinden des Verschwindens?

Ich wunderte mich, mit welcher Entschiedenheit Friedrich Kittler („gegen Luhmann, der glaubte, dass kein Medium untergeht“) vom spurlosen Verschwinden der Schriftrolle sprach. Werden nicht gelegentlich noch lange Listen aufgeschrieben – Lieblingsfilme beispielsweise – auf die Rückseiten von besonders langen Kassenzetteln? Ich weiß außerdem kein deutsches Wort fürs Scrollen. Aber: Wenn ich das Computerbild bewege, wenn ich die Schrift rolle, und selbst wenn ich klicke, ruhelos von Blog zu Blog, dann ist das kein Blättern, sondern ein Stöbern in einem Stapel von Schriftrollen.

Ich erwähne das, weil mir die Begeisterung Kittlers für Heideggers Begeisterung für Löcher noch wach in Erinnerung war, als ich zufällig Zeuge wurde, wie in der Straßenbahn ein kleines Mädchen seiner Mutter eine Scherzfrage aus einem Comic-Heft vorlas: „Warum hat der Gorilla so große Nasenlöcher? — „Weil er so dicke Finger hat.“


Zoobrücke, 2011 gefilmt auf Super 8

In seiner „Theorie der Phantasie“ erklärte Melchior Palágyi (1858 – 1924), dass alle Wahrnehmung von Ausdehnung, Lage und Gestalt der Körper an die Ausführung von wirklichen und eingebildeten Bewegungen um deren Flächen und Konturen gebunden ist, „und erst diese Einbildung ist es, die uns die Gestalt erfassen und den Raum wahrnehmen lässt.“ Die Phantasie sorge für die Kontinuität des Lebens entgegen der Diskontinuität des Bewusstseins.

Die imaginären Spielgefährten, die Agatha Christie in ihren Memoiren erwähnt, „waren keine richtigen Kinder und keine richtigen Hunde, sondern eine nicht zu beschreibende Mischung aus beiden.“ Bemerkenswert finde ich ihre Anzahl: 100, „und die für mich wichtigsten hießen Pudel, Hörnchen und Baum.“

Nach deutschsprachigen Lieblingsfilmen fragt eine Aktion, zu der ich gerne noch kurz vor Ablauf der Frist hinzustoßen möchte. Die für mich wichtigsten heißen:
Der Kongress tanzt (1931 Eric Charell)
Grosse Freiheit Nr.7 (1944 Helmut Käutner)
Unter den Brücken (1945 Helmut Käutner)
Alraune (1952 Arthur Maria Rabenalt)
Nicht fummeln, Liebling (1969 May Spils)
Oh Happy Day (1969 Zbynek Brynych)
Amore (1978 Klaus Lemke)
Talentprobe (1980 Peter Goedel)
00 Schneider (1994 Helge Schneider)
Never go to Goa (2001 Klaus Lemke)
Natürlich muss eine wirklich erfreuliche Liste viel länger sein. Der verrückte Wunsch beim Listenverfassen ist, konturiert die Welt zu umarmen, zu zerfließen mit klarem Profil. Nur selten lässt mal eine gute Liste über verschwundene Frontverläufe durchs hohe Gras den Wind wehen.


Oh Happy Day (1970 Zbynek Brynych)

Otto Gildemeister (1823 -1902) hat auf einen eigenartigen Mangel der deutschen Sprache hingewiesen und angemerkt, wie schön es wäre, „wenn Hass und Liebe, Lächeln und Lachen sich ebenso leicht von dem Banne des Singularis erlösen und im Chore aufführen ließen wie les amours, les haines, les sourires Frankreichs. Ist es nicht störend, dass wir das Leben eigentlich nicht in der Mehrzahl vorführen können…“

Freitag, 23.12.2011

Tinte und Kerzenschein


Stolen Face (1952 Terence Fisher)

Vom nahenden Unheil kündend ergießt sich Tinte über das gerasterte Foto einer Frau, die im Gefängnis einer ganz besonderen Resozialisierung unterzogen wird. Ihre Gesichtszüge sollen sich unter den Händen eines genialen Chirurgen so sehr verwandeln, dass sie ein neues Leben anfangen kann – als dessen Gattin. Sie wird zum Verwechseln jener Frau ähneln, die es vorzog einen anderen Mann als den Schönheitschirurgen zu heiraten.


The Two Faces of Dr. Jekyll (1960 Terence Fisher)

Dr. Jekyll hat gerade notiert, wie notwendig es nun sei, ihn auszutreiben, da fügt er hinzu: Ich bin zurückgekehrt, aus eigenem Entschluss. Die selbe Hand führt die Feder, aber ungleich selbstbewusster ist die Schrift von Mister Hyde.

„Das alleredelste Nass der gantzen Welt“ ist, wenn man der Ansicht folgt, die Johann Rist im Jahre 1663 formulierte, nicht Wein, nicht Milch, nicht Wasser, sondern die Tinte. Und tatsächlich wird gegenwärtig für nichts ein höherer Preis erhoben als für Druckerpatronen. Blutkonserven sind vergleichsweise preiswert.

In The Gorgon (1964 Terence Fisher) versucht jemand frisch aufs Papier zu bringen, welchen Eindruck das Schlangenhaupt der Medusa auf ihn gemacht hat. Doch grau und schwer sinkt seine Hand herab auf die Feder, die zerbricht. Der Schreibende ist zu Stein geworden.


Frankenstein and the Monster From Hell (1974), Frankenstein Created Woman (1967)

Man sagt, Terence Fisher habe das Blut und dessen Farbe auf die Kinoleinwand gebracht. Das stimmt wohl. Aber die wirkliche Sensation in seinen Filmen ist, ganz so wie bei Bergman: das In-Szene-Setzen der Gesichter und deren Sinnlichkeit.


Susan Denberg in Frankenstein Created Woman (1967 Terence Fisher)*

„Gerade habe ich in einem wunderbaren Horrorfilm der Hammer Productions ungeheuer schöne hohe Farne gesehen.“ (Peter Handke in FILM, August 1968)

Bei Hammers Konkurrenzfirma, bei Amicus, inszenierte Freddie Francis, der als Kameramann berühmt (The Innocents, Elephant Man, Cape Fear) und als Regisseur ein wenig unterschätzt wurde, einen zauberhaften Film über das Sammeln und über den Fluch des Besitzens.

Selten wurde das Abtauchen in den Lesestoff im Kino so schön gezeigt, wenn auch als Warnung.

Peter Cushing in The Skull (1965 Freddie Francis). Frohe Weihnachten!

Sonntag, 11.12.2011

The paradise of further research

From This Day Forward (1946 John Berry) ****

Harry Morgan (10. April 1915 – 7. December 2011)

… hatte Nebenrollen in Filmen von William Wellman, Henry Hathaway, Henry King, John Berry, Joseph L. Mankiewicz, John Farrow, Frank Borzage, Vincente Minnelli, Lewis Allen, Fred Zinnemann, Anthony Mann, John Ford, Hugo Fregonese, John Sturges, Blake Edwards, Don Siegel… Harry Morgan war laut eigener Auskunft „one of the luckiest people in the world.“

Sonntag, 13.11.2011

Der Bildungsauftrag des Fernsehens

Zu lernen, was das da oben rechts ist. Das Überblendzeichen.

Der Lieutenant fragt.

Die Mörderin begreift.

Trish Van Devere und Peter Falk in ColumboMake Me a Perfect Murder (1978 James Frawley).

Weil meine Oma ihn so mochte, schnitt ich Peter Falk aus der Fernsehzeitung und steckte ihn zum Spaß in ihr Medaillon. Sie ließ ihn dort. Bis sie mir irgendwann einmal traurig erklärte, sie habe ihn herausnehmen müssen. Denn mit Schrecken hatte sie am Abend zuvor im dritten Programm – in A Woman Under the Influence – miterlebt, wie der Columbo da mit seiner armen Frau umging.

Samstag, 05.11.2011


Die schwierigste Minigolf-Bahn der Welt. (Forstbotanischer Garten, Köln)

Hinter der Sonntäglichkeit des Daseins den Albdruck der Welt zu verspüren, den Blick in einen leeren Briefkasten zu werfen, einen Freitag zu erleben, ohne die gewohnte Lieferung, ohne eine vergilbte Filmkritik aus dem Tagesspiegel! Warum nur, warum muss das sein? Ich weiß den Grund nicht, aber ich weiß einen Trost: Im gerade erschienen Sonderheft 16 von kolik.film widmet sich Jörg Becker in ganz wunderbarer Weise den Texten und Büchern von Peter Nau.


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