* Langtexthinweis
Warum ich keine „politischen“ Filme mache von Ulrich Köhler
Warum ich keine „politischen“ Filme mache von Ulrich Köhler
Omaggio a Roberto Rossellini (2. Mai 2007 bis 30. Juni 2007, Arsenal)
Die Evolution der amerikanischen Komödie im Herzen der Industrie geht in eine neue Runde. Nach der Konsolidierung von Stiller/Wilson/Anderson/Farrellys/Hess: Das Skelett eines Buddy-Movies, NASCAR fahrend und superschwul-europäisch. Der Film hat ein vollkommen abstraktes Verhältnis zu den temporalen Routinen des Genres. Konzeptkunstartiger lässt sich kein Unfalltrauma in eine filmische Zeitökonomie übertragen. Ferrell spricht das vermutlich längste Tischgebet seit Il Vangelo secondo Matteo und schließt in seiner pragmatischen Religiosität direkt an den funeral crasher an. Ein Genre zerlegt sich in aller Ruhe auf einem Superspeedway. Jean Girard: „You taste like America“ – Ricky Bobby: „Thank you!“. Talladega, Alabama – where pride is our heritage, achievement our goal.
Faszinierend gestern Abend, wie gut gelaunt Klaus Biesenbach durch die von ihm zu verantwortende Ausstellung „Fassbinder: Berlin Alexanderplatz“ lief, deren konzeptuelles Niveau von den gänzlich kunstfernen Bemühungen der Dauerausstellung des Filmmuseums am Potsdamer Platz souverän überboten wird. Vielleicht darf man aber auch einfach nur nicht den Fehler machen, den Installation gewordenen Scherz Ernst zu nehmen. Der Macher jedenfalls hat sich erfreulicherweise einen gut abgehangenen Sinn für Humor bewahrt, wie der rezeptionspädagogische Paratext der Ausstellung beweist: „Sie können sich die extrem lange Dauer des Films individuell einteilen, sich Folgen erneut anschauen oder die Ausstellung mehrfach besuchen.“
ARD, 04.02.07, 20.15h
„Polizeiruf 110: Taubers Angst„
„Es ist ja häufig von einer Filmsprache die Rede, manche sprechen sogar von einer Grammatik. Wenn es eine solche gibt, müsste sich ihre Analyse vor allem mit den ihr zugrunde liegenden Schnittstrukturen befassen. Dass ein System dahinter steckt, ist augenfällig. Aber kann man so etwas Sprache nennen? Nein, denn es fehlt diesem System einer der wesentlichsten Bestandteile der Sprache, und das ist die Negation. In seiner simpelsten Ausprägung das Wort „Nein“. Wohl kann es ein Darsteller aussprechen, aber es gibt kein Verfahren, es rein visuell auszudrücken. Das Kino ist ein Medium der Bejahung. […].“
(Klaus Wyborny, FAZ 18.1.2007, S.34; siehe auch hier).
Gabriele Münter ist 21 als sie 1898 gemeinsam mit ihrer Schwester Emmy zu einer großen Amerika-Reise aufbricht, um ausgewanderte Verwandte zu besuchen. New York, St. Louis, Moorefield und texanische Städte wie Marshall, Fort Worth, Plainview, Lubbock, Abilene und Guion sind die Stationen. Die für diese Route ursächliche Familiengeschichte ist komplizierter als die der Tenenbaums und führt zu privaten Amerika-Bildern, die zeitgeschichtlich kaum vielfältiger gesättigt sein könnten. Münters Vater stammte aus Herford/Westfalen, die Mutter aus der fränkisch-hessischen Provinz. Er war 1847 von seinem Vater, einem königlichen Beamten, wegen seiner Parteinahme für die revolutionären Kräfte des Vormärz auf ein Schiff nach Amerika verfrachtet worden; sie, geborene Scheuber und einer Schreinerfamilie entstammend, hatte bereits ihre Kindheit dort verbracht. Die beiden heiraten 1857 in Savannah/Tennessee, bevor sie 1864 nach Deutschland zurückkehren, zuerst nach Berlin, wo der Vater eine Zahnarztpraxis eröffnet und die Kinder geboren werden, dann nach Herford. Weite Zweige der Familie waren in Amerika geblieben, buchstäblich Cowboys geworden. 1898, vier Jahre bevor Gabriele Münter Kandinskys Schülerin und Geliebte wird, bekommt sie eine Bull’s Eye Boxkamera von Eastman Kodak geschenkt. Dieser frühen Kompaktkamera (war der Rollfilm verschossen, schickte man den ganzen Apparat an die Eastman Dry Plate and Film Company und bekam – „You press the button, we do the rest“ – die entwickelten Fotos und eine neu geladene Kamera zurück) verdankt eine großartige Ausstellung im Lenbachhaus Bilder wie aus einem mythologisch verschobenen Early-Cinema-Western, der sich schon wieder fremd geworden ist.
Destroy Dirty Things
Syndromes and a Century /Sang sattawat (Apichatpong Weerasethakul) TH/F/AU 2006
Autonom kreisende Kamerabewegungen, sanft, musikalisierend, weit weg vom neuen sensomotorischen Klischee des Weltkinos, der Plansequenz. Überhaupt: die Arbeit an Bildtypen der Immanenz und wie sich Deleuze als Stichwortgeber aufdrängt: „die absichtlich schwachen Verbindungen, die Form der balade„, die hier primärer Artikulationsmodus des Bildes ist und nicht mehr an Figurenbewegungen der Desorientierung zurückgebunden werden kann. Weerasethakul ist auch deshalb Primus inter pares des Weltkinos, weil seine Filme Vorzeigeprodukte einer sich mittlerweile formiert habenden neuen politischen Ökonomie sind: Anna Sanders meets New Crowned Hope, Marco Müller gibt den vanishing mediator; Sellars: „Wenn Mozart heute leben würde, wäre er gewiss ein Filmemacher.“ Die Mischung aus perversem Kunstthemenparkgeld, neokolonialer Subvention (Fonds Sud Cinéma: „au service de la diversité culturelle“) und international gut vernetzten Arthouse-Playern (Fortissimo) ist hierfür paradigmatisch. Beispielhaft auch der an Edelprojekten dieser Art freilich nicht beteiligte World Cinema Fund – eine Kooperation der Kulturstiftung des Bundes und der Berlinale („…Filme, die mit einer ungewöhnlichen Ästhetik überraschen, die starke Geschichten erzählen und ein authentisches Bild ihrer kulturellen Herkunft vermitteln.“). Man müsste über die Schnittstellen der diese Kapitalflüsse ermöglichenden und kontrollierenden Agenden nachdenken. Die letzten zehn Minuten von Syndromes and a Century sind irrsinnig gut. Da gibt es plötzlich ein schwarzes, nebelabsorbierendes Loch im Bild; ein radikales Nichts – nicht Off – im On. Korrespondierend dazu: die namenlosen, in vorsichtig-gleitenden Bewegungen umkreisten Statuen offizieller Staatskultur, ihrer geschichtspolitischen Funktion prekär entkleidet. Es gibt eine Verbindung, vielleicht, zwischen den oral history-Fabulationen aus Mysterious Object at Noon und der entrückten Geschichtsrepräsentation und eingerasteten Gegenwart in Syndromes and a Century. Irgendwann wäre auch darüber zu sprechen, inwiefern Weerasethakul letztlich das Barney-Projekt invertiert, indem er trotz aller Rhetorik des Skulpturalen, des Installierbaren, des narrationsfrei Genießbaren genuine Formtraditionen des Kinos komplex tradiert, sie vor anbiedernder Verfransung/Entgrenzung bewahrt und falsche Eingemeindungen – Kunstkontext my ass – auf Dauer erschweren wird.
Das Amalgamieren pessimistischer Lesarten der Gegenwart fügt sich in diesem Film nicht zu erwartbaren zeitdiagnostischen Rhetoriken. BSE, Klimakatastrophe, Homeland Security, Abu Ghraib tauchen in Emmanuel Lubezkis transparentem Handkamera-Gewebe auf und gleich wieder ab – als träumte jemand die schlechtesten Meldungen der letzten Jahre und verstünde nicht. Dennoch raunt der Film kaum; das Vordiskursive der visuellen Kultur ist ihm Material genug. Found-Footage-Paraphrasen dieser Art sind eine Option des Kinos, das benachbarte mediale Feld einer sortierenden Lektüre zu unterziehen. Wie abwesend die Plotmaschine da ist, wie ostentativ leer der religiöse Überbau, wie präsent Clive Owen Müdigkeit spielen kann. Der Tod Michael Caines, die brutalste Totale seit langem. Das Schlussbild: ein Triptychon aus drei verwirrten Lichtern. Je vous salue, Marie – ein Boot im Nebel und Josef ist verblutet.