Einträge von simon rothöhler

Mittwoch, 15.02.2006

1 Film einige Sätze 1 Kino-Hinweis

Vincent Gallo dreht ohne Fernsehgeld ein „O Fantasma“-Remake am Niederrhein. „Falscher Bekenner“, der übermorgen noch mal läuft (CM1, 11.30 Uhr), schien mir letzten Freitag dennoch vollkommen unepigonal, genuin, präsent. „Milchwald“ fand ich schon auch kunstwollend; nicht wirklich unerträglich, aber doch irgendwie schwitzig vor lauter Stilbereitschaft und rhetorischer Abdichtungsbewegungen. Dann das. Die Klarheit des Elliptischen. Wie genau die Tonspur ist. Die nächtliche Autobahn-Landschaft und die nebelverhangene Provinz. Der dezent freigestellte Pflastertausch-Moment und die harte Komik der Auswahlgespräche. Bei Dresen neulich Vehikel, um einen ziemlich verlogenen Kleine-Leute-Film mit realer Not aufzuladen. Bei Hochhäusler nur Element einer Bestandsaufnahme, die weit ausgreift, ohne sich als solche anzupreisen. Falsch bekennen, um eine Spur zu hinterlassen, eine Regung auf einem anderen Gesicht.

Donnerstag, 29.12.2005

2005 – 25 Filme, 1 Serie (Kino, DVD, TV)

In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod (Kluge) # Red Eye (Craven) # Crimson Gold (Panahi) # Oh Fantasma (Rodrigues) # L’Intrus (Denis) # Le Cochon, La Rosière de Pessac (68/79), Mes petites amoureuses (Eustache) # Barluschke (Heise) # Panic in the Streets, Wild River (Kazan) # The 40 Year Old Virgin (Apatow) # Montag kommen die Fenster (Köhler) # Assassination Tango (Duvall) # Prima della rivoluzione (Bertolucci) # Les Amants réguliers (Garrel) # Meat (Wiseman) # Napoleon Dynamite (Hess) # Les Yeux sans Visage (Franju) # Force of Evil (Polonsky) # War of the Worlds (Spielberg) # Fingers (Toback) # De battre mon coeur s’est arrêté (Audiard) # The Wedding Crashers (Dobkin) # West Wing – The Bartlet Years (Sorkin)

Sonntag, 25.12.2005

Was nach Deleuze kommt. Was die Kunst vom Film will, aber trotz Godard nicht bekommt.

„[…] Hitchcockian practice seems capable of epitomising at once the lost power of cinema now lying in its grave (Godard’s thesis) and the power of an old cinema that for decades has been substituted for a new one (Deleuze). How can Hitchcock’s cinematographic practice sustain both statements, and what is the relation of that practice to an essence of the cinematographic image?

[…]

a cinematographic image is actually a complex thing, a combination of several functions: the image connects and disconnects. It implements a representational function by subjecting the visual elements to the logic of a narrative or symbolic plot, and it engenders an aesthetic logic of suspension and infinitisation. In Deleuzian terms I would say that each image functions both as movement-image and time-image. Every film is composed not of images but image-functions that both supplement and contradict each other. This is true in the case of Hitchcock’s classicism as it is in that of Rossellini’s modernism. There is no shift from an ancien régime of cinema to a modern age. There a simply different ways of putting more or less into play the tension between different image-functions.

[…]

Godard may well have thought of himself as the last of the Mohicans mourning the death of cinema and predicting the reign of darkness. Paradoxically, he might have foreshadowed something quite different: a new trend of symbolist art […].“

Jacques Rancière: „Godard, Hitchcock, and the Cinematographic Image“. In: Michael Temple (Hg.): Forever Godard. London 2004, S. 214, 227, 231.

Dienstag, 29.11.2005

Left Wing

Manchmal findet man Missing Links, nach denen man gar nicht aktiv auf der Suche war, weil es scheinbar nichts zu verbinden gab. Warren Beattys hybride Polit-Satire „Bulworth“ (1998) ist so eine Übergangsform, weil dort die Repräsentationsskepsis von „The Parallax View“ mit der Stellvertretungsutopie aus „West Wing“ Kontakt aufnimmt. Beide Modelle beziehen sich auf den demokratischen Begriff politischer Repräsentation, bei dem Darstellungsfunktion und Stellvertretungsanspruch zusammenfallen, weil Repräsentation eben beides bedeutet: den sichtbaren Ausdruck von Politik im öffentlichen Raum und personale Stellvertretung als Medium und Ausdruck indirekter Volksherrschaft. Bei Pakula kulminiert die eigentliche Konspiration dort, wo die vom Tonband reproduzierte stimmliche Repräsentation (ein Wahlkampf-Playback), die einem toten demokratischen Repräsentanten zugeordnet wird (der gerade auf einem führerlosen Golfwagen durch eine Sportarena irrlichtert), eine Referenzkrise anzeigt, die deshalb relevant ist, weil sie die demokratische Legitimationskette unterbricht, bzw. simulatorisch stabil hält. „West Wing“ hingegen setzt auf den liberal-demokratischen Optimalfall: personale Integrität, die öffentlich darstellbar ist. Das Beste an dieser vollkommen großartigen Serie ist die Akribie, mit der hier jene institutionellen Prozesse aufgearbeitet werden, die sicherstellen sollen, dass es so etwas überhaupt noch gibt: res publica. „Bulworth“ wiederum ist ein wirrer Film, weil er zunächst die Krisendiagnose undarstellbarer Machtkonstellationen zu teilen scheint, dann aber gutgelaunt einen weißen Senator zum authentisch-öffentlich für die afroamerikanische community sprechenden Rap-Politiker mutieren lässt. Dass Martin Sheen die Figur des bibelfesten Präsidenten Josiah Bartlet offen aus seiner wechselhaften Schauspielerbiographie entwickelt und „Bulworth“ unter der Kategorie ‚Assistant Director‘ ausgerechnet „Frank Capra III“ führt, ist dann eben auch kein Zufall mehr: Alle Wege führen nach Washington und die des Herrn sind unergründlich.

Donnerstag, 03.11.2005

Fever Pitch (Bobby & Peter Farrelly) USA 2005

So eine tolle flache Dramaturgie. Sowas von geerdet, ohne jede Kunstanstrengung. Kein Bedürfnis, für jeden nicht genommenen Plot Point einen antidramatischen an seiner Stelle zu errichten. Dennoch bei mir immer wieder Erstaunen, was die alles nicht machen. Wie die Komödie als Formerwartung invertiert wird. Wie das Romantische in seiner Normalisierung zum Versprechen wird, mit in den Alltag zu kommen. Wie die Farrellys gelacht haben müssen, als sie die zwei Rollstuhlfahrer dann doch ins Bild schieben. Hereinschieben als Beiseiteschieben von Reflexen der Interpretation: Allegorisiert körperliche Defekte als politische doch künftig anderswo. Drew Barrymore, die den Film produziert hat, mag ich erst seit „50 First Dates“. Ein Auftragswerk sieht anders aus. Alle wollten, was sie taten und konnten es auch. Ein Hauch von New Hollywood, ein wunderbarer Soundtrack.

Mittwoch, 17.08.2005

This is so contemporary (Hollywood)

In Michael Bays „The Island“ gibt es eine Szene, die Anfang der 90er Jahre – als eigentlich schon entschieden war, wohin sich die kapitalintensivste Filmform nach der zweiten Übernahme- und Fusionswelle bewegen würde – noch ein Selbstreflexivitäts-Kärtchen eingeheimst hätte. Scarlett Johansson, die einen Klon spielt, erlebt dort ihr warenästhetisch verschobenes Spiegelstadium, als sie ihr originales Anderes in jenem Calvin-Klein-Spot erspäht, der vor dem Film auch schon im Werbeblock zu sehen war. Der Blockbuster, als initiative Plattform einer Produktpalette, deren Rentabilität sich wesentlich aus „intellectual property“, also Lizenzpolitik speist, kennt jedoch kein ökonomisches Außen mehr, weshalb es in dem, was früher „Diegese“ genannt wurde (und heute eher sensuell aufgeladenes, hyperkinetisches Environment ist), eben auch kein identifikatorisches Anderes mehr gibt, das nicht auf dieselbe Warenlogik hört. Sean Cubitt spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen filmischen Totalität, die monadisch und global ist. Schleichwerbung gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und das Sentiment emanzipierter Kopien bei Spielberg – also dort, wo es noch im klassischen Sinn um Repräsentation und Referenzialisierbarkeit geht. Scarlett Johansson hingegen schenkt ihren auch nur halb erstaunten Blick einem Modus, der ihre eigene Screentime multipliziert und eine Verwertungskette in Gang setzt, die sich mittlerweile strukturell ins Zentrum der High-Concept-Filme vorgearbeitet hat.

The Island (Michael Bay) USA 2005

Dienstag, 19.07.2005

A Slice of Life

Nothing is visible without light.
Nothing is visible without a transparent medium.
Nothing is visible without boundaries.
Nothing is visible without colour.
Nothing is visible without distance.
Nothing is visible without instrument.
What comes after this cannot be learned.

Nicholas Poussin, 1665

[zitiert nach: Sean Cubitt: The Cinema Effect. MIT Press 2004, S.42].

Freitag, 17.06.2005

Film-Hinweis

„They really didn’t want me to make the film. They enjoyed having us around but not to film. I was with my friend Danny and he had good connections for dope, much better than they had. And at one point I said to him nothing ever happens on these plane trips. It would be nice to have something happen.“ (Robert Frank)

Cocksucker Blues
USA 1972, 16mm, 90′

(Brotfabrik: 23.-29. Juni, jeweils 22h)

Donnerstag, 02.06.2005

Jägerbeine

In „Island of the Lost Souls“ (Erle C. Kenton, USA 1932), der gestern im Arsenal zu sehen war, spielt Charles Laughton den exilierten englischen Wissenschaftler Dr. Moreau, der seltsame Experimente mit Tieren veranstaltet, weil er Darwin eine Spur zu wörtlich interpretiert. Wichtiger als die evolutionsbiologische Hysterie – das Labor heißt nicht ohne Grund „House of Pain“ – und wissenschaftliche Meriten ist Dr. Moreau aber die Kultivierung eines spätkolonialen Stils, der selbst Colonel Walter E. Kurtz beeindruckt hätte. Dr. Moreau, stets im feinen weißen Anzug, nippt blasiert an seinem Tee und beantwortet skeptische Fragen mit ausgewählter Höflichkeit und minimalem Heben der Augenbrauen. Selbst die unermüdlichen Verschattungsbemühungen der Licht-Regie können ihn nicht diabolisieren, weshalb Laughton in der tollsten Szene des Films seinen eigentlich schweren Körper elegant auf den zu Folterzwecken umfunktionalisierten Operationstisch werfen kann und im Fallen aristokratischerweise die Beine übereinanderschlägt, als sei das eine Selbstverständlichkeit.

Freitag, 29.04.2005

Getändel, aber so muß es auch sein

„[…] Gut so, ein Märchen mag märchenhaft begründet sein. Fatal ist nur, daß die utopische Oase selber die durch ihre anspruchsvolle Exposition geweckten Erwartungen enttäuscht und auf eine Weise vergegenwärtigt wird, die den Wunsch der meisten hier verschleppten Reisenden, schleunigst wieder die verderbten Stätten der Zivilisation aufzusuchen, sehr verständlich macht. Um davon zu schweigen, daß dieses Idyll der künstlichen, jeder sozialen Entwicklung spottenden Zurückversetzung der Menschen in archaische Verhältnisse seine Existenz verdankt, es ist auch von starrer Einförmigkeit. Seine Bewohner beschäftigen sich unverdrossen damit, ihre Herden zu hüten, fromme Lieder abzusingen und in feierlicher Prozession einen Gebäudekomplex zu durchwallen, dessen Jugendstilformen die Herkunft aus dem Filmatelier deutlich verraten. Und obwohl ihr Freudendasein auf die Dauer sterbenslangweilig sein muß, sind sie noch dazu mit ewiger Jugend begabt. Die Beimengung dieses mystischen Motivs verleiht der Utopie keineswegs eine erhöhte Anziehungskraft, sondern macht nur die Unhaltbarkeit ihrer Konstruktion offenbar.
Wenn Frank Capra einem solchen Drama die Arbeit zweier Jahre gewidmet hat, so ist er sicher von der Möglichkeit bestochen worden, die Wirklichkeit mit dem Ideal zu konfrontieren. Das Ergebnis bleibt jedoch weit hinter dieser Absicht zurück; es besteht darin, daß der realistische Teil ungleich besser gelungen ist als die Chimäre. Die großartige Darstellung der Nacht in China könnte Bürgerkriegen als Vorbild dienen, und die verzweifelte Flucht der Reisenden durchs Hochgebirge ist mit Fanatismus gestaltet. Wie schal wirkt daneben das utopische Getändel! Aber so muß es auch sein. Denn die Sonne des Glücks zerstört alle Konturen, und was unter ihr geschieht, läßt sich nicht mit nach Hause tragen.“

(Siegfried Kracauer über „Lost Horizon“; ein merkwürdiger Abenteuerfilm von Frank Capra, in dem Leni Riefenstahl zuweilen tabulos auf Hermann Hesse trifft; USA 1937)


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