Einträge von Stefan Pethke

Freitag, 01.08.2014

„Alles war früher viel schlechter, blickt man aber zurück, so drängt auf langer Strecke die perspektivische Sicht weit auseinanderliegende Punkte eng zusammen: darum muss es mir vorkommen, dass früher oft geschah, was heute selten ist: daß ich im Fernsehen etwas sah, das ich auf der Leinwand sofort wiedersehen wollte, das ich also wahrhaft haben wollte.”

Die Sätze stammen aus einem DFFB-internen Ankündigungstext von Harun Farocki für Freitag, den 17.12.1993. Bis heute werden an der DFFB unter dem Rubrum „Filmgeschichte” an Freitagen unterschiedlichste Filme vorgeführt. Es folgt eine unvollständige Aufstellung von Filmen, die ich sehen konnte, weil Harun Farocki sie an der Filmschule oder anderswo zeigte:

11.000 KM FROM NEW YORK, Orzu Sharipov, Tadschikistan 2006
ARIEL, Aki Kaurismäki, FIN 1989
BENNY’S VIDEO, Michael Haneke, AT 1992
DAS OFFENE UNIVERSUMm Klaus Wyborny, BRD 1993
DIE HARD I, John McTiernan, USA 1988
DIE KÜCHE, Jürgen Böttcher, DDR 1987
FASTER PUSSY CAT! KILL! KILL!, Russ Meyer, USA 1965
IMBISS SPEZIAL, Thomas Heise, DDR 1978
JOHNNY WEST, Roald Koller, D 1977
KNITTELFELD – STADT OHNE GESCHICHTE, Gerhard Benedikt Friedl, AT 1997
LANCELOT DU LAC, Robert Bresson, F 1974
L’ARGENT, Robert Bresson, F 1983
LOLA, Jacques Demy, F 1961
LOS OLVIDADOS, Luis Bunuel, MEX 1950
MURIEL OU LE TEMPS D’UN RETOUR, Alain Resnais, F 1963
NAS VEK (Unser Jahrhundert), Artawasd Peleschian, UdSSR 1983/90
NASHVILLE, Robert Altman, USA 1975
NUMÉRO DEUX, Jean-Luc Godard, F 1975
PASSION, Jean-Luc Godard, F 1982
PLAYGIRL, Will Tremper, D 1966
PROFESSIONE: REPORTER, Michelangelo Antonioni, IT 1975
RANGIERER, Jürgen Böttcher, DDR 1984
REISENDER KRIEGER, Christian Schocher, CH 1981
SOMBRE, Philippe Grandrieux, F 1998
THE KILLING OF A CHINESE BOOKIE, John Cassavetes, USA 1976
THE OUTFIT, John Flynn, USA 1973
TOKYO DRIFTER, Seijun Suzuki, J 1966
UNE FEMME EN AFRIQUE, Raymond Depardon, F 1985
WANDA, Barbara Loden, USA 1970
WREMENA GODA (Die Jahreszeiten), Artawasd Peleschian, UdSSR 1972

Montag, 21.07.2008

First National – frühes amerikanisches Kino in einem deutschen Roman

„Das war also Burbank, dies die großen Ateliers der First National, alle noch neu, frisch gestrichen, vieles unfertig, manches überflüssig, je vier Ateliers in zwei Reihen, mit Verwaltungsgebäuden und Maschinenräumen ein Komplex von 25 Gebäuden auf einem Gelände, das eine Breite von 700, eine Tiefe von 1100 Metern aufwies. Auf diesem Gelände waren zwölf Regisseure, vierundzwanzig Operateure, fünfzig Hilfsregisseure, siebenundsiebzig Friseure, sechshundert Arbeiter, siebenhundertzwanzig Schauspieler und Komparsen, und eine Manuskriptschreiberin tätig. Hier konnten sechzehn Filme gedreht werden. Dreihunderttausend Kilometer betrug die Länge sämtlicher Filmstreifen, die die Firma im Luafe eines Jahres drehen, entwickeln, ansehen, schneiden und wieder wegwerfen ließ, deihundertausend Kilometer lang, in zwanzig Milliarden Bildchen, ief die menschliche Seele und ihr Abglanz um die Rollen der Apparate, und ein Lichtstrahl, der dies alles schuf, hätte genau eine Sekunde gebraucht, um an der gesamten Jahresproduktion der First National entlang zu spazieren. Auf Ewigkeitsaspekte durfte sich die Firma nicht einlassen. Um so offener stand ihr die Erde.“

(Arnolt Bronnen: Film und Leben. Barbara La Marr, Berlin 1928, S. 26)

http://de.wikipedia.org/wiki/First_National (21.7.2008):

Der First National Exhibitor’s Circuit entstand 1917 als Zusammenschluss 26 regionaler Verleihfirmen unter der Federführung von Thomas L. Tally. Ursprünglich war der Zweck der Firma, Filme zu finanzieren und anschließend den Verleih zu übernehmen, doch schon bald kam eine eigene Produktion hinzu. First National war eine Reaktion auf die marktbeherrschende Stellung von Paramount, die das Geschäft immer mehr monopolisierte (bezeichnenderweise wurde W.W. Hodkinson, der vom neuen Paramount-Eigner Adolph Zukor geschasst wurde, der Direktor der neuen Firma).
Der Plan ging ursprünglich gut auf. Mit der Anwerbung von Mary Pickford und Charlie Chaplin für jeweils eine Million Dollar pro Film hatte man die wichtigsten Stars auf seiner Seite und kontrollierte zudem 1919/1920 ca. 3400 Kinos, was 15 bis 20% des amerikanischen Marktes entsprach.
Da es aber nicht gelang, die Stars längerfristig zu binden (sie gründeten 1919 United Artists, mussten aber aufgrund der laufenden Verträge noch einige Filme gedreht werden, weshalb die Firma 1920 noch relativ gut dastand), und da auch die geplante Fusion mit Paramount spektakulär scheiterte, ging es mit First National rapide bergab. Paramount kaufte nach und nach die einzelnen zusammengeschlossenen Firmen auf, bis First National im September 1928 mit Warner Bros. fusionierte.

Dienstag, 29.11.2005

I WALKED WITH A ZOMBIE

Filmstill & ein aufschlussreicher Link zum Thema „Du bist Deutschland“:
http://de.indymedia.org/2005/11/133518.shtml

Montag, 14.03.2005

UNTERNEHMEN PARADIES

Volker Sattel, D 2002, 60′

1927 ist einer der berühmtesten Dokumentarfilme der Kinogeschichte, Walter Ruttmanns „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ uraufgeführt worden.
Pünktlich zum 75-jährigen Jubiläum zeigte Thomas Schadt unter dem gleichen Titel, was er seine Neuinterpretation von Ruttmanns Klassiker nennt, einen 75-minütigen Film, der den Anspruch auf Musealität gleich in den eingesetzten Produktionsmitteln zum Ausdruck bringt: 35 mm, schwarz-weiß, stumm, über allen Bildern eine Musik, die für den Film komponiert und vom Orchester des Südwestdeutschen Rundfunks eingespielt wurde – stolz berichtet Schadt in einem Interview von über 96.000 Noten in der Partitur, von 70 Musikern und 60 Mikrofonen, von 105 Drehtagen und einem 1 Million-Euro-Budget.

Ebenfalls im Jahr 2002 präsentierte Volker Sattel sein Berlin-Porträt „Unternehmen Paradies“. Auch hier ist eine Orientierung am Vorbild Ruttmann unübersehbar, auch hier simuliert die Montage den Ablauf eines Tages: Im flachen Morgenlicht gleitet die Kamera zu Beginn an Reihenhäusern der Potsdamer Vorstadt entlang. Aufhören wird die Bewegung des Films in der elektrischen Nacht eines Mouse on Mars-Konzerts.

Bis zum Ende wahrt Sattel Abstand, das ist seine Arbeitsvoraussetzung. Zwar operiert er mit einem schlanken Team, aber die gängig gewordenen Authentifizierungsverfahren, diese „Mitten-drin-im-echten-Leben“-Behauptungen von Wackelkamera, Stakkato-Schnitt und lauten Direkttönen hält er sich und uns vom Leib. Lieber setzt er auf feingliedrige, musique concrète-verwandte Toncollagen, auf gerne mal etwas längere und vor allem auf feste Kameraeinstellungen.

Besonders deutlich wird sein Ansatz, wenn Sattel Veranstaltungen im Öffentlichen Raum filmt. Zielsicher begibt er sich in die große Versuchsanordnung von der Mediendemokratie und fängt mehr als einmal einen misstrauischen Seitenblick von Vertretern des Betriebs ein, wenn er im Dickicht von Stativen, Mikros, Kabeln und Satellitenschüsseln seine speziellen, leicht verschobenen Standpunkte einnimmt. Er guckt von innen nach außen, auf Nischen und Ränder – nicht nur räumlich, sondern auch in der Zeit: das Wesentliche, die Höhepunkte finden in diesen Bildern noch nicht oder nicht mehr statt. Und wenn doch einmal etwas mit Nachrichtenwert passiert, dann misst Sattel dem nicht mehr Bedeutung bei als unbeteiligten Zuschauern hinter der Absperrung, der großen Anzahl verschiedenster Fahrzeuge in einem Staatsgast-Konvoi oder dem Einstudieren von Begrüßungsritualen auf roten Teppichen.
Es ist zu sehen: Sattel kann sich treiben lassen in den Ereignissen, ohne die Konzentration zu verlieren. Wie ein Surfer wartet er auf seine eigene Welle, mit Gelassenheit und Eleganz und mit Gespür für den richtigen Augenblick.

Es gelingt Sattel ein doppelter Blick: indem er auf die Nebensache verweist, erinnert er gleichzeitig an das gewohnte Bild der elektronischen Berichterstatter. Sein On liefert das vom Standard-Bild ausgesparte Off. Sein Off, eben das Standard-On, bleibt gleichzeitig über die konditionierte Seherfahrung in seinen Ausschnitten anwesend. Zwei Rahmungsmethoden verschränken sich ineinander – man kann von einem virtuellen Panorama sprechen, von einer Idee von Vollständigkeit, die nur das Gehirn herzustellen in der Lage ist. Sattel setzt auf genau diese Kraft des Fragmentarischen. Seine Bilder brauchen Mit-Schauende. Er ist ein demokratischer Filmemacher. Kein Museumsdirektor.

Der Film wird ab dem 24.3.2005 für (mindestens) drei Wochen in den Berliner Kinos FSK und Hackesche Höfe laufen und danach auf eine Deutschland-Tournee gehen.

Freitag, 30.07.2004

Zu ABOUNA:

Großer Bruder und kleiner Bruder suchen nach ihrem Vater, der sich aus dem Staub gemacht hat. Eine rigide Gesellschaft hindert sie daran, ihr Ziel zu verfolgen. Ich schaue neugierig zu, gespannt darauf, was sich die beiden Jungen einfallen lassen werden.
Plötzlich stirbt der kleine Bruder. Meine Empörung ist unmittelbar. Nicht nur, weil eine sympathische Figur – und ein großartiger Kinderdarsteller – völlig unerwartet aus der Geschichte eliminiert wird, sondern weil der Film danach seine erzählerische Geschlossenheit aufzugeben scheint. Die dem Sterben folgende Darstellung vom tumben Liebesglück des großen Bruders empfinde ich als Verrat, als unproduktive stilistische Entgleisung. Spontan unterstelle ich mangelnde Inspiration, die sich als herrische Autorenintention gebärdet und einen unfertigen Plot per Mord am Personal hinter sich bringt.

Vs Anregung, den Tod des jüngeren Amins als Sinnbild zu lesen für das Ende der Kindheit des älteren Tahir, rettet mich. Ausgestattet mit diesem Schlüssel bin ich wieder in der Lage, die sehr feine Kompositionsarbeit des Films zu erkennen, sie gerade an dieser Bruchstelle bestätigt zu sehen.

Man hat es hier mit einer Versuchsanordnung zu tun, die die Last des Subjekt-Werdens auf die Schultern mehrerer Akteure verteilt. Wie in einem symbolistischen Gemälde (die drei Menschenalter, die vier Jahreszeiten o.ä.) werden verschiedene Entwicklungsstufen im Rahmen desselben Tableaus einander gegenüber gestellt – ein Gleichzeitigkeitsmodell von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Amin verkörpert die extrovertierte Naivität des Kindes, das mit seiner entwaffnend klaren Haltung das Wesen der Dinge berührt. Ein Verlust, der kaum auszuhalten ist.

Der Vater, in seiner an Nicht-Stofflichkeit grenzenden Blassheit, personifiziert den Weg, den der Sohn, diese im Entstehen begriffene Biographie, noch vor sich – imaginärer Fluchtpunkt für männliche Sozialisation in der Phase, in der am Horizont des Bewusstseins aufdämmert, dass Leben nicht einfach nur passiert, sondern Möglichkeiten individueller Gestaltung bereit hält.
Vater Morgana – die weiße Wüste, in der der Mann während des Vorspanns entschwindet, drückt auch das zum Fürchten weite Feld dunkler Ahnungen des Sohnes aus von einer noch auszufüllenden Rolle.

Väter lassen sich auch im Kino suchen – für viele Menschen ist Teilnahme an Populärkultur ein wichtiger Schritt bei der Ausbildung eines eigenen Wertesystems: man beginnt, selbst zu bestimmen, wer als Vorbild in Frage kommt. Wahlverwandschaften.
(Viel eher als Goethe fällt mir Musil ein. Dass die Gewinnung ganzer Figurenensembles aus den Facetten einer einzelnen Persönlichkeit zur beliebten Schriftstellermethode avancierte nach Entdeckung der Psychologie, das habe ich das erste Mal kolportieren gehört über den Mann ohne Eigenschaften.)

Dem Kind-Sein entwachsen heißt, auf das offene Meer des Lebens hinauszusteuern. Davon handelt ABOUNA.

Dienstag, 13.07.2004

Neulich stehe ich mit dem Rad unter der Hochbahn am Schlesischen Tor. Ich möchte unversehrt in die Oppelner einbiegen, also warte ich den durchrollenden Berufsverkehr auf der Skalitzer ab – eine Standardsituation. Routiniert schweifen die Gedanken ab, als etwas Größeres mich im mentalen Augenwinkel erwischt und Aufmerksamkeit fordert: ein schwarz-roter Reisebus schiebt sich vorbei. Ein pseudo-origineller Firmen-Name, so weit, so gewöhnlich.
Wertvolle Sekunden verstreichen. Plötzlich zuckt ein kleiner Blitz auf: Was für ein hübscher Alltagssurrealimus, zugeschnitten auf Cinephilie mit Kenntnissen über frühen Experimentalfilm!
Doch bevor ich die Hand an den Fotoapparat kriege, ist es schon zu spät: Ampel auf grün, Bus biegt um Ecke, gleitet aus Gesichtsfeld.

Als Entschädigung müssen wir uns jetzt alle mit diesem Fundstück aus dem Netz begnügen:

Montag, 14.04.2003

tv-hinweis:
heute abend, 14.4., auf arte, um 23:00 Hartmut Bitomskys ‚B-52‘


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