Einträge von Volker Pantenburg

Donnerstag, 22.09.2011

Scene Missing

Ein paar Minuten aus Morgan Fishers STANDARD GAUGE:

»In 1971 I began work as the editor of a low-budget feature that was known under a number of titles. The original title was Blood Virgin. A later title was The Second Coming. The film was finally, albeit briefly, released in 1975 under the title Messiah of Evil. Later on it was re-released, again briefly, under still another title, which I’m not certain of. Not only was I the principal editor of Messiah of Evil, but I also had a bit part as an assistant in an art gallery. I was in two scenes. This is the last frame from one of the takes of the shot in which I make my first appearance.

It’s blurred and over-exposed because the camera had almost stopped. The film was shot in Techniscope, an anamorphic process invented by Technicolor. In the print the image is compressed along the horizontal, and during projection a special lens spreads it back out to normal. The woman in the background is the owner of the gallery. She was supposed to be deaf, dumb, and blind. In this scene I was opposite the female lead, but because of an idiosyncrasy in her delivery it wasn’t the big moment for me that it might have been. After I gave a line, she would pause inordinately before giving hers, so it wasn’t practical to do the scene as a two-shot. Instead the director gave us each a close-up, and the pauses were eliminated in the editing. So, as I recall, I never appeared in the same shot with her.

In my second scene I was supposed to be in an alley behind the gallery, where I was burning paintings by the heroine’s father in order to destroy the evidence that he had been there. This piece is just a few frames run off between takes, but it’s similar to my close-up for the scene, in which I am supposed to be gazing at the paintings as they are consumed by fire. The other person in the frame is the director. This scene turned out to be unnecessary, so it didn’t make it into the final cut.«

[Morgan Fisher: STANDARD GAUGE, USA 1984, zitiert nach Screen Writings. Scripts and Texts by Independent Filmmakers, ed. by Scott MacDonald, Berkeley: California UP 1995, S. 184-185.]

***

Donnerstag 22. September 2011 um 00.00 Uhr auf arte: MESSIAH OF EVIL, USA 1971, Regie: Willard Huyck; offenbar hat Morgan Fisher keinen Credit als Cutter bekommen. Wiederholung am Samstag 24. September um 02.00 Uhr. [TV-Hinweis via]

Donnerstag, 28.07.2011

Linkhinweis

* www.stanvanderbeek.com

[Ein Link zu Vanderbeeks Filmen bei UBU.COM, ansonsten viele sehr schöne PDFs mit Scans von Dokumenten: Malerei, Zeichnungen, Konstruktionsskizzen, Texte etc.]

Samstag, 16.07.2011


[The Grubby Mitts – To a Friend’s House, the Way is Never Long, 7″ white vinyl single]
(*)

Dienstag, 05.07.2011

Amerikanische Kinos (5)

Die Eingangstür zum Eckgebäude 2nd Ave/2nd St. ist aus Metall und ziemlich wuchtig. Immer, wenn jemand das zugige Foyer der Anthology Film Archives betritt, fällt sie mit einem lauten Knall zu und der Steinboden unter den Füßen bebt leicht. Gut möglich, dass die Kartenverkäufer in anderen Kinos binnen kürzester Zeit verrückt davon würden.

Narzisstischer Defätismus: Oft, wenn ich zu einer Veranstaltung wirklich hin möchte, male ich mir erstens aus, alle anderen wollten das auch und denke zweitens, dass es längst ausverkauft ist. Aber um zwanzig nach 6 ist noch nicht viel los, es ist kein Problem, eine Karte zu bekommen. Vor mir in der Schlange steht Luis Recoder, der Installationskünstler, dessen Filme ich zwei Wochen zuvor in New Orleans im Zeitgeist-Artspace gesehen hatte. Es dauert einen Augenblick, bis ich ihn erkenne, er hat sich in der Zwischenzeit den Bart abgenommen. Wir unterhalten uns kurz und tun so, als wäre es das Natürlichste der Welt, sich hier und jetzt wieder zu treffen, dann geht er seine Freundin abholen.

Heute abend stellt Michael Snow Dia-Arbeiten aus der Zeit um 1970 herum vor, es ist der Auftakt zu einer Reihe mit dem Titel „Single Frame“, „a new series focusing on the increasingly outmoded world of slide-based projection.“ Um 19.15 Uhr sind die knapp 70 Plätze des Maya Deren-Theaters ausverkauft, auch auf den Treppenstufen hocken Leute. Neben mir sitzt jemand, der mich fragt, ob ich schon mal was von Michael Snow gesehen hätte, und ich antworte nicht mit nein. Er selbst kenne gar nichts und sei von Amy Taubin hierher geschickt worden, bei der er gerade einen Filmkurs belegt. Amy Taubin hat außerdem erzählt, dass sie in der ursprünglichen Fassung von Wavelength eine Rolle spiele.

Bevor Michael Snow das Wort erteilt wird, gibt einer von den Anthology Film Archives einen kurzen Ausblick auf das Programm ab April; Bette Gordons Filme werden gezeigt, und Serge Bozon präsentiert neben LA FRANCE zwei Filme von Allan Dwan und Jacques Tourneur. Nach den Ankündigungen stellt der symphatische Anthology-Mensch noch kurz die Frage, ob Leute im Publikum seien, die etwas mit der Feuerwehr zu tun hätten. Wenn ja, dann entschuldige er sich hiermit für den überfüllten Saal, wenn nein: bitte nicht weitersagen. Während der Vorstellung läuft er manchmal nach links vorne, um die laut pustende Lüftung zu regulieren oder zum Schweigen zu bringen.

Drei Arbeiten von Snow werden gezeigt. Zuerst SLIDELENGTH, 80 Dias, die vom Filmemacher hinten im Saal durchgeklickt werden und je 15 Sekunden zu sehen sind. Als drittes SIDE SEAT PAINTINGS SLIDES SOUND FILM. Unangefochtener Höhepunkt des Abends: A CASING SHELVED. 45 Minuten lang ist ein einziges Dia zu sehen, darauf ein unaufgeräumtes Regal in Snows Atelier. Das Regal hat zehn Fächer. In der Mitte ist es durch eine vertikale Verstrebung getrennt, so dass symmetrisch links und rechts je 5 Fächer zu sehen sind. In diesem Regal erkennt man gebrauchte Farbtöpfe, Kisten, Stapel mit Papieren, nicht genau zuzuordnende Kabel, solche Dinge. Während das Dia unbewegt auf der Leinwand zu sehen ist, wird ein Audiotape abgespielt. Snow beschreibt, was zu sehen ist. Er beginnt systematisch oben links, schweift dann ab, weil er von einer Farbdose oben links an eine Farbdose unten rechts erinnert wird und dann da weitermacht. Auf diese Weise startet er immer wieder neue Anläufe zur Inventarisierung. Oft sucht er nach dem genauen Wort für eine Sache, erinnert sich, wofür er einen Gegenstand benutzt hat oder dass er etwas anderes immer benutzen wollte für eine Arbeit, es sich aber nie ergeben hat (bis jetzt, denn jetzt ist diese Sache ja Bestandteil dieses Dia-Films). A CASING SHELVED ist sehr simpel, aber es macht ungeheuren Spaß, die verschiedenen Methoden der Beschreibung zu verfolgen. Einmal fängt Snow an zu zählen: „There are one, two, three, four, five…“ bis ungefähr dreißig, und man hat keine Ahnung, wovon er spricht, bis er schließlich anfügt: „things made of plastic in this shelf“. Danach zählt er die Holz- und Metalldinge, dann alle schwarzen, roten, grünen und so weiter. Es könnte ewig so weitergehen.

„Fucking masterpiece“ denke ich begeistert und frustriert, als der Film vorbei ist.

[Donnerstag, 24. März 2011, Anthology Film Archives, 32 Second Avenue, New York, NY 10003]

Samstag, 21.05.2011

Amerikanische Kinos (4)

Das Paramount Theater ist Austins ältestes noch existierendes Kino. Als es 1915 gebaut wurde, hieß es Majestic und war ein Vaudeville-Theater. Zwei Jahrzehnte später konnte man mit Vaudeville kein Geld mehr verdienen, Paramount kaufte das Haus und machte es zum Kino. In einem kleinen Film über die Geschichte des Kinos berichtet einer, dass nach den glanzvollen Vierzigern und Fünfzigern der übliche Abstieg einsetzte. Er erinnert sich daran, wie draußen für THE FIVE FLYING FINGERS OF DEATH mit Bruce Lee geworben wurde, und im Zuschauersaal, der gut gepolsterte 1200 Sitze hat, saßen nur 12 Hartgesottene. Zwar heißt der Film THE FIVE FINGERS OF DEATH und Bruce Lee spielt gar nicht mit, aber so ist das mit der Filmerinnerung. Seit dem Relaunch 1980 wird wieder ein gemischtes Programm angeboten, Konzerte, Theaterstücke, Tanzshows. Während des Festivals darf das Gebäude für eine Woche so tun, als wäre es ganz Kino.

Die Schlange der Akkreditierten zieht sich bis um die Straßenecke. Mich fragt jemand, ob er hier richtig sei für Billy Bob Thorntons Dokumentarfilm über Willie Nelson. Nein, Billy Bob Thorntons Dokumentarfilm über Willie Nelson kommt morgen um die gleiche Zeit. Ich kann ihm nicht sagen, was jetzt hier läuft; diesmal habe ich das Kino ausgesucht und nicht den Film. Die resoluten alten Damen am Eingang tragen rote Uniformen und legen einen professionellen Stoizismus an den Tag, als hätten sie seit THE FIVE FINGERS OF DEATH nichts anderes getan als hier zu stehen und für die notwendige Einhaltung der Regeln zu sorgen. Gegenüber Festivalbesuchern, die ihre Getränke mit ins Kino nehmen wollen, zeigen sie sich unnachgiebig. Auch im prunkvollen Saal stehen einige von ihnen und mahnen die Zuschauer mit strenger Miene, aufzurücken und keine Lücken zu lassen.

ANOTHER HAPPY DAY, mit Ellen Barkin, Ellen Burstyn, Demi Moore. Regie und Drehbuch: Sam Levinson, sein Debütfilm. Situation: Hochzeit. Genre: Dysfunktionale Familie. Ein Sohn heiratet, die traumatisiert in alle Winde zerstreute Familie findet sich zur Feier zusammen. Es gibt noch einen zweiten, bildhübschen Sohn mit Drogenproblem und Depressionen. Es gibt eine Tochter, die sich die Arme ritzt. Es gibt einen Großvater, der einen Hirnschlag nach dem anderen hat. Seinen Tod findet er, als er mit dem Rasenmäher gegen einen Baum fährt. Auf einem schwimmenden Autoreifen treibt der berauschte Sohn abends spät ins offene Meer hinaus. Giftige Auseinandersetzungen zwischen der Exfrau und der neuen Gattin des Vaters. Zum Ende hin schaukelt sich die Sache immer höher: Musik, Bild, Dialoge, alles drückt aufs Sentiment, und der Film zieht das durch, ohne Gnade. Gegen jede Wahrscheinlichkeit gefällt mir das sehr. Der Film ist toll, und zugleich würde ich niemandem empfehlen, ihn anzuschauen.

Einmal beschimpft die nervlich angeschlagene Mutter (Ellen Barkin) ihren Sohn als Son of a bitch, und er kontert blitzschnell: You just insulted yourself.

[Freitag, 18. März 2011, Paramount Theater, 713 Congress Avenue, Austin, TX 78701]

Dienstag, 17.05.2011

Materialien zur Historiographie prekärer Arbeitsverhältnisse (3)

Viele der Statements, die am 10. April 1969 an der New York School of Visual Arts abgegeben wurden, sind zu kanonischen Texten der Institutional Critique geworden. Hintergrund der Protestveranstaltung war der Konflikt zwischen New Yorker Künstlern und den Museen der Stadt, insbesondere dem MoMa. In der »art workers’ coalition open hearing presentation« forderte Gregory Battock: »Do you realize that it is those art-loving, culturally committed trustees of the Metropolitan Museum who are waging war in Vietnam? Well, they are. They are the very same people who called in the cops at Columbia and Harvard; and they are justifying their sick, disgusting slaughter of millions of people struggling for independence and self-determination by their precious, conscious support of ART. Anyone who lends themselves to this fantastically hypocritical scheme needs their head examined.«

Neben Carl Andre, Dan Graham, Joseph Kosuth, Lee Lozano, Lucy Lippard, Hans Haacke und vielen anderen Künstlern nahmen auch ein paar Filmemacher an der Veranstaltung teil, namentlich Len Lye und – mit einem gemeinsamen Papier – Ken Jacobs, Michael Snow und Hollis Frampton. Hier ein Auszug aus ihrem Statement:

Alle Forderungen und Reden, die an diesem Tag zu hören waren, sind hier – auf der ohnehin sehr materialreichen Seite von Primary Information – versammelt. Der Text von Frampton, Jacobs und Snow wurde einen Monat später unter dem Titel »Filmmakers versus the Museum of Modern Art« im Filmmakers Newsletter (vol. 2, no. 7, May 1969) veröffentlicht. Viel hat sich – zumindest bis 1973 – nicht geändert, siehe Hollis Framptons Brief an Donald Richie hier.

Dienstag, 10.05.2011

Robert Beavers im Arsenal


[Work Done (1972/1999), (c) Robert Beavers]

Die Retrospektive von Robert Beavers‘ Gesamtwerk im Österreichischen Filmmuseum war eins der schönsten Ereignisse des letzten Jahres.

Harry Tomicek schreibt in der begleitenden Broschüre: »Es kommen bei Beavers also auf magische und auf eigens hervorgehobene hervortretende Art Dinge stets gedoppelt zum Vorschein: als sie selbst und als gefilmt. Oder, brüsk gesagt: als Hand, Baum, Buch einerseits, als vom Film Erschaffenes andererseits. So verzweigt sich jede Arbeit Beavers’ in die Welt und in den Film, um die von ihr getrennten Wirklichkeiten in einem gesuchten, hergestellten Maß erneut zu vereinen. Nichts anderes als dies ist die Sprache von Beavers-Filmen.«

Die Gelegenheit, Beavers’ Filme zu sehen, ist selten. Am kommenden Sonntag werden EARLY MONTHLY SEGMENTS (REEL 1) (1968-69/2002), THE GROUND (1993-2001), PITCHER OF COLORED LIGHT (2007) und THE SUPPLIANT (2010) im Berliner Kino Arsenal gezeigt. Die zwei erstgemannten sind Teil des umfassenden Filmzyklus MY HAND OUTSTRETCHED TO THE WINGED DISTANCE AND SIGHTLESS MEASURE, die beiden anderen nach dessen Fertigstellung entstanden.

Nach der Vorstellung spricht P. Adams Sitney mit Robert Beavers.

Sonntag, 15. Mai
19:30 Uhr
Kino Arsenal

Ein ausführliches Gespräch zwischen Beavers und Tony Pipolo findet sich hier (als html) und hier (als PDF, 8,6 MB).

Sonntag, 01.05.2011

Film maudit / Introduction / World Cinema

Auf der Website des Caboose-Verlags ist ein sehr schöner Scan des Katalogs zum »Festival du film maudit, Biarritz, France, July–August 1949« herunterzuladen (PDF, 56,5 MB).

***

JEAN‐LUC GODARD: But maybe I should explain a little what’s happened, that I’ve come here, that I have an agreement with the Conservatory…

SERGE LOSIQUE: I already explained that.

You explained it? All right, we’ll . . . Oh, I can explain it, maybe I’ll explain it a little differently.

SERGE LOSIQUE: If you like, by all means, you’re the head gardener.

You spoke about gardening?

SERGE LOSIQUE: Exactly.

Für 2012 beim gleichen Verlag angekündigt: Die Englische Erstübersetzung von Godards »Introduction to a True History of Film and Television«. Eher als um eine Übersetzung handelt es sich dabei um eine komplette Neutranskription nach der Videoaufzeichnung der Veranstaltungsreihe von 1978. Wie stark sich diese Fassung von der Französischen Buchversion (und von Frieda Grafes & Enno Patalas‘ Deutscher Übersetzung) unterscheiden wird, lassen zwei kurze Auszüge ahnen:

* First Voyage, Part One, Friday 14 April 1978

* Third Voyage, Part One, Friday 9 June 1978

***

Auch interessant: Die Reihe Critical Filmographies of World Cinema, deren Band zu Südamerika hier verfügbar ist.

Amerikanische Kinos (3)

Im Alamo Drafthouse nehmen die Kellner kurz vor dem Film die Bestellung auf, servieren im ersten Akt das Essen und die Getränke, bringen nach dem zweiten die Rechnung und nehmen die Kreditkarten mit, um spätestens beim Abspann die Quittung unterschreiben zu lassen. Dass dies nicht stört, ist zu gleichen Teilen der Unauffälligkeit des Personals und der Dienstbarkeitsarchitektur des Kinosaals geschuldet: Die Verkehrswege der Kellner sind tiefergelegt, statt durch die Sichtachse der Zuschauer laufen sie hinter dem Rücken der fünf Fuß tieferen Vorderreihe entlang.

Das Grilled Chicken Club Sandwich kann ich empfehlen, es kostet $ 9,99.

Im SXSW-Programm war mein Blick auf ROAD TO NOWHERE von Monte Hellman gefallen, eine Nachmittagsvorstellung um 5 pm. Zwei Stunden früher läuft ein anderer Film, INSIDE AMERICA, von einer österreichischen Regisseurin. Sechs Teenager an einer texanischen High School. Die Highschool-Schönheit, die in Wirklichkeit unglücklich ist, der schüchterne Idiot, die gangmäßigen Latino-Prolls. Deren Linien, man ahnt es, werden sich im weiteren Verlauf des Films kreuzen. Jetzt wird der österreichische Kontingenzfilm tatsächlich schon nach Amerika exportiert!

Hellmanns Film ist toll. Ludger Blanke hätte bei so einem Film landen können, wenn er weitergemacht hätte mit dem Filmen. Der TOD-DES-GOLDSUCHERS-Blanke, mit dem Aus-der-Rolle-Fallen und der unangestrengten Freiheit, die sich für das Erzählen daraus ergibt. Man würde das nicht denken bei ROAD TO NOWHERE, wenn man liest, dass hier zum x-ten mal die Geschichte vom Filmregisseur erzählt wird, der mit seinem Film nicht zu Rande kommt.

Der Film ist mit dem Canon-Fotoapparat gedreht, von dem seit Cannes 2010 alle reden. Ein krispes, beinah überscharfes Bild, das mich an den Moment erinnert, an dem ich als Jugendlicher meine erste Brille bekam. Ich wusste nicht (oder hatte es vergessen), dass die Welt auch in scharf existierte. Niemand hatte mich auf diesen Schock vorbereitet, aber ich gewöhnte mich daran so schnell ich mich hier an den neuen Bildtypus gewöhne. Ich würde sagen, dass die Glätte der Oberflächen und Konturen aus dem hochauflösenden Video kommt und die Raumverhältnisse aus dem klassischen Kino. Der Regisseur des Films, der in Hellmans Film gedreht wird, liegt zwischendurch dreimal mit der Hauptdarstellerin auf dem Bett und guckt Filme auf einem großen Plasma-Schirm. Einmal einen Noir mit Barbara Stanwyck, dann Erices SECRETS OF THE BEEHIVE, dann DAS SIEBENTE SIEGEL von Bergmann. Nach den Filmsichtungen ist er immer völlig erschöpft. »Fuckin’ Masterpiece« sagt er frustriert, als der Abspann von SECRETS OF THE BEEHIVE über den Bildschirm rollt.

Hellman selbst ist zur SXSW-Vorstellung nicht da, aber seine Tochter, die den Film produziert hat. Vor dem Film bittet sie um einen Applaus für Warren Oates’ Tochter, die auch im Saal sitzt. Als ich aus dem Kino komme, scheint die Sonne noch auf den Mall-Komplex, in dem das Alamo South Lamar liegt.

[Mittwoch, 16. März 2011, Alamo South Lamar, 1120 South Lamar Boulevard, Austin, TX 78704]

Sonntag, 17.04.2011

Amerikanische Kinos (2)

Das „Zeitgeist“ in New Orleans ist kein Kino, es nennt sich Multi-Disciplinary Arts Center. Was nach unterkühltem Kunstort klingt, ist ein angenehm provisorischer, großer Raum mit zusammengewürfelten Sitzmöbeln. Seit 1986 gibt es „Zeitgeist“, sie haben nie einen Dollar Subventionsgelder erhalten, betont der stämmige Mann in Shorts, der vor den Filmen ein paar Worte sagt. Vorher verkauft er Bier an der Theke. Er weist auch darauf hin, dass man, wenn man während der Vorstellung aufs Klo gehe, das Licht erst dann anmachen soll, wenn die Klotür zu ist, sonst scheint es in den Projektionssaal hinein. Bevor er das Wort an den Organisator des Abends übergibt, macht er Werbung für die Filme von Helen Hill, die man – auf DVD – an der Kasse für 20 Dollar kaufen kann. Mit dem Geld soll eine Filmkopie finanziert werden, damit ihr letzter Film fertiggestellt und auf einem Festival gezeigt werden kann. Helen Hill ist am 4. Januar 2007 in ihrem Haus in New Orleans ermordet worden, sie war 36 Jahre alt.

An diesem Abend werden zwei Projektionsperformances von Luis Recoder und Sandra Gibson gezeigt. Die beiden haben ihre Arbeiten nachmittags auf der Konferenz vorgestellt, dies ist nun der praktische Teil. Ich habe vergessen, wie die beiden Performances heißen, aber beide basieren (wie die meisten Arbeiten von Recoder/Gibson) auf kleineren oder größeren Modifikationen der 16mm-Projektoren. Bei ihrer Präsentation nachmittags gab es eine Arbeit zu sehen, bei der in einer Galerie ein Projektor steht, dem die Auffangspule fehlt. Das Filmmaterial fällt auf den Boden der Galerie und türmt sich dort zu einem verknäulten Berg, solange die Ausstellung dauert.

Die Eingriffe bei den beiden Arbeiten heute abend sind komplizierter. Bei der ersten, etwa 30 Minuten lang, kommen zwei Projektoren zum Einsatz, die unscharfe und an den Rändern ausgefranste Farbflächen projizieren. Die beiden Bilder lagern sich übereinander, lösen sich von der Wand ab, bekommen eine flüchtige Räumlichkeit, geraten ins Flattern. Wie der atmosphärische elektronische Klang damit zusammenhängt, ist nicht ganz klar. Als eines der Bilder zwischendurch einmal etwas an Schärfe gewinnt, merkt man, dass den abstrakten Farbflächen ein konventioneller Erzählfilm zugrundeliegt, man kann Schuss- Gegenschuss-Passagen ausmachen. Ein besonders gut präparierter Filmkonferenzteilnehmer wird später in der Lage sein, den Film zu identifizieren. Die beiden Künstler sagen aber, dass ihnen der Film egal ist, es gehe ihnen nur um die Farben und Rhythmen (Komisch, denke ich, was soll denn Film anderes sein als Farben und Rhythmen).

In der zweiten, stummen Performance hat das Bild zwar rechts und links Grenzen, aber oben und unten setzen sich seine Farben als bunte, vertikale Streifen auf dem Boden und die Decke entlang wie ein langer, schmaler Vorhang fort, der sich wogend nach links und rechts bewegt. Ich bin mir nicht sicher, ob dies der perfekte Film für Tapetenverkäufer oder im Gegenteil ihr Alptraum ist. Man könnte, sollte oder müsste bei dieser Performance vielleicht aufstehen und im Raum umhergehen. Aber um mich herum steht niemand auf und geht im Raum umher, und also stehe auch ich nicht auf und gehe im Raum umher.

[Freitag, 11. März, Zeitgeist Multidisciplinary Arts Center, 1618 Oretha Castle Haley Blvd., New Orleans, LA 70113-1311]


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