Einträge von Volker Pantenburg

Samstag, 09.04.2011

Amerikanische Kinos (1)

An der 23. Straße liegt das „Clearview Chelsea“, ein Multiplex mit 7 oder 8 Sälen. Ich frage an der Kasse, ob es noch Karten für LIMITLESS gibt, der letzte Woche angelaufen ist. Noch eine, sagt die Kassiererin; wenn das kein Zeichen ist. Zwei Rolltreppen höher liegt Kino 6, ein großer Saal mit sanft wegsackenden Rückenlehnen, die Vorschau für andere Filme läuft schon. Zum Glück sind Kinotickets hier keine Platzkarten, deshalb heißt „letztes Ticket“ nicht automatisch Olaf-Möller-Memorial-Seating, erste Reihe Mitte.

Der Film handelt von einem verwahrlosten Typen, der sich für einen Schriftsteller hält, aber trotz Book Contract keine Zeile zu Papier bringt. Von einer dubiosen Straßenbekanntschaft, einem Typen, den er früher mal kannte, bekommt er eine Pille zugesteckt, durch die er die 80% seines Gehirns aktivieren kann, die ansonsten ungenutzt bleiben. Blitzartig durchfluten ihn Klarsichtigkeit und Konzentration. Er räumt seine runtergekommene Wohnung auf, schreibt das Buch in vier Tagen runter, avanciert binnen kürzester Zeit zum Top-Broker, lernt beim Joggen sämtliche Fremdsprachen und erobert seine Exfreundin zurück. All das, weil er in der Wohnung des Bekannten, der mit Kopfschuss auf dem Sofa sitzt, eine stattliche Anzahl dieser Pillen findet und seine gedanklichen Kräfte damit auf konstant hohem Niveau halten kann. Wie üblich im Genre des Wahrnehmungsveränderungsfilms muss LIMITLESS einen Weg finden, den Mind-Boost in Bildideen zu übersetzen. Die Superpille ist ein Platzhalter dafür, was die Jungs aus der Special-Effects-Abteilung so können. Hier sieht das aus wie Google Streetview im Turbogang, ein Hindurchfliegen im Tunnelblick, ein Morphen und Verzerren der Perspektiven, abrupte Close-Ups, weil man unter dem Einfluss der Pille die Details genauso schnell erkennt wie das Gesamtbild. Oft müssen auch die kristallblauen Augen Bradley Coopers und sein verzücktes Lächeln uns versichern, wie hellsichtig er ist. Wenn das Vertrauen in die Bilder ganz schwindet, schaltet der Regisseur, sicher ist sicher, noch ein Voice-Over des Protagonisten hinzu.

Interessanter als der Film ist das Publikum, das stärker mitgeht als ich es kenne. Geistesgegenwärtig hat der Protagonist Spülhandschuhe angezogen, als er das verwüstete Apartment des toten Freundes durchsucht. Da klingelt die Polizei an der Tür, und er will schon öffnen, aber aus dem Publikum rufen einige „The Gloves!“. Das leuchtet ihm ein und er zieht die Handschuhe schnell noch aus, um sich nicht zu verraten. Auch sonst geben die Zuschauer verschiedentlich Tips und Hinweise. Als er feststellt, dass seine Pillen aus der geheimen Anzugtasche – Design of Bradley Cooper’s suits: Tom Ford – verschwunden sind, geben sie Vermutungen ab („The Lawyer!“) und signalisieren angeekelte Empörung, als er am Ende, völlig auf Entzug, das Blut eines grad umgelegten Bösewichts aufleckt, weil darin noch eine stattliche Dosis des Wirkstoffs zu vermuten ist. Die Zuschauer sind auch überrascht, weil in den Dialogen, die der Protagonist mit dem großen Unternehmensboss (Robert DeNiro) führt, mehrmals von den Ölvorkommen in Libyen und der strategischen Wichtigkeit des Landes die Rede ist. Wenn das Wort Libyen fällt, wispern manche und versichern sich, dass damit das Land gemeint ist, das seit ein paar Tagen von den USA und anderen bombadiert wird.

[Dienstag, 22. März, Chelsea Clearview, 260 West 23rd Street, New York, NY 10011]

Freitag, 01.04.2011

Interesting line up

Tarnt sich als Medienarchäologie, wirkt wie ein Hoax, ist aber wahrscheinlich nur Kunst:

The ARPANET Dialogues
an archive of rare conversations within the contemporary social, political, and cultural milieu

Folge I:
ARPANET Test 1975 with Marcel Broodthaers, Jane Fonda, Ronald Reagan & Edward Said.

Mittwoch, 30.03.2011

Heaven and Hell

»I am not a believer in heaven or hell, but your channel has definately beem sent to me by a higher power. Bless you my friend – for your channel is pure ecstacy for true lovers of film!!!!«

Ein User des Channels Early Cinema bei YouTube. Massenhaft Filme von Lang, Griffith, Dwan, Kozintsev & Trauberg, Feuillade, Gance usf.

Mittwoch, 23.03.2011

Agee in Austin

L. hatte mich gefragt, ob ich auch Dokumente aus dem Harry Ransom Center sehen wolle, während ich hier in Austin bin. Ich war der Sache nicht weiter nachgegangen, aus Deutschland und Frankreich weiß ich, wie kompliziert es üblicherweise ist, Quellen aus einem Archiv zu bekommen. Anmelden, bezahlen, lange warten, all das. Jetzt denke ich, ich sollte da doch mal vorbeigehen. Bei der Registration werde ich gefragt, „welche Sammlung“ mich interessiert und stehe sofort auf dem Schlauch. Schnell sage ich, dass ich zum Film „The Night of the Hunter“ forsche. Die sehr freundliche Angestellte zeigt mir, wie der Computer funktioniert und wie ich mich durch die Sammlungen klicke um zu prüfen, ob es etwas zu dem Film gibt. Das alles hätte ich auch von Deutschland aus machen können.

Man braucht nicht lange um zu merken, dass hier die tollsten Schätze liegen und sofort einsehbar wären: der gesamte Nachlass von David O. Selznick, der von Gloria Swanson und tausenderlei anderes, vor allem auch von Schriftstellern und Musikern. 2006 hat Robert De Niro seinen Vorlass hierhergegeben, ich könnte mir seinen Taxischein für Taxi Driver angucken. Von De Niro wiederum hat Paul Schrader von dem Archiv erfahren und 2010 seine Sachen nach Austin gebracht. Don DeLillo, Norman Mailer, alle haben ihre Sammlungen dem HRC anvertraut.

Beim Suchen nach „Night of the Hunter“ finde ich heraus, dass es eine „James Agee Collection 1928 to 1969″ gibt. Insgesamt 14 Kisten. Ich lasse mir eine davon kommen, das dauert ca. 30 Minuten. Viele handgeschriebene Sachen, und dann 72 Seiten mit dem Titel „NIGHT OF THE HUNTER, List of superimposing instructions, action description, and English master titles“. Das ist ein blauer Durchschlag, schreibmaschinengeschrieben. Keine Ahnung, warum Agee die Dialogliste und die technischen Instruktionen für die Projektionisten gemacht hat, vielleicht ein Job, um ihm Geld zu verschaffen, wo von seinem telefonbuchdicken Drehbuch ja nichts übrig blieb im Film und Grubb/Laughton binnen kürzester Zeit alles neu schrieben. Immerhin: hier erfahre ich die exakte Länge des Films, blau auf weiß, von Agee höchstpersönlich: „Exhibition Footage: 8296 plus 6 frames. Reels (single): 10. Running time: 92 minutes and 11 seconds.“

Weil noch ein bisschen Zeit ist, schaue ein paar weitere Agee-Manuskripte an: Auf dem „Piece for the NY Times“, in dem er über die Unterschiede zwischen dem Filmkritikersein und dem Scriptwritersein berichtet, ist gleich auf der ersten Seite ein dicker Ring von einer Kaffeetasse. Lang lebe das Klischee! Ich lasse mir noch frühe Briefe von Thomas Pynchon bringen. Er hat mit wenig Zeilenabstand auf kariertem Papier getippt, das sieht einigermaßen idiosynkratisch aus, vielleicht war es aber auch einfach billiger. In einem Brief von 1962 schreibt er: „It seems to me that in these uncertain times the sight of a bright and charming couple sharing all the advantages of togetherness can almost restore ones faith in a just and merciful providence.“

Danach kommt ein Satz darüber, wie fucked up sein Sexleben zurzeit ist.

Freitag, 11.03.2011

Filme von Thomas und Veit Harlan

11.03. – 02.04.2011
Filmmuseum München

JUD SÜSS – 11.03, 18:30 Uhr (Einführung: Stefan Drößler)
JEW SÜSS – 12.03, 18:30 Uhr
HARLAN – IM SCHATTEN VON JUD SÜSS 13.03, 18:30 Uhr (Zu Gast: Felix Moeller)
WUNDKANAL – 15.03, 21:00 Uhr
VERRAT AN DEUTSCHLAND (DER FALL DR. SORGE) – 18.03, 18:30 Uhr
THOMAS HARLAN – WANDERSPLITTER – 19.03, 18:30 Uhr
VEIT; ICH SELBST UND KEIN ENGEL – 20.03, 17:30 Uhr (Zu Gast: Michael Farin)
UNSTERBLICHE GELIEBTE – 22.03, 21:00 Uhr
ANDERS ALS DU UND ICH (§ 175) – 23.03, 21:00 Uhr
SUNRISE (SONNENAUFGANG) – 25.03, 18:30 Uhr
DIE REISE NACH TILSIT – 26.03, 18:30 Uhr
TORRE BELA – 29.03, 18:30 Uhr
JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN – 01.04, 18:30 Uhr
JUD SÜSS – EIN FILM ALS VERBRECHEN? – 02.04, 18:30 Uhr

Dank für den Hinweis an Florian Geierstanger, der die Termine als Kommentar zum vorherigen Eintrag gepostet hat.

Donnerstag, 03.03.2011

Why can’t digital and celluloid coexist?

Im Guardian vom 22. Februar: Tacita Dean über die Schließung des (wie sie schreibt) letzten britischen Filmlabs, das noch 16mm Kopien hergestellt hat: Save Celluloid, for Art’s Sake.

In den erstaunlich vielen, meist gut informiert wirkenden Kommentaren nicht nur das übliche Digitalversusanalog-Pingpong, sondern auch mehrere Hinweise, dass es durchaus noch Anbieter gebe, die 16mm entwickeln, auch in London: »iLab a lab in soho on Poland street still develop 16mm and they do an amazing deal.« (*) | »I phoned Film and Photo, Acton (also Notting Hill) and they apparently print 16mm from negative. They are bemused and don’t understand what the fuss is about…« (*) | »Another lab which will make 16mm colour prints from negative: Prestech, restoration and preservation, North London. That took 2 phone calls. Did anyone research this article?« (*) (derselbe Kommentator, 20 Minuten später).

Interessant auch die Einschätzung von Peter Gidal (von dem ich annehme, dass es Peter Gidal ist und nicht irgendwer, der sich »Peter Gidal« nennt). Er kritisiert im klassischen Experimentalfilmer-Gestus Deans Strategie, Martin Scorsese und Steven Spielberg brieflich um Hilfe zu bitten, damit »Soho Filmlabs« weitermacht mit 16mm:

»tacita dean has unfortunately erred in writing to reactionary filmmakers in hollywood for their ‚help‘ in keeping open a lab for the making of experimental 16mm films. so whilst doing all she can (as quite a few of us are doing and have done) to insure soho filmlabs stays open, she misses the point both of art and politics in this manner. having used soho labs, and len thornton’s expertise, for decades with utter satisfaction for incredible precision and competence i can only hope if it stays open it’s because of – and for – the experimental 16mm filmmaking in this country, not for simple commerce, not even primarily for ‚film art‘ (though for that too), and also not for the british film institute’s needs, an entirely other matter (for they truly know not what they do).

peter gidal« (*)

Samstag, 19.02.2011

Vorwort

Allzu viele mussten meine verwegene Charakter- und Lebensmelange ertragen […].

Montag, 07.02.2011

Miriam Hansen, 1949-2011

»An der University of Chicago liebte ich Miriam Hansens Arbeit über die Moderne und frühes Kino, und ihr grossartiges Seminar über die Frankfurter Schule und Massenkultur. Sie duldete keine Täuschung – man musste wirklich in der Lage sein, die Argumente aus den scheinbar kompliziertesten Texten präzise zusammenzufassen.« (David Grubbs in der Berliner Gazette)

Als ich ihr diesen Fund schickte (David Grubbs-Fan, Miriam Hansen-Fan: überrascht über diese schöne Verbindung), schrieb sie zurück:

»It’s always strange to read about oneself as part of a history.«

Nach langer Krankheit ist Miriam Hansen nun gestorben. Hier eine Würdigung und Hinweise auf weitere Texte von ihr und über sie.

Mittwoch, 26.01.2011

Websitehinweis

Eine sehr schöne Seite zu Godards SAUVE QUI PEUT (LA VIE) gibt es hier:

http://everymanforhimself.info/

Links zu Artikeln als PDFs, Fotos von den Dreharbeiten, der Soundtrack zum Runterladen etc. pp.

[via]

Montag, 24.01.2011

Einreise

Mir erzählte gestern jemand, dass Manoel de Oliveira vor einiger Zeit Probleme bei seiner Einreise in die USA gehabt habe. Der Beamte, der die Papiere des Regisseurs prüfte, hielt den Pass für eine – noch dazu dilettantisch gemachte – Fälschung und bestand auf der Absurdität des Dokuments: Wenn die Zahlen stimmten, wäre der agile Mann ja über 100 Jahre alt. Wie de Oliveira aus der Sache herausgekommen ist, ist mir nicht bekannt.


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