Einträge von Volker Pantenburg

Sonntag, 14.03.2010

PODWÓRKA

Ich wusste, dass Sharon Lockhart ihren Film DOUBLE TIDE, bei der Berlinale im Forum gezeigt, mit Robert Gardners Bolex-Kamera gedreht hat. Wie das genau vonstatten ging, ob es also derart große Magazine für eine Bolex gibt, dass darin Material für knapp 50 Minuten Platz findet, wusste ich nicht. Das war eine kleine Irritation, denn für mich sah es so aus, als bestehe der Film aus zwei sehr langen Einstellungen. James Benning, dessen Film RUHR und insbesondere die letzte Einstellung des Films ausgreifende Diskussionen und Klarstellungen in den Kommentarspalten verschiedener Web-Seiten provoziert hat, erläutert nun in diesem Interview, dass Lockhart für den Film insgesamt 10 Einstellungen von je 10 Minuten Länge gedreht hat. Die Muschelsammlerin Jen Casad, die bei der Verrichtung ihrer Arbeit gezeigt wird, hat, so Benning, immer dann, wenn eine Rolle zuende ging, in der Bewegung innehalten müssen, um nach dem Rollenwechsel die Bewegung an der gleichen Stelle fortsetzen zu können. Der Film wurde dann auf HD überspielt, um die Einstellungen am Computer, nehme ich an, nahtlos miteinander zu verschweißen.

Auch Lockharts Film PODWÓRKA, ebenfalls von 2009, ist auf 16mm gedreht und wird digital projiziert. Auf der Berlinale war er etwas versteckt in einem Kurzfilmprogramm von »Forum Expanded« zu sehen. Seit letzter Woche und noch bis zum 10. April läuft er in der Galerie Neugerriemschneider in der Linienstraße 155, Berlin. PODWÓRKA ist das polnische Wort für »Hinterhof«. In sechs solchen Hinterhöfen der Stadt Lodz – es wird mir nicht gelingen, die korrekten Akzente und Buchstaben dieses Städtenamens auf der Tastatur zu finden – spielt der Film und spielen die Kinder und Jugendlichen, die in Lodz leben. PODWÓRKA ist 31 Minuten lang und sehr schön.

Donnerstag, 11.03.2010

Erziehung der Gefühle

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Schon vor ein paar Tagen hatte mir ein Freund aus Paris den Hinweis auf einen Artikel in Les Inrockuptibles (Ausgabe 742, 17. Februar 2010) geschickt. Jean-Marc Lalanne schreibt dort über den Abend zu Ehren Eric Rohmers, der am 8. Februar in der Cinémathèque française stattfand. Der Text endet so:

»Aber den Schock des Abends löste die Entdeckung eines kleinen Films von Jean-Luc Godard aus, den er für den Anlass gemacht hatte. Auf einer schwarzen Leinwand erscheinen nacheinander die Titel der bekanntesten Artikel Rohmers in den Cahiers. Aus dem Off gesprochen evoziert Godard unsichere Bilder aus lange vergangenen, unschuldigen Tagen: zwei junge Freunde, in einer nächtlichen Unterhaltung; die selben beiden in der Küche der Mutter des einen, die ihnen zu essen macht, während sie weiter über Filme diskutieren… Selten hat man Godard über so persönliche Dinge sprechen hören, ganz einfach und ungeschützt. Der Film endet mit einer flüchtigen Einstellung des Filmemachers, etwas scheu vor seiner Webcam. Schon ist er verschwunden. Man würde ihn gern festhalten. Man würde sie beide gern festhalten.«

Nun kommt von Markus Nechleba eine Mail, dass dieser Film von Godard inzwischen auf den Seiten der Cinémathèque zugänglich ist, zusammen mit sehr viel weiterem Material von diesem Abend. Von den Rohmer-Titeln sind mir viele fremd; vertraut dagegen sind mir die letzten Sätze, die Godard in die Kamera spricht:

– C’est là ce que nous avons eu de meilleur ! dit Frédéric.
– Oui, peut-être bien? C’est là ce que nous avons eu de meilleur ! dit Deslauriers.

So endet der wahrscheinlich größte Desillusionierungsroman des 19. Jahrhunderts, Flauberts L’Éducation sentimentale. Flauberts »peut-être bien« lässt Godard weg.

Sonntag, 21.02.2010

Abgesicherter Modus

In den letzten drei Wochen hatte er so viel über die copy + paste-Generation gelesen, dass er anfing, sich in die speichern oder abbrechen-Zeiten zurückzusehnen. Eher skeptisch schaute er in die Zukunft, in der, so fürchtete er, die suchen und ersetzen-Leute das Sagen haben würden.

Samstag, 13.02.2010

Als ich las, dass die Bezeichnung »Public Viewing« im amerikanischen Sprachgebrauch die öffentliche Aufbahrung eines Leichnams bezeichnet, von dem sich die Verwandten und Freunde verabschieden, erinnerte mich das an die documenta 11, bei der die englischsprachigen Besucher auf Informationstafeln darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie ihre Body Bags nicht mit ins Fridericianum hinein nehmen durften.

Donnerstag, 21.01.2010

New York Cut the Crap

Gary Dobermans Artikel „New York Cut the Crap“, eine Invektive gegen die intellektuellen Ostküstenfilmemacher des Strukturellen Films, wurde in der Hauszeitschrift von Canyon Cinema, CINEMANEWS, 1979 in so kleiner Schrift publiziert, dass man praktisch eine Lupe brauchte, um ihn lesen zu können.

Diane Kitchen, die gemeinsam mit Gunvor Nelson kurz danach die Redaktion des Magazins übernommen hatte, beschloss daraufhin, den Text erneut abzudrucken, diesmal allerdings noch kleiner, so dass eine Lektüre wirklich ausgeschlossen war. Bei der Produktion des Heftes, so Kitchen, hätten sie sich vor Lachen kaum halten können.

[erzählt nach: Scott MacDonald: Conversation with Diane Kitchen, March 2002, in: Scott MacDonald: Canyon Cinema. The Life and Times of an Independent Film Distributor, Berkeley: University of California Press, S. 182]

Montag, 18.01.2010

Erinnerungen eines Filmkritikers an das Jahr 1965

Wir haben ein altes Grab auf einem Friedhof entdeckt.
Wir haben das Grab geöffnet.
Wir haben den Sarg rausgetragen.
Wir haben den Sarg geöffnet.
Wir haben eine Mumie gefunden.
Uns ist es gelungen, die Mumie zum Leben zu erwecken.
Die Mumie hat einen Film gemacht.
Und dieser Film war GERTRUD.

*

Das erzählt Michel Delahaye im zweieinhalbstündigen Porträt LE CARRÉ DE LA FORTUNE, F 2007, Regie: Pascale Bodet und Emmanuel Levaufre. Im Hintergrund sind lautes Löffelklappern und Gespräche von den Nebentischen im Café zu hören, deshalb habe ich nicht genau verstanden, ob er das über sich selbst, damals bei den Cahiers an der Seite von Rivette, oder über andere Filmkritiker sagt. Über sich selbst sagt er jedenfalls, dass er damals über Carl Theodor Dreyers Film hätte schreiben sollen, das aber ablehnte: Er glaubte nicht, dem Film gewachsen zu sein. Dass es ein zweieinhalbstündiges Porträt von Michel Delahaye gibt, finde ich erstaunlich; damals, als ich ein paar Notizen zu Delahaye schrieb, dachte ich, das sei der Auftakt zu einer Reihe von Texten, die ich »Zentrale Nebenfiguren des französischen Kinos« nennen wollte. Daraus wurde nichts, das heißt, doch: die Reihe existiert weiterhin in meinem Kopf, ich habe sie nur nicht geschrieben. Die zweite Folge hätte von Jean-François Stévenin handeln sollen, und vielleicht kann man auch den Moullettext als Beitrag gelten lassen. Jetzt also diese DVD mit dem Delahaye-Porträt. Über Delahaye könnte man in etwa das sagen, was er über Dreyer sagt: Er schien begraben, bis ihn ein paar junge Kritikerinnen und Kritiker von La lettre du cinéma, darunter neben Bodet und Levaufre auch Serge Bozon und Axelle Ropert, Ende der 90er Jahre wiederbelebten. Dafür ist dann vor einigen Jahren La lettre du cinéma verstorben, vor allem, weil die Redaktionsmitglieder sich verstärkt den eigenen Filmprojekten zuwandten. Es ist merkwürdig, dass sich Baudet und Levaufre mit Delahaye in das lauteste Café von ganz Paris setzen (oder mit einem Mikrophon arbeiten, dass jedes Café zum lautesten von Paris macht), vielleicht ist es sein Lieblingscafe. Später wird das mit dem Ton offenbar besser, da befragen sie ihn in seiner Wohnung, schreibt mir ein Freund, aber so weit bin ich noch nicht.

Freitag, 15.01.2010

Radio

Wenn ich die Ankündigung bei France Culture richtig verstehe, sind die letzten Interviews, die Eric Rohmer vor seinem Tod gegeben hat, in eine sechsteilige Radiosendung eingegangen, die von heute bis zum 23. Februar auf dem französischen Sender zu hören ist. Die Sendung heißt »Le celluloïd et le marbre« wie Rohmers Artikelserie von 1955 und die Cinéastes de notre temps-Folge, in der er 1965, kurz nach dem Richtungsstreit bei den Cahiers, unter anderem Victor Vasarely, Iannis Xenakis, Claude Simon und Pierre Klossowski nach ihrer Auffassung vom Kino fragte.

Le Celluloïd et le Marbre
par Noël Herpe & Philippe Fauvel
Une réalisation de Manoushak Fashahi. Lectures de Pascal Greggory.

1. Folge: Le Bandit philosophe | 2. Folge: De la métaphore | 3. Folge: Le Siècle des peintres | 4. Folge: Architecture d’apocalypse | 5. Folge: Beau comme la musique | 6. Folge: Vers le cinéma

Heute um 23.00 Uhr die ersten beiden Folgen, danach ein Gespräch mit Noël Herpe und Philippe Fauvel. Alle Folgen werden zwischen dem 15. und 23. Februar jeweils um 23 Uhr im Rahmen der Sendreihe Les Passagers de la nuit ausgestrahlt.

[Dank an Pierre Gras für den Hinweis.]

Freitag, 08.01.2010

Politique des monteurs

»Absurd: Für den US-Kinoeinsatz wurden alle Gags rausgeschnitten!«

[Anon.: Kurztext über BULLDOG JACK, GB 1935, Regie: Walter Forde, mit Fay Wray, in: TV Spielfilm, o.J.]

Freitag, 01.01.2010

ALL TALKING! ALL SINGING! ALL DANCING!

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[Bescheidene Meta-Ergänzung zu Rainer Knepperges‘ Eintrag vom 13. Dezember 2009. Nicht aus einem Film, sondern aus dem Leporello zur sehr schönen Jacques-Demy-Box, erschienen 2008 bei Cine-Tamaris; das Photo stammt von Giancarlo Botti.]

Mittwoch, 23.12.2009

29/100

Die Geschichte vom Filmliebhaber, der sich die geographisch zu weit entfernte Festivalretrospektive auf der heimischen Festplatte so vollständig wie möglich zusammenstellte, ohne dabei vorauszusehen, dass die parallel zur Kinoreihe gestarteten Privatvorstellungen nach wenigen Tagen mangels Zuschauerinteresse eingestellt werden mussten.


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