Einträge von Werner Sudendorf

Samstag, 18.03.2017

Filme der Fünfziger XXXI: Die Mücke (1958)

Thomas Brandlmeier, der mit Ulrich Kurowski vor allen anderen das Kino der 50er Jahre wiederentdeckt hat, zählt in seinem Beitrag „Aus der Ferne so nah“ im Walter Reisch Buch des filmarchiv austria Die Mücke und Der Cornet zu den wichtigsten bundesdeutschen Filmen der 50er Jahre. Beide entstanden unter der Regie des Remigranten Walter Reisch, der in den USA als Drehbuchautor u.a. für Ernst Lubitsch (Ninotschka 1939) arbeitete und für das Drehbuch zu „Titanic“ (1953; Regie: Jean Negulesco) den Oscar erhalten hatte. Produziert hatte „Die Mücke“ und „Der Cornet“ F. A. Mainz, der mit Reisch wahrscheinlich über den gemeinsamen Bekannten Emile Lustig in Kontakt kam. Mit Lustig, damals noch Emil, hatte Mainz 1932 den Verleih Europa-Film gegründet. 1936 war Lustig Produzent in Prag; zu seinen Filmen zählt er „Port Arthur“. Auftraggeber war die Tobis, Direktor der Tobis war Mainz. Über Frankreich und Portugal emigrierte Lustig 1941 nach New York und kam für die beiden Filme von Walter Reisch nach Deutschland zurück. Ein dritter Film „Mitternachtssonne“ nach einem Drehbuch von Walter Reisch kam nicht mehr zustande.

Die Zeit ist nicht freundlich zur Spionin Vilma Korinth (Hilde Krahl), genannt die „Mücke“. Sie kämpft um ihre Existenz und hält gerade noch die Fassade der „Grande Dame“ aufrecht. Sie kämpft auch um ihre Integrität und gegen die, die sie mit den Worten „Eine Frau wie Sie …“ zuordnen wollen. Dazu gehören eine ominöse „Excellenz“ aus dem Hotel „Vier Jahreszeiten“, der Waffenhändler Karrari (Gustav Knuth), der Vilma engagiert, um seine Frau zu überwachen („Das Spionieren liegt Dir im Blut“), der Kommissar Hugo Voss (Bernhard Wicki), der sie von einem Steckbrief kennt und mit Liebe erpresst, und schließlich sogar Karraris Frau Jeanette (Margot Hielscher). Jeder in diesem Spiel könnte auch eine andere Identität haben als die, die er gerade zeigt; daher rührt ein Teil der Spannung und auch ein Teil der Empörung Vilmas über die Worte: “Eine Frau wie Sie…“.
Jeanette hält Vilma zu recht für eine von ihrem Mann beauftragte Aufpasserin und lässt sich trotzdem täuschen. Hugo könnte ein Liebhaber Jeanettes sein, hat es aber auf Vilma abgesehen; Vilma gibt sich unbeeindruckt und verliebt sich doch in Hugo, der in Wirklichkeit ein Kommissar ist und jetzt in ihrem ehemaligen Hotel wohnt, in ihrem Bett schläft, umgeben von ihrem Geruch. Das Hotel heißt „Kompass“, aber die Nadel springt wie verrückt zwischen den Himmelsrichtungen hin und her.
Das „Kompass“ liegt in einem ärmeren Bereich von Hamburg; eine Schmalspurbahn fährt aus einem Hauseingang und versperrt Karraris Packard den Weg, Anwohner stehen auf der Straße und blicken interessiert in die Kamera. Eine Art Wendeltreppe führt bis unters Dach des Hauses, in dem Vilma wohnt und ein Matrose mit einer Nutte ein anderes Zimmer verlässt. Das „Kompass“ ist eine Absteige.
Im Hotel „Vier Jahreszeiten“ beginnt der Film mit zwei Kamerafahrten. Der Diener der nie erscheinenden „Excellenz“ geht die Hoteltreppe herunter, um Vilma in der Lobby eine Absage zu erteilen. Kurz darauf eilt Karrari die Treppen herunter, um Vilma abzufangen. Ausgangspunkt der Fahrten ist eine Einstellung wie aus einem englischen Horrorfilm. Das „Vier Jahreszeiten“ ist das Hotel der schlechten Träume, des falschen Prunks und der bösen Geschäfte. Es ist auch wie ein drittes Auge, es blickt auf die Strassen hinab und in die Verhältnisse hinein. Man schreitet in ihm lange Flure entlang, geht auf Balkone hinaus, steht im Schatten der Hintertüren und diniert mit Vokalmusik. „Das ist Brahms, nicht?“, fragt Vilma und Jeanette antwortet „Ja, er ist doch in Hamburg geboren. Sie spielen es jeden Abend.“ Wieder eine Täuschung; das Lied „Es war nur eine Liebelei“ ist natürlich nicht von Brahms, sondern von Peter Kreuder und Walter Reisch. Der Sänger Axel Monje singt auch nicht selbst, sondern soll nur gute Figur machen und öffnet den Mund zum Gesang von Wolfgang Sauer. Der Sänger geht auf Hugo zu, der mit einer nicht angezündeten Zigarette an der Bar sitzt, und will ihm Feuer geben. Danke, nicht nötig; Hugo ist Nichtraucher, er tut nur so als ob.

Vilma war im Spanischen Bürgerkrieg als Spionin zum Tode verurteilt und von Karrari freigelassen worden. Jetzt ist die Polizei Karrari auf den Fersen und Vilma warnt ihn mit seinen Worten von früher: „Renn, sag ich Dir, renn und nimm nichts mit.“ Diesen letzten Rollenwechsel macht Karrari nicht mit. In der Gesellschaft der Täuschungen und Finten will er seine persönliche Rache. Das wird scheitern.
Gustav Knuth verlässt seine Standardrolle als großherziger Gemütsmensch; mit Meckifrisur in einem Anzug vom Format eines Clownskostüms ist er ein von Eifersucht und Misstrauen geplagter Tatmensch. Alles soll käuflich sein und was nicht käuflich ist, das kann nur Betrug sein. Wicki spielt mit falschen Liebesschwüren und Dackelblick den schmierigen Romeo, eine Figur, so Vilma, wie aus einem billigen Fortsetzungsroman. Margot Hielscher ist die dauerenttäuschte Ehefrau in großer Garderobe und spricht den moralischen Nekrolog auf ihren Mann: „In seiner Liebe zu mir war er ehrlich; in dieser Hinsicht können wir alle von ihm lernen.“ Und Hilde Krahl ist schön, intelligent, diszipliniert, immer überlegen und auch müde vom Überlegen-Sein. Sie singt, tanzt sogar Boogie Woogie und ist eine bewunderungswürdige Intrigantin. Walter Reisch inszeniert sie mit der Kamera aus der Obersicht, der Untersicht, gehend, liegend, frustriert und gelöst. Sie hätte, im schwarz glänzenden Abendkleid als Frau zwischen den Männern, „Gilda“ sein können, wäre jemand anders, jemand böseres als Bernhard Wicki ihr Partner gewesen und hätte es andere Nachfolgefilme gegeben als „Ewiger Walzer“.
Am Ende will Wicki sie besuchen und wird nicht vorgelassen. Krahl verhandelt über einen neuen Auftrag der „Excellenz“, sie soll sofort verreisen. Der Diener wird Wicki erklären, dass die Mücke bei der Wahl zwischen Liebe und Beruf den Beruf gewählt hat. „Das ist nicht wahr“, protestiert Krahl. „Es ist besser als wahr, es ist zweckmäßig“, repliziert der Diener. Abgeklärter ist die Gesellschaft im deutschen Film selten beschrieben worden.

Zur selben Zeit wie „Die Mücke“ dreht Pabst „Das Bekenntnis der Ina Kahr“, John Brahm „Die goldene Pest“, Roberto Rossellini „Angst“, Gabor von Radvany „Ingrid“, Helmut Käutner „Ludwig II“, Hans Braun „Der letzte Sommer“ und Julien Duvivier den sehr eigenen Film „Marianne“. Das war alles in allem eine bemerkenswerte und mutige Phase.

Nicht auf DVD

Ergänzungen und Präzisierungen zum Eintrag bei filmportal:
Mit Ida Perry. Gesang: Wolfgang Sauer; Kameraassistenz: Henry Rupé; Tonassistenz: Curt Dau, Walter Rüdiger; Schnitt: Charlotte Hüske; Kostüme: Salon Bibernell; Maskenbildner: Herbert Grieser, Charlotte Schmidt-Kersten; Standfotos: Karl Lindner, Gabriele du Vinage. Dreharbeiten in Hamburg, in den Ateliers Hamburg-Wandsbek, Berlin-Pichelsberg und Berlin-Tempelhof. Begonnen Anfang August 1958

Filme der Fünfziger XXX: Die Landärztin (1958)

„Die Landärztin“ lebt unter blauem Himmel, weißen Wolken und bei den grünen Wäldern; der Film spielt in der gleichen Ideenwelt, in der – so las ich vor kurzem auf einer Verpackung von Bio-Eiern – die glückliche, mobile Henne lebt. Man macht sich gern lustig über das rückständige Publikum der Heimatfilme, ist selbst natürlich aufgeklärt und ernährt sich hautsächlich von Bio-Produkten. Im Unterschied zu den fünfziger Jahren sieht der moderne Mensch selbstverständlich keine Heimatfilme, er ist sie jetzt einfach zum Frühstück.

Dr. Petra Jensen (Marianne Koch) ist eine junge Ärztin, die eine Stelle als Landärztin antreten will. Sie fährt mit einem Motorroller NSU Prima in Kürzlingen ein und muß gleich eine, durch ein frisch erworbenes VW-Cabrio unterstützte Werbung ihres Klinik-Kollegen Dr. Friebe abwehren. Die Hebamme Margarete Haagen wechselt das alte Arztschild aus und unterhält sich angeregt mit dem Bürgermeister Michl Lang. Die Kamera fährt weit, weit zurück und trotzdem hören wir weiterhin schön deutlich das Gespräch der beiden Figuren. Der Bürgermeister und das halbe Dorf hatte einen Mann erwartet, nicht eine Frau Doktor. „Fräulein, bitte“ korrigiert Marianne Koch. Die Männer wollen nicht zum Damendoktor, die Frauen sagen erst mal nichts. „Was halten Sie denn von der Gleichberechtigung?“, fragt die Ärztin den Bürgermeister. „Schon, aber doch nicht gleich so.“ Nun betritt Rudolf Prack die Szene und stellt klar: „Nix Kollege. Ich bin von einer anderen Fakultät.“ Prack ist der Tierarzt Dr. Rinner und nennt Koch „akademische Krankenschwester“. Rudolf Vogel und Willy Millowitsch streiten über die Affäre. Millowitsch findet die Veränderung gut, Vogel graust es auf seine komische Art. Das Fräulein Doktor aber – Respekt, Respekt – kuriert ihn von seinem Ischias. Friedrich Domin, wieder eine andere Fakultät, kommt als Pfarrer um die Ecke; natürlich verbündet er sich mit Marianne Koch und ihrem Motorroller. Darf er mitfahren? Freilich; und er hält den Hut fest wie man es sonst nur bei alten Damen sieht.
Domin, Vogel, Millowitsch und Prack stehen Marianne Koch zur Seite und bald ist Dr. Petra – Fräulein bitte – Jensen vom Dorf akzeptiert. Auch Rudolf Prack hat ein VW Cabrio und wohnt ganz allein in einem Haus, ach was sag ich, einem Zoo mit Pferd und Esel, Welpen und Katzenkindern; als Gastgeber ist er herrlich unbeholfen, aber als Mann und Tierarzt todschick mit Seidenschal im offenen Hemd, Blazer und Pfeife. Ganz so wie in der Werbung einer Illustrierten. Koch dagegen trägt ein eher unförmiges, durch Schulterriemen gehaltenes Lätzchen-Oberteil. Die Taille ist durch ein Riemchen modisch fest geschnürt. Koch hat ein neues Angebot aus der Stadt, hat sich aber im Dorf durchgesetzt. Was rät ihr Tierarzt und Zoodirektor Rudolf Prack? Soll sie bleiben, soll sie gehen? Er nimmt sie in die Arme und sie flüstert: “Vielleicht habe ich nur darauf gewartet.“ Ja, ahnten wir es nicht schon die ganze Zeit?
Die grausliche Frau Bürgermeister hat ihre schwangere Tochter Afra (Maria Perschy) so heftig geschlagen, dass sie sofort und mit Problemen niederkommen muß. Es ist die Stunde der Bewährung für Frl. Jensen, draußen tobt heftig ein Sturm; wie gut, dass Rudolf Prack und Margarete Haagen helfen und Afras Freund, der Hallodri-Sohn des Tischlers Zipfhauser (Rudolf Vogel), eine Sauerstoffflasche herbeizaubert und damit seinem neugeborenen Kind das Leben rettet. Margarete Haagen zeigt, wie man den Sauerstoff einsetzt. Man hält einfach den Schlauch der Flasche an das Neugeborene, das dann schreit und ergo lebt. Bald wird im Wirtshaus Hochzeit gefeiert; der Bürgermeister hält seine Rede nicht auf das Brautpaar, sondern auf Petra Jensen, die auf einmal ganz verlegen wird und gesteht, dass sie nach Kürzlingen gehört, ja ihren Platz gefunden hat im Kreis der großen Heimatfilmschauspielerfamilie und als Beifahrerin im Cabrio von Rudolf Prack, dem studierten Pfeifen-Casanova.
Paul May hat den Film wie nach Ilse Kubaschewskis Rezeptbuch inszeniert: keine unsympathischen Hauptfiguren, keine Rückblenden, immer ein Happy End; Tiere, Kinder und Landschaft fürs Gemüt; viel Musik und immer was zum Lachen.

Keine DVD
Christine Neubauer spielte die Landärztin in der gleichnamigen TV-Serie (2005 – 2013)

Ergänzungen und Präzisierungen zum Eintrag bei filmportal:
Mit Elinor Wallenstein, Otto Schmöle, Minna Fröhlich, Friedrich Neubauer. Maske: Sophie Obermeier; Requisiten: Waldemar Hinrichs, Michael Eder; Garderobe: Else Heckmann, Anni Hannoszek, Herbert Lindenberg. Regieassistenz: Bertl Möller; Kameraassistenz: Ernst Wild; Schnitt-Assistenz: Eva Tittes. Dreharbeiten 29. Juli bis Mitte September 1958; Aussenaufnahmen in Neubeuern, Landkreis Rosenheim; Innenaufnahmen im Divina-Atelier in Baldham

Mittwoch, 01.03.2017

Filme der Fünfziger (XXIX): Rosen für Bettina (1956)

Elisabeth Müller schwebt durch diesen Film als zentrale Figur, an der sich weniger eine Geschichte entwickelt, als dass Konstellationen und Verhältnisse verschoben werden. Das Schicksal schlägt die erfolgreiche Primaballerina Bettina Sanden (Elisabeth Müller) mit einer schweren Krankheit. Gerade noch hat sie ein Engagement an den Broadway abgelehnt, weil Lebensgefährte und Choreograf Kostja (Ivan Desny) nicht mit engagiert wird, da bekommt sie Kinderlähmung. Wird Kostja in dieser Krise zu ihr stehen? Er versucht es ja, aber auch ihn trifft das Schicksal in Gestalt seiner Karriere und einer neuen Primaballerina; das Fleisch ist schwach und das Leben muss weitergehen. Bettina nun liegt im Bett mit dieser zur Zeit der Filmproduktion noch unheilbaren und heimtückischen Krankheit.

Nachdem Dr. Brinkmann (Carl Wery, der kernig-knorrige Hausarzt des deutschen Films) sie untersucht hat, lässt Professor Förster (Willy Birgel) Bettina in sein Privatsanatorium nach Hohentann überstellen. Der Professor ist, das wissen wir aus einer Balletteinlage zu Beginn des Films, ein großer Verehrer von Bettinas Kunst. Die Klinik von Dr. Brinkmann hat den Charme einer Behörde der fünfziger Jahre; helle, durch Glastüren von einander abgesetzte Gänge sieht man aus einem Wartebereich mit Gummibäumen. Durch diese, in milchig-wässriges Laborweiss getönte Endlosigkeit bewegen sich wie Geistererscheinungen konfessionelle Krankenschwestern mit ausladenden Flügelhauben.

Professor Försters Klinik dagegen besteht im Wesentlichen aus einer großen Terrasse, auf der die Kranken in Liegestühlen einen gemalten Alpenprospekt genießen oder mit Gehstock, Sonnenbrille und Bademantel hinter Glastüren ihre Wege ziehen. Der ehemalige Feinmechaniker Herr Kalborn (Hermann Speelmanns) mit der im Krieg gewachsenen lederbezogenen Handprothese hat als Mädchen für alles und guter Geist in Försters Klinik wieder Lebenssinn gefunden. Ein Kind wird gesund und freut sich über eine Puppe zur Belohnung. Im Krankenbett halb hängend, halb sitzend, sieht Bettina im Fernsehen die Premiere „ihrer“ Ballettaufführung von „Bolero“ und bricht zusammen. Gut, dass Professor Förster gleich zur Stelle ist und als erstes den Fernseher mit der schrecklichen Trommelei, der Extra-Qual von Art Blakey ausstellt.
Bettina gratuliert Kostja zu der Inszenierung; „Du hast sie doch gar nicht gesehen“, meint Kostja. „Ich habe die Kritiken gelesen“ antwortet Bettina. Im Kino darf das Fernsehen als öffentliches Medium noch keine Rolle spielen; die Übertragung war eine Privatvorstellung.
Kostja fährt mit der neuen Primaballerina Irene (Eva Kerbler) auf Tournee nach Spanien und trinkt jetzt auch in Deutschland nur noch Sherry statt Wodka. Irene hatte sich schon in Professor Brinkmanns Klinik mit Bettina verständigt und dann mit den gegenüber einer Gelähmten klug gewählten Worten “Ich will sie nicht länger aufhalten“ schnell das Zimmer verlassen.
Fast alles geschieht in öffentlichen Räumen, im Theater, den Krankenhäusern und einem riesigen Restaurant mit einer Empore. Dort residiert der Opernintendant; der Aufgang zur Empore ähnelt einem Boxring. „Machen Sie doch mal die Türen zu“, rufen der Intendant und seine Sekretärin im Theater; die Türen bleiben offen. Es gibt keinen Raum für Wahrheit oder für Intimität, nur Vorgelebtes und Nachgemachtes, Illustrationen, Formeln, Konventionen. In allen Falschaussagen – selbst der Titel „Rosen für Bettina“ ist verfehlt, sie bekommt nur Nelken – scheinen die Defizite, die vergebliche Suche nach einem Sinn durch. Bettina lässt sich von Dr. Förster ein letztes Mal zum Künstlereingang des Theaters fahren, geht auf die Bühne, hört imaginäre Musik und Applaus – aber sie wird nicht hysterisch oder melodramatisch. Es gibt keinen Gefühlsausbruch, sondern nur den Weg zurück, zum Mercedes von Professor Brinkmann, dem väterlichen Arzt und Liebhaber. Bettina lehnt den Kopf an seine Schulter, sagt müde: „Nach Hause“ und zufrieden lächelnd fährt Willy Birgel Elisabeth Müller in das Sanatorium der Liebe.

Drei Dinge sollte ich noch hinzufügen: Elisabeth Müller rollt das „R“  in altfränkischer Theatermanier, vielleicht auch als Relikt ihres schweizer Akzents. In diesen seltenen Momenten bricht die Illusionsmaschine komplett zusammen – so als würde ein Mikrofongalgen in voller Pracht ins Bild ragen. – Henry Koster engagierte Elisabeth Müllers auf Grund von „Bettina“ nach Hollywood für seinen Film „The power and the price“ (1956). Das geplante Engagement für Pabst’ letzten Film „Durch die Wälder, durch die Auen“ (1956) kam deshalb nicht zustande. – Und in der „Film und Frau“ gab es in der Nr. 3, 1956 tatsächlich einen Lifestyle-Artikel „Das Haus ohne Stufen“ über die Wohnung einer Gelähmten.

Nicht als DVD

Montag, 20.02.2017

Filme der Fünfziger XXVIII: Die Frühreifen (1957)

Inge (Heidi Brühl) ist empört. Sie möchte raus aus der Enge der elterlichen Wohnung, weg aus dem Ruhrpott und in die Sonne, den Süden. Dahin, wo man nachts das Fenster offen lassen kann, ohne dass am nächsten Morgen die Betten schwarz von Ruß sind. Ihr Freund, der Bergarbeiter Wolfgang (Christian Doermer), wohnt in einem Heim für junge Männer, schickt Geld an seine Mutter in der Zone und vertröstet Inge auf das nächste Jahr; dann könnten sie heiraten. Das lässt sich Inge nicht gefallen. „Immer nur sparen, sparen, sparen. Du bist wie mein Vater.“ Und der Vater (Paul Esser) ist wirklich ein Alptraum. Inge will das Leben jetzt genießen und sich nicht dauernd in die Pflicht nehmen lassen. Nicht von den Eltern, nicht von den Jungen. Sie zieht zu Freddy (Christian Wolff), der eine eigene Wohnung und einen schicken Mercedes hat.

Arthur Brauner hatte schon 1954 die Rechte an der literarischen Vorlage, dem Fortsetzungsroman „Wer glaubt schon an den Weihnachtsmann“, erworben. Emil Burri und Johannes Mario Simmel schrieben ein erstes Drehbuch, Hans Oskar Wuttig und Gerda Corbett die endgültige Fassung. Als der Film nach dreijähriger Vorbereitung schließlich herauskam, startete fast gleichzeitig in den Kinos der BRD Georg Tresslers Film „Noch minderjährig“. Da konnten sich Brauner und der Europa-Filmverleih noch so viel Mühe geben, die Frühreifen von den Halbstarken abzusetzen – alle drei Filme und auch andere gehörten zum Thema und Programm der „Problemjugend“.
Heidi Brühl war den Zuschauern vor allem als die kindliche Dalli aus den problemfreien Immenhof-Filmen bekannt; in den „Frühreifen“ posiert sie gelegentlich wie Sissy (Karin Baal) in den „Halbstarken“, ist aber längst nicht so frech, so ehrgeizig und sexy. Was beide Filmfiguren verbindet, ist die heftige Abneigung gegen die biederen Zukunftspläne ihrer Freunde, die heiraten und eine Familie gründen wollen. Beide ahnen, dass sie aus dem Gefängnis ihrer Familie in eine neue Unfreiheit schliddern. „Wo Christian Doermer auftaucht, da riecht es irgendwie nach geistigem Krawall“ schreibt das Presseheft. Schön wär’s; in den „Frühreifen“ wie in den „Halbstarken“ ist Doermer der konservative Vermittler, das Idealbild des verantwortungsbewussten „Jungmannes“ mit Sorgenmiene. Er sieht zwar aus wie ein zorniger junger Mann, wird aber eben deshalb mit der Rolle des „Vernünftigen“ besetzt. Wolfgang und Jan aus den „Halbstarken“ sind die „guten Rebellen“.
Die reichen Schnösel Günther (Peter Kraus) und Freddy mit ihren Kumpanen klauen nachts aus Langeweile schwere amerikanische Limousinen, liefern sich Verfolgungsjagden (Günther nennt sie „Feindberührung“) mit der Polizei, und feiern mit den Freundinnen der arbeitenden Kumpels wilde Partys. Günther ist einfach nur ein dummer Junge, Freddy dagegen kultiviert den Lebensüberdruss, nennt Inge provokativ „Genossin“ und stellt die Frage, wozu man in Zeiten des Kalten Krieges und der permanenten atomaren Bedrohung noch lateinische Lyrik lernen muß.

Die reichen Jungs haben eine Wohnung, aber keine Eltern, die sich um sie kümmern. Inge ist zu Hause nur Beschimpfungen ausgesetzt; eine Freundin muss sonntags regelmäßig die Wohnung „wegen der Liebe am Sonntag“ verlassen, denn „wir haben doch nur den einen Raum“. Wegen dieser Drehbuchzeile wurde der Film erst ab 18 Jahren zugelassen. Aber solche, von Regisseur Josef von Baky fast beiläufig gesetzten Szenen, zeigen neben den plakativen Klischees ein Stück Alltagswirklichkeit. Inge und Wolfgang bei einem Sonntagsausflug, bei der sie der Gegenwart der Zeche nicht entkommen; der Freitagabend in einer Kneipe, die Modenschau in einem Kaufhaus, die gedeckten Tische einer Tanzbar am frühen Nachmittag. So sah das Freizeitvergnügen, so sah wahre Tristesse aus.

Die Handlung der „Frühreifen“ ist im Ruhrpott angelegt, im Milieu der Bergarbeiter und Neureichen. Deshalb sieht man tatsächlich Menschen bei ganz normaler Arbeit und mit ganz alltäglichen Problemen. Sabine Sinjen, von Drehbuchautor Robert Thoeren entdeckt, hat hier ihren ersten Jungmädchenauftritt. Peter Kraus legt ein tolles Gesangssolo hin; den Rest seiner Darbietungen muss man großzügig verzeihen. Christian Wolff, der feingliedrig zur gleichen Zeit auch in Veit Harlans „Anders als die anderen“ debütierte, spielt provokativ abgeklärt und kommentiert die Party seines Freundes: „In einer halben Stunde ist das eine Horde besoffener, gemeingefährlicher, schamloser Urwald…“ Der Rest geht in wilder Jazz-Musik unter; das war wieder die übliche und üble Diffamierungsroutine amerikanischer Musik, auf die offensichtlich kaum ein Film verzichten wollte; genauso wenig wie auf die schicken amerikanischen Autos.

Man kann viel altes Kino-Handwerk entdecken. Die Verfolgungsjagd von Polizei und geklauter Limousine ist unterdreht, damit sie rasanter aussieht. Diesen Effekt kannte man vor allem aus Western. Das Licht, sowohl außen als auch im Innern der Limousine, wechselt ständig, so dass man gar nicht weiß, ob es nun früher Abend, früher Morgen oder tiefe Nacht sein soll; und sind Freddy und Günther in dieser Sequenz nun Dämonen (Licht von unten) oder kalkweisse Gespenster (Licht von vorn)? In einer anderen Szene – Freddy fährt mit seinem Mercedes aus dem Bild – sieht man im Autofenster gespiegelt kurz den Kameramann und seinen Assistenten. Die Drehroutine ließ erstaunlich vieles durchgehen.

In filmportal gibt es aus dem Arthur Brauner Archiv eine ganze Reihe interessanter Dokumente über die Drehbuchentwicklung und im Filmblatt Nr. 39 hat Philipp Stiasny ausführlich über den Film geschrieben.

DVD in der Wirtschaftswunderkino-Kollektion No. 2: Peter Kraus (3 DVDs). Universum-Film

Freitag, 10.02.2017

Filme der Fünfziger (XXVII): Das Bekenntnis der Ina Kahr (1954)

Dieser Film von G.W. Pabst wird in den Büchern über Pabst nicht wirklich behandelt. Pabst habe den Film, nachdem er mit seiner italienischen Produktionsfirma in Konkurs gegangen sei, nur des Geldes wegen gemacht, ja machen müssen. Genaueres weiß man oder sagt man in diesem speziellen Fall nicht; es ist als grausten sich die Filmhistoriker überhaupt vor der Nennung der späten Arbeiten von Pabst wie „Ina Kahr“, „Rosen für Bettina“ und „Durch die Wälder, durch die Auen“, wobei – beim letzten Titel kann ich das verstehen.

Die Handlung von „Ina Kahr“ basiert auf einem Fortsetzungsroman, der in der Programmillustrierten „Hören und Sehen“ erschienen war. Nach „Hör Zu“ war „Hören und Sehen“ mit einer Auflage von 750.000 Exemplaren pro Woche die zweitstärkste Programmzeitschrift. Erna Fentsch, die Ehefrau von Carl Wery, schrieb das Drehbuch. In „Rosen für Bettina“ spielt Wery einen Arzt; die weibliche Hauptdarstellerin in beiden Filmen ist Elisabeth Müller. Müller ist kein Publikumsmagnet, aber ein ganz eigener Charakter in den Filmen der fünfziger. Ob in „Ina Kahr“, in „Bettina“ oder in „Gestehen Sie Dr. Corda“ ist ihre Rolle reines, fast unpersönliches Klischee. Man merkt der Schauspielerin an, dass sie unterfordert ist, aber man sieht auch, wie wunderbar sie durch Kleidung und Accessoires das Zeitkolorit der Figuren und darin eben die Konvention trifft. Eine dem Kapotthütchen ähnliche Kopfbedeckung und Elisabeth Müller wird zur strengen Ausgabe von Ruth Leuwerik, fehlte da nicht die Stimme und wäre da nicht diese unglaublich schlanke Figur. Es kommt mir vor als sei Frau Müller direkt den goldgeränderten Seiten der „Film und Frau“ entsprungen, als repräsentiere sie eben die Kultur der gehobenen Langeweile, des bescheidenen Luxus und der besonderen Probleme der etwas blasiert sein wollenden Kleinbürgerin. Wie konfus auch immer ein Stoff und ein Drehbuch sein mochten, Elisabeth Müllers Rolle war immer die letztlich klarer Intelligenz und Entschiedenheit, verbunden mit leicht extravaganter Schönheit, ausgestattet mit den Konturen der Zeit und den aus ihnen destillierten Widersprüchen.
Vieles, ja da meiste stimmt nicht in Stoff und Drehbuch von „Ina Kahr“. Die Prämisse – sie hat ihren Mann ermordet und könnte deshalb zum Tod verurteilt werden – glaubt schon mal niemand, denn der Prozess findet in der Gegenwart und in der BRD statt. Weil Ina Kahr schweigt, kommt sie in die Todeszelle, erlebt den hysterischen Ausbruch einer Mörderin und den stillen Beistand eines Kaplans („Ich komme auch zu Ihnen“). Das verhilft der Kamera zu interessanten Bildstrukturen mit weiten Räumen, die nur durch einzelne Personen, Gitter und Schatten belebt werden. Dann erzählt Ina Kahr ihre Geschichte; wie sie gegen den Willen ihres Vaters, der für einige Jahre in die USA verschwindet, Paul Kahr heiratet; wie sie ihm zur Selbstständigkeit verhilft, er aber immer wieder fremd geht; und wie sie dann entscheidet, sich und ihren Paul mit einer Kanne vergifteten Kaffees umzubringen, was daran scheitert, dass Paul gierig gleich die ganze Kanne auftrinkt und nun allein sterben muss.
Curd Jürgens als Paul Kahr spielt das Klischee der Masslosigkeit und der blondierten Aggressivität: jedes Streichholz, mit dem er die Zigarette anzündet, wird in großem Bogen weggeschleudert, jeder Drink heruntergestürzt, jede Frau erobert. Der Kritiker der neuen Zürcher Zeitung nannte ihn einen „Herzensbrecher verhalten-rabiater Eleganz“; andere sahen in ihm nur eine Albers-Variante, was wirklich ungerecht war.
Die Filmarchitektur baut dem Paar ein Haus mit unverputzten Wänden und Pfeilern – eine Inneneinrichtung wie aus Müsli-Riegeln mit Wucherungen aus Grünpflanzen, Tütenlampen und Wintergarten. Paul betreibt eine Werbeagentur, in der man sehen kann, was die Filmausstattung für den letzten Schrei des Designs hält. Man trinkt nicht Kaffee, sondern Mokka, heiratet aus Geschäftssinn und nicht aus Liebe, flirtet und posiert mit dem, was man für die Moderne hält. Die Werbeabteilung des Verleihs legte zur Sicherheit noch den Slogan einer weiteren Zeitgeist-Problematik dazu: „Eine Frau genügt nicht mehr – Das moderne Ehe-Problem.“ Oha.

Die Posen halten der Wirklichkeit nicht stand. Ina sorgt dafür, dass eine begabte Studentin (Hanna Rucker) in Pauls Werbeagentur eine Stelle bekommt. Sie hat sich in der Bewerbung als Mann ausgegeben, weil sie sonst die Stelle vielleicht nicht bekäme. „Das“, sagt Paul, „ist wohl eine überalterter Standpunkt.“ Wenig später soll er sich für eine Rundfunksendung mit seiner „Entdeckung“ präsentieren. „Aber“, protestiert Paul, “meine Frau hat sie doch entdeckt.“ „Aber Sie sind der Chef…“ So zitiert der Film in einem fort die Theorien des Fortschritts und verwehrt ganz selbstverständlich in der Erzählung die praktische Umsetzung. Ina, die ihrem Mann für den Aufbau seiner Firma Geld gegeben hat, will jetzt für ein eigenes Geschäft einen Kredit aufnehmen. Dafür braucht sie die Erlaubnis ihres Mannes. Paul hört sich das an, ohne Reaktion – damit ist diese Frage erledigt. Neben dem ausufernden Selbstmitleid des Mannes, der sich mit seinen Ansprüchen an Trieb- und Geschäftsleben permanent überfordert, und den Schuldzuweisungen, die Ina Kahr sich selber gibt, wird auch wieder amerikanische Jazz-Musik als Element des Sittenverfalls eingesetzt; so sieht die Strafe aus, wenn man seine eigene Kultur aus Engelschor und Geigenseligkeit verlässt.
„Das Bekenntnis der Ina Kahr“ ist – mit allen trivialen Zuspitzungen – ein Katalog der widerstreitenden Befindlichkeiten, ein gleichzeitig sorgfältig und schlampig gebautes Lügengebäude, eine fortdauernde Beschreibung der Krise, an dessen Ende auch noch die Versöhnung der Generationen simuliert wird. Vater und Anwalt warten auf Ina, die aus dem Gefängnis entlassen wird. „Professor“, sagt der Anwalt, „nehmen Sie sie mit nach Amerika, zeigen Sie ihr die Welt.“ Als sei ihr bisheriges Leben ein schrecklicher Irrtum gewesen und als ob es, gerahmt und geleitet von zwei Männern, nun erst beginnen könne.

DVD bei Filmjuwelen

Montag, 16.01.2017

Filme der Fünfziger (XXVI): Jede Nacht in einem andern Bett (1957)

Nach dem Erfolg der „Halbstarken“ im Herbst 1956 entdeckte der deutsche Film die Jugendkultur als neue Schmucktapete. Es ging jetzt in Jugendclubs mit Musikboxen oder Bands, die noch Tanzorchester hießen, mit Tanzfläche und drangvoller Enge. Mädchen tragen Pferdeschwanz, Männer auch Backenbart und Pfeife. Meistens gibt es nur einen kurzen Blick auf und in die Dekoration, das war ja alles etwas schmuddelig, viel zu wild und sah aus wie ein Sündenpfuhl.
Produzent Bernhard Schmidt gab Karin Baal direkt nach den „Halbstarken“ eine kleine Rolle in „Jede Nacht in einem andern Bett“. Von Hauptdarsteller Gerhard Riedmann wird sie völlig unpassend als „Lausbub“ angesprochen; ein älterer Mann schickt „das Kind“ um zehn Uhr ins Bett. vlcsnap-2017-01-16-14h02m16s176Baal ist klein, sexy und rotzfrech; sie kippt einer Nebenbuhlerin eine Kanne Wasser ins Bett und das war’s auch schon mit ihrem Auftritt. Die Jugend wurde vom Unterhaltungsfilm der 50er vor allem benutzt und denunziert. Norbert Schultze, der Komponist von „Lilli Marleen“ und „Wir fahren gegen Engelland“, schrieb drei Lieder, die unermüdlich gepfiffen, gesungen und gespielt werden. Gerhard Riedmann und Harald Juhnke tanzen und singen das Lied „Mr. Rock und Mr. Roll“ als spießigen Altherren-Witz. Ein besonders trauriges Bild gibt es in der Tanzbar – die Kamera blickt auf eine farbige Familie, die wie paralysiert in dem Trubel sitzt. – Is ja Negermusik, wissen Se.

„Jede Nacht in einem andern Bett“ erzählt von einem Vertreter und seinem Freund (Gerhard Riedmann und Harald Juhnke), die beide lieber verheiratet wären als jede Nacht in einem andern Bett zu schlafen. Riedmann war in den fünfziger und sechziger Jahren ein ziemlich bekannter Schauspieler und Sänger; unabhängig von seinem wenig geforderten schauspielerischem Talent gehörte er zu jener Klasse von Stars, denen von ihrem ersten Erscheinen auf der Leinwand ins Gesicht geschrieben steht: Ich werd’ geliebt, ich bin charmant, ich kann auch traurig sein, ha ha, und spiel mich in dein Herz hinein. Er war der Prototyp der schmierigen Schmalzbacke, des Vorstadt-und Provinzgalans; immer dreist, stets verbindlich, dabei laut und kleinlaut zugleich. Hier verkauft er als reisender Vertreter Bücher an liebeslustige Frauen und hat natürlich einen tollen Erfolg. Harald Juhnke ist Vertreter in Miederwaren, was auch unglaublich witzig ist.
Riedmann flirtet mit Dr. Maria Kramer (Waltraud Haas). Er sagt: „Vielleicht sollte ich ein Gedicht rezitieren?“ Und beginnt: „Der Erlenkönig“. Beide platzen vor Lachen – Puh, Literatur. Das Paar gehört der reiferen Jugend an; deshalb tanzen sie auch nicht in dem Jugendclub, sondern zeigen sich als Dialogtext feixend Titel aus der Musik-Box. Ihre Vornamen haben sie sich aus Werbeplakaten geliehen. Er nennt sie Aurora, sie nennt ihn Jonny. Riedmann fährt ein VW – Cabrio, Waltraud Haas eine rasend schicke Borgward Isabella. Günther Pfitzmann, der Wirt eines Weinkellers, müht sich mit der Kurbelwelle seines Henschel Diesel- Kastenwagens ab, während Riedmann die Wirtin zum Kauf von Büchern und zu einem Kuss verführt. Harald Juhnke dagegen braust mit seiner BMW Isetta, auch Flüchtlings-Porsche genannt, rückwärts in einen Unfall hinein. Riedmann weiß nicht, dass Waltraud Haas eigentlich seine Chefin ist und heiratet schließlich – Überraschung – in die Chefetage hinein. Juhnke bekommt Reni von Wiesenberg (Elma Karlowa), die Tochter des verarmten Fürsten von Wiesenberg. Das gibt Riedmann die Gelegenheit, den Fürsten ganz ernsthaft mit „Durchlaucht“ anzusprechen.
1949 hatte Paul Verhoeven als Produzent, Regisseur und Drehbuchautor den Film „Du bist nicht allein“ realisiert. Das war ein großer Flop, Verhoeven zahlte jahrelang Schulden an die Bank ab. Es erklärt vielleicht, warum er den Regieauftrag für „Jede Nacht…“ annahm. Die Drehbuchautorin Iwa Wanja war die Frau von Norbert Schultze, Co-Autor war Eckart Hachfeld, der fürs Kabarett kritische Texte schrieb und mit Drehbüchern wie „Heute blau und morgen blau“ (1957) seinen Unterhalt finanzierte.

Nicht als Video, nicht als DVD. Im Netz verfügbar unter http://www.antel-filmarchiv.at/filmclub/jede-nacht-in-einem-anderen-bett/

Ergänzungen zu filmportal:
Mit Kurt Vespermann (Portier), Herbert Weißbach (Portier), Rolf Kestin (Geschäftsführer des Riviera-Hotels), Lou Seitz
Kameraführung: Johannes Nowak; Kameraassistent: Leopold Frank; Ton: Oskar Haarbrandt; Regieassistent: Franz Barrenstein; Masken: Gerhard Seiffert und Sabine Brodt; Aufnahmeleitung: Harry Knillmann und Willy Kaufmann; Standfotos: Herbert Werler; Produktionssekretärin: Emmy Schmidt; Filmgeschäftsführer: Friedrich Guby; Kassierer: Günter Jacob; Schnittassistenten: Erika von Stegmann, Gisela Ross; Filmbearbeiterin: Renate Theine; Gewandmeister: Wilhelm Grossmann, Charlotte Jungmann; Kunstmaler: Alfred Kauer; Requisiteure: Erwin Hübenthal, Walter Rother; Pressechef: Dr. Hans Borgelt
Dreharbeiten: ab 26. 10. 1956 – Aussenaufnahmen bis Anfang November in Rothenburg ob der Tauber, Hotel Eisenhut; Schloss Weikersheim an der Tauber; Atelier: Ufa-Studio Berlin-Tempelhof

Freitag, 23.12.2016

Filme der Fünfziger (XXV): Man nennt es Liebe (1953)

Der Regisseur John Reinhardt, schon in den frühen zwanziger Jahren in die USA emigriert, hatte im deutschen Nachkriegsfilm nur eine kurze Karriere. Mit Kurt Hirsch, dem verflossenen Ehemann von Hildegard Knef, und dem Drehbuchautor Peter Berneis war Reinhardt für die Herstellung einer englischsprachigen Synchronfassung von „Die Spur führt nach Berlin“ nach Deutschland gekommen. Hirsch war „Associate Producer“ bei Reinhardts letzten Film „Chicago Calling“ gewesen, Berneis wird als Drehbuchautor und Producer genannt. Anfang 1953 zeigte Reinhardt „Chicago Calling“ im Unabhängigen Filmclub München und im British Centre Berlin. Der Produzent Tony Schelkopf engagierte ihn als Regisseur für drei Filmprojekte; vollständig realisiert hat er nur „Man nennt es Liebe“. Reinhardt starb im August 1953 während der Dreharbeiten zu „Briefträger Müller“. „Chicago calling“ wurde in Deutschland erst 1957 von der Neuen Filmkunst in einer untertitelten Fassung herausgebracht.

Mit einem halben Dutzend Männer stürzt Maria West (Winnie Markus) auf den Bahnsteig des Innsbrucker Bahnhofs. Ein rascher Abschied, die Männer bleiben zurück, dann geht es in den Zug nach Rom. Aus einem Nebenabteil schaut Peter Malmö (Curd Jürgens) interessiert zu. Maria weiß sofort, wer Peter ist – sein Foto ist auf der Titelseite der Illustrierten „Quick“, weil er sich zum 7. Mal entlobt hat. Und warum? „Die Mädchen“, so Peter, „haben alle furchtbar viel Geld, tragen dieselben Kleider, fahren dieselben Sportwagen, gehen in dieselben Bars und reden alle denselben Blödsinn.“ So ist das mit den Frauen der großen Welt; Maria besitzt in Innsbruck ein Hotel, den Marienhof.

In Rom treffen sich Peter und Maria zufällig wieder. Peter kennt Rom natürlich sehr gut und zeigt Maria die Sehenswürdigkeiten. Dafür kann Maria ganz passabel singen und trällert am Abend ein italienisches Liedchen. Leider muß Peter am nächsten Morgen schon weiter zu seinem Chef nach Neapel; aus lauter Liebe fährt Maria ihm nach. Der Chef ist schon nach Athen weitergefahren. Also fliegen beide schnell nach Athen, auch wenn Maria heftig protestiert, weil sie doch eigentlich nach Capri will. In Athen wird geheiratet (Peters Chef ist inzwischen in Istanbul), es gibt Austern zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend. Jetzt muss Maria aber nach Hause und Peter endlich zu seinem Chef.
Peter ist Corned Beef Vertreter, sein Chef Carlos Schmidt (Hans Leibelt) besitzt eine Rinderfarm in Lateinamerika und seine Tochter Carmelita ist natürlich mit Peter verlobt. Dass Peter geheiratet hat, findet der Chef ganz großartig. „Sie haben Mut bewiesen, großartig, dass Sie meiner Tochter gezeigt haben, dass Sie nicht mit dem Kopf durch die Wand kann. 20 Jahre hat sie mich tyrannisiert und dann kommen Sie und heiraten eine andere – großartig.“ Langsam wird klar, wohin die Reise wirklich geht. Den selbstbewussten Frauen wird von den Herren endlich mal eine Lektion erteilt.

Peter fährt zu Maria auf den „Marienhof“; Marias Geschäftsgrundlage besteht darin, Zimmer an wohlhabende Männer zu vermieten, die sich bei ihr Chancen ausrechnen. 17 von 25 Zimmern sind so fest gebucht – da stört ein Ehemann natürlich. Um mit seiner Frau zusammen zu sein, muss Peter nachts übers Dach in ihr Zimmer einsteigen und morgens wieder zurückklettern. Der Arme erkältet sich ganz furchtbar, das Zimmermädchen Helene (Helen Vita) weiß gleich Bescheid und erklärt ihm: „Sie sind eine ausgesprochene Bettschönheit.“ So geht das nicht weiter; Peter reist verärgert ab, diesmal nach Paris, zu seinem Chef und väterlichen Freund, der ihn gleich zu einer geschäftlichen Besprechung nach Düsseldorf mitnimmt. Die Besprechung ist dann doch eine Modenschau, bei der Peter die Idee hat, dass die Mannequins doch auf dem Marienhof Ferien machen könnten. Das ist mal wieder eine großartige, sozusagen eine geniale Idee. Denn jetzt schnappen sich die Mannequins die älteren Herren; Maria muss mit ansehen, wie Peter andere Mädchen küsst, sowieso rundum geknutscht und – Tiefpunkt der Festlichkeiten – Jazz gespielt wird. Es ist Zeit für einen melancholischen Song; zu der Stimme von Olly Gubo öffnet Winnie Markus den Mund für das Lied „Man nennt es Liebe“. Ach, die Bitterkeit des Lebens…

Alles ist aus, Maria sitzt heulend am Tisch; da kommt Carlos Schmidt vorbei und erklärt ihr mit erhobenem Zeigefinger, dass man sich in der Liebe nicht rückversichern kann. Maria ist klug („Ich habe noch nie einem Mann vertraut“), aber Papa Schmidt ist weise. Das Alter weiß es eben doch besser; so reist Maria Peter wieder hinterher, sitzt mit ihm im Zug – nach Paris, nach Athen oder vielleicht doch nach Capri?

Ergänzungen zum Eintrag auf filmportal:
Arbeitstitel: Zwei Schlüssel, eine Tür
Mit Paul Hubschmid (Hotelgast), Fritz Lafontaine (Hotelportier)
Kostümanfertigung im Atelier der Gebrüder Reischenbeck, München
Filmgeschäftsführer: Theo Mietzner; Zweiter Kameramann: Gerhard Krüger; Kameraassistent: Herbert Stephan; Zweiter Architekt: Willy Horn; Regieassistenz: Ilona Juranyi; Produktions-Assistenz: Herbert Junghans; Maskenbildner: Jonas Müller, Käte Koopmann, Fritz Seifried; Garderobiers: Werner Schmidt, Emmy Horoschenkoff; Requisiteure: Otto Kruerke, Hans Schabel; Standfotos: Karl Reiter; Atelier-Sekretärin: Inge Posselt; Produktions-Sekretärin: Ursula Müller.
Musikaufnahmen: Kurt Graunke und sein Orchester. Es singen: Olly Gubo und die Singgemeinschaft Rudolf Lamy. Liedtexte: Willy Dehmel; Gedreht auf Perutz-Material; Bavaria Kopie
Baubeginn: 9. März 1953; Drehzeit: 17. März 1953 –22. April 1953

Keine DVD, kein Video
 

 

 

 

Montag, 12.12.2016

Filme der Fünfziger XXIV: Ingrid – Die Geschichte eines Fotomodells (1955)

Ingrid (Hannelore Matz) kommt vom Einkaufen in die Dachwohnung, ihr Freund Robert (Paul Hubschmid) steigt aus der Dusche und erklärt: „Ich habe zu arbeiten. Tatsachenbericht in 15 Fortsetzungen. Schönheit in Gefahr, der ewige Quatsch, Mädchenhändler, Mannequins, Verschleppung, Südamerika – hamwer Joghurt?“
Robert ist Reporter einer Illustrierten, der Fortsetzungsbericht könnte glatt die Vorlage für den Film „Mannequins für Rio“ sein. Das ist dann doch kein, wie ich geschrieben hatte, Gegenentwurf zur Erfolgsgeschichte eines Fotomodells, sondern die Komplementärstory.

Die Dachwohnungs-Sequenz hält für Ingrid mehrere Enttäuschungen bereit. Die Wohnung gehört gar nicht Robert, sondern seiner ehemaligen Freundin – das Glück ist nur geliehen. Vom Geburtstagskuchen, den Ingrid für Robert gemacht hat, nimmt er nur im Gehen ein Stück; er muss ja arbeiten, Ingrids Wünsche sind ihm piepegal. Sie nimmt es mehr oder weniger phlegmatisch hin. Aber da gibt es noch den Fotografen Walter (Paul Edwin Roth), den guten Freund aus alten Tagen; er kommt kurz vorbei und erklärt: wenn Ingrid ihn eines Tages brauchen sollte, dann solle sie nicht zu stolz sein, ihn anzurufen. „Die Telefonnummer haben Sie noch?“ Robert ist perplex, aus einem Grammophon klingt ohne Unterlass Hawaii-Musik.

Radványis Film ist randvoll mit Sequenzen, in denen das scheinbar Offensichtliche, die Kino-Vorstellung von der Wirklichkeit mit den Mitteln des Kinos aus den Angeln gehoben wird. „Ingrid“ beginnt und endet in einem Planetarium, mit einer Reise durch die Sternenwelt zu Musik von Vivaldi. Was zunächst wie ein Verleihvorspann aussieht, ist schon der Film selbst. Es folgen Feuerwerk, aufblitzende Lichterwerbung und der Filmtitel in Leuchtschrift. Dann wird Ingrid zur „Miss Mannequin“ gewählt, was zu einem Gespräch mit dem Illustrierten-Reporter Robert über das Leben der „Miss Mannequin“ führt; Ingrid soll einfach von Anfang an erzählen und so beginnt eine Rückblende. Ein Flüchtlingstreck, Ingrid kommt bei Verwandten unter und flieht weiter von der russischen in die amerikanische Zone, wo ihre Schwester leben soll. Sie kommt in ein Lager, wird von einem Passfälscher missbraucht. Erstmals nennt sie ihren Namen –  „Käthe Bienert“ – und begegnet im Lager dem Fotoreporter Walter und dem Journalisten Robert. Die beiden sind auf der Suche nach pittoreskem Elend. Als Ingrids Schwester (Erni Mangold) sie aus dem Lager holt und von ihrem reichen Verlobten schwärmt, hört man das Akkordeon einer Lagerfrau; die Kamera (Richard Angst) zeigt eine verhärmte Mutter mit ihrem Kind, beide essen aus Blechtöpfen und sehen unbeteiligt zu. Ingrid kommt in einer Pension mit vielen anderen jungen Frauen unter; sie arbeitet als Nähmädchen und wird dort dem Modeschöpfer D’Arrigio (Louis de Funes) auf einer Drehscheibe als Inkarnation seiner Fantasie von „Ingrid“ vorgestellt. Also wird aus Käthe Ingrid, die „modische Brise aus dem Norden“.

So eine Story will, so Robert, keiner lesen, das Elend haben ja alle selbst erlebt, aber die Geschichte vom Aschenbrödel, die zur Königin der Mannequins wird, dieses moderne Märchen, dieses grauenhafte Klischee – das fressen die Leute. Robert ist der gewissenlose Boulevardjournalist, der alles zu Geld macht. Ingrids „Lächeln ist bares Geld und das will ich locker machen.“ Als Ingrid von ihm schwanger wird, ist das für ihn auch nur eine Frage des Geldes. Ingrid bekommt das Kind, erzählt ihm aber kein Wort. Walter kümmert sich um sie, geht mit ihr ins Kino, aber sie ist unzufrieden. „Ich möchte einmal sehen, wie es weitergeht, nach dem Happy End.“ Fast wie aus dem Drehbuch zitiert, beantwortet Radványi eine Journalistenfrage: „Wenn ich im Kino sitze und am Schluss des Films das Liebespaar sehe, das sich mit musikalischem Crescendo untermalt zum Happy-End-Kuss findet und das Wort ‚Ende’ kommt, dann möchte ich immer sitzenbleiben, denn ich habe das Empfinden, dass die Geschichte und auch der Film da – nach dem Kuss – erst beginnen. Bis zum Kuss kommt ja jeder. Aber wie es dann weitergeht – das möchte ich immer gern wissen. Darum sind auch der Happy-End-Moment und der wirkliche Kuss in meinem Film in der Mitte der Geschichte, und dann geht der Film, wie es auch im Leben geschieht, weiter.“
Das Leben selbst, der Alltag kommt vor als Nebenbeobachtung, die in den Vordergrund drängt, weil die Präsenz als akustisches oder optisches Signal so unerwartet ist. Lautes Uhrenticken, das Geräusch von Scheibenwischern, ein zynischer Spruch, fahrende und kreisende Kamerabewegungen, dann wieder eine Mackie Messer Paraphrase – man wird ganz besoffen von Radványis Virtuosität. Die Bildsequenzen dramatischer Konstellationen, die man aus anderen Filmen zur Genüge kennt, werden mit Fragen und Zweifeln so intelligent und unabweisbar aufgeladen, dass es am Ende gar nicht mehr um die Alternative Lebenswirklichkeit oder Kinoerzählung geht. Schon gar nicht geht es um Antworten oder Lebenshilfe.

Ein kommerzieller Erfolg war der Film nicht. „Du hast mir einmal gesagt“, sagt Ingrid zu Walter in der abschließenden Planetariums-Sequenz, „dass jeder sein Leben so lebt wie er kann. Du, ich, jeder. Auch Robert. Daran ist nichts zu verzeihen. Ich werde mit ihm so leben wie alle anderen leben.“ – „Und auf das, was man so Glück nennt, verzichtest Du?“ – „Ich war schon sehr glücklich. Aber nach dem Glück und dem Kuß geht das Leben doch weiter. Besonders, wenn es einem nicht mehr ganz allein gehört. Ich glaube, das ist das, was man so Glück nennt.“ Eine richtige Antwort ist das auch nicht; zu Vivaldis Winter-Largo geht der Blick in den Sternenhimmel, zuerst kreisend, dann hineinfliegend.
Kommt der Sternenflug nicht aus einem Verleihvorspann?

Donnerstag, 17.11.2016

Filme der Fünfziger XXIII: Mannequins für Rio (1954)

Wäre der deutsche Film ein Arbeitsamt, dann würden Frauen dort vor allem folgende Berufe finden: Chefsekretärin, Privatsekretärin, Sängerin oder Mannequin. Bei all diesen Berufen sind moralische Gefährdung und Heiratsmöglichkeit nicht ausgeschlossen. Ruth Leuwerik gerät als Fotomodell in Harald Brauns „Vater braucht eine Frau“ an Dieter Borsche, Maria Schell als verhungerndes Mannequin in „Bis wir uns wiederseh’n“ an O.W. Fischer, Marianne Koch bessert das Einkommen in der „Ehe des Dr. med. Danwitz“ mit Modellieren auf und sowieso können alle Studentinnen oder Schülerinnen nebenbei Mannequin sein, werden dann für den Film entdeckt und heiraten das Glück.
„Mannequins für Rio“ ist der Gegenentwurf, eben die Geschichte der moralischen Gefährdung, nach „Akten der Interpol“ geschrieben von Felix Lützkendorf. Lützkendorf hatte in diesem Jahr wirklich viel zu tun – neben den Mannequins kümmerte er sich auch um „Konsul Strothoff“, den „Ball der Nationen“, „Feuerwerk“ und um „Sauerbruch“, der auch von derselben Produktionsfirma, der  Corona betreut wurde. „Mannequins für Rio“ soll eine Coproduktion der Corona mit der amerikanischen Lippert-Films gewesen sein; Lippert Film tritt in den USA nur als Vertriebsfirma für „Mannequins“ auf; oft wurden solche Konstruktionen nur aus steuerlichen Gründen gewählt. Raymond Burr, Scott Brady und Gordon Howard sind die amerikanischen Schauspieler. Der deutsch-amerikanische Regisseur Kurt Neumann hatte nach unzähligen B-Filmen bereits „Regina Amstetten“ mit Luise Ulrich und „Rummelplatz“ mit Curd Jürgens und Eva Bartok in Deutschland gedreht. „Mannequins“ war keine Mehrsprachenversion; gedreht wurde auf deutsch, wobei die amerikanischen Schauspieler Lautschrift sprechen mussten („Aber Coltos sakte mere doch Zee hetten angeroofen vile dee Meana oonter Wasser stat“). Sie sind dann in der deutschen Fassung  synchronisiert worden. Es kann sogar sein, dass die amerikanische Fassung, die ich nicht kenne, noch ganz anders ist als die deutsche. „They were so young“ ist Teil der „Forgotten Noir“ Box, Collection Set Series One; darin auch ein Interview mit Robert Lippert Jr. . Mehr über die Lippert Produktionen gibt es bei https://kitparkerfilms.wordpress.com/about/

Mit Anzeigen werden Mädchen als Mannequins nach Rio de Janeiro gelockt; nachdem sie Kleider vorgeführt haben, sollen sie im Salon von Madame Lansowa (Gisela Fackeldey) und Pasquale (Kurt Meisel) reichen Herren zugeführt werden. Das ist etwas umständlich, denn wenn die Damen sich in ihren Vorführkleidern auf die Stühle gesetzt haben, baut sich um sie herum ein Gebirge von Textiltüll auf. Bei allem Schielen nach Sünde will der Film grundsätzlich anständig sein; deswegen singt Gerhard Wendlandt nach der Modenschau mit dem Charme eines Kurzwarenverkäufers
„Heute Nacht ist mir die Liebe begegnet und verliebt schloss ich die Tür,
denn vielleicht wäre diese Stunde gesegnet und die bleibt ewig bei mir.
Heute nacht begann der Himmel zu leuchten, denn dein Mund hat mich geküsst,
tausendmal will ich Dir selig nun beichten, dass nur Du die Liebe bist.“

Wo Horst Wendtland singt, da kann kein Bordell sein. Mit Recht wehrt sich also Eva Ullmann (Johanna Matz) gegen die Bordellchefs und folgt auf ihrer Flucht vor den Bösen dem Amerikaner Richard Lanning (Scott Brady) bis in den Dschungel; dort singt zu unserer Überraschung Caterina Valente ein kleines Schlaflied.

Kurt Meisel, Schurke und Fiesling auf allen Kontinenten, fährt ebenfalls in den Dschungel und entführt Eva auf ein Bordellschiff, auf dem schon wieder Caterina Valente singt. Gert Fröbe spielt den schurkischen Kapitän. Dank Richard Lanning wird Eva vor jedem unsittlichem Zugriff bewahrt und fährt mit ihm in eine glücklichere Zukunft. Wie schön, dass sie auch noch im nächsten Film, dann aber das letzte Mal, als keusche Jungfrau auftreten kann.
Gedreht wurde in Rom, in Geiselgasteig und in Bendestorf.

Samstag, 12.11.2016

Filme der 50er XXII: Oberarzt Dr. Solm (1955)

1955 produzierte die Berliner Delos-Film, die bislang nur Werbe- und Märchenfilme hergestellt hatte, ihren ersten Spielfilm. Mit Leopold Lindtberg, Rolf Hansen und Gustav Ucicky wurde über die Regie verhandelt; schließlich übernahm Paul May, der gerade mit dem ersten Teil von „08/15“ einen Riesenerfolg gehabt hatte, die Arbeit. Dem Titel nach ein Arztfilm, ist der „Oberarzt“ auch ein Familien- und ein Heimatfilm, enthält eine Schlagereinlage und macht zwischendurch noch einen ordentlichen Knicks vor der Jugend. Er habe, so der Produzent Schmidt, von vorneherein auf künstlerische Ambitionen verzichtet und beabsichtige lediglich die Herstellung eines gut gemachten Unterhaltungsfilms. Ambition und Unterhaltung zusammen ist keine Option.

Oberarzt Dr. Solm (Hans Söhnker) ist ein guter, ehrgeiziger Chirurg, der ganz wunderbar mit Kindern umgehen kann und sich auch mit Hirnchirurgie, speziell mit Leukotomie, beschäftigt. Sein Chef Möllenhauer ist mit dem Psychologieprofessor Berding zu einem Kongress nach Rio de Janeiro aufgebrochen. Frau Berding (Anna Dammann) bleibt mit Familie und Sorgen zurück; die Tochter Angelika (Sybil Werden) stört mit Ballettübungen, Sohn Benvenuto (Hans Clarin) ist geistesgestört und malt abstrakte Bilder. Hans Clarin reisst die Augen auf und wirft das Essen, das ihm die Mutter in den Wintergarten bringt, mit der Staffelei durchs Fenster. Dann lutscht er selbstvergessen am Pinsel. Solm soll auf Wunsch von Frau Berding Benvenuto operieren.

Bei Familie Solm sind die Verwandtschaftsverhältnisse kompliziert. Dr. Solm, ledig, ist Stiefbruder der wohl 20 Jahre jüngeren Geschwister Evchen (Karola Ebeling) und Konrad (Harald Juhnke), aber er fungiert für sie auch als Pflegevater mit Geldverteilungskompetenz. Evchen nennt Solm „Charly“ und jobbt neben der Handelsschule als Mannequin, Konrad nennt ihn „Alter“, studiert Medizin und jobbt als Trompeter in einer Band. Als Solm in finanzielle Schwierigkeiten gerät, helfen die jungen Geschwister aus und haben damit ihre Schuldigkeit getan.

Professor Möllenhauer (Fritz Hintz-Fabricius) gehört die Privatklinik, an der Solm und Möllenhauers Tochter Claudia (Ilse Steppat) arbeiten. Claudia ist Empfangsdame, Generalsekretärin und Oberschwester der Klinik, verliebt in Dr. Solm und eifersüchtig auf Angelika. Sie lädt den Oberarzt zum Abendtee in ihr Büro, um dort einer Direktübertragung vom Ärztekongress in Rio zu lauschen, bei der sich Professor Berding gegen die Leukotomie auspricht. Solm aber ist mit der Primaballerina Angelika ausgegangen, die ihm dieses Lied vorsingt:
„Sieh dich vor mit dem Jonas, denn mit Dir will er zum Amazonas,
nimm mich bitte nicht mit nach Brasilien, wo die Affen so schrein und die Schlangen sich freun, ja, da gründet man keine Familien.
Eijeijeijei, oh Senorita, eijeijeijei, so viel geschieht da. Eijeijeijei, und niemand sieht da, am Amazonas, was der Jonas mit Dir macht.“
Karl Solm erliegt nach diesem Vortrag der Liebe; er will Angelika heiraten („Das Ballett musst Du natürlich aufgeben“) und gegen den Protest von Schwester Claudia den verrückten Benvenuto operieren. Es kommt jetzt zu einer ganz schiefen Gemengelage aus erotischer Rivalität und Autoritätsanspruch; Schwester Claudia weiß via Rundfunkübertragung aus Rio, dass Professor Berding die Leukotomie ablehnt, hat also mit ihrem Protest durchaus Recht. Sie ist aber auch eifersüchtig; das setzt sie ins Unrecht. Und sie will dem Oberarzt die Operation untersagen, was der als Eingriff in seine medizinische Kompetenz empört zurückweist. Außerdem ist Solm ja mit Tochter Angelika liiert, quasi schon Teil der Familie. Da sieht er sich gleich doppelt im Recht, hat aber falsch kalkuliert. Als die Professoren aus Brasilien zurückkommen, muß Solm die Klinik verlassen. Einsam, bitter und mit starrem Blick in die Ferne harrt nun das Chirurgen-Genie vorübergehend auf Erlösung und Genugtuung.
In Oberbayern findet Solm eine neue Stelle und eine weitere stille Bewunderin. Schwester Regine (Antje Weisgerber), die auch drei Semester Medizin studiert hat und dann wegen Geldmangels das Studium aufgeben musste, trägt ihm auf vielen Wegen durch den Schnee die Tasche voran und weist ihm im Gebirge den Weg. Es gibt jetzt nur noch zwei Jahreszeiten – Advent und Weihnachten/Sylvester. Norbert Schultze komponiert ein paar Zitherklänge, Hans Schneeberger filmt glitzernden Schnee und Antje Weissgerber schmachtet dazu so lang, so lang. Im Land der Kerzen, der Schneefälle und selbstgebrannten Schnäpse soll Solm jetzt für immer mit Schwester Regine bleiben. Aber er wird in seiner alten Klinik noch rehabilitiert; der verrückte Benvenuto hat sich zu einem gesunden Dandy gemausert, Solm rettet dem alten Klinikchef durch sein chirurgisches Geschick das Leben, Schwester Claudia hat geheiratet und Professor Berding hat verziehen. Wieder ist Sylvester mit Glockengeläut, Schnee und einem Kuss zwischen Schwester Regine und Dr. Solm. Bleibt Solm nun in der Stadt oder geht er aufs Land zurück? Aber das ist doch ganz gleichgültig – wenn er nur seinem Herzen folgt, bei Regine bleibt und den dummen, dummen Ehrgeiz aufgibt.

Der Film landete 1955 auf Platz 47 der umsatzstärksten Filme.


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