Einträge von Werner Sudendorf

Montag, 24.10.2016

Filme der 50er XXI: Gefangene der Liebe (1954)

Willi Kluge (Curd Jürgens) hat seine Frau Maria (Annemarie Düringer), die nach acht Jahren russischer Gefangenschaft nach München zurückkehrt, vom Bahnhof abgeholt. Kluge führt eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt, darüber ist seine Wohnung. Willi zeigt Maria die Wohnung, die Geigen singen, die Flöten klingen. „Das ist nun unser Schloß.“   Erst kommt die Küche („alles elektrisch“), gleich daneben ist das Wohnzimmer („Das ist praktisch für die Hausfrau“). Lichter von außen kreisen durch das Wohnzimmer wie Sternenglanz. Da ist der Spiegel, „unser Spiegel“, das Bild von der Hochzeit mit dem schönen Kleid. Und nun die Überraschung. Im Schlafzimmer, im Schrank („Nun mach doch schon auf“) ist das Hochzeitskleid. Das ist so lange her; Maria bricht in Tränen aus, aber jetzt, jetzt kommt der Clou – das Bad, mit Fliesen, Badewanne, heißem Wasser, kaltem Wasser, Mischbatterie. Das alles hat Willi geschafft, und er hat es gut gemacht. Aber das Wichtigste ist doch „Magst Du mich noch?“ –  Maria nickt verschüchtert und sackt in sich zusammen.

Jugerts „Gefangene der Liebe“ (1954) ist beherrscht von der Angst vor der Wiederbegegnung mit dem Mann, auch vor dem möglichen Verlust  bürgerlicher Ehre. Der jähe Wohlstand wirkt wie ein Alptraum auf Maria, die jedes der so stolz vorgeführten Zimmer auch als Bedrohung, als Beweis der Diskontinuität empfindet. Willi führt vor, was er geleistet hat; Maria hat in den Jahren ein Kind bekommen. Davon weiß Willi noch nichts. Das Kind hat sie aus Angst bei einer freundlichen Ärztin (Brigitte Horney) untergebracht. Es ist ihr unentdecktes Geheimnis, die Vergangenheit, die unerledigte und drückende Schuld. Das sind die Trümmer, die jetzt aufgeräumt werden müssen; wie kann man damit umgehen oder, um im Jargon zu bleiben, fertig werden?
Willi und Maria mit dem Kind finden mit Hilfe von Freunden relativ schnell wieder zueinander, aber so billig sollen sie nicht davonkommen. Jetzt wird das ganz große Schicksalsrad gedreht. Es ist Oktoberfest, die Zeit, in der es von den Karussells dauernd in den Fenstern blinkt; auf dem Oktoberfest begegnet Maria zufällig Franz Marten (Bernhard Wicki), dem Vater ihres Kindes. Marten ist Motorradfahrer in der Todesbahn, sässe aber viel lieber mit Maria und Kind in der guten Stube. Mit wem soll Maria, die das alles doch schon entschieden hatte, zusammen bleiben? Noch einmal erscheint das Gespenst der Vergangenheit, noch einmal müssen Maria und Willi um die Gegenwart kämpfen, um die ganze Existenz, die schöne Wohnung, die florierende Tankstelle. Wer ist bloß schuld an diesen furchtbaren Verwicklungen? Es ist der schauerliche Krieg, dem in einer Farce mit expressionistischem Licht, schräggestellten Bildern und einem besoffenen Kriegsversehrten der Prozess gemacht wird. Als alle Flaschen ausgetrunken sind, ist auch dieses Thema erledigt. Es gibt ja, trotz des Titels, keine Gefangenen, es geht nicht um Ausbruchversuche, es geht um die Befreiung von der Last der Vergangenheit. Gibt es diese Last überhaupt? Käutner hat das ein Jahr darauf in „Himmel ohne Sterne“ kurz und bündig kommentiert; Otto Friese (Gustav Knuth) ist mit dem Umsatz in seinem Lebensmittelladen sehr zufrieden – „ist fast schon wieder so wie 1937“.

Zwei Jahre war das Drehbuch herumgereicht worden, kein Produzent wollte noch einen weiteren Film mit Heimkehrer-Problematik drehen. Die Stabliste versammelt die bewährten Profis des deutschen Films: Walter Boos, Erich Kettelhut, Bruno Mondi, Charlotte Flemming, sogar Rainer Erler. In der Saison 1954/55 zählte „Gefangene der Liebe“ neben Veit Harlans „Verrat an Deutschland“, Laszlo Benedeks „Kinder, Mütter und ein General“ und Roberto Rossellinis „Angst“  unter kommerziellen Aspekten zu den „Versagern“ der Saison. Keine schlechte Nachbarschaft, wäre da nicht der billige Budenzauber.

 

Donnerstag, 07.07.2016

Filme der Fünfziger XX: Bonjour Kathrin (1956)

Im November 1954 erschien in der Bundesrepublik Caterina Valentes Platte „Ganz Paris träumt von der Liebe“. Die Melodie war von Cole Porter, Kurt Feltz schrieb den deutschen Text, das Orchester Kurt Edelhagen begleitete die Sängerin. Das Lied war mit 900.000 verkauften Singles ein Riesenerfolg. Der „Spiegel“ (Nr. 15/1955) brachte eine Titelstory über Caterina Valente; Arthur Brauner produzierte 1955 mit Valente, ihrem Bruder Sylvio Francesco und Peter Alexander noch in schwarz/weiß den Film „Liebe, Tanz und 1000 Schlager“ mit dem Orchester Kurt Edelhagen und Schlagertexten von Kurt Feltz. „Bonjour Kathrin“ ist der Nachfolgefilm, diesmal in Farbe, inszeniert von Karl Anton. Anton war schon seit 1921 im Filmgeschäft und hatte u.a. die Revuefilme „Wir tanzen um die Welt“ (1939) und „Stern von Rio“ (1940) inszeniert. Produzent war diesmal Alfred Greven, der im zweiten Weltkrieg während der deutschen Besetzung von Frankreich die französische Filmindustrie fest im Griff hatte. Zu Alfred Greven gibt es einen interessanten Artikel in FilmGeschichte (Nr. 14, September 2000).
Kurt Feltz schrieb auch das Drehbuch und damit jeder mitbekommt, dass neben Feltz auch Kurt Edelhagen wieder mit von der Partie ist, klappt im Film eine Dame eine Karte auf, auf der der Name „Orchester Kurt Edelhagen“ steht; dann gibt es eine furiose Einlage des Orchesters mit Kurt Edelhagen und seinem riesigen Schatten, der an die Wand projiziert wird.
Für den Film wurden echte Schauspieler engagiert, auch wenn das eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Dietmar Schönherr spielt einen Komponisten mit Pfeife und Dauerlächeln, Rudolf Vogel und Helen Vita sind die üblichen Chargen, leider diesmal ohne Ausbrüche ins Exzessive. Wieder einmal kommt das Fernsehen vor, und wieder einmal – wie in „Alle kann ich nicht heiraten“ – ist es ein Medium der Denunziation. Die Diva sieht ihre Konkurrentin auf der Bühne. Hans Joachim Kulenkampff kann noch nicht einmal chargieren; seine Stärke besteht darin, Räume gravitätisch zu durchschreiten. Für Komparsen und kleinere Sprechrollen wurden alle freien Kräfte der Wiesbadener und Frankfurter Bühnen mobilisiert; leider werden sie nirgendwo genannt. In einer kleinen Szene spielt Kurt Schwarzkopf, der später im Fernsehen durch den „Kommissar“ bekannt wurde. Andrej Andrejew, der schon für G.W. Pabst und Carol Reed gearbeitet hatte, besorgte die Ausstattung. Aufgefallen sind mir viele französische Plakate – die Geschichte spielt in Paris -, ganz flache Hintergrundmalerei und die allerschrecklichsten abstrakten Gemälde. Aus den USA holte man den Choreographen Billy Daniels, der schon für Marylin Monroe und die Marx-Brothers gearbeitet hatte, nach „Bonjour Kathrin“ in Deuschland blieb und eine Zeit lang nur für Caterina Valente arbeitete. Eine besondere Qualität habe ich nicht erkannt – es gibt ja auch keine Handlung, die sich in Choreographie auflösen könnte, sondern nur eine Nummernrevue.
Vieles soll komisch sein. Komisch sind beispielsweise Brillenträger, egal ob Männer oder Frauen. Wenn Peter Alexander, Caterina Valente und Sylvio Francesco wie im Kindergarten hintereinander her spazieren oder Caterina Valente mit einem Bügelbrett unabsichtlich andere vor den Kopf und die Tischdekorationen umstößt, dann hat das auch nur eine sehr bescheidene humoristische Qualität. Selbst eine Art Fitness-Raum – sonst immer eine Gelegenheit, die abstrusesten Foltergeräte vorzuführen – lässt keine Schadenfreude aufkommen. Aber alle sind natürlich in aufgeräunter Stimmung, denn der Schlagerfilm war ja eine Geldmaschine, ein Spielautomat mit garantierter Gewinnausschüttung. Da brauchte man sich nur ganz wenig Mühe geben.
Es gibt eine Geschichte – natürlich die Erfolgsgeschichte dreier armer Musikanten und ihres Komponisten -, aber die ist kaum ausgearbeitet. Die Songs sind Kurzversionen der Plattenaufnahmen, die durch die Polydor schon vor der Filmpremiere veröffentlicht wurden. Weil der Film erst im Januar 1956 gestartet wurde, wollte man sich doch das schöne Weihnachtsgeschäft nicht verderben lassen. Auch hatte man die Erfahrung gemacht, dass nach der Premiere des Films „Südliche Nächte“ (1953; R: R.A. Stemmle) der Plattenumsatz der in dem Film gesungenen Lieder zurückgegangen war.
Die Bewohner eines Mietshauses sind auch in vielen anderen Szenen zu sehen – im Mietshaus, auf der Bühne, bei den Proben, als Publikum. Die Welt ist halt eine große Familie und deshalb singen wir jetzt alle zusammen: “Komm ein bißchen mit, nach Italien – widdewiddewitt – ans blaue Meer/ Und wir tun als ob das Leben eine schöne Reise wär.“ Wer nicht mitklatscht, muß das Lied zur Strafe noch mal singen.

Mit „Bonjour Kathrin“ wird am 23. August die Reihe „Tausend Takte Übermut“ eröffnet.

Nicht auf DVD, aber im Internet der komplette Film auf http://www.dailymotion.com/video/x21ccsj_bonjour-kathrin-1956_shortfilms

Donnerstag, 02.06.2016

Filme der Fünfziger XIX: Vergiß die Liebe nicht (1953)

Frühstückszeit im Einfamilienhaus. Drei Kinder, der Ehemann Franz (Paul Dahlke), seine Frau Anna (Luise Ulrich) und die Haushälterin Stadler (Annie Rosar) laufen geschäftig herum. Es wird palavert, es lärmt wie in einem italienischen Familienfilm. Schließlich sitzen alle am Tisch, nur die Ehefrau springt immer wieder auf, kümmert sich, hastet, besorgt, was fehlt und bekommt vom Frühstück schließlich nur noch die Reste. Vater Franz plant eine Wochenendreise nach Innsbruck; im Auto ist für Anna kein Platz mehr frei. Egal, geht schon. Als sie ins Haus zurückkehrt, sitzt die alte Haushälterin mit der „Vogue“ im Sessel und klärt die Ehefrau auf: Anna rackert sich ab für die Familie und bekommt kein Gehalt, keine Weihnachtsgratifikation, nicht die geringste Anerkennung und muss im Urlaub sogar zu Hause bleiben. So beginnt „Vergiß die Liebe nicht“ in der Regie von Paul Verhoeven. Gleich präsentiert er einen Gegenentwurf zu dieser normalen Ehe. Statt mit der Familie in den Kurzurlaub zu fahren besucht Anna ihre Freundin, die Frau eines Modesalonbesitzers. Dieser Mann springt auf, wenn ein Aschenbecher fehlt und bringt seiner Frau das Frühstück ans Bett. In einer Woche hat Anna Geburtstag; aus der Modekollektion des Mustergatten schenkt ihr die Freundin schon jetzt einen Pelzmantel und schicke Kleider – Himmlisch!
Immer wieder wird Anna von der Kamera isoliert und spricht im Off mit sich selbst. Sie ist frustriert und mag es nicht sagen, sie verliebt sich auf ihrer Urlaubsreise und traut sich nicht recht; Anna fremdelt mit der Familie, aber auch mit der ungewohnten Welt des Charmes, ihren schicken Kleidern und neuen Chancen als attraktive, allein reisende Frau. Ihre Off-Stimme kommentiert und reflektiert jede neue Wendung, erst unsicher, dann immer selbstbewusster und dann sogar mit selbstironischem Unterton. Paul Verhoeven inszeniert ein Spiel im Spiel – mit der Allerweltsgeschichte, dem Alltag und einer nur leicht gewagten Romanze.
„Vergiß die Liebe nicht“ war eine der seltenen intelligenten Filmkomödien der frühen BRD, akzentuierte realistisch und ironisch die patriarchalische Konstellation in einer von wirtschaftlichen Nöten freien Familie und funktionierte natürlich auch als Lebenshilfe für alle Frauen, die sich von ihrem Mann vernachlässigt fühlten. Brav und leider gar nicht mehr so spannend geht es im Film und im Leben zurück in die Harmonie des Familienidylls. In einer Parallelgeschichte fällt eine der Töchter auf einen verheirateten Schürzenjäger herein; ganz allein irrt sie nachts durch die Straßen und wird von einer Polizeistreife nach Hause gebracht. Wie gefährlich eine solche Romanze doch werden kann; gottlob ist es nicht zum Letzten gekommen, nicht bei der Tochter und nicht bei der Mutter. „Die Mutter“, so sah es der Kritiker des film-dienst, „besteht die Ehekrise, die sie mit verstärktem Verantwortungsbewußtsein in den Kreis ihrer gleichförmigen Alltagspflichten zurückkehren läßt.“

Im Fachblatt „Der Blumenbinder“ wurde auf die Möglichkeit der Produktwerbung hingewiesen; dafür gab es vom Verleih einen Plakataufsteller mit dem Spruch: „Denkst Du an Liebe/ Vergiß die Blumen nicht! Denkst Du an Blumen – Vergiß die Liebe nicht!“. Ob das Ehen gerettet hat? Treffend wäre ein anderer Spruch gewesen, dessen Urheber ich mir leider nicht gemerkt habe und der auch wenig kommerziellen Nutzen gehabt hätte: „In der Ehe verliert das männliche Auge seinen Glanz – Zunächst perlt es wie Sekt, dann wie Kamillentee.“

In der Kategorie „Problemfilm“ bekam „Vergiß die Liebe nicht“ 1953 den Bundesfilmpreis.

Nicht als DVD.

Donnerstag, 28.04.2016

Filme der Fünfziger (XVIII): Pikanterie (1950)

Pikant ist ein Wort, das man heute eigentlich nur noch an der Käsetheke hört und dort eine leicht würzige, eigenwillige Geschmacksrichtung bezeichnet. Pikant nannte man früher Anzügliches und Zweideutiges, wenn es eine leicht freche, libertinäre Note hatte. Einen Film 1950 „Pikanterie“ zu nennen und damit ein Versprechen zu geben auf Zweideutiges, war schon etwas gewagt. Damit kamen Nachtclub und Boulevard ins Kino, das doch vorwiegend von Frauen besucht wurde. Damit die Frauen sich mit ihren Jungs in „Pikanterie“ trauten, wurde der Berliner Modeschöpfer Heinz Oestergaard engagiert, der alle Kostüme für den Film entworfen hat und einmal auch in seinem Salon zu sehen ist. Diesem Modeaspekt war es zu verdanken, dass der Film „Pikanterie“ in der kleinen Reihe „Berlin in fashion – Modestadt Berlin“ im April 2006 im Bundesplatz-Kino gezeigt wurde.

An Mode habe ich vor allem pflanzliche Motive gesehen, Blätterdrucke auf Kleidern und Kragen, die übergroß und spitz jeden Herrn beim Tanz auf Abstand halten dürften. Curd Jürgens dagegen läuft in einem Kapuzenmantel herum, wie er noch in den Sechzigern getragen wurde. Der Mantel hat Knöpfe, die wie kleine braune Blätterteigrollen aussehen; die Damenknöpfe dagegen sind fette schwarze Klekse auf weißem Grund. Soll ja auffallen.

„Pikanterie“ ist Hans von Wolzogens zweite und letzte Produktion nach dem Krieg. Mit „Die Treppe“ hatte er sich als ambitionierter Produzent etablieren wollen, „Pikanterie“, sofort im Anschluß an „Die Treppe“ gedreht, sollte eigentlich eine sichere Geldmaschine werden. Das klappte nicht; der Film lief schlecht und wurde auch kaum ins Ausland verkauft. Für 50.000 DM bürgte Wolzogen mit seinem persönlichen Vermögen; das war das Ende der Skala-Produktion. Schon Ende 1950 war der Geschäftsführer Hans Heinz König aus der Firma ausgeschieden. Gut möglich, dass aus ihm der spätere Regisseur wurde.

Paris ist in Deutschland traditionell ein Traum aus Sünde, Seide und Seitensprung. Bei Gabrielle Courtois (Susanne von Almossy) sitzt ein Sportsmann, ein Boxer, am Frühstückstisch; zeitgleich nimmt der Nachtbesuch, ein Bankdirektor (Hans Olden), ein Bad. Der Diener Pierre (Karl Heinz Schroth) ist pikiert ob dieser moralischen Verhältnisse; seine Liebste, die Zofe Angèle (Marina Ried), stört das weniger. Sie ist ganz vernarrt in das Buch „Pikanterie“ von Sascha Borotraz (Curd Jürgens) und schwärmt begeistert: „Da kommt eine Frau vor in dem Roman – wie die mit den Männern umspringt…“ – Pierre weist sie zurecht: „Für ein anständiges Mädchen handelt es sich nicht darum, mit Männern in der Mehrzahl umzuspringen, sondern bei einem Mann in der Einzahl sitzen zu – also – überhaupt zu bleiben.“ Jetzt verlässt der Boxer das Haus, Er muss pünktlich beim Training sein, denn in einer Woche ist sein großer Kampf. Gabrielle macht ihm Mut: „Oh Jill, du machst den Neger sicher in drei Runden fertig.“

Sascha Borotraz hat das Erfolgsbuch „Pikanterie“ geschrieben, ist aber eigentlich ein ernsthafter Lyriker. Sein Verleger Poule (Hubert von Meyerinck) will nur noch pikante Bücher von Sascha; deshalb stapft der Dichter vorwiegend mürrisch durch den Film. Zu einem Autorentreffen auf Schloss Froid Chapelle soll Sascha, seinem Ruf entsprechend, eine Geliebte mitnehmen. Es trifft sich, dass Hortense Clairmont (Irene von Meyendorff), eine alte Freundin von Gabrielle, Zeit und Lust hat. Hortense weiß, dass Sascha früher sehr schöne Gedichte gemacht hat und findet seine „Pikanterie“ etwas degoutant. Natürlich streiten und mißverstehen sich beide und werden deshalb ein glückliches Paar. Auch Pierre und Angèle kommen zusammen und Gabrielle bleibt bei dem Bankdirektor. Als Schlossherrin raunt Elisabeth Flickenschild geheimnisvoll ein paar Sätze und niemand weiss, warum.

Im Grunde ist die Unmoral nur gespielt; Täuschung sind auch Reichtum und internationales Flair mit Paris, Schloss und einer Reise nach Genf. Man merkt der Produktion – alles ist in Tempelhof gedreht – ihre Armut an. Das hat etwas sympathisch Unbeholfenes. Paris ist nichts weiter als eine Rückprojektion und eine Aussicht aus dem Cafehausfenster; beim Dichtertreffen gibt es einen opulent gedeckten Tisch, aber niemand isst. Eine Modell-Bahn ist keine wirkliche Eisenbahn und das Tempelhofer Flugfeld kein internationaler Flughafen. Der Flug nach Venedig ist schon weg? „Dann nehmen wir ein Sonderflugzeug.“ So einer Drehbuchzeile glaubte wirklich niemand mehr. Die Tanzmusik, auf der Terrasse über den Dächern von Paris gespielt, wird live im Radio übertragen. Im Schattenriss inszeniert und zitiert sich Regisseur Alfred Braun als Rundfunkansager. Das Dienerpaar hört die Musik zu Hause im Radio und legt dazu eine tolle Tanznummer aufs Parkett. Da bekommt der Film für einen kurzen Moment sinnfreie Leichtigkeit und plumpst dann aber gleich wieder wegen der blöden Moral auf den Hintern.

Nicht auf Video, nicht auf DVD. Kopie: Bundesarchiv
Präzisierungen und Ergänzungen zum Eintrag in filmportal: Boxer Jill (W. Seidler), Sir Cunningham (Gütlich), Rundfunksprecher (Alfred Braun) – Lieder: Im Park von Monbijou; Immer heiter, immer lächeln; Pariser Luft – Dreharbeiten vom 5. September bis 14. Oktober 1950.

Sonntag, 10.04.2016

Lohn der langen Fahrt

Potsdam, Preview des Films „Fritz Lang“ von Gordian Maugg im Filmmuseum. Maugg ist ein großer Bewunderer der deutschen Filme von Fritz Lang, allerdings nur von denen der Weimarer Republik. In Hollywood, so Maugg, hätte Lang dann in einem System gearbeitet, in dem man als Regisseur austauschbar, sozusagen ein Dienstleister war. Auf Lang gemünzt, ist das doch eine schrille These. „Die tausend Augen des Dr. Mabuse“ finden dann natürlich schon gar nicht mehr statt. Einen Film über einen Filmregisseur in der Krise, hier definiert als Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, wollte Maugg machen; deshalb steht „M“, Langs erster Tonfilm im Zentrum. Stimmt aber gar nicht; im Zentrum steht die Begegnung von Lang (Heino Ferch) und Peter Kürten (Samuel Finzi), und man fragt sich nach dem Film, ob Lang nicht genauso besessen war wie Kürten. Fritz Lang wird verfolgt vom Dämon seiner ersten Frau, die er – niemand weiß das genau – möglicherweise erschossen hat. Und weil ihn diese Dämonin (Lisa Charlotte Friederich) immer wieder überfällt, leidet Fritz expressionistisch und in schwarz/weiß Höllenqualen, mal eruptiv, mal biestig verschlossen. Die Schauspieler geben ihr Bestes, die Montage von Dokumentar- und Spielszenen ist exzellent, aber was hat das ganze denn nun mit Lang und „M“ zu tun? Der Film ähnelt diesen unendlich langweiligen Kriminalromanen von Volker Kutscher, in denen die Kulissen deutscher Geschichte in  banalen Handlungen als Atmosphäre und Zeitgeist herumgeschoben werden. Wahrscheinlich hat Kutscher so einen großen Erfolg, weil seine Leser glauben, dass die Romane kulturgeschichtliches Wissen vermitteln, also nicht „nur Krimis“ sind. So ging es an diesem Abend bestimmt auch den Zuschauern in Potsdam, die sich belehrt und kulturell auf Niveau unterhalten fühlten. Nach dem Film gab es eine Diskussion, die von einem selbstbewussten jungen Mann geleitet wurde, der ohne jeden Anflug eines Zweifels Angelesenes und Mißverstandenes über Lang zum Besten gab; wenn ich es recht verstanden habe, arbeitet er in der neuen Branche der „Kulturvermittler“. Maugg sagte noch, dass es auch irgendwie Zufall und Rätselhaftigkeit des Lebens sei, dass aus Lang ein Filmregisseur und aus Kürten ein Massenmörder wurde. Das wäre dann Schicksal gewesen und hätte deshalb etwas vom Geiste Langs haben können; hatte es aber nicht. War auch nicht so gemeint.

Ein Gutes hatte der Abend. Die Fahrt von Berlin nach Potsdam und zurück dauert mit Bahn und Tram ziemlich lang. Dabei habe ich das unbedingt empfehlenswerte Buch von Philipp Felsch und Frank Witzel „BRD Noir“ gelesen, in dem es um die deutsche Geschichte der letzten 50, 60 Jahre geht. Im Nachwort „BRD Chamois“ analysiert Frank Witzel „Es geschah am hellichten Tag“ (1958) von Ladislao Vajda mit Heinz Rühmann und Gert Fröbe. Eine Kindheitserinnerung, ein Alptraum, der sich durch das Buch zieht und in der Analyse die Farbe wechselt. Das war den Abend wert.

 

Sonntag, 14.02.2016

Berlinale: Rekonstruierte Weltpremiere

Im Panorama der diesjährigen Filmfestspiele wurde und wird noch einmal (21.2., 16.30, Zeughauskino) im Rahmen der Retrospektive „30 Jahre Teddy Awards“ die restaurierte Fassung des Richard Oswald Film „Anders als die andern“ (1919) gezeigt. Eine Weltpremiere sei das, die Rekonstruktion besorgte das Film-Archiv der UCLA. Da könnte man sich zu Recht fragen, warum erst ein amerikanisches Archiv darauf kommen muß, diesen ersten deutschen Schwulen-Film zu rekonstruieren. Gibt es etwa in deutschen Filmarchiven Ressentiments gegen Schwule oder liegt es daran, dass die deutschen Filminstitutionen einfach hinter dem Mond leben? Nichts von alledem trifft zu.
Den Film gibt es in einer vom Filmmuseum München rekonstruierten Fassung seit 2006 auf DVD (www.editionfilmmuseum.de); die Fassung, die jetzt als „Weltpremiere“ gezeigt wurde, enthält nicht das Standbild von der Beerdigung Paul Körners (Conrad Veidt), hat dafür aber die Vorlesung von Magnus Hirschfeld etwas verlängert. Neues Bildmaterial gibt es nicht. Im Grunde sahen wir also die Weltpremiere der neu hergestellten amerikanischen Zwischentitel.

Wie kann denn so ein öffentlicher Unfall passieren? Ich spekuliere mal: es liegt an dem Netzwerk. Die amerikanische non-profit Organisation „Outfest“ hat die Rekonstruktion des Films bezahlt und wegen der guten Beziehungen des Panorama zu „Outfest“ hat man die Fassung jetzt programmiert. Ein Blick ins filmportal hätte genügt, dann hätte man den Fehler vermieden. Das wäre dann allerdings keine Weltpremiere und auch nicht wirklich international gewesen. Es hätte nur gezeigt, dass die deutschen Filmarchive auch ganz gut arbeiten.

Jetzt gibt es also in der UCLA auch eine 35 mm Kopie dieser neuen Fassung; das können sich die deutschen Archive nicht leisten. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Kommentar von Chris Horak aus dem Jahr 2014 zur neuen Fassung von „Das Cabinet des Dr. Caligari“  von 2014 (https://www.cinema.ucla.edu/blogs/archival-spaces/2014/02/28/zerst%C3%B6rungswut-saving-german-silent-films). „I dared to ask why the Germans spend millions of Euros repeatedly restoring the five great German classics, while literally hundreds of German nitrate prints from the silent era rot in the archives in Germany and abroad.“ Die Antwort war, mehr oder weniger: „Weil es nur Geld für Restaurierung von Klassikern gibt.“ Und daraus lässt sich auch die Antwort auf die Frage ableiten, warum „Anders als die anderen“ noch einmal restauriert wurde: Weil es das Geld dafür gab. Und Chris Horak wäre kein guter Archivdirektor, wenn er das Geld nicht nehmen würde.

„Anders als die anderen“ gibt es auch auf YouTube; auf der DVD des Filmmuseum München sind noch weitere Zusatzmaterialien. Und auf der DVD „Anders als Du und ich“ (ebenfalls im fillmuseum münchen erschienen) gibt es den Briefwechsel von Richard Oswald mit Veit Harlan.

Freitag, 05.02.2016

Besserwisser

Manchmal werden verdiente Künstler für eine Großtat geehrt, die sie gar nicht vollbracht haben. Schon länger, aber dieses Mal im Grußwort von Dieter Kosslick zur diesjährigen Berlinale, trifft es Michael Ballhaus. Er habe, so Kosslick, der Filmgeschichte die kreisende Kamerafahrt geschenkt. Ja, Pustekuchen. Ballhaus ist ein toller Kameramann, aber die kreisende Kamerafahrt hat uns Richard Angst in dem sehr konventionellen Film „Herz der Welt“ von Harald Braun geschenkt. Das war 1952. Nur hat das damals niemand gemerkt; dann wurde das Geschenk einfach vergessen und verstaubte unter all dem anderen Krimskrams der Filmgeschichte wie weiland 3D.

Vielleicht hat Ballhaus in seinen Kinderjahren den Film sogar gesehen und weiß gar nicht, dass die Kamerafahrt dauernd in seinen Erinnerungsfantasien herumgekreist ist. Oder Fassbinder kannte den Film und hat mal eine Andeutung gemacht.

„Herz der Welt“ gibt es nicht auf DVD, aber hier ist ein Foto von den Dreharbeiten. Da sieht man, wie es gemacht wurde.

Herz der Welt003

 

Mittwoch, 27.01.2016

Filme der Fünfziger (XVII): Bis wir uns wiedersehen (1952)

Ein Mann flieht in eine Stadt und versteckt sich in einem Hotel. Eine junge Frau, aus einer Lungenklinik in Davos entlassen, kehrt mit Arzt und Pflegerin in demselben Hotel ein. Der Mann und die junge Frau kennen sich. „Er ist der einzige Mann, den ich jemals geliebt habe“, erklärt die junge Frau dem Arzt, „auch wenn es bitter ist für Dich.“ Es ist das Jahr 1952 und wir blicken zurück in die Vergangenheit, die von Erinnerungen verklärte Zeit.

Pamela Lüdtke (Maria Schell) ist Tänzerin mit ernsten gesundheitlichen und finanziellen Problemen. Aktuell wartet ein Möbeltransporter darauf, von ihr bezahlt zu werden; zufällig kommt Paul Mayhöfer (O.W. Fischer), der örtliche Casino-Betreiber und Mercedes Benz 300 S Besitzer vorbei und spendiert unerkannt das Geld. „Kaum ein Auto,“ so eine Internetseite über Mercedes, „strahlte je so viel gediegene Vornehmheit aus wie der Mercedes-Benz 300 S.“

Aus reiner Not jobbt Pamela bei einer Modenschau und bricht vor Hunger zusammen. Wieder zufällig ist Paul Mayrhofer Gast der Modenschau; er spricht Pamela an: „Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Fräulein Lüdtke. Begleiten Sie mich doch vier Wochen auf eine Reise nach Italien.“ Und: „Jede andere Frau fände es unter ihrer Würde, über meinen Vorschlag zu sprechen, bevor ich ihr eine Liebeserklärung gemacht habe.“ – Pamela: „Warum? Ich finde es sehr angenehm, dass Sie über diese Dinge so sachlich sprechen. Wir sind ja moderne Menschen.“ Und nun beginnt die Reise an den Comer See, auf der sich beide ineinander verlieben. Im Hintergrund singt Kurt Reimann im Kastraten-Tenor das Lied von der Blauen Lagune: „Erhöre mein Fleh’n/ Glück mach’ aus meinem Schmerz/ Du allerschönste der Frau’n!“

Pamela Lüdtke wechselt in Italien von dem anfänglichen „Ach,wie schön“- zum „Ach, wie bin ich glücklich“-Gesicht. Ein böses Missverständnis führt zur Trennung. Mayhöfer lässt sich daraufhin ohne Not mit einem Ganoven (Kurt Meisel) ein und Pamela verkommt als Rock n’ Roll Tänzerin.

Im Hotel finden sie zu ihrer Liebe zurück. Mit einem Krankenwagen will Paul fliehen und so die Polizei überlisten. Beide wissen nicht, dass Pamela wegen ihrer Krankheit nicht mehr lange leben wird. Paul hat, wie wir es von O.W. Fischer kennen, seine Hände immer lässig in der Hosentasche. Noch im Hotel wird Paul von der Polizei gestellt, er nimmt die Hand aus der Hosentasche und wird erschossen. Pamela sieht aus dem Fenster, wie die Bahre mit der zugedeckten Leiche im Krankenwagen wegfährt und trägt das „Bald bin ich glücklich“-Gesicht.

Dies war die zweite Produktion des noch jungen Luggi Waldleitner und der erste Film des Traumpaares Schell/Fischer. Es beginnt mit der Jungmädchenfantasie vom tapferen – hier reichen – Ritter; dann geht es nach Italien mit Liebe, Mandolinen, Inselseligkeit und Bootsausflug.

Bei einer Liebeserklärung schaut Fischer in den Horizont, dorthin, wo die Liebe wohnt. Er legt den Arm nicht um die Schultern seiner Geliebten, sondern um deren Hals. Es geht um Kontrolle, um die Macht des Geldes, um Bestätigung. Deshalb vergewissert sich Mayhöfer andauernd, dass Pamela glücklich ist – die glückliche Pamela, das ist doch sein Werk. Sie liegt im Liegestuhl und liest. Das geht nun nicht. „Sag einmal, du liest in dieser herrlichen Umgebung? Ist doch wirklich eine Schande. Was liest Du denn da?“ Das Horoskop, was sonst? Es muss nun Sport getrieben werden. Eine Segelpartie mit dem Mann am Steuerruder oder, wie hier, nur lässig auf der Kante des Bootes sitzend; Pamela müht sich mit dem Segel ab, das schließlich – reizendes weibliches Ungeschick – den so photogen sitzenden Herrn unter sich begräbt. Die Krise kommt, als Mayhöfer die Macht entgleitet. Pamela besucht einen Arzt, Mayhöfer sieht nur einen Konkurrenten. Dafür setzt es Ohrfeigen.

Der Krach kommt aus heiterem Himmel über das Paar, das Schicksal meint es einfach nicht gut mit ihnen. Darin konnten sich die Zuschauer wiederfinden, so ritterlich, so süß und unschuldig wollten sie doch auch gewesen sein. Und alles ist so vornehm und unendlich traurig.

In der Saison 1952/ 53 rangierte der Film unter den ersten vierzig umsatzstärksten Titeln.

Nicht auf Video oder DVD erhältlich.
Präzisierungen zu Filmportal:
Standfotos: Richard Wesel/ Hannes Hubmann. Drehzeit: ab 12. Juli 1952 Atelier Göttingen; ab 20. Juli Außenaufnahmen Bellagio – Comer See; Spielbank Bad Homburg

Freitag, 15.01.2016

Filme der Fünfziger (XVI): … und ewig bleibt die Liebe (1954)

Georg (Karlheinz Böhm) und Marieke (Ulla Jacobsson) sind erwachsene Pflegekinder des Gutsbesitzers Vogelreuther (Paul Dahlke) und seiner Frau (Magda Schneider). Trude Vogelreuther (Ingrid Andree) ist die fast erwachsene Tochter des Ehepaars. Georg soll Trude heiraten, liebt aber eigentlich Marieke. Marieke ist das Kind einer kleinkriminellen Mutter, genannt „Die Elster“ (Hilde von Stolz). „Die Elster“ irrlichtert stehlend und trinkend durch den Film und ist verantwortlich für einen gehörigen Schuldkomplex von Marieke. Wegen dieses Komplexes mag sich Marieke nicht zu ihrer Liebe zu Georg entscheiden – sie wäre dann eine Liebesdiebin. Georg hat in Bremen studiert, nach Bremen zieht es auch Marieke; aber die Reise – man hört nur das Pfeifen der Lokomotive – bleibt Imagination. Ach, Bremen!

Georg will sich von seinem übermächtigen Ziehvater befreien. Da ist er aber an den falschen geraten. Dahlke kommentiert den Versuch seines Filmsohns mit dem Spruch: “Jetzt geht der Spass los, sagte die Katze zur Maus“. Vater Vogelreuther hat eine soziale Ader. Georg ist der Sohn eines verstorbenen Geschäftsfreundes, der für seine Familie nicht genügend vorgesorgt hatte, Marieke eben die Tochter einer liederlichen Frau. Und nun wollen die beiden auch noch ihren eigenen Willen haben.

Trude, mental noch ein halbes Kind, fühlt sich dumm und Georg nicht gewachsen. Was Georg und Trude verbindet, ist dem Paar selbst nicht klar; und so will mal Trude, will mal Georg die Heirat im letzten Moment absagen. In einer Nebenhandlung wird Marieke vom Hilfsprediger Hasske (Hans Quest) umworben; Hasske ist ein vollintegrierter Flüchtling aus Oberschlesien, der wegen seines komischen Zungenschlags gönnerhaft belächelt wird.

Es gibt den üblichen Hoftrubel mit Späßen des Gesindes, ein Johannisfeuer mit Blasmusik und Sprung über das Feuer, die Darbietung eines Männer- und eines Frauenchores („Schön ist die Jugend, sie kommt, sie kommt nie mehr“), ein Orgelfrühstück, einen Kinderchor und Studenten im Wichs bei der Hochzeit, Kalendersprüche und eine heile Welt, die von Paul Dahlke resolut zusammengehalten wird. Ja, die freudlose Trude und die Fleisch gewordene Lustbremse Georg heiraten – ein trauriger Tag für Marieke und ein durchweg depressives Ende, mit dem alle Konflikte zugedeckt werden. Glücklich werden nur die Alten.

Ulla Jacobsson hatte nach dem Erfolg von „Sie tanzte nur einen Sommer“ (Schweden 1951; Regie: Arne Mattsson) für zwei Filme ein Engagement des Berliner Produzenten Kurt Ulrich angenommen. Kurt Ulrich war durch seine sehr erfolgreichen Kommerzfilme wie „Grün ist die Heide“ und „Schwarzwaldmädel“ bekannt geworden. Verbürgt ist seine Reaktion „Jetzt wollen sie mir fertig machen“ auf die Nachricht, dass die Filmbewertungsstelle einem seiner Filme das Prädikat „wertvoll“ geben wollte. Wegen ihres starken schwedischen Akzentes denkt man zunächst, dass auch Marieke ein Flüchtlingskind ist. Es dauert eine Weile, bis man die Konstellationen der Familie Vogelreuther begreift.

Wolfgang Liebeneiner inszenierte widerstandslos eine Agfacolor-Postkartenidylle nach der literarischen Vorlage von Sudermanns „Johannisfeuer“. Sudermann’s Theaterstück hatte das Potential zu einem heftigen Melodram; hier geriet es nur zur Vorstufe einer Katastrophe. Gern hätte man gesehen, wie die Geschichte weitergeht mit einer unglücklichen Ehe, der gedemütigten Marieke und dem Niedergang des Gutes Vogelreuther.

Nicht verfügbar als Video, nicht verfügbar als DVD
Was nicht in filmportal steht: Dialog-Coach für Ulla Jacobsson: Else Bongers. Standfotograf: Richard Wesel. Dreharbeiten vom 26. April bis Ende Mai im Atelier Tempelhof, Berlin; Aussenaufnahmen im Juni auf dem Gut Dankersen im Weserbergland bei Rinteln.

Montag, 12.10.2015

Marotte eines Filmhistorikers

Am Freitag und Samstag zeigt arte in der „Komischen Oper“ Stummfilme mit Live-Musik in der Art wie sie früher im Kino gezeigt wurden – d.h. mit Vorprogramm und Bühnenschau (Konzept und Produktion: Nina Goslar, Ulrich Lenz, Rainer Simon). Am 16. 10. laufen The Immigrant (1917) von Charles Chaplin, Manhatta (1921) von Paul Strand und Regeneration (1915) von Raoul Walsh.
Am 2. Abend (17.10.) laufen die Kurzfilme „Wenn die Filmkleberin gebummelt hat“, „Die Pritzelpuppe“ und F.W.Murnaus „Tartüff“ (1925).

Frank Strobel, der Dirigent des 2. Abends, hat dem Tip (21/2015) ein Interview gegeben. „Wir sehen Stummfilme heute zu langsam. Mit gemeinhin 18 Bildern pro Sekunde. Dabei gehen wir von einem Realitätsempfinden aus, das vom Tonfilm geprägt wurde. Wir betrachten Bewegungen, die zu schnell erfolgen, als unnatürlich. Nur: Die schnellere Bewegung war ein Stilmittel der d damaligen Zeit.“ Und: „Film, zu Zeiten des Stummfilms, war nicht als reales Abbild unserer Welt gedacht. Sondern als etwas Künstliches. Das ist der Grundirrtum, dem wir heute zumeist unterliegen.“

Das kann man noch etwas zuspitzen. Nicht wir unterliegen diesem Grundirrtum, sondern wir werden in diesem Irrtum gehalten, denn nahezu alle Stummfilme, die auf DVD angeboten werden, laufen in der falschen Geschwindigkeit. Prominentestes Beispiel ist „Metropolis“, der nach Angaben des Komponisten mit 28 Bildern/sec. laufen sollte. Dann wird aus „Metropolis“ ein Ballett, also ein ganz anderer Film.

Hier einige Angaben zu den Laufbildgeschwindigkeiten von Stummfilmen – sozusagen am Wegesrand notiert:
Fridericus Rex (1922/23): 25 B/sec, diverse Einstellungen langsamer
Alt-Heidelberg (1922/23): 14 – 24 Bilder/sec. 24 Bilder werden als Normaltempo bezeichnet.
Zur Chronik von Grieshuus (1925): 25 – 27 Bilder/sec
Metropolis (1925/26): 28 Bilder/sec
Der Mann im Feuer (1926): 26 Bilder/sec
Luther (1927): 27 Bilder/sec
Das Ende von St. Petersburg (1927): 26 – 27 Bilder/sec
Wenn ein Weib den Weg verliert (Cafe Electric) (1928): 30 Bilder/sec
Küsse, die töten (Verheimlichte Sünden): 28 Bilder/sec
Dorine und der Zufall (1928): 28 Bilder/sec
Saxofon-Susie (1928): 28 Bilder/ sec
Die tolle Komtess (1928): 28 Bilder/sec
Aus dem Tagebuch eines Junggesellen (1928): 28 Bilder/ sec

Manche Filmhistoriker glauben, diese forcierte Geschwindigkeit sei auf die Geschäftstüchtigkeit der Filmtheater-Besitzer zurückzuführen. Je schneller der Film läuft, desto mehr Vorstellungen konnten pro Tag angesetzt werden. Da ist was dran und es ist trotzdem falsch. Die Laufbildgeschwindigkeiten, die ich oben angeführt habe, sind zum überwiegenden Teil Angaben des Verleihs und der vom Verleih beauftragten Kapellmeister – unter ihnen übrigens auch Paul Dessau.

Wenn wir Stummfilme überwiegend in falscher Geschwindigkeit sehen – haben wir dann nicht einen ganz falschen Eindruck von der Wirkung dieser Filme? Richten wir uns also die Vergangenheit gemütlich zurecht und reden dabei gleichzeitig von der Beschleunigung der Wahrnehmung, ohne die früherer Zeiten wahrnehmen zu wollen? Und – interessiert das jemanden? Ehrlich gesagt: niemanden. Das ist ja das Dilemma.

Ich bin jedenfalls gespannt, mit welcher Geschwindigkeit „Tartüff“ in der Komischen Oper unter dem Dirigat von Frank Strobel laufen wird.


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort