new filmkritik

Sonntag, 14.06.2020

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (2)

(1) Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood (7. Juni)

(2) Der gefährlichste Mann in Amerika? Abraham Polonsky im Gespräch mit Wolf-Eckart Bühler

***

Eine achtteilige Serie. Die weiteren Folgen wöchentlich sonntags.

Der gefährlichste Mann in Amerika?

Abraham Polonsky im Gespräch mit Wolf-Eckart Bühler (März 1981)

Ich habe vier Romane geschrieben. Der erste, The Enemy Sea, war eigentlich eher ein Unterhaltungsroman, und er handelte von Politik und dem Krieg. The World Above, mein nächstes Buch, handelte von Politik, Psychologie und Medizin. Dann habe ich ein Buch gemacht, das sich mit Politik und der Blacklist befaßt hat, A Season of Fear, während der McCarthy-Zeit. Und schließlich mein letztes Buch, das erst kürzlich erschienen ist, es heißt Zenia’s Way, und es handelt von Politik und meiner Jugend, und Politik und meinem Alter.
Es ist immer meine Ansicht gewesen, daß eine Blacklist eine normale gesellschaftliche Beziehung in so gut wie jeder Gesellschaftsform ist, die wir je gekannt haben. Es ist Diskriminierung, gegen die Bedürfnisse, gegen die Erwartungen, gegen die Hoffnungen all jener, die du deinen eigenen Zielen und Zwecken in der Gesellschaft als fremd empfindest. Und darin ist moralisch nicht unbedingt etwas falsch, jedenfalls nicht von Anfang an, denn jede Gesellschaft besteht aus verschiedenen Klassen, verschiedenen Gruppen, verschiedenen Bündnissen, so daß Blacklisting in milder Form lediglich besagen kann: Wir gehören zusammen, und du gehörst nicht zu uns – oder aber es kann, zu guter Letzt, auch die Form annehmen, daß es das Instrument des Todes all jener wird, die nicht übereinstimmen.
Und selbst in einer winzig kleinen Gemeinschaft von Primitiven, wo die Rituale sehr streng und rigide sind, wenn jemand gegen die Rituale sich versündigt, die Tabus, dann ist er auf der Stelle ausgeschlossen. In gewissem Sinne ist auch das Blacklisting. Es ist nicht so ausgeklügelt wie das Blacklisting eines McCarthy-Komitees; aber es ist vielleicht sogar tödlicher, in gewisser Weise – denn aus einer kleinen Gemeinschaft ausgestoßen zu sein, bedeutet dein Leben zu verlieren, während diskriminiert zu werden von den herrschenden Klassen der Vereinigten Staaten, das ist nur ein Witz.

Die Blacklist begann in Hollywood in dem Augenblick, als die ersten 19 von dem Komitee aufgefordert wurden, zu erscheinen. Vorher gab es inoffizielle Blacklists, da gab es eine von Leuten, die die Guilds versuchten zu organisieren, da gab es eine von Leuten, die bei gewissen Studios nicht gerne gesehen waren usf. Aber die eigentliche Blacklist, die politische Blacklist als ein offizielles Instrument der Politik der Hollywood-Filmindustrie, die begann mit der ersten Gruppe, die vor das HUAC zitiert wurde. Von diesem Augenblick an wurde jeder, der von einem Spitzel genannt wurde, oder dessen Name von weiß Gott wem genannt wurde, Teil dieser Blacklist. Später wurde das dann besser organisiert, es gab diverse Gruppen innerhalb der Studios und innerhalb der Fernsehanstalten, und die stellten Leute an, die für sie die Blacklists aufstellten.
Schließlich gab es Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren und eine Art von Blacklisting-Privatindustrie, die sich über die ganzen Vereinigten Staaten ausbreitete. Ungleich dem Blacklisting in den Gewerkschaften der Schwerindustrie, das gewöhnlich auf der Tatsache beruhte, daß Leute, die die Gewerkschaften organisierten, für diese oder jene Zeit gebannt wurden, war dies ausgesprochen diskriminierend, vor allem wahllos. Hauptsächlich geschah es deshalb, weil die Filmindustrie den herrschenden Klassen in den USA das Gefühl geben wollte, das sie loyal sei, daß sie in der Zeit der Kalten Krieges kooperierte, und also wurde die Welt in zwei verschiedene Lager aufgeteilt – und diese Lager existieren, selbstverständlich, auch heute noch.

Die Tendenz zu einer konservativen oder sogar durchorganisiert reaktionären Entwicklung steckt in der Geschichte der USA schon seit dem Bürgerkrieg; es hat verschiedene Zwischenspiele gegeben von Populismus, oder die Volksfront unter Präsident Roosevelt usw., doch im Großen und Ganzen hat es eine deutliche und kontinuierliche Tendenz gegeben, daß die Regierung von Mal zu Mal konservativer wird. Das gegenwärtige Auftauchen von Reagan und all diesen alten Namen ist lediglich ein Teil dieser quasi natürlichen Tendenz dieser Gesellschaft. Wir haben versucht, sie zu bekämpfen, in der Vergangenheit, wir werden auch weiterhin versuchen, sie zu bekämpfen.

Es ist ein wichtiger Unterschied zu machen zwischen sozialem Blacklisting und formalem, von der Regierung ausgehendem Blacklisting, welches vom HUAC, vom Department of Justice und verschiedenen anderen Organisationen in den USA begründet würde. Dies hat eine völlig andere Auswirkung auf dich, als wenn du aus gesellschaftlichen Gründen diskriminiert wirst, weil du nicht schön bist, weil du nicht die richtige Hautfarbe oder die richtige Religion hast, oder weil du dich danebenbenommen hast innerhalb deiner Gemeinschaft. Hier, in diesem Fall war es jedoch die Regierung der Vereinigten Staaten, die dich ganz unmittelbar davon in Kenntnis setzte, daß du in Zukunft ausgeschlossen sein würdest von allen Vorteilen und Vorrechten dieser Gesellschaft und ebenso von deinem Beruf. Wir sind mehr oder minder daran gewöhnt, gesellschaftlich auf die eine oder andere Weise diskriminiert zu werden, aber von deiner eigenen Regierung diskriminiert zu werden, offiziell auf eine Blacklist gesetzt zu werden, das bedeutet, daß du zu einem Fremden in deiner eigenen Umgebung gemacht wirst. Du weißt plötzlich nicht mehr, wohin du gehörst, das ist eine ganz neue Erfahrung. Ein Linker in einer Gesellschaft, die die Rolle des Linken anerkennt, wenn nicht gar unterstützt und fördert, hat gegenüber dem Staat und der Gesellschaft eine (seine eigene) Haltung; ein Linker, der sich auf eine Blacklist gesetzt sieht und dem gesagt wird, daß er nicht länger mehr arbeiten darf, daß er diese und jene Dinge nicht mehr tun darf, daß er nicht länger mehr sein Land verlassen darf, wann immer er will usw., und der weiß, daß er die ganze Zeit über von den Sicherheitskräften der Regierung überwacht und beobachtet wird, der findet sich in einer äußerst merkwürdigen Lage wieder, für einen amerikanischen Staatsbürger. Es schien nicht unnormal, oder außergewöhnlich zu sein, daß man ein Linker ist, aber plötzlich ist es unnormal geworden, ist es ein Verbrechen geworden. Dieser einsame Wanderer hat nun nur noch eine einzige Gemeinschaft übrig, an die er sich wenden kann, und das ist die Gruppe der anderen Leute, die auf den Blacklists stehen – bzw. derer, mit denen sie früher verbunden gewesen sind, die aber inzwischen anfangen, sich Sorgen zu machen, ob nicht auch sie eines Tages auf den Blacklists stehen. An diesem Punkt fängt ein psychologischer Prozeß an zu wirken: man beginnt sich zu fragen – liegt es an mir selber, ist irgendetwas faul bei mir selber, daß ich jetzt aus der Gemeinschaft ausgeschlossen bin, habe ich etwas falsch gemacht, bin ich schuldig an irgendetwas? Oder aber, hat man einen besonders starken Charakter, fängt man an, die ganze Welt zu hassen und zu verdächtiger, und dann wirst du ein Mensch, der alles und jedes als feindlich, überwachend, gewalttätig ansieht, und das hat einen nicht minder schlechten Einfluß auf deinen Charakter, wie du weißt. Grundsätzlich, also: offizielles Blacklisting, selbst wenn es nicht bis zum Äußersten geht, dich zum Beispiel in Lager, oder Gefängnisse, steckt, oder dich vor Erschießungskommandos stellt, entfremdet dich völlig in der Gesellschaft, in der Entfremdung ohnehin bereits eine Gewohnheit und eine ständige Quelle der Angst bedeutet. Auf diese Weise macht sie, die Entfremdung, die Blacklist erst wirklich effektiv, und macht sie den, der auf ihr steht, absolut ineffektiv.
Offensichtlich haben nicht alle auf diese Weise reagiert. Manchmal hat die Blacklist auch Qualitäten in Leuten hervorgebracht, Qualitäten der Stärke, oder Qualitäten der Ermunterung und Hoffnung, von denen sie vorher gar nicht gewußt hatten, daß sie in ihnen waren.
Aber natürlich nicht in mir; ich hätte die schlechte Angewohnheit gehabt, so zu werden wie ich bin, egal was passiert wäre… Ich mach nur einen Witz… Natürlich hat das Blacklisting ganz enorme Auswirkungen auf mich gehabt, wie auf alle meine Freunde.
Wir haben untereinander eine sehr enge Beziehung zueinander aufgebaut, gegen die Blacklist, und wir haben sie sogar zu einer Art Arbeitsgruppe, Stoßtruppe, umgeformt, mit anderen Worten, wir haben uns ein Instrument geschaffen, innerhalb der Gesellschaft weiterhin operieren zu können. Zwei meiner Freunde und ich haben uns zusammengetan und uns entschlossen, eine der Fernsehstationen, bzw. eines der Programme an einer Fernsehstation zu übernehmen, um zu überleben; wir operierten in utopischer Freundschaft, ohne jede Konkurrenz untereinander, das heißt also, daß meine Freundschaft zu ihnen sehr viel tiefer geworden ist aus diesem Grund. Aber natürlich hatte das alles auch andere Auswirkungen. Ich dachte mehr über mich selber nach; ich dachte mehr über die Gesellschaft nach; und ich bemerkte, daß ich, obwohl ich die Gesellschaft brauchte, doch nötigenfalls auch ohne sie auskommen könnte. Zumindest in dem Sinn, daß ich ihrer Gegenwart existieren konnte, ohne ihre ständige Billigung und Wertschätzung zu brauchen, um mit mir selber zufrieden sein zu können, und um mich etwas wert zu fühlen.

Die meisten der blacklisted Autoren wurden auf die eine oder andere Weise krank, angefangen von Magengeschwüren und anderen psychosomatischen Krankheiten, denn sie waren nicht nur unter dem ständigen Streß, überhaupt ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sie waren zusätzlich unter dem ständigen Streß so zu erscheinen, sich so zu geben, als ob sie überhaupt nicht auf der Blacklist stünden – als ob sie das in keiner Weise beeindrucken oder beeinflussen könnte. Du gibst also ständig etwas vor.

Was ich persönlich tat, war, Hollywood zu verlassen und nach New York zu gehen, was meine Heimatstadt war, und in New York ist in gewisser Weise jeder auf der Blacklist, denn jeder New Yorker ist mehr oder minder verrückt, und wenn du bereit bist, auf die sogenannten Wohltaten und Vorteile des normalen Lebens in New York City zu verzichten, dann gibt es dort genug Platz für fast jedermann zu überleben.
Ich konnte nicht unter normalen Umständen und auf normalem Wege in den Medien arbeiten, d.h. ich konnte weder Filme inszenieren noch konnte ich Filme schreiben, und ich konnte noch nicht einmal Bücher schreiben, und erst recht nicht die Bücher, die man gerne oder normalerweise schreiben würde, denn in der Regel gaben Verleger nicht die Bücher von Schriftstellern heraus, die auf irgendeiner schwarze Liste standen. Abgesehen von ganz wenigen Ausnahmen.
Doch das ist nicht der wichtigste Aspekt davon, wie die Blacklist auf dich einwirkt. Aus Gründen, die ich schon genannt habe, passiert etwas mit dir selbst, in dir selbst, und zwar in deiner Beziehung zur Gesellschaft und zum Staat. Ich bin der festen Ansicht, daß ein Künstler nur innerhalb des Kontextes seiner Gesellschaft wirklich effektiv arbeiten kann – selbst, wenn diese Gesellschaft nur eine Illusion seiner eigenen Einbildung ist; und auf diese Weise bin ich natürlich sehr, sehr nachdrücklich von der Blacklist beeinflußt worden.
Tatsache ist, daß sie fast die gleiche Auswirkung hatte wie ein absolutes Scheitern, wie ein absoluter Mißerfolg; so, als ob man etwas sehr Großes, sehr Wichtiges versucht hätte, und dann daran gescheitert wäre. Nun würde ich Scheitern oder Verzweiflung keineswegs als eine Methode, sich selbst zu ändern, empfehlen, zumindest nicht als eine gesunde Art und Weise – genauso wenig wie ich einer politischen Partei oder einem einzelnen Linken eine Niederlage wünsche, als eine gesunde Art und Weise, seinen politischen Standpunkt neu zu überdenken –: aber wenn wir das Scheitern nicht gewählt haben, wenn es uns aufgezwungen worden ist, wenn es nicht eintritt wegen einer Schwäche von uns, oder falschen Gedanken und Idee oder einer mangelhaften Persönlichkeit, oder wegen unserer falscher Vorstellungen von uns selbst – dann kann das Scheitern eine reelle Möglichkeit für dich sein, eine Basis sein, ganz neu, ganz von vorn anzufangen. Denn du beginnst dann die Gesamtheit deiner Ansichten und Überzeugungen über eben das System, in welchem du lebst, in Frage zu stellen, und zwar als ganz privater Mensch. In diesem Sinne ist es also sehr heilsam. Schließlich ist Chaos der Anfang jeder Form jeder Ordnung, nicht wahr? Also, indem du eine ganze Anzahl vor Formen zerstörst, aus dem Chaos heraus, das dadurch entsteht, resultieren neue Formen – und vielleicht näher zu der Realität des Augenblicks und zu der Realität dessen, was du bist. Mit anderen Worten, die Blacklist war ein Desaster für mich. Ich hätte sie nicht von mir aus, freiwillig gewählt, denn ich hätte andere Dinge auf verschiedene Weise gemacht, oder machen können… Und vielleicht habe ich mich auch gar nicht so sehr geändert, wie ich gedacht habe, daß ich mich geändert hab. Aber ich weiß, daß ich mich geändert hab.

Aus einer bestimmten Art von Scheitern erwächst Befreiung, nicht aus völligem, totalem Scheitern, dann bist du lediglich befreit wie Minerale in der Erde; aber innerlich zu scheitern, daraus kann die Befreiung des Lebensgeistes erwachsen. Es befreit ihn, sich auf die Suche zu begeben nach neuen Formen. Jedenfalls war es das für mich. Zu guter Letzt würde ich sagen, die Blacklist war ein Akt der Befreiung für mich.
Natürlich war ich in Versuchung. Aber ich war nicht versucht durch die übliche Versuchung, ich war nicht versucht, nicht auf die Blacklist zu kommen, und das zu tun, was notwendig war, um nicht auf die Blacklist zu kommen. Diese Art von Versuchungen gab es nicht – aber es gibt schlimmere Versuchungen als die, sich zu verkaufen. Die Versuchung, z.B. aufzugeben und zu sagen, daß nichts mehr einen Wert hat. Ich ziehe es vor, wenn jemand sich verkauft als daß er sagt, alles sei wertlos und sich ganz und gar aufgibt, ich war niemals in Versuchung, keinen Sinn mehr in allem zu sehen.

Es gab eine Form der Eitelkeit, der sehr schwierig auszuweichen ist und das ist der Wunsch, berühmt zu sein. Eines der wohltuendsten Ergebnisse der Blacklist war, daß ich an diesem Thema nicht länger interessiert war. Ich mußte nicht mehr berühmt sein, um mir selber gefallen zu können.
Ob ich vorher berühmt sein wollte? Ich hoffe, daß ich diese Hoffnung hatte. Und dann hab‘ ich die Versuchung aufgegeben.
Ich nehme an, daß dieses Gespräch ein Ausdruck der Tatsache ist, daß ich jetzt nicht so berühmt bin… Ich bin halb-berühmt… Aber es ist wirklich wahr. Man wird immer getrieben davon. Von dem Wunsch… oder dem Drang… ich denke, man braucht einfach ein bestimmtes Maß an Anerkennung… ich meine nicht Verehrung, ich meine Anerkennung, das ist etwas anderes – jeder Künstler will immer anders sein, anders als die anderen, aber du begreifst, wenn du auf der Blacklist bist, wenn du durch und durch geächtet bist, daß das überhaupt nicht das ist, was du wirklich willst. Du willst nicht anders sein. Du willst wahrhaftig sein. Du willst etwas Schönes machen. Und du willst etwas finden, das einen wirklichen Sinn ergibt; du willst in dir etwas finden, das dich dein Alter leichter ertragen läßt.

Der gefährlichste Mann in Amerika?
Zuerst will ich dir sagen, was er gemeint hat. Ich war Mitglied des OSS im 2.Weltkrieg gewesen, er versuchte mich auszufragen über die Leute, die noch mit dabei waren, ich wollte ihm seine Fragen nicht beantworten, ich hab ihn ein bißchen gereizt und mich über ihn lustig gemacht, bis dann jemand vom CIA ihn aufforderte, diese Art von Fragen zu unterlassen. Darauf war er sehr irritiert, und er war böse auf mich, und also sagte er, ich sei der gefährlichste Mann in Amerika. Später dann, als das Look Magazine mich in einem Interview befragte, was er denn damit gemeint habe, sagte ich, ich sei gefährlich nur für mich selbst gewesen. Nun, ich weiß selber nichts genau, was ich damals hatte sagen wollen mit diesem Satz, aber andererseits muß man einfach klar sehen, daß wir, die wir in unserer Einbildung auf dieser Welt die einzigen wahren Bewohner sind, eine Gefahr nur für uns selber darstellen. Andere Leute können uns töten, und andere Leute können uns traurig machen, und andere Leute können uns glücklich machen – aber zerstören, unser Innerstes zerstören können nur wir uns selbst. Und in diesem Sinne ist gerade jeder Künstler eine Gefahr für sich selbst, all die Zeit über, die er arbeitet, denn er ist fortwährend und ohne Unterlaß umgeben von der Versuchung, sich selbst zu betrügen, sich selbst zu verraten. Nicht für Geld, ich meine das nicht in diesem einfachen, billigen Sinne, sondern seine geheimen und tiefsten Überzeugungen und Anschauungen über die Natur der Dinge zu verraten – um sich annehmbarer, konsumierbarer zu machen. Und natürlich, selbst diejenigen unter uns, die dieser Versuchung entgehen können, entweder weil wir eben doch keine großen Künstler sind, und damit nicht genug zu verkaufen haben, oder als Künstler überhaupt, auch wir unterliegen nichtsdestotrotz derselben Art von Versuchung, glaube ich. Man kann der Versuchung nicht entfliehen. Sie ist die Quelle unserer Fähigkeiten.

War ich jemals in Versuchung, ein Märtyrer zu sein? Oh je, ich weiß das wirklich nicht. Aber es widerspricht im Grunde völlig meiner Natur, ein Märtyrer zu sein. Wie es auch völlig meiner Natur zuwider läuft, ein passives Opfer zu sein. Ich kann zum Opfer gemacht werden, aber ich glaube nicht, daß ich dann nichts weiter wäre als nur ein Opfer, und daß ich dieses Zum-Opfer-Gemacht-Werden akzeptieren würde. Ich verstehe sehr gut die Idee, daß man sich für andere aufopfert, anderen Opfer bringt, ja, ohne das sehe ich im Leben überhaupt nichts, das etwas bedeutet. – Aber die Aufopferung deines Lebens zu genießen, das ist vielleicht der unterste Kreis der Hölle. Nicht der Verrat an anderen, sondern der Verrat an dir selbst.

Opfer zu spielen kann eine sehr angenehme Karriere sein, du kannst es bei dir zu Hause spielen, und was du im Privatleben bei dir zuhause spielen kannst, das kannst du natürlich auch im politischen Leben spielen, es sind genau dieselben Versuchungen. Und ein Opfer zu sein, das sich darin gefällt, daß andere dem Opfer nur zu gerne sentimentale Gefühle entgegenbringen, eine gewisse Sympathie, ein Mitleiden, eine Bereitschaft zu helfen oder die Last mitzutragen – nun, ich hab einfach keine Lust, weiter darüber zu reden, du weißt, daß das schaurig ist. Wer eine solche Rolle freiwillig spielen mag, ich weiß es nicht. Ich weiß, daß Leute sie spielen, aber ich verstehe nicht weshalb; ich sehe nicht einmal einen Sinn darin, denn die Belohnung dafür ist doch wirklich minimal, oder etwa nicht, bloß irgendeine Illusion – wenn das keine dämliche und sinnlose Belohnung ist! Aber es spielt dabei natürlich auch noch etwas anderes eine Rolle. Jemand, den man zum Opfer gemacht hat, kann dieses Gefühl von Selbstmitleid dazu benutzen, sich selbst gegen das totale Scheitern zu verteidigen: es gibt ihm eine Rolle, die er ausfüllen kann, mit der er sich identifizieren kann, und in diesem Sinne arbeitet das zu deinen Gunsten, nützt dir vielleicht was. Aber das ist bloß eine Linderung eines neurotischen Symptoms, und alles andere als ein politischer Gewinn.

Cain/Abel
Von Mythen zu reden, das ist in den meisten Fällen wie einem hungrigen Hund ein Stück Fleisch vorzuwerfen, denn natürlich mag jeder so über seine Arbeiten sprechen, es macht alles irgendwie viel wichtiger, viel bedeutender, scheinbar. Die Intellektuellen heute lieben sowas, es spielt eine große Rolle bei ihnen. Es scheint allem eine neue Dimension hinzuzufügen, ganz besonders, wenn sie gar nicht zu sagen haben. Auf mich bezogen kann ich nur sagen, ich habe an all das niemals als an einen Mythos gedacht. Es fing nicht damit an, ich kann das nicht behaupten, daß ein fester Diskurs dagewesen wäre, daß ich vorher genau wußte, worauf es hinauslief, worüber ich schreiben würde, Und wenn die Idee der Brüderschaft als einer grundlegenden Beziehung zwischen Menschen, und nicht nur zwischen zwei tatsächlichen Brüdern, auch die Basis war nicht nur, daß sie einander mögen, sondern auch ihrer gegenseitigen Feindseligkeit, dann kommt einem unwillkürlich der Mythos von Kain und Abel in den Kopf, und wenn der einmal in den Köpfen drin ist, dann merken‘s die Leute auch, und wenn sie’s merken, dann reden sie darüber, und genau das tun wir jetzt, wenn ich jedoch versuche, zurückzudenken, warum mir das in den Kopf gekommen ist, oder warum meine Geschichten auf diese Weise ablaufen… Ich kann in meinem eigenen Privatleben nichts entdecken, auch in meinen persönlichen Erfahrungen nicht, obschon ich einen Bruder habe, das mit dieser Art von Beziehung zu tun hätte. Es muß also eine philosophische Vorstellung gewesen sein, und eine gesellschaftliche Vorstellung, die mich dazu getrieben hat, in diese Richtung zu denken: und nachdem ich sie einmal gefunden hatte, muß sie sich bei meiner Arbeit als ein überaus fruchtbarer Boden erwiesen haben für Erfindungen und Offenbarungen, und also, da ich schließlich mit diesem Mythos vertraut war, begann er seine Rolle zu spielen in allem, was ich getan habe. Aber weshalb ich so denke? Ich weiß es nicht. Ich habe mich niemals gefragt, weshalb ich auf diese Weise denke, obschon ich über all die Dinge nachgedacht habe, die zwischen Brüdern passieren, bzw. zwischen Systemen, denn der Mythos ist sehr viel weiter als lediglich das Erscheinen von zwei Brüdern, einer schuldig, einer unschuldig. In Wirklichkeit habe ich den Mythos z.B. so benutzt, daß der unschuldige Bruder es ist, der erst die Schuld bei dem nicht-schuldigen Bruder erweckt, dessen Schuld auf etwas vollkommen anderem beruht. Zum Beispiel in Force of Evil, aber auch in den Romanen. Ich habe also wirklich nichts Besonderes darüber zu sagen, es sei denn, ich würde über meine politischen und gesellschaftlichen Ansichten anfangen zu reden, in denen der Mythos der Brüderschaft und die Realität der Brüderschaft ein Symbol sind für die Gemeinschaft, und was in der Gemeinschaft vor sich geht, in der Gesellschaft.
Manche sagen, daß beide Brüder gleich schuldig oder gleich unschuldig seien. Das kann man so sagen, aber es stimmt nicht. Ich kann diese Idee nicht leiden, die so überaus populär ist, und dies im übrigen ganz besonders während den Epochen in der Geschichte war, in denen Verrat eine erhebliche Rolle spielte. Denn wenn wir sagen, wir alle sind schuldig, dann brauchen sich die, die wirklich schuldig, sind, nicht mehr so schuldig vorkommen wie zuvor. Das ist ein sehr beliebter Ausweg, und er paßt besser für einen Psychoanalytiker als für einen Politiker oder für einen, der in der Politik mitmischt. Ich jedenfalls unterschreibe das nicht. Ja, wir sind alle schuldig in dem Sinne, daß wir alle an der Gesellschaft teilhaben, die schlecht ist, oder nicht so gut, und wir sind ganz sicher schuldig in dem Sinne, daß wir alle aneinander teilhaben oder miteinander uneins sind, aber das ist doch wohl eine sehr billige Schuld, die mir jedenfalls nicht das geringste bedeutet.

In Force of Evil sprechen wir von wirklichen Brüdern und nicht von Kain und Abel. Und als wirkliche Brüder hat der ältere von beiden, Gomez, und der andere, gespielt von Garfield, eine Beziehung, in der der ältere Bruder sich aufgeopfert hat, um aus seinem Bruder eine einflußreiche Persönlichkeit in der Gesellschaft zu machen, ihm zu ermöglichen, Rechtsanwalt zu werden. Während er selber ein kleines Wettbüro betreibt. Für diese Opfer, die er getragen hat, möchte er nun eine Belohnung. Natürlich würde er es nicht auf diese Weise ausdrücken, als Belohnung, er würde vielmehr sagen: Ich möchte, daß mein Bruder eine wichtige, wunderbare, bewundernswerte, untadelige Persönlichkeit wird, so daß ich das Gefühl haben kann, daß mein Opfer nicht umsonst gewesen ist. Der jüngere Bruder, wenn sich die Gelegenheit ergibt, und im Gefühl seiner Verantwortung gegenüber seinem älteren Bruder, will ihm die Belohnung auf materielle Weise zurückzahlen, nämlich indem er ihn zu einer wichtigen Figur im Wett-Syndikat macht. So daß, als die Geschichte zwischen ihnen sich entwickelt, jeder versucht, die Ehre des Anderen zu verteidigen. Und doch, am Schluß, haben sie sich gegenseitig kaputtgemacht. Diese Beziehung zwischen dem, daß man einem anderen etwas schuldig ist, und dem, daß man ich verpflichtet fühlt, moralisch verpflichtet, diese Schuld einzulösen – diese Beziehung sollte man nicht einfach übersetzen in die Begriffe von Schuld und Unschuld, denn beide Begriffe sind viel zu eng, die Komplexität dieser zwischenmenschlichen Beziehung zu erklären. Und der Film geht in erster Linie darüber, wie sie diese ganze Beziehung herausarbeiten, die, wie die Gesellschaft, in der sie leben, eine Atmosphäre schafft, in der sie nur die Verlierer sein können. In der Realität, denn innerlich, kann man sich immer von der Niederlage befreien, und die Geschichte handelt denn auch natürlich von einer solchen inneren Befreiung. Ansonsten hätte ich den Film nicht gemacht. Jede wahre Tragödie ist eine Befreiung.

Kazan & me
Ich habe diesen Artikel in einer französischen Zeitung gelesen. Sie machen einen Vergleich der beiden Filme, die wir gemacht haben, Force of Evil und East of Eden. Und in East of Eden, dies war lange bevor er ein Stool Pigeon wurde, preist Kazan bereits Korrumpiertheit und unterwirft sich dem Geld als einer Art von amerikanischer Tugend, wohingegen Force of Evil natürlich, gerade die genau entgegengesetzte Position einnimmt. Und dann kam die McCarthy-Zeit heran, und schon konnte man Kazan eben die Rolle spielen sehen, die er für sich selbst in seinem Film bereits vorhergesehen hatte. Allerdings habe ich nicht unbedingt die Rolle von Garfield gespielt. Ich habe mich einfach geweigert, mit dem Komitee zu reden, während Kazan nachgegeben hat. Sie haben es die Anbetung des großen Gottes Dollars von Seiten Kazans genannt. Nun, wie ich schon sagte, das ist sein Problem, er muß selbst damit fertig werden. Schließlich hat er nicht das ganze Universum zu Fall gebracht, er hat sich lediglich schlecht benommen. Wenn er sich ändern will, es ist immer noch Zeit dazu.

In dem kürzlich erschienenen Buch Naming Names von Victor Navasky wurde die ganze Frage von neuem wiederaufgerollt, ob es einen wirklich entscheidenden Unterschied gegeben habe zwischen denen, die Namen genannt haben und denen, die es nicht taten. Ich erinnere mich, daß ich früher, wenn Leute mich gefragt haben, weshalb ich keine Namen genannt hätte, sagte, es läge einfach nicht in meiner Natur, mich anzupassen, Kompromisse zu schließen, Namen zu nennen. Es könnte also die Frage gestellt werden, ob es denn etwa in der Natur derer die Informer geworden sind, gelegen habe, Namen zu nennen? Natürlich kannte ich die meisten dieser Leute, so gut wie alle, und all die Jahre über wäre es mir niemals in den Sinn gekommen, von ihnen als von Leuten zu denken, die so etwas tun würden. Das war vielmehr immer wieder eine große Überraschung und ein großer Schock, herauszufinden, daß sie zu so etwas tatsächlich in der Lage sind. Natürlich, nachdem sie erst einmal angefangen hatten, Namen zu nennen, dachte jeder, jeder könne Namen nennen – mit Ausnahme, selbstverständlich, von einem selbst. Die Frage ist also, gibt es tatsächlich einen Unterschied, einen grundsätzlichen Charakterunterschied bei diesen Leuten, oder ist es eher ein gesellschaftlicher/politischer Unterschied, der auf ihrer Seite dieses Handeln hervorbringt? Ich weiß von meinen Erfahrungen im Krieg, und jeder weiß aus seinen Erfahrungen mit den Alltagsschrecken der Gesellschaft, daß so gut wie jeder zum Verräter werden kann. Ganz besonders die, die von sich glauben, sie könnten niemals verraten. Ich habe über diese Frage nachgedacht, und sie ist mir speziell in Bezug auf Kazan gestellt worden, oder in Bezug auf Hayden. Nun, Sterling Hayden, der mich genannt hat, war zu dieser Zeit einer meiner besten Freunde, und er hat mich denunziert. Zum Schluß ist er einer der ganz wenigen gewesen, die öffentlich zugaben, falsch gehandelt zu haben, und der das bereut hat, und er sich, danach anders verhalten hat als zuvor. Aber Tatsache bleibt, er hat denunziert. Und er hat nicht nur denunziert, er hat obendrein auch noch gelogen, zum Beispiel über mich: er hat Dinge gesagt, von denen er wußte, daß sie nicht wahr waren, die aber dem Komitee damals nützlich waren für das Bild, daß sie von der Natur der KP in Hollywood, oder von Linken überhaupt, zeichnen wollten. Nun, ich sehe das heute eher gelassen, dieses Thema. Ich glaube, daß jedermann ein Verräter sein kann, aber ich erwarte es nicht von ihm. Das ist nicht meine Aufgabe, ich bin nicht im Sicherheitsgeschäft. Und für einen Künstler, zudem, spielt Verrat eine derart ständige und alltägliche Rolle im menschlichen Leben, angefangen bei einem selbst, daß es geradezu absurd wäre zu denken, daß niemand verraten könnte. Also muß man Grenzen ziehen, praktikable Grenzen; mit anderen Worten: unter welchen Umständen darf es einem gestattet sein, zu verraten? In der Résistance in Frankreich z.B., mit der ich während des Krieges eine Weile zu tun hatte, gab es eine Bestimmung, und diese Bestimmung lautete: halte wenigsten für ein paar Tage durch. Denn das wird uns anderen die Gelegenheit geben, in der Zwischenzeit unterzutauchen. Ich halte das für eine gute Regel für jeden von uns.

Anpassung und Unterordnung sind in jedermanns Natur, und wenn ich gesagt habe, das läge nicht in meiner Natur, dann habe ich damit lediglich die konkrete Situation gemeint: in einer Situation wie dieser schien es mir einfach unglaublich zu sein, daß einer sich anpassen und unterordnen sollte oder würde. Denn ich hab doch wohl die Drohung, meinen Job zu verlieren, oder überhaupt nicht mehr arbeiten zu dürfen in Amerika jedenfalls nicht als einen brutalen Anschlag auf mein Leben ansehen können; ich habe darunter gelitten, ich habe für soundso lange keine Filme machen dürfen, aber es hat mich schließlich nicht unter die Erde gebracht, ich hatte ja noch mein Leben. Sicher, für eine ganze Reihe von Leuten hat der Gedanke, nicht mehr arbeiten zu können, nicht mehr so viel Geld machen zu können, nicht mehr in der Gemeinschaft anerkannt zu sein und was weiß ich, eine derartige Bedrohung bedeutet, daß sie nachgegeben haben, daß sie verraten haben. Das ist alles, was ich damit gemeint habe. Ich wüßte z.B. nicht, was ich tun würde, würde mir jemand die Pistole an die Schläfe halten und verlangen, daß ich ihm Sterling Haydens Namen geben sollte: ich nehme an, ich würde ihm ihn geben und gleichzeitig hoffen, daß der andere den Spieß umdreht und meinen Namen nennt. Aber das ist eine hypothetische Frage. Ich halte nicht viel davon, sie theoretisch zu erörtern, ich bin vielmehr dafür, sie als eine rein praktische Angelegenheit zu behandeln: unter welchen Bedingungen vergeben wir den Verrätern? Wir vergeben ihnen am Ende sowieso, egal was auch immer sie getan haben mögen; in dem Sinne, daß wir alle nur zusammen Menschen sind. Aber nicht, weil wir alle miteinander Opfer sind! Wir vergeben ihnen, weil Vergeben menschlich ist, und weil es menschlich ist, menschlich zu sein, umgeben von den Dschungeln unserer Moral, in denen so schwer sich durchzufinden ist. Eine so relativ simple und harmlose Angelegenheit jedenfalls wie die, einen Job zu haben oder nicht, das ist doch wohl nicht zu vergleichen mit dem, daß man dich in ein Lager steckt, und dich vor die Wahl stellt, zu reden oder zu sterben: und auch unter diesen Bedingungen wissen wir von Menschen, die es vorgezogen haben, lieber zu sterben. Aber ich halte, ganz allgemein gesprochen, nichts davon, sich einer solch heroischen Tat hinzugeben, und selbst nur in Gedanken, solange die Notwendigkeit dazu nicht gegeben ist; und von sich selber zu glauben, daß man so heroisch sein könnte, bevor die Notwendigkeit dazu überhaupt gegeben ist, das ist nur eine weitere Illusion mehr in unserem falschen sozialen Selbstverständnis.

Eine der interessanten Fragen während der Blacklist-Zeit war die, ob diejenigen, die wir Informers nannten, und die auch tatsächlich Informers waren, oder damals nannten wir sie auch Stool Pigeons, oder Finks, ob sie tatsächlich ihre politische Meinung geändert hatten oder ob sie lediglich eine neue Position in der Öffentlichkeit bezogen hatten, um ihrer früheren politischen Stellung aus dem Wege zu gehen. Es gibt zwei interessante Variationen dabei. Die eine ist der Fall von jemanden wie z.B. Budd Schulberg, der schon lange aufgehört hatte, Kommunist zu sein, seit 10 oder 12 Jahren schon, aber immer noch mit den Leuten befreundet war, die zu seiner Zeit in der Partei gewesen waren oder es immer noch waren. Er hatte niemals irgendwelche anti-kommunistischen oder anti-linken Verlautbarungen gemacht, und ob er mit der Sowjetunion einverstanden war oder nicht, das war für ihn ganz einfach keine entscheidende Frage mehr, das gehörte einer Vergangenheit in seinem Leben an, die er hinter sich gelassen hatte. Unglücklicherweise aber gab es einen dieser Stool Pigeons, einen Mann namens Collins, Dick Collins, der auf der Suche nach ‚harmlosen‘ Namen, die er dem Komitee geben könnte, ‚harmlos‘ in dem Sinne, daß die Nennung dieses bestimmten Namens niemandem großen Schwierigkeiten bereiten würde – obschon er auch Namen nannte, die die Leute wirklich in Schwierigkeiten stürzten, z.B. meinen –, der also schließlich auf den Namen Budd Schulberg stieß. Nun, Budd Schulberg wurde rasend. Zunächst einmal war sein Name jetzt in allen Zeitungen als der eines Ex­ Kommunisten. Als Resultat davon begann er eine öffentliche Position von heftigstem Anti-Kommunismus zu beziehen und bezog sogar die gesamte Linke darin ein. Und schließlich schloß er sich mit einigen anderen Stool Pigeons zusammen, und sie machten On The Waterfront, in dem es, wenn man es genau betrachtet, ausschließlich um das Naming Names geht.
Also: er hatte seine Position tatsächlich verändert, es bedeutete für ihn nichts mehr, denn indem er seine Position geändert hatte, war dieses Thema für ihn erledigt gewesen. Nun aber glaubte er, sich gezwungen zu sehen, eine Position zu beziehen – die schrecklich war. Ich glaube, er hat zu dieser Zeit wirklich so etwas wie Wut und Haß auf die Kommunisten verspürt; da waren sie doch einfach dahergekommen durch ihre bloße Existenz, und hatten ihm Alpträume verursacht – wo er doch nichts weiter war als ein netter alter Liberaler!
Auf der anderen Seite hatte ein Mann wie Kazan seine politische Position keineswegs geändert, obwohl er das behauptete und beteuerte und sogar eine Zeitungsanzeige aufgab, in der er jedermann in den Vereinigten Staaten dazu aufforderte, patriotisch zu sein usw. Die Frage lautet also: hing die Aussage vor dem Komitee von einer tatsächlichen Änderung der politischen Position ab – was eine durchaus gerechtfertigte philosophische Haltung wäre –, oder hing sie ab oder war sie das Resultat von Angst, Korrumpiertheit und Verrat, wo es nicht einmal notwendig war. Das ist sehr ähnlich der Situation in einem Bürgerkrieg: kein Krieg wird haßerfüllter und brutaler geführt als ein Krieg unter Brüdern und Freunden und Bekannten und Nachbarn; eine fremde Armee dagegen marschiert ein, besiegt dich, und du machst Frieden. Ein Bürgerkrieg jedoch hinterläßt unvorstellbaren Horror von Verrat und Gewalt. Und einige von den Stool Pigeons damals benahmen sich so wie in einem Bürgerkrieg, und auch einige von denen, die keine Stool Pigeons warei benahmen sich so wie in einem Bürgerkrieg, und andere taten das nicht. Warum das jeweils so war, was ihre Gründe waren für das eine wie das andere – ich weiß das nicht.

Sicher war es die erste Inquisition, die erste ‚demokratische‘ Inquisition der neueren Geschichte, das heißt, es ging eine landesweite und unmittelbar von der Regierung betriebene Gesinnungsüberwachung vor sich, und sie ging vor sich in den Staaten, in den Städten, auf dem Land, überall, und überall wurden Gesetze erlassen, dieses Vorgehen zu unterstützen. Einer der interessanten Aspekte dabei ist die Tatsache, daß all das zu derselben Zeit eingeführt wurde, als auch das .Fernsehen überall in den Staaten seinen Durchbruch hatte, zusammen mit Computersystemen der verschiedensten Art, von Informations-, Datenspeichern, so daß man jetzt ein lückenloses System besitzt, in dem jedermanns Geschichte an jedem Ort gespeichert ist. Wenn jedermanns Daten überall gespeichert sind, braucht es Gesetze, die deine Privatsphäre schützen. Aber ein Gesetz, das deine Privatsphäre schützt, ist ein Gesetz, das das Papier, auf dem es gedruckt ist, nicht wert ist, denn sind deine Daten einmal gespeichert, dann stehen sie der Regierung und den Herrschenden auch jederzeit zur Verfügung. Ist es möglich, eine, funktionierende Demokratie im altmodischen Wortsinn, ist es möglich, tatsächliche Gedanken- und Bewegungsfreiheit zu haben, wenn alles über dich bekannt ist? Und ständig aufgezeichnet wird? Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, daß unter dem Einfluß dieser neuen, fortgeschrittenen Technologien die Natur des Staates und auch die Natur des Begriffs davon, was Freiheit ist, einem grundlegenden Wandel unterzogen sind. Das gegenwärtige System funktioniert so, daß es ständig neue Gesetze erläßt, die dich schützen und verteidigen sollen. Aber was mich schützt, das sind, nicht die Gesetze, was mich schützt ist der tatsächliche Zustand der Dinge, und wenn der tatsächliche Zustand der Dinge so beschaffen ist, daß ich keine wirkliche Privatsphäre oder Freiheit mehr habe, dann habe ich auch keine. Die Frage ist, ob wir eine Gesellschaftsform oder eine Politik finden können, in der diese Vorstellungen von Privatheit, Individualität und relativer Demokratie mit einem solchen System sich vereinbaren lassen. Ich zweifle daran.

Es hat eine definitive politische Bewegung unter den Filmemachern der Linken in Hollywood vor der Blacklist gegeben, doch war das keine zugleich wirkliche ästhetische Bewegung – ästhetisch in dem Sinn, wie der Surrealismus eine ästhetische Bewegung war. Es hat eine bestimmte politische Haltung gegeben, und eine bestimmte gesellschaftliche Haltung, welche Teil war der Struktur des gesamten Lebenszusammenhangs dieser Leute, und daher haben sie natürlich auch die Notwendigkeit empfunden, das in die Filme hineinzuprojizieren. Sie waren der Ansicht, daß Filme ohne eine solche Haltung Filme ohne jegliche Bedeutung waren. Das heißt jedoch nicht unbedingt, daß sie der Meinung waren, daß eine ganz bestimmte politische Haltung ausgedrückt und vorangetrieben werden sollte, sondern einfach daß da ein Bewußtsein und eine Aufmerksamkeit da sein sollte für den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext, in dem die Personen leben und arbeiten. Nun, das jedoch ist natürlich in allem enthalten, was jeder Schriftsteller und jeder Filmemacher macht, aber innerhalb der Grenzen und
Konventionen des Mediums. Das heißt zum Beispiel auch, daß ein Regisseur wie Frank Capra eine oft sehr viel definitivere gesellschaftliche Position bezog als die Linken – eine amerikanische gesellschaftspolitische Position, was heißt von sehr allgemeiner, generalisierter Art, sehr abstrakt, so wie Atmen, und der Unterschied zwischen dem politischen Gehalt seiner Filme und dem unpolitischen Gehalt anderer Filme war etwa dem Unterschied zwischen Atmen und Nicht-Atmen gleichzusetzen – das heißt er war so sehr verallgemeinert, daß man praktisch überhaupt keinen Unterschied sehen konnte. Auf der anderen Seite, hätte es tatsächlich so etwas wie ein echtes ästhetisches Bedürfnis gegeben… Ich will es anders formulieren: In Force of Evil z.B., versuchte ich eine bestimmte Ästhetik, eine bestimmte Form durchzusetzen basierend auf einer ästhetischen Theorie, unabhängig oder besser gesagt parallel zu meinen politischen Ansichten. Nun ist es in der Regel so, daß Hollywood-Produzenten hin und wieder gegen verallgemeinerte gesellschaftliche oder politische Inhalte, die in Filmen ihren Ausdruck finden, überhaupt nichts haben, es interessiert sie nicht besonders; wenn du das und das machen willst, ok, das ist deine Sache, und wenn es zu sehr aus dem Rahmen fällt oder ganz einfach störend und ärgerlich ist, auch kein Problem, dann schneidet man das einfach heraus Was sie jedoch hassen und verabscheuen, das ist, wenn jemand auf eine wirklich andere, neue Form aus ist – denn das ändert natürlich jede einzelne Einstellung des Films.
Zu meiner Zeit, als ich jung war zum Beispiel, machten die Bildhauer menschliche Formen, die zusehends mehr die Form von Dreiecken, Quadraten usw. annahmen, und schließlich wurde alles derart abstrakt, daß man die menschliche Form zum Schluß überhaupt nicht mehr ausmachen konnte. Und jetzt, in meinem Alter, machen die Bildhauer Statuen, daß wenn du die Tür aufmachst und in den Raum reingehst, du denkst, da würde wirklich einer sitzen. Und all diese Zeit über ist nichts hinzugekommen, oder hinzugefügt worden, was eine politisch oder gesellschaftlich neue Dimension eröffnen würde, das heißt die ästhetische Form existiert lediglich in einem Vakuum stilistischer Veränderung.
Ich selbst habe eine definitive ästhetische Haltung dem Film gegenüber, aber es gab, zumindest in Hollywood, damals keine, und es gibt auch heute keine. Es gibt ganz bestimmte Regeln und Konventionen, wie man etwas anzugehen hat, und die von jedem verlangt werden: man soll sich ruhig Zeit lassen heim Drehen, man soll sich so oft wie möglich wiederholen, und falls notwendig sollten die Schauspieler Dialoge wiederholen, die sie in alten Filmen schon mal gesprochen haben — viel mehr ah Filmästhetik gibt es nicht, das ist die neue Filmästhetik. Abgesehen von ein paar ganz wenigen Filmen, die mir gefallen.

Ich bin der festen Ansicht, daß bei der kommerziellen Kinofilm-Produktion, so wie wir sie in Hollywood haben, und wie sie zum Teil auch in einigen anderen Ländern existiert, jede echte ästhetische Innovation für den Produzenten entschieden gefährlicher ist als jede im Film enthaltene politische Stellungnahme, egal wie radikal sie ist, denn in der Art von Dasein, das wir führen, liegen solche Stellungnahmen und Haltungen ohnehin die meiste Zeit über in der Luft. Unser Hollywood­Produzent wird daher jeden Regisseur oder Autor auf der Stelle feuern, der grundsätzlich neue ästhetische Ansprüche an den Film stellt und sie versucht beim Filmemachen durchzusetzen, weil eben diese Filme nicht in das Schema, in die Konventionen der üblichen Filmrezeption passen. Wenn du dagegen mit politischen Stellungnahmen und Inhalten kommst, dann schneiden sie sie einfach raus, oder montieren sie um.

Ob ich heute in Hollywood Filme machen könnte? Ich denke schon. Ich meine damit Inszenieren, denn schreiben tu ich ja sowieso. Ich denke schon. Allerdings würden sie mich nicht die Filme machen lassen, die ich gerne machen würde, sondern sie würden wollen, daß ich die Filme machen, die sie gerne machen wollen. Und da das Filmemachen eine überaus strapaziöse Angelegenheit ist, bin ich der Meinung, daß sich diese Strapazen von meiner Seite nicht lohnen.
Von Zeit zu Zeit verhandle ich mit diversen Millionären, ich hatte schon Griechen, Engländer, Israelis, Schweizer Millionäre usw., und sie waren auch alle ganz begeistert, aber wenn sie dann langsam merken, daß der Film, den ich versuche auf die Beine zu stellen, wohl kaum 50 Millionen Dollar einnehmen wird, dann verlieren sie das Interesse. Gefragt ist nur der Super-Profit, und wenn sie den Super-Profit nicht machen können, dann wollen sie auch
den Film nicht machen. Ich warte immer noch darauf, einen Millionär zu treffen, der so etwas wie ein Kunstsammler wäre, der sagen würde: Oh wie schön, diesen wundervollen Film machen zu können… Sie wollen den Film immer solange machen, bis sie dann zu all den großen Verleihfirmen gehen und herausfinden, daß vielleicht doch nicht so viele Leute unbedingt meine Version von Thomas Manns Mario und der Zauberer sehen wollen. Aber ich versuche es weiter, bis zum Schluß. Vielleicht taucht doch noch ein Millionär auf. Daß eines der größeren Studios, oder das Fernsehen den Film machen würde, bezweifle ich.

Natürlich hat sich bei Willie Boy etwas gegenüber Force of Evil geändert, das muß wohl auch so sein, schließlich ist es unmöglich, daß ich mich in diesen 20 Jahren, die dazwischenliegen, nicht geändert hätte… Wenn die beiden Protagonisten von Willie Boy einander zum ersten Mal begegnen, dann sehen sie sich gegenseitig als Männer, die auf gewisse Weise miteinander verwandt sind und die sich gegenseitig respektieren, und der eine von beiden ist ein Indianer, und der andere ist der Sohn eines berühmten Sheriffs, den ich Cooper genannt habe, oder Coop, wie sich Cooper, ich meine Gary Cooper, immer selber genannt hat. Das nächste Mal, daß die beiden sich begegnen, das ist dann schon ganz am Ende des Films, wo der eine von beiden den anderen tötet. Der Willie in diesem Film ist ein Mann, der mit den Weißen auskommt, weil er für sie nur ein halber Indianer ist, das heißt eigentlich ist er fast so etwas wie ein Weißer, er ist ein Cowboy. Und er kommt mit den Indianern zurecht, weil er natürlich auch Indianer ist, und nur zu einem Teil sich wie ein Weißer aufführt. Im Verlauf des Films nun verliebt er sich in eine Indianerin, bzw. er war schon immer in sie verliebt gewesen, und er tötet ihren Vater und rennt mit ihr davon. Gemäß den Gebräuchen und Ritualen seines Stammes ist das eine ‚Heirat durch Besitz‘, das heißt sie sind dadurch faktisch Mann und Frau. Doch die Weißen stellen eine Verfolgertruppe zusammen, da für ihr Gefühl ein Verbrechen begangen worden ist. Im Verlauf dieser Jagd wird Willie von Seiten der Weißen mehr und mehr wie ein Indianer behandelt, und so endet er dann schließlich auch, als Indianer, was nichts anderes heißt als daß er am Schluß tot ist. Er ist ein wirklicher Indianer geworden, er ist tot.
In Force of Evil endet der ältere Bruder ebenfalls als Toter, aber er ist von seinem Bruder nicht getötet worden, nicht faktisch jedenfalls, auch wenn er im Grunde für den Tod seines Bruders verantwortlich ist. Das heißt, in diesem Sinne gibt es den Mythos immer noch, nur hat er jetzt eine verschiedene Bedeutung. Denn der Mythos in Force of Evil ist eindeutig bezogen auf die gesellschaftlichen Bedingungen einer weißen Gesellschaft unter dem Kapitalismus, wohingegen er in dem anderen Film bezogen ist auf die Natur des Völkermordes unter den Rassen, der natürlich auch ein Resultat ist der sozio-ökonomischen Struktur unserer Gesellschaft.
Also inwiefern hatte ich mich geändert in all den Jahren, könntest du fragen, oder sagen, mir dies als Thema auszusuchen. Nun, dazu ist zunächst einmal zu sagen: du suchst dir nicht die Filme aus, die du machst, obwohl die Leute das gerne glauben; jeder Film, den du machst, ist in Wirklichkeit ein Zufall. Denn du willst immer gerade den einen oder den anderen Film machen, und dann wird einfach einer davon ausgewählt, warum weiß niemand so recht, oder man bietet dir einen anderen Film an. Und in demselben Augenblick, wo du an diesem Projekt zu arbeiten beginnst, wird es zu deinem eigenen Projekt, wird es dein Film, und sobald es dein Film wird, wird alles, was du bist, und alles, was du geworden bist, jetzt ein Teil dieses Films. Und daher macht es letzten Endes wirklich keinen Unterschied, ob du zu diesem bestimmten Thema per Zufall gekommen bist oder ob es von Anfang an deine Wahl war. Wie ich schon einmal gesagt habe: es kommt nicht darauf an, ob du freiwillig in den Krieg gehst oder eingezogen worden bist – am Schluß war es doch immer freiwillig…

Ich halte diese Frage für eine abstrakte Frage, die unglücklicherweise aber nicht abstrakt beantwortet werden kann. Welche qualitativen Eigenschaften haben die Leute, daß sie widerstehen? Was passiert mit diesen Eigenschaften, nachdem sie einmal widerstanden haben? Welche Eigenschaften haben Leute, die nicht widerstanden haben, und was passiert mit diesen Eigenschaften, nachdem sie nicht widerstanden haben? Wir haben keine abstrakten Charaktere. Wir haben abstrakt Moralbegriffe und -vorstellungen, wir haben eine Welt von Symbolen, mit Hilfe derer wir leben, und in der es eine Struktur von ethischen Entscheidungen und ethischen Handlungen gibt, und manchmal bestimmt das das Tun der Menschen, sicherlich – aber in Zeiten ganz extremer Anspannung glaube ich, daß die Art und Weise der aktuellen Umstände und Ereignisse und die faktische Realität und Situation, in der sie sich wiederfinden, grundsätzlich eher definiert, wie sie sich verhalten. Ich kann also durchaus sagen, warum jemand in einer ganz konkreten Situation sich so und so verhalten und widerstanden hat, es würde aber keinen Sinn ergeben, würde ich sagen, weshalb jemand ganz allgemein so und so sich verhalten und widerstanden hat, denn dann würde ich grob verallgemeinern müssen und ganz generelle Dinge benennen, er hat einen guten Charakter, er hat eine starke und widerstandsfähige Natur, er glaubt an eine absolute Wahrheit dieser oder jener Art, ich denke, er konnte nicht widerstehen, weil er einen schwachen Charakter hat, weil er das Geld zu sehr liebt, er will das Leben
nicht verlieren, das er im Augenblick führt, usf. Du mußt also die exakten und konkreten Umstände kennen, des einzelnen Menschen wie der einzelnen Ereignisse, ehe du etwas definieren und festmachen kannst, aber du wirst davon nicht allzuviel extrapolieren können – weshalb wir die Kunst haben, um unser Leben zu erklären, und nicht Moralsysteme.

So bin ich nun einmal. Zu dieser bestimmten Zeit, wie ich schon sagte, schien es mit, daß ich nicht allzuviel aufgeben würde, wenn ich das aufgeben würde, was sie von mir verlangten aufzugeben. Anstatt konform zu gehen mit einem Standpunkt, mit einer Haltung, mit einer Politik, die ich verabscheute. Weshalb sollte ich mich so sehr darüber grämen, kein Filmregisseur mehr sein zu können, meinen Lebensunterhalt nicht mehr damit verdienen zu können, Drehbücher zu schreiben, wenn auf der anderen Seite alle meine Vorstellungen von Politik, und von Gleichheit, und von Menschen allgemein, von Freundschaft, von Gemeinsamkeit, von Solidarität usf. auf dem Spiel standen? Demgegenüber schien es nicht viel zu sein.

Natürlich hab ich alle die Filme verpaßt, die ich nicht habe drehen können, ich habe all die Erfahrungen verpaßt, die ich dabei hätte machen können, und ich habe meinen Glauben an sehr sehr viele Menschen verloren – was mich später wohl doch ziemlich beeinflußt hat, in dem Sinne, daß ich noch vertrauenswürdig bin, aber heutzutage sage ich: Ich habe immer die Hoffnung, aber ich erwarte nicht zu viel.

Es ist gesagt worden, daß mit auch nur ein bißchen Opportunismus die Charaktere von Body and Soul, Force of Evil und Willie Boy sich sehr wohl hätten anpassen und überleben können. Aber das könnten wir alle mittels Opportunismus und Kompromißbereitschaft, überleben und nicht auf die Blacklist kommen. Aber das ist eine Form von Überleben, das auf mich nicht den geringsten Reiz ausübt.

Aus dem Englischen von Felix Hofmann

[Teil 2 der Serie „Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood“ mit Texten von Wolf-Eckart Bühler]

Mittwoch, 10.06.2020


Sonntag, 07.06.2020

Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky (1)

Wolf-Eckart Bühler war in den 1970er und 80er Jahren Autor/Redakteur der Zeitschrift Filmkritik und Filmemacher. In seiner Forschung zur Linken innerhalb der US-amerikanischen Filmgeschichte hat er sich intensiv mit der Blacklist und den von ihr betroffenen Regisseuren auseinandergesetzt.

Für die Filmkritik schrieb Bühler unverzichtbare Hefte zu Leo Hurwitz (Februar 1979) und Irving Lerner (Januar und Februar 1981), für die Filmredaktion des WDR drehte er Filme und Magazinbeiträge zu den beiden genannten Regisseuren, darüber hinaus auch zu Sterling Hayden und Abraham Polonsky.

Vor zwei Jahren wurde Bühler beim Locarno Film Festival geehrt und sein Film Leuchtturm des Chaos über und mit Sterling Hayden wiederentdeckt. Gemeinsam mit Der Havarist ist er bei der edition filmmuseum als DVD herausgekommen, wo auch Bühlers übrige Filme, ediert vom Filmmuseum München, im Sommer erscheinen sollen. Die DVD wird auch Amerasia (1985) enthalten. Detaillierte Programmtexte zu einer Retrospektive der Filme Bühlers in München im Jahr 2015 sind hier zu lesen.

*

Zu Abraham Polonsky entstand Anfang der 1980er Jahre ein über 200 Seiten starkes Typoskript mit dem Titel „Von der Pflicht zur Unbequemheit. Der Filmregisseur Abraham Polonsky und Thomas Manns ‚Mario und der Zauberer‘.“ Die Einleitung und ein Gespräch mit Polonsky sind von Wolf-Eckart Bühler, die Auswahl und Übersetzung von zahllosen Texten und Gesprächen mit dem Regisseur besorgte Felix Hofmann. Das Material blieb unveröffentlicht.

Wir publizieren in den nächsten Wochen die achtteilige Serie „Abraham Polonsky. Widerstand in Hollywood“. Vier Folgen davon – eine kurze Einleitung, Texte zu Body and Soul (1947) und Force of Evil (1948) sowie das Gespräch zwischen Polonsky und Bühler – sind Teil des oben genannten Typoskripts; die übrigen machen Bühlers weitere Beiträge zu Polonsky – eine Radiosendung sowie Texte für die Filmkritik und die Süddeutsche Zeitung erneut zugänglich.

Teil 1, eine kurze Einführung zum Regisseur, ist nun hier:

Wolf-Eckart Bühler: Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood

*

Mit Dank an Wolf-Eckart Bühler für die Zusammenarbeit.

Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood

von Wolf-Eckart Bühler

Abraham Polonsky ist der wahrscheinlich am längsten und am umfassendsten Betroffene der Schwarzen Listen, die die amerikanische Filmindustrie seit Ende der vierziger Jahre, dem Beginn des Kalten Krieges, aufgestellt hat: zwischen seinem ersten und seinem zweiten Film als Regisseur liegen mehr als zwanzig Jahre. Noch bemerkenswerter aber ist, daß er überhaupt zurückgefunden hat. Wenn auch nur vorübergehend: die Schwarzen Listen funktionieren heute nur anders, aber nicht minder effektiv.
1910 in New York geboren. Lehrer, Rechtsanwalt, Gewerkschaftsor­ganisator. Er verfaßt Aufsätze, Hörspiele, Bücher. The Enemy Sea (1941) soll in Hollywood verfilmt werden, er selber einen Kontrakt als Drehbuchautor bekommen. Polonsky akzeptiert, um nach seiner Rückkehr aus dem Krieg einen Job zu haben. Im Krieg betreibt er von London und Paris aus Rundfunkpropaganda für die Alliierten. Die ersten Erfahrungen als Scriptwriter bei der Paramount sind verheerend, und er will Hollywood bereits wieder verlassen, als er ein Angebot der neugegründeten Firma Enterprise erhält. Body and Soul (1947, Regie Robert Rossen), vordergründig ein Boxerfilm mit John Garfield, setzt die Korruption des Sportgeschäfts mit dem amerikanischen System als Ganzem gleich; Polonsky nimmt auf die Dreharbeiten derart Einfluß, daß Garfield ihm anträgt, die Regie eines nächsten Filmes selbst zu übernehmen.
Force of Evil (1948) ist die Geschichte zweier nur scheinbar ungleicher Brüder: Inhaber eines kleinen Wettbüros der eine, der sich deswegen für einen ehrlichen, anständigen Bürger und Geschäftsmann hält – Rechtsanwalt eines großen Syndikats, welches das Wettgeschäft nicht nur unter seine Kontrolle bringen, sondern es auch zu einem legalen Geschäft umfunktionieren will, der andere; weswegen sein Bruder ihn für einen Gangster ansieht. Zum Schluß, die prinzipielle Gleichartigkeit ihres Tuns, das sie beide, jeder auf seine Weise, dem amerikanischen Mythos und System des ‚Business um jeden Preis‘ dienen läßt, nicht erkennen könnend, zerstören sie sich notgedrungen gegenseitig.
Polonsky: „Meine Filme zeigen eine marxistische oder sozialistische Sicht der Welt, nicht etwa deshalb, weil ich sie mit Absicht so konstruieren würde, sondern weil das meine eigene Sicht der Dinge ist.“
Nach Force of Evil, gedreht zur Zeit der ersten großen Säuberungsaktion des HUAC (Komitee gegen un-amerikanische Umtriebe) wider die Filmindustrie Hollywoods – als deren Resultat u.a. die ‚Hollywood Ten‘ ins Gefängnis gingen, verfaßt Polonsky in Europa den Roman The World Above, in dem er u.a. explizit die reaktionären Tendenzen seines Heimatlands im Zeichen des Kalten Kriegs, und ganz speziell das HUAC, attackiert. Nach Amerika zurückgekehrt, verkauft er ein weiteres Drehbuch und erwirbt von Thomas Mann die Rechte an Mario und der Zauberer; da sich dieses Projekt in Hollywood sowieso nicht, aber auch in Europa nicht realisieren läßt, beginnt er in Südfrankreich die Arbeiten an einem neuen Roman, welcher noch unmittelbarer die Arbeitsverbote, Loyalitätseide und Gesinnungsschnüffeleien der aktuellen amerikanischen Politik – der sich inzwischen auch Senator McCarthy beigesellt hatte – angreifen soll. Daß er auf Manns Rat, gleich ihm Amerika zu verlassen, nur scheinbar eingegangen war, zeigt sich, als das HUAC 1951 die Überprüfungs- und Unterwerfungskampagne gegen Hollywood in verstärktem Maße fortsetzt: er bricht die Arbeit an dem Buch ab (A Season of Fear erscheint erst 1956) und kehrt in die Staaten zurück. Kaum angekommen, wird er vor das Komitee zitiert. Er soll über seine Tätigkeit in linken Gewerkschaften, radikalen Organisationen, der Kommunistischen Partei usf. aussagen, vor allem aber die Namen derer nennen, die noch mit dabei waren. Er weigert sich, das zu tun. „Wenn ich die Namen genannt hätte, hätte ich weitermachen können wie zuvor: das hat man mir sogar garantiert. Ich hätte all die Filme machen können, die dann Elia Kazan gemacht hat.“
Stattdessen wird er auf die Schwarzen Listen gesetzt und wird er zwanzig Jahre lang überhaupt keinen Film mehr machen können. Er hält sich über Wasser als Herausgeber einer kleinen Zeitschrift und indem er unter ständig wechselnden falschen Namen operiert: beim Radio, beim Fernsehen, später auch beim Film. Unter seinem eigenen Namen kann er erst 1968 wieder schreiben; im Jahr darauf führt er wieder Regie: Tell Them Willie Boy Is Here (Blutige Spur) ist die Geschichte eines Indianers, aber auch Polonskys eigene Geschichte – von einem, der zum Fremden und zum Gejagten gemacht wird, wo er zu Hause ist. Die finanzielle Pleite von Romance of a Horsethief (1970 in Jugoslawien hergestellt) und Polonskys Hart­näckigkeit, auf dem seit Jahrzehnten gehegten Mario-Projekt bestehen zu wollen, geben Hollywood seitdem den willkommenen Vorwand, sich vor der unbeugsamen Unbequemheit seiner Person und seiner Filme von neuem zu schützen. Im vergangenen Jahr hat er einen weiteren Roman veröffentlicht, Zenia’s Way.

(1981)

[Teil 1 der Serie „Abraham Polonsky: Widerstand in Hollywood“ mit Texten von Wolf-Eckart Bühler. Es handelt sich um den Einleitungstext des ca. 220 Seiten umfassenden Typoskripts „Von der Pflicht zur Unbequemheit. Der Filmregisseur Abraham Polonsky und Thomas Manns ‚Mario und der Zauberer'“. Der Text hat im Original keinen Titel.]

Dienstag, 19.05.2020

Filme der Fünfziger LVI: Ich denke oft an Piroschka (1955; R: Kurt Hoffmann)

Ein Herr mittleren Alters sitzt gedankenverloren in einem leeren Zugabteil und blickt auf den roten, leeren Sitz neben ihm. Dort haben seine Jugend, seine Hoffnungen, eine nicht erfüllte Romanze und – ja, auch sie – die verlorenen Ostgebiete ihren imaginären Platz eingenommen; alle sind zusammengefasst in dem Frauennamen „Piroschka“. Kommentiert von der Stimme des Reisenden geht es zurück in die zwanziger Jahre, als Andreas (Gunnar Möller) – wir erfahren nur den Vornamen – als Austauschstudent nach Ungarn fährt. „Es sind Erinnerungen an eine so nicht mehr existierende und für uns unzugänglich gewordene Welt. Darüber hinaus hatte das verlorene Ostdeutschland etwas mit dem alten Ungarn gemeinsam: Einen gelassen fröhlichen, breiten Lebensstil, dessen Krönung die vielgerühmte östliche Gastfreundschaft gewesen ist.“ (Hugo Hartung) Der Autor Hartung hatte 1951 für den Bayrischen Rundfunk ein sehr erfolgreiches Hörspiel verfasst, das von 28 Radiostationen übernommen wurde. 1954 entstand eine Romanfassung, 1955 dann der Film von Kurt Hoffmann.

Andreas trifft auf dem Weg zu seinen Gasteltern Greta (Wera Friedberg), eine selbstbewusste junge „Neue Frau“, die eine Arbeitsstelle in der Türkei antreten will. Der junge Andreas ist gleich in Balzlaune, stellt sich aber eher ungeschickt an. Er steht vor allem sich selbst im Wege; in seinen amourösen Versuchen verhält er sich wie ein Schlafwandler, magisch angezogen von der Weiblichkeit, aber immer wieder seiner Unerfahrenheit und der Tücke des Objekts ausgeliefert. Das Objekt ist eine mitgeführte Plattenkamera samt Stativ, das Andreas selbst dauernd zum Zusammenbruch bringt. Die Kamera begleitet Andreas wie ein Sinnbild seiner Überforderung. Das war eine Paraderolle für Gunnar Möller; zu seinem Leidwesen wollte ihn das Publikum fortan am liebsten als leicht verschusselten Liebhaber sehen.

Gunnar Möller, Liselotte Pulver

Greta bleibt am Plattensee, Andreas fährt zu seinen Gasteltern nach Hódmezővásárhelykutasipuszta (der Ortsname ist dem Ort Hódmezővásárhely nachempfunden) und nimmt uns mit in eine Welt des Zaubers und der Absurditäten. Schon im Zug wird er als deutscher Student erkannt; was für eine Freude! Und er muss essen und trinken, denn als junger Mensch hat man ja immer Hunger. Der Stationsvorstand von Hódmezővásárhelykutasipuszta Istvan Rasc (Gustav Knuth) lädt ebenfalls gleich zum Essen und Trinken ein; seine Lebensaufgabe besteht darin, zweimal am Tag ein Zugsignal zu setzen und auf die Pünktlichkeit des Zuges zu achten. „Nur zwanzig Minuten zu spät. So pünktlich war der Zug noch nie“, freut sich Istvan und ist ganz aufgeregt. Sind wir ins Alice’s Wunderland geraten? Da kommt Freund Sandor (Rudolf Vogel) mit dem Fahrrad in das Haus geradelt. Sandor ist Briefträger, Landbote, Weichensteller, Stationsgehilfe, alles in einer Person. Er stellt sich vor: „Guten Morgen, guten Abend, sehr gut, küß die Hand, lieber Bruder.“ Andreas wohnt bei einem Arzt und seiner Frau; morgens tritt er aus dem Zimmer– sechs fremde Menschen stehen in dem Flur auf. Er begegnet Piroschka (Liselotte Pulver), die ihn glauben lässt, dass sie kein Deutsch versteht, so dass ihm seine Worte später peinlich sein werden. In dieser Welt der Wunder wird Andreas von einem Fremden zu einem Freund. Piroschka zeigt ihm die Pferde der Puszta, die Schweine und Gänse, die Schafhirten und die Roma. Aber es gibt noch Greta und die Welt, aus der er gekommen ist. Greta schreibt eine Karte (“die ist von Franz, einem Freund“, erklärt Andreas Piroschka). Andreas fährt mit dem Morgenzug an den Plattensee, Piroschka folgt ihm. In der Peinlichkeit, sich zwischen Greta und Piroschka entscheiden zu müssen, tritt Andreas in lauter Fettnäpfchen. „Du machst alles kaputt“, sagt Piroschka, bevor sie allein nach Hause zurückfährt. Ein Fest bringt das Paar wieder zusammen. Jetzt bleibt ihnen noch eine Nacht bis zum endgültigen Abschied.
Auf der Bühne und im Film war die Ungarn-Operette ein fester Bestandteil des Repertoires. Hoffmann gibt dem Filmpublikum auch in Piroschka das romantisch-folkloristische Ungarn mit Musik, Tanz, Lagerfeuer und Liebe. Kameramann Richard Angst lässt die Farben leuchten, staffelt Menschen und Objekte zu kunstvollen Bildern, kann aber mit dem wilden Tanz nicht mehr anfangen als ihn in gelegentlichen Top-Shots auf Distanz zu halten. Kurt Hoffmann, das merkt man jeder Szene an, liebt seine Schauspieler. Liselotte Pulver hatte gerade in O.W. Fischers Hanussen (1955) eine skeptische Journalistin gespielt, die Fischer mir nichts, dir nichts überwältigt – nur das war der Sinn der Figur. Bei Hoffmann ist jede Rolle eine Paraderolle; Liselotte Pulver wurde mit ihrer Interpretation zum Liebling der Nation. Jeder konnte sich in die Unschuld verlieben und die Geschichte der vergangenen 30 Jahre im Seufzer bitter-süßer Melancholie vergessen. Die Entlastungsstrategie gelang vollkommen.

Weil der Verleih ein Happy End wollte, drehte Hoffmann ein alternatives Ende, das doch nicht verwendet wurde. Die Filmbewertungsstelle versagte zunächst ein Prädikat: „Diese Geschichte ist nicht originell gemacht, entfernt sich auch nicht von Klischees. Sie ist auch nicht so humorvoll gestaltet oder künstlerisch gespielt, dass man den Film durch ein Prädikat auszeichnen kann. Dem Film gelingt es nicht, zum echten Volksstück vorzustoßen. Er zeigt auch nicht den Zauber eines Märchens.“ Der Produzent legte Widerspruch ein; der Film erhielt das Prädikat „Wertvoll“ und gehörte kommerziell zu den zehn erfolgreichsten Filmen der Saison.

 

Auf DVD und Blu-Ray
Präzisierungen zu filmportal: Pressefotos: Kurt Huhle – Dreharbeiten vom 12. 9. 1955 in Palic bei Subotica (damals Jugoslawien) bis 5. 11. 1955 in Geiselgasteig

Montag, 20.04.2020

Auge und Umkreis (VIII)


The Whispering Chorus (1918 Cecil B. DeMille)

„Es ist so schwer den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen.“
(Ludwig Wittgenstein, 1948, Vermischte Bemerkungen)


The Affairs of Anatol (1921 Cecil B. DeMille)

Mit DeMille beginnen, heißt dem Irrtum entgehen, Anfänge wären unschuldig oder harmlos… es gäbe da in der Kindheit des Kinos noch keine Zerstörungswut. Archaisch, auch kindlich ist Aggression, die sich gegen das Abbild richtet.


La dame masqueé (1924 Victor Tourjansky)

Der Spiegel hat zwei Seiten. Die eine rückt zu nah heran, betont das Teilstückhafte, löst dadurch Angst aus. Die andere erst gibt Kontur und bietet das Ich zur Betrachtung an – – – mit den Augen der anderen.


Chicago (1927 Frank Urson)

Dali & Dr. Lacan waren fasziniert von den Schwestern Papin, die als Dienerschaft in Le Mans 1933 ihre Herrschaft, Mutter und Tochter, mit grobem Werkzeug ermordeten und ihnen (zuvor!) die Augen aus den Köpfen rissen.


Three on a Match (1932 Mervyn Leroy)

Der Gangster, der sich in Anwesenheit seiner Schergen die Haare aus der Nase zupft, ist nur eine (besonders böse) Nebenfigur in einem Frauenfilm von Mervyn LeRoy.


The Kiss Before the Mirror (1933 James Whale)

A Universal Picture. Ihr Blick in den Spiegel, ihr fest entschlossenes Schönseinwollen (für wen?) erweckt seine Eifersucht. Aber vollends vernichtet den Mann, dass sie durch den Spiegel auf ihn mit Verachtung schaut.
Mit seinem Wahnsinn impft er, zum Mörder geworden, seinen Anwalt. Oder steckt er ihn an?
Tragödie im Plural. Das Remake hieß Wives Under Suspicion


Strictly Dynamite (1934 Elliott Nugent), an RKO Radio Picture.

Der junge Autor (Norman Foster) betrachtet sich im Spiegel. Im Nacken sitzt ihm der Misserfolg. Es wurde ihm geraten, sich selbst anzupreisen – als regelrechter Sprengstoff.

Salvador Dali schreibt 1934 an André Breton: “I’m in Hollywood where I’ve made contact with the three American Surrealists, Harpo Marx, Walt Disney, and Cecil B. DeMille. I believe I’ve intoxicated them suitably and hope that the possibilities for Surrealism here will become a reality.”


Becky Sharp (1935 Rouben Mamoulian)

Nur eine Pose. Gerade noch hat sie (Miriam Hopkins) getanzt vor dem Spiegel.

„Das Gesicht ist ein Zeichen für die anderen, das ich selbst gar nicht entziffern kann – zumeist nicht einmal vor dem Spiegel, der mir stets verbirgt, was meine Geliebte, mein Feind, mein Kind oder mein Nachbar in meinen Gesichtszügen zu lesen glauben.“ (Thomas Macho: Wittgenstein und die Photographie, 2008)

„Aber es ist doch ein Jammer, dass jemand ganz allein für sich oft am schönsten ist.“ (Irmgard Keun: Nach Mitternacht, 1937)


The Plainsman (1936 Cecil B. DeMille)

Salvador Dali: “Die Wirklichkeit ist eine Begleiterscheinung des Denkens – eine Folge des Nichtdenkens, eine durch Gedächtnisschwund hervorgerufene Erscheinung.“

„Wenn du dich benimmst, werde ich dich ihm vorstellen“, sagte George Antheil zu Dali. Der küsste wenig später die Hände von Cecil B. DeMille und nannte ihn „den größten Surrealisten auf Erden“. DeMille hatte nichts dagegen, dass der Unbekannte ihm die Hände küsste, und ließ sich erklären, was das sei: ein Surrealist?


Go West Young Man (1936 Henry Hathaway)

Mae West. Komödiantin, Sexsymbol, Drehbuchautorin.
Dali porträtierte sie, machte aus ihrem Gesicht ein Appartement.


Go West Young Man (1936 Hathaway) – via

Angesichts der Gestaltung dieser Mahlzeit wird eine Beschwerde laut: Es sieht mich an! „Es sieht mich an!“ ruft ein alter Mann.

Dali erfand die „paranoisch-kritische Methode“ zur Herstellung von Doppel- oder Vexierbildern, zur Stimulation und Simulation von Halluzinationen.

“Dieses Laster, genannt Surrealismus, besteht in dem unmäßigen und leidenschaftlichen Gebrauch des Rauschgiftes Bild,“ sagt Louis Aragon.


Danger – Love at Work (1937 Otto Preminger)

„Im Film, wie auf der Photographie, sehen Gesicht und Haare nicht grau aus, sie machen einen ganz natürlichen Eindruck; Speisen in einer Schüssel dagegen sehen im Film oft grau und darum unappetitlich aus.“
(Ludwig Wittgenstein: Bemerkungen über die Farben)


The Sisters (1938 Anatole Litvak)

Ein Kapitel in John Dickson Carrs „Tod im Hexenwinkel“ (1933) ist einem Butler gewidmet, der gern ins Kino geht. Es wird da beschrieben, was Abenteuerfilme mit ihm machen: „Seine Seele wurde zu einem Ballon, einem Fesselballon zwar, aber immerhin einem Ballon.“

Es gefällt mir, wenn in einer handlungsreichen Erzählung plötzlich jemand Selbstgenügsamkeit an den Tag legt.

„Kaum konnte er lesen, hatte er auch die Geschichten der großen Entdeckungen verschlungen. Aber er nahm die Schilderungen nicht etwa kritiklos hin. Wenn er Robinson Crusoe gewesen wäre, hätte er vieles anders angepackt, vor allem aber die Insel niemals wieder verlassen.“
(Jules Verne: „Fünf Wochen im Ballon“)


The Buccaneer (1938 Cecil B. DeMille)

“Das menschliche Auge sehen wir nicht als Empfänger, es scheint nicht etwas einzulassen, sondern auszusenden. Das Ohr empfängt; das Auge blickt. (Es wirft Blicke, es blitzt, strahlt leuchtet.) Mit dem Auge kann man schrecken, nicht mit dem Ohr, der Nase. Wenn du das Auge siehst, so siehst du etwas von ihm ausgehen. Du siehst den Blick des Auges.” (Wittgenstein: Zettel)


Destry Rides Again (1939 George Marshall)

Sie (Marlene Dietrich) solle sich schämen, meint der Titelheld (James Stewart). Slut-shaming! Fast ein Grund, den Film nicht zu mögen. Aber das ist unmöglich – dank der Lieder (von Friedrich Hollaender), die sie singt.

„Da ist das berühmte von den boys in the backroom. Es ist eine Art von Vermächtnis einer Salon-Diva, die allen ihren boys zugetan ist – zweideutig und gutmütig zugleich -, und es läuft (soviel ich verstanden habe) darauf hinaus, dass sie sich auch über den Tod hinweg bei diesen Jungens noch ein herzhaft gutes Andenken bewahren will.“
(Dolf Sternberger, 1960)


The Letter (1940 William Wyler)

Sie (Bette Davis), die sich im Spiegel anschaut, sieht nicht, was wir sehen: die Tür zur Veranda, in den nächtlichen Garten hinaus, ins Mondlicht hinein, wohin es sie ziehen wird, auf der Suche nach irgendeinem Weg zu sterben.


The Little Foxes (1941 William Wyler)

Der Spiegel ist so positioniert, dass sie (Bette Davis) auf sich selbst herabblickt.
Wie es ist, sich zu vergleichen.

Es ergab sich so. Vom Geborgensein in der Katastrophe (Jules Verne) und vom “unrettbaren” Ich (Ernst Mach) führte eine Fährte hin zu Wassertropfen, Himmelskörpern, rundgerahmten Portraits und Spiegeln. Viele Monde vergingen, bis mir – im vorigen Kapitel – Exzesse des Argwohns (Agatha Christie und Wittgenstein) bei der Klärung halfen, was es werden soll, wenn es fertig ist: Eine Morphologie der Unsicherheit.


Cottage To Let (1941 Anthony Asquith)

In Austin Freemans „Auge des Osiris“ (1911) lobt der Detektiv den Erzähler, er habe Talent zum Ermittler: So selten zu finden sind diejenigen, die etwas notieren, was sie für unwichtig und irrelevant halten; wer nur das notiert, was ihm bedeutsam erscheint, macht alles falsch. „Denn er beraubt sich des Materials, über das er nachdenken könnte.“


Flying Fortress (1942 Walter Forde).

Genaugenommen ist niemand lange identisch. „Lippen und Zunge werden alle zwei Wochen erneuert. Die eigene Haut alle vier Wochen. Der allergrößte Teil des eigenen Körpers wird ständig neu synthetisiert. Man hat alle fünf Tage neue weiße und alle drei Monate neue rote Blutkörperchen. Die Zellen der Blutgefäße und des Darms werden alle fünf bis sieben Tage komplett ausgetauscht, sonst wäre man längst tot; die Oberfläche der Lunge alle acht Tage, die Knochen alle zehn Jahre. Die meisten der inneren Organe innerhalb von zwei bis drei Monaten (…) Nur der Zahnschmelz bleibt (wenn auch mit Löchern). Die Linse im Auge; und das Hirn.“ (Valentin Groebner in einem Radio-Essay, 2020)


Went the Day Well? (1942 Alberto Cavalcanti)

„Damals gehörten die Hoden für mich noch nicht zu der Assoziation Auge und Ei. Mein Freund wies mich auf meinen Irrtum hin. Wir schlugen in einem Lehrbuch der Anatomie nach, wo ich sehen konnte, dass die Hoden von Tieren und Menschen eiförmig sind und Aussehen und Farbe des Augapfels haben.“ (Georges Bataille: „Die Geschichte des Auges“)

Dali war der Ansicht, alle Kreativität hätte ihren Ursprung in den Hoden. Deshalb könnten Frauen keine Künstler sein. Das Schönste, was von Dali bleiben wird, ist das Buch, das Amanda Lear über ihn schrieb.


On Approval (1944 Clive Brook)

Diese britische Sexkomödie beginnt mit der Frage: Schon wieder ein Kriegsfilm? Nein, nein.

In der britischen Kinderkomödie Miss Robin Hood (1952 John Guillermin) brüllen wütende Kinder den Slogan “Down with Dali!” Der Grund dafür: Ihr Lieblingscomic hat plötzlich einen neuen Autor, der überhaupt nicht spannend erzählen kann, sich stattdessen in Kunsthistorie verzettelt.


Bluebeard (1944 Edgar Ulmer)

Der Maler (John Carradine) ist auch Puppenspieler und Mörder. Die Mordlust kommt beim Malen. Auf dem Umweg durch den Spiegel sollen sich Blick und Anblick verharmlosen.


Paris Underground / Madam Pimpernel (1945 Gregory Ratoff)

Ein Ehestreit. Es geht um Politik. Deshalb die Trennung. So fängt diese Geschichte an. Sie handelt von Freundschaft, Liebe, Widerstand. Ein Propagandafilm. Geringgeschätzte, hohe Kunstform. Hauptdarstellerin Constance Bennett war auch die Produzentin.


Spellbound (1945 Alfred Hitchcock)

Das Schuldgefühl, Überlebender zu sein.
An der Stelle des toten Bruders zu stehen, totenstarr.

Dalis Eltern erzählten ihm von klein auf, er sei die Wiedergeburt seines Bruders, der den gleichen Namen trug, und dessen Grab sie häufig besuchten – zusammen mit ihm, der dort Blumen auf einen Grabstein mit seinem eigenen Namen legte.
Dali meinte, dass er und sein Bruder „wie zwei Tropfen Wasser einander ähnelten, aber wir hatten unterschiedliche Reflexionen.“

Lacan meinte: Noch bevor wir zwei Jahre alt werden, erkennen wir uns im Spiegel. Zwischen den Geburtsjahren von Lacan (1901) und Dali (1904) liegen die Lebensdaten ihrer Brüder: 1901, im selben Jahr wie Lacan, wurde Dalis Bruder geboren. Er starb 1903. Lacans Bruder wurde 1902 geboren und starb 1904, in Dalis Geburtsjahr.


Spellbound (1945 Alfred Hitchcock)

Seinem „systematisierten Delirieren“ entsprach die Art, wie Dali sprach, eine unaufhörliche Attacke auf die korrekte Aussprache, mit der Ausdauer eines Kindes.

Dali und Lacan importierten Freud nach Frankreich. Philosophie aus Österreich gibt dem Gesprochenen den Vorrang vor der Schrift. Worüber man nicht schreiben kann, davon soll die Rede sein.


Dali & Dr. Lacan und Wittgensteins Hasen-Entenkopf

Jastrows berühmter „Hasen-Entenkopf“ beschäftigte Wittgenstein so sehr, dass er den Gesichtsausdruck und den Charakter des Hasen kritisch besprach.

Als Dali und Lacan, von gegenseitigem Respekt und gleichen Interessen erfüllt, einander in Paris zum ersten Austausch von Ideen trafen, da hatte der Maler etwas im Gesicht, etwas, das der Psychiater nicht ansprach: An Dalis Nasenspitze klebte ein Stück Zigarettenpapier. Das hatte beim Malen störende Reflexe auf einer Kupferplatte vermindern sollen, und war, wenn man Dali glaubt, ganz unabsichtlich an seiner Nase verblieben, ganz einfach vergessen worden. Erst anschließend, wieder allein, beim Blick in den Spiegel fiel es ihm auf. Aha, dachte Dali, war DAS also der Grund für die seltsame Art, wie Lacan ihn während des zweistündigen Gesprächs immer wieder angeschaut hatte?
„Aber warum haben Sie denn damals nichts gesagt?“ fragte Dali vier Jahrzehnte später beim Wiedersehen in New York…
Lacan war der Ansicht gewesen, Dali habe mit dem Papier auf der Nasenspitze eine irritierte Reaktion auslösen wollen, und deshalb hatte Lacan mit keiner Wimper gezuckt.


The Chase (1946 Arthur Ripley)

Der Gangster (Steve Cochran) ist auch Kind und Sadist.
In Bologna sah ich Steve Cochran in Tomorrow is another Day (1951 Felix Feist). Da spielte er einen, der mit 13 wegen Mordes ins Gefängnis kam und achtzehn Jahre später, wieder auf freiem Fuß, nichts über das Leben oder die Liebe weiß. Doch schlimmer als seine Unerfahrenheit ist die dunkle Ahnung, dass sich im Leben alles endlos wiederholt.


Jules Verne: „Fünf Wochen im Ballon“, 1863

„Ich werd‘ verrückt: da drüben fliegt noch ein Ballon… gib Zeichen mit der Fahne… tatsächlich sie erwidern… eine englische Fahne, genau wie unsere… “

Nachdem die Täuschung erkannt und auf Luftschichten verschiedener Dichte zurückgeführt ist, sagt einer der drei Reisenden: „Ich finde, wir sehen in diesem Luftspiegel recht imponierend aus.“


Bedelia (1946 Lance Comfort)

Eine schwarze Perle. So wertvoll, dass Bedelia (Margaret Lockwood) ihren Besitz als Fälschung ausgeben muss, um sich damit schmücken zu dürfen.
Sie will sich auch nicht fotografieren lassen. Aber in ihrem Schlafzimmer sind vier Spiegel.
Der Film enthüllt und feiert ihr Geheimnis, „the deepest of human mysteries – a problem that no detective, physician nor psychologist has ever solved.“


That Brennan Girl (1946 Alfred Santell)

Das Mädchen lernt den Gebrauch des Lippenstifts. Dem Film geht es darum, dass die Tochter anders werde als die Mutter, mütterlicher.

Von einigen der Filme, die von Republic produziert wurden, geht jene Faszination aus, die nur der Redner ausübt, der sich selber gründlich widerspricht.


The Secret Beyond the Door (1947 Fritz Lang),

A Universal Picture.
Verheiratet mit einem Mörder? Der Plot der 40er.
Ihr Mann sammelt Innenarchitektur – die Einrichtung von Räumen, in denen ein Mord geschah.

„Ich habe oft aus einem dummen amerikanischen Film eine Lehre gezogen.“ (Wittgenstein, 1947, Vermischte Bemerkungen)


Take My Life (1947 Ronald Neame)

Ein Mordfall. Das Medaillon führt auf eine Fährte. Die falsche. An die Unschuld des Angeklagten glaubt einzig seine Frau (Greta Gynt). Die folgt im Alleingang einer anderen Spur. Den Noten einer Partitur. Der deutsche Verleihtitel: Das Rettende Lied


The Paradine Case (1947 Alfred Hitchcock)

„Das Bewusstsein in des Andern Gesicht. Schau ins Gesicht des Andern und sieh das Bewusstsein in ihm und einen bestimmten Bewusstseinston. Du siehst auf ihm, in ihm, Freude, Gleichgültigkeit, Interesse, Rührung, Dumpfheit, usf. Das Licht im Gesicht des Andern.“ (Wittgenstein: Zettel)


The Amazing Mr. X (1948 Bernard Vorhaus)

Zwei Schwestern vor dem Spiegel. Es geht um die Quantität von Lippenstift und die Frage: Wer ist die Vernünftigere? Die Witwe hört nachts in ihrem zu großen Haus an der Steilküste eine Totenstimme. Die jüngere Schwester verliebt sich in einen Spiritisten. (Der wird gespielt vom erstaunlichen Turhan Bey.) Licht ins Dunkel bringt ein Detektiv, der einst Zauberkünstler war. Dunkel ins Licht bringt der Kamera-Magier John Alton.
Der Regisseur Bernard Vorhaus (schön ist auch sein Crime on the Hill von 1933) kam, vom FBI als verdächtig “vorzeitiger Antifaschist” klassifiziert, auf Hollywoods schwarze Liste und wurde in den 50ern in Italien unter Pseudonym Second-Unit-Regisseur von Wyler und Vidor.


The Weaker Sex (1948 Roy Ward Baker )

Ein Film gegen die Depression, die nach dem Krieg auf England lag.

„Ich stelle mir ein kleines Zimmer vor, das – an einen Fesselballon geknüpft – hoch oben in den Wolken hängt. Mein Schwebezimmer besteht aus einem Bett, in dem ich liege. Neben mir habe ich die notwendigsten Getränke, Rauchwaren und Nahrung. Niemand kann zu mir. Um mich sind nur Wolken. Ich habe Zeit. Ich könnte anfangen, mal Ordnung in mir zu schaffen. Wie eine alte Kommodenschublade kommt mein Hirn mir manchmal vor, vollgestopft mit Überflüssigem. Vielleicht ist hier und da auch was Brauchbares unter dem alten Ramsch. Ich müsste mal in Ruhe aussortieren können. Vielleicht würde ich auch zu faul sein, um in meiner Hirnschublade aufzuräumen, und würde sie einfach ausleeren. Vielleicht würde ich nur schlafen. Vielleicht würde ich wochenlang da oben bleiben, vielleicht würde ich nach ein paar Tagen wieder reif für die Menschen sein und sie nett und reizend finden.“ (Irmgard Keun: „Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen“, 1950)


Die Zeit mit Dir (1948 Georg Hurdalek)

Gegen die Depression: Die Dauerwelle. Es ist ihre erste.

Nachkriegszeit, das ist auch in den Filmen: Wiederbelebung durch Sex.

„Von den Sätzen, die ich hier niederschreibe, macht immer nur jeder soundsovielte einen Fortschritt, die anderen sind wie das Klappern der Schere des Haarschneiders, der sie in Bewegung erhalten muss, um mit ihr im rechten Moment einen Schnitt zu machen.“ (Wittgenstein, 1948, Vermischte Bemerkungen)


Höllische Liebe (1949 Géza von Cziffra)

Elfie Mayerhofer singt vor der südlichen Hemisphäre einer sich drehenden Weltkugel-Kulisse.

Ein alter filmkritischer Vorwurf lautet: historische Ereignisse seien „lediglich als Hintergrund“ (für irgendwas) benutzt worden. Ein intelligenter Mensch aber wird sich immer beschweren, nur als Vordergrund (für irgendwas) benutzt zu werden.

Geza von Cziffra hat mit Einstein und Schönberg Tischtennis gespielt; Tennis mit Staudte und Nabokov; er kannte alle. Seine Erinnerungen sind „Anekdoten-Raserei“, so nennt er die Sache selbst. Im Bastei-Lübbe-Taschenbuch (Wartesaal zum Ruhm, 1985) zitiert er gern ausführlich. Zum Beispiel den Dadaisten Huelsenbeck: „Der deutsche Dichter hat die Dichtung gepachtet. Er meint, das müsste alles so sein. Er begreift nicht, welch ungeheuren Humbug die Welt mit dem ‚Geist‘ treibt und dass es gut ist, dass Humbug damit getrieben wird.“


Night Unto Night (1949 Don Siegel)

Zwei Schwestern, Rivalinen, begrüßen einander im Spiegel. Und ein Arzt sieht tief ins Auge seines Patienten.
In einem alten Haus an der Ostküste Floridas treffen sich Geisterspuk und Epilepsie; eine schöne Witwe (Viveca Lindfors), die Stimmen hört, und ein Wissenschaftler (Ronald Reagan), der lieber tot als krank sein möchte. Der Meeresstrand und die Musik (Franz Waxman) geben dem Film die wesentlichen Konturen.


La beauté du diable (1949 René Clair)

Die Angst hat Michel Leiris mal gut beschrieben als das, was uns daran erinnert, „dass man selber dem körperlichen Verfall nicht entrinnen kann, wenn einmal die Uhr abgelaufen ist, und dass jetzt, wo das Alter meine Abwehrkräfte untergräbt, die ich noch nötiger hätte als je zuvor, meine abstrakte Angst vor dem Unausweichlichen tief genug ist, um von jedem beliebigen Umstand wachgerufen zu werden und sich praktisch in der Angst vor allem niederzuschlagen.“

In Friedrich Hollaenders Chanson „Das „Berg- und Talbahngefühl“ kommt die Angst in erster Person singular zu Wort, sie klagt, man habe sich an sie – den ständigen Begleiter – längst gewöhnt. Das wunderschön traurige Lied endet überraschend mit dem Rat: „Hab lieber Angst und sogar sehr, denn wer nicht Angst hat, der will gar nichts ändern mehr.“


The Red Menace (1949 R.G. Springsteen)

A Republic Production. Ein Journalist verlässt die Kommunistische Partei. In der Folge findet er nirgendwo mehr Arbeit. Überall kennt man seine Vergangenheit. Um ein Bild für seine Verzweiflung zu finden, geht die Republic-Produktion raus aus dem Studio auf unabgesperrte Locations, in die Stadt bei Nacht, wo der Ausgeschlossene umherirrt. Ob er will oder nicht, betritt der antikommunistische Film so den realen Alptraum des Antikommunismus.


Hellfire (1949 R.G. Springsteen)

Hellfire stromert stolz herum im Grenzgebiet von Feminismus und Fetischismus, in zweifarbigem Trucolor zwischen türkisem Himmel und orangenem Höllenfeuer.
Marie Windsor, Queen of the Bs, Swamp Woman, No Man’s Woman… Unter ihren 170 Filmauftritten war die gefährliche Doll Brown in Hell Fire ihre Lieblingsrolle.


1860 wurde Annie Oakley geboren.
1870 starben Dickens und Dumas.

Das wäre eine Kurzfassung des Rückblicks auf die 1860er. Ein Rückblick, den ich im nächsten Kapitel wagen will.

Noch einmal Jules Verne, Fünf Wochen im Ballon (1863): Um Mitternacht flammte es plötzlich überall auf. Tausende von Tauben mit ölgetränkten, brennenden Schwanzfedern durchkreuzten die Luft, sie waren losgelassen worden, den Ballon in Brand zu stecken.

Sonntag, 12.04.2020

Bruce Baillie

* September 24, 1931
† April 10, 2020

Ein Rezept von Bruce Baillie, abgedruckt in: »Canyon Cinema News«, Nr. 5 (1969), S. 13–14.

Samstag, 11.04.2020

Langtexthinweis

* Für EBERHARD

– von Rainer Gansera –

Freitag, 10.04.2020

Retrospektive Klaus Wyborny

„… eine jener Gelegenheiten, denen man nicht zweimal begegnet.
Er fragte, ob ich etwas vorhätte in nächster Zeit.
In seinen grauen Augen glitzerte die Angst.
3 Tage später trafen wir Carla in Acapulco.“
Das offene Universum (1989 Klaus Wyborny)

Filmuseum München
ab heute auf vimeo

*

Termine

Friday 10.4. to Monday 13.4.
Das offene Universum (1989) & Laudatio auf Tilda Swinton (2013)

Monday 13.4. to Thursday 16.4.
Hommage an Ludwig van Beethoven (1978/2006) & Zagreb Lecture (2010)

Thursday 16.4. to Friday 17.4.
Im imaginären Museum – Studien zu Monet (2014)
Mit Farocki denken (2015) & Bücher (2010)

Friday 17.4. to Monday 20.4.
Studien zum Untergang des Abendlands/Studies for The Decay of the West (1979/2010)

Monday 20.4.
Histoire du Cinéma (1974/2003)

Tuesday 21.4. to Wednesday 22.4.
Histoire du Cinéma (1974/2003)
Die Geburt der Nation – The Birth of a Nation (1973)

Wednesday 22.4. to Friday 24.4.
Sulla (2001)

Friday 24.4. to Monday 27.4
Syntax
Am Häuserfilm
Bartleby + Bartleby (englisch)
Der Ort der Handlung (alle 1976)

Monday 27.4 to Wednesday 29.4.
2084 (1982)
William Parmagino (1969)
Lecture: Wie mache ich einen Science Fiction Film. Tag 1 und 2

Wednesday 29.4 to Friday 1.5.
The Ideal Extended version (1974/78)
Auf der Suche nach dem verlorenen Schlachtfeld
Okto TV Interview with K. W.

Friday 1.5 to Monday 4.5.
Syracuse (2012)
Talk Wien Syrakus

Monday 4.5. to Wednesday 6.5.
Eine andere Welt
Zwischen den Bildern Interview with K. W.

Wednesday 6.5. to Friday 8.5.
Dämonische Leinwand – Demonic Screen (1968/70)
Interview 2016 with K. W. (Philosophenturm)

Friday 8.5. to Monday 11.5.
Unerreichbar heimatlos – Unreachable Homeless (1977)
Pictures of the Lost World (1974)
Berlin Lecture: Physics and film

Monday 11.5 to Wednesday 13.5
Am Rand der Finsternis – At the Edge of Darkness (1985)
Gnade und Dinge – Grace, Things (1985)

Wednesday 13.5. to Friday 15.5.
Verlassen; Verloren; Einsam, Kalt – Abandoned; Lost; Lonely, Cold (1992)
Ein Abend in Hammamet (2002)

Friday 15.5. to Monday 18.5.
Aus dem Zeitalter des Übermuts – From the Age of Lightheartedness (1993)
A room of my own (2009)
Interview mit Klaus Wyborny (1994)

Monday 18.5. to Wednesday 20.5.
Das letzte Jahr – The Last Year (2009)
Percy McPhee Agent des Grauens [Komplett] (1970)

Wednesday 20.5. to Friday 22.5.
Early Forms of Filmic Narration – Italien im Mittelalter (2017)
Die Vorhallenmosaiken von San Marco (2017)

Friday 22.5. to Monday 25.5.
Das Licht der Welt – The Light of the World (2015)
Im Imaginären Museum II Westwerk (2012)

Catalogue raisoné of Wyborny’s film- and videoworks
http://wyborny.cinegraph.de/Wymac/ATYPEE/Vita/Materie/Catal.htm


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort