new filmkritik

Freitag, 23.12.2016

Filme der Fünfziger (XXV): Man nennt es Liebe (1953)

Der Regisseur John Reinhardt, schon in den frühen zwanziger Jahren in die USA emigriert, hatte im deutschen Nachkriegsfilm nur eine kurze Karriere. Mit Kurt Hirsch, dem verflossenen Ehemann von Hildegard Knef, und dem Drehbuchautor Peter Berneis war Reinhardt für die Herstellung einer englischsprachigen Synchronfassung von „Die Spur führt nach Berlin“ nach Deutschland gekommen. Hirsch war „Associate Producer“ bei Reinhardts letzten Film „Chicago Calling“ gewesen, Berneis wird als Drehbuchautor und Producer genannt. Anfang 1953 zeigte Reinhardt „Chicago Calling“ im Unabhängigen Filmclub München und im British Centre Berlin. Der Produzent Tony Schelkopf engagierte ihn als Regisseur für drei Filmprojekte; vollständig realisiert hat er nur „Man nennt es Liebe“. Reinhardt starb im August 1953 während der Dreharbeiten zu „Briefträger Müller“. „Chicago calling“ wurde in Deutschland erst 1957 von der Neuen Filmkunst in einer untertitelten Fassung herausgebracht.

Mit einem halben Dutzend Männer stürzt Maria West (Winnie Markus) auf den Bahnsteig des Innsbrucker Bahnhofs. Ein rascher Abschied, die Männer bleiben zurück, dann geht es in den Zug nach Rom. Aus einem Nebenabteil schaut Peter Malmö (Curd Jürgens) interessiert zu. Maria weiß sofort, wer Peter ist – sein Foto ist auf der Titelseite der Illustrierten „Quick“, weil er sich zum 7. Mal entlobt hat. Und warum? „Die Mädchen“, so Peter, „haben alle furchtbar viel Geld, tragen dieselben Kleider, fahren dieselben Sportwagen, gehen in dieselben Bars und reden alle denselben Blödsinn.“ So ist das mit den Frauen der großen Welt; Maria besitzt in Innsbruck ein Hotel, den Marienhof.

In Rom treffen sich Peter und Maria zufällig wieder. Peter kennt Rom natürlich sehr gut und zeigt Maria die Sehenswürdigkeiten. Dafür kann Maria ganz passabel singen und trällert am Abend ein italienisches Liedchen. Leider muß Peter am nächsten Morgen schon weiter zu seinem Chef nach Neapel; aus lauter Liebe fährt Maria ihm nach. Der Chef ist schon nach Athen weitergefahren. Also fliegen beide schnell nach Athen, auch wenn Maria heftig protestiert, weil sie doch eigentlich nach Capri will. In Athen wird geheiratet (Peters Chef ist inzwischen in Istanbul), es gibt Austern zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend. Jetzt muss Maria aber nach Hause und Peter endlich zu seinem Chef.
Peter ist Corned Beef Vertreter, sein Chef Carlos Schmidt (Hans Leibelt) besitzt eine Rinderfarm in Lateinamerika und seine Tochter Carmelita ist natürlich mit Peter verlobt. Dass Peter geheiratet hat, findet der Chef ganz großartig. „Sie haben Mut bewiesen, großartig, dass Sie meiner Tochter gezeigt haben, dass Sie nicht mit dem Kopf durch die Wand kann. 20 Jahre hat sie mich tyrannisiert und dann kommen Sie und heiraten eine andere – großartig.“ Langsam wird klar, wohin die Reise wirklich geht. Den selbstbewussten Frauen wird von den Herren endlich mal eine Lektion erteilt.

Peter fährt zu Maria auf den „Marienhof“; Marias Geschäftsgrundlage besteht darin, Zimmer an wohlhabende Männer zu vermieten, die sich bei ihr Chancen ausrechnen. 17 von 25 Zimmern sind so fest gebucht – da stört ein Ehemann natürlich. Um mit seiner Frau zusammen zu sein, muss Peter nachts übers Dach in ihr Zimmer einsteigen und morgens wieder zurückklettern. Der Arme erkältet sich ganz furchtbar, das Zimmermädchen Helene (Helen Vita) weiß gleich Bescheid und erklärt ihm: „Sie sind eine ausgesprochene Bettschönheit.“ So geht das nicht weiter; Peter reist verärgert ab, diesmal nach Paris, zu seinem Chef und väterlichen Freund, der ihn gleich zu einer geschäftlichen Besprechung nach Düsseldorf mitnimmt. Die Besprechung ist dann doch eine Modenschau, bei der Peter die Idee hat, dass die Mannequins doch auf dem Marienhof Ferien machen könnten. Das ist mal wieder eine großartige, sozusagen eine geniale Idee. Denn jetzt schnappen sich die Mannequins die älteren Herren; Maria muss mit ansehen, wie Peter andere Mädchen küsst, sowieso rundum geknutscht und – Tiefpunkt der Festlichkeiten – Jazz gespielt wird. Es ist Zeit für einen melancholischen Song; zu der Stimme von Olly Gubo öffnet Winnie Markus den Mund für das Lied „Man nennt es Liebe“. Ach, die Bitterkeit des Lebens…

Alles ist aus, Maria sitzt heulend am Tisch; da kommt Carlos Schmidt vorbei und erklärt ihr mit erhobenem Zeigefinger, dass man sich in der Liebe nicht rückversichern kann. Maria ist klug („Ich habe noch nie einem Mann vertraut“), aber Papa Schmidt ist weise. Das Alter weiß es eben doch besser; so reist Maria Peter wieder hinterher, sitzt mit ihm im Zug – nach Paris, nach Athen oder vielleicht doch nach Capri?

Ergänzungen zum Eintrag auf filmportal:
Arbeitstitel: Zwei Schlüssel, eine Tür
Mit Paul Hubschmid (Hotelgast), Fritz Lafontaine (Hotelportier)
Kostümanfertigung im Atelier der Gebrüder Reischenbeck, München
Filmgeschäftsführer: Theo Mietzner; Zweiter Kameramann: Gerhard Krüger; Kameraassistent: Herbert Stephan; Zweiter Architekt: Willy Horn; Regieassistenz: Ilona Juranyi; Produktions-Assistenz: Herbert Junghans; Maskenbildner: Jonas Müller, Käte Koopmann, Fritz Seifried; Garderobiers: Werner Schmidt, Emmy Horoschenkoff; Requisiteure: Otto Kruerke, Hans Schabel; Standfotos: Karl Reiter; Atelier-Sekretärin: Inge Posselt; Produktions-Sekretärin: Ursula Müller.
Musikaufnahmen: Kurt Graunke und sein Orchester. Es singen: Olly Gubo und die Singgemeinschaft Rudolf Lamy. Liedtexte: Willy Dehmel; Gedreht auf Perutz-Material; Bavaria Kopie
Baubeginn: 9. März 1953; Drehzeit: 17. März 1953 –22. April 1953

Keine DVD, kein Video
 

 

 

 

Samstag, 17.12.2016

Buchhinweis

Straub/Huillet in Marktheidenfeld

Heimo Bachstein, geboren 1937, war Sparkassenangestellter. Er lebte bis zu seinem Tod 2011 in Marktheidenfeld bei Würzburg. Irgendwann in den 1960er Jahren begann er, sich für das Kino zu interessieren, für Käutner und Domnick, für Trickfilm und Warhol, für Eisenstein und Straub/Huillet, für Kubanische Plakate und Jack Smith.

Um seinen Kinohunger zu stillen, hat Bachstein unzählige Schreiben an zentrale Akteure der internationalen Filmkultur auf den Weg gebracht und um Materialien für seine stetig wachsende Sammlung gebeten. Als Aktivist der Jugendfilmclub-Bewegung, später dann als Leiter des Filmforums der Volkshochschule Marktheidenfeld, hat er dafür gesorgt, Filme, oft in Begleitung der Regisseure, in das örtliche Kino zu holen. 1968 zeigte er in Marktheidenfeld eine vollständige Straub/Huillet Retrospektive.

Das oben abgebildete Plakat ist ein Dokument von vielen. Gemeinsam mit 1.600 Büchern, 220 Zeitschriftentiteln, 22.000 Fotografien, 7.900 Dias, über 1.200 Filmstreifen, 280 Mappen mit 2.800 Texten, 3.500 Plakaten 2.000 Verleihbildern, 3.000 Presseinformationen, 1.800 Zeitungsausschnitte, 2.300 Broschüren und 850 Korrespondenzen kam es 2010 ins Magazin der Universitätsbibliothek der Bauhaus Universität Weimar, statt – wie geplant – im bereits bestellten Container entsorgt zu werden.

In zwei Seminaren hatte ich Gelegenheit, gemeinsam mit Bachelorstudierenden in den 65 Regalmetern zu stöbern. Im ersten Semester nahmen wir uns vor, eine Ausstellung zu machen; im zweiten, in dem nur zwei Studentinnen dabei waren, planten wir eine Broschüre.

Aus der Broschüre wurde ein Buch, das nun erschienen ist. Durch die Mitarbeit der Gestalterin Ricarda Löser ist es sehr schön geworden, durch den Einsatz Katrin Richters, der stellvertretenden Leiterin der Bibliothek, war es überhaupt möglich, die Seminare und das Buch zu machen.

Im Buch sind drei Schwerpunkte von Bachsteins Sammlung etwas genauer dargestellt; das New American Cinema (Paulina Kutschka), der deutsche Experimentalfilm um 1968, vor allem in Hamburg und Köln (Franziska Schade), Straub/Huillet, mit denen Bachstein 40 Jahre lang korrespondierte.

Außerdem gibt es Beiträge von Filmkritik-Studierenden sowie den Gästen, die für drei Kinoabende letzten Winter in Weimar waren: Helmut Färber, Heide Schlüpmann und Karola Gramann sowie Maja Naef.

Man kann das Buch hier bestellen, beim Lucia-Verlag, der von Weimarer Studierenden gegründet wurde. Hier auch eine Leseprobe. Der Erlös kommt anderen studentischen Publikationsprojekten zugute.

Kino-Enthusiasmus. Die Schenkung Heimo Bachstein
hg. von Volker Pantenburg und Katrin Richter
unter Mitwirkung von Paulina Kutschka, Franziska Schade und Sophie Spallinger, gestaltet von Ricarda Löser

144 Seiten | 18,3 x 27,6 cm | Offsetdruck | Schweizer Broschur | 30.00 €

Montag, 12.12.2016

Filme der Fünfziger XXIV: Ingrid – Die Geschichte eines Fotomodells (1955)

Ingrid (Hannelore Matz) kommt vom Einkaufen in die Dachwohnung, ihr Freund Robert (Paul Hubschmid) steigt aus der Dusche und erklärt: „Ich habe zu arbeiten. Tatsachenbericht in 15 Fortsetzungen. Schönheit in Gefahr, der ewige Quatsch, Mädchenhändler, Mannequins, Verschleppung, Südamerika – hamwer Joghurt?“
Robert ist Reporter einer Illustrierten, der Fortsetzungsbericht könnte glatt die Vorlage für den Film „Mannequins für Rio“ sein. Das ist dann doch kein, wie ich geschrieben hatte, Gegenentwurf zur Erfolgsgeschichte eines Fotomodells, sondern die Komplementärstory.

Die Dachwohnungs-Sequenz hält für Ingrid mehrere Enttäuschungen bereit. Die Wohnung gehört gar nicht Robert, sondern seiner ehemaligen Freundin – das Glück ist nur geliehen. Vom Geburtstagskuchen, den Ingrid für Robert gemacht hat, nimmt er nur im Gehen ein Stück; er muss ja arbeiten, Ingrids Wünsche sind ihm piepegal. Sie nimmt es mehr oder weniger phlegmatisch hin. Aber da gibt es noch den Fotografen Walter (Paul Edwin Roth), den guten Freund aus alten Tagen; er kommt kurz vorbei und erklärt: wenn Ingrid ihn eines Tages brauchen sollte, dann solle sie nicht zu stolz sein, ihn anzurufen. „Die Telefonnummer haben Sie noch?“ Robert ist perplex, aus einem Grammophon klingt ohne Unterlass Hawaii-Musik.

Radványis Film ist randvoll mit Sequenzen, in denen das scheinbar Offensichtliche, die Kino-Vorstellung von der Wirklichkeit mit den Mitteln des Kinos aus den Angeln gehoben wird. „Ingrid“ beginnt und endet in einem Planetarium, mit einer Reise durch die Sternenwelt zu Musik von Vivaldi. Was zunächst wie ein Verleihvorspann aussieht, ist schon der Film selbst. Es folgen Feuerwerk, aufblitzende Lichterwerbung und der Filmtitel in Leuchtschrift. Dann wird Ingrid zur „Miss Mannequin“ gewählt, was zu einem Gespräch mit dem Illustrierten-Reporter Robert über das Leben der „Miss Mannequin“ führt; Ingrid soll einfach von Anfang an erzählen und so beginnt eine Rückblende. Ein Flüchtlingstreck, Ingrid kommt bei Verwandten unter und flieht weiter von der russischen in die amerikanische Zone, wo ihre Schwester leben soll. Sie kommt in ein Lager, wird von einem Passfälscher missbraucht. Erstmals nennt sie ihren Namen –  „Käthe Bienert“ – und begegnet im Lager dem Fotoreporter Walter und dem Journalisten Robert. Die beiden sind auf der Suche nach pittoreskem Elend. Als Ingrids Schwester (Erni Mangold) sie aus dem Lager holt und von ihrem reichen Verlobten schwärmt, hört man das Akkordeon einer Lagerfrau; die Kamera (Richard Angst) zeigt eine verhärmte Mutter mit ihrem Kind, beide essen aus Blechtöpfen und sehen unbeteiligt zu. Ingrid kommt in einer Pension mit vielen anderen jungen Frauen unter; sie arbeitet als Nähmädchen und wird dort dem Modeschöpfer D’Arrigio (Louis de Funes) auf einer Drehscheibe als Inkarnation seiner Fantasie von „Ingrid“ vorgestellt. Also wird aus Käthe Ingrid, die „modische Brise aus dem Norden“.

So eine Story will, so Robert, keiner lesen, das Elend haben ja alle selbst erlebt, aber die Geschichte vom Aschenbrödel, die zur Königin der Mannequins wird, dieses moderne Märchen, dieses grauenhafte Klischee – das fressen die Leute. Robert ist der gewissenlose Boulevardjournalist, der alles zu Geld macht. Ingrids „Lächeln ist bares Geld und das will ich locker machen.“ Als Ingrid von ihm schwanger wird, ist das für ihn auch nur eine Frage des Geldes. Ingrid bekommt das Kind, erzählt ihm aber kein Wort. Walter kümmert sich um sie, geht mit ihr ins Kino, aber sie ist unzufrieden. „Ich möchte einmal sehen, wie es weitergeht, nach dem Happy End.“ Fast wie aus dem Drehbuch zitiert, beantwortet Radványi eine Journalistenfrage: „Wenn ich im Kino sitze und am Schluss des Films das Liebespaar sehe, das sich mit musikalischem Crescendo untermalt zum Happy-End-Kuss findet und das Wort ‚Ende’ kommt, dann möchte ich immer sitzenbleiben, denn ich habe das Empfinden, dass die Geschichte und auch der Film da – nach dem Kuss – erst beginnen. Bis zum Kuss kommt ja jeder. Aber wie es dann weitergeht – das möchte ich immer gern wissen. Darum sind auch der Happy-End-Moment und der wirkliche Kuss in meinem Film in der Mitte der Geschichte, und dann geht der Film, wie es auch im Leben geschieht, weiter.“
Das Leben selbst, der Alltag kommt vor als Nebenbeobachtung, die in den Vordergrund drängt, weil die Präsenz als akustisches oder optisches Signal so unerwartet ist. Lautes Uhrenticken, das Geräusch von Scheibenwischern, ein zynischer Spruch, fahrende und kreisende Kamerabewegungen, dann wieder eine Mackie Messer Paraphrase – man wird ganz besoffen von Radványis Virtuosität. Die Bildsequenzen dramatischer Konstellationen, die man aus anderen Filmen zur Genüge kennt, werden mit Fragen und Zweifeln so intelligent und unabweisbar aufgeladen, dass es am Ende gar nicht mehr um die Alternative Lebenswirklichkeit oder Kinoerzählung geht. Schon gar nicht geht es um Antworten oder Lebenshilfe.

Ein kommerzieller Erfolg war der Film nicht. „Du hast mir einmal gesagt“, sagt Ingrid zu Walter in der abschließenden Planetariums-Sequenz, „dass jeder sein Leben so lebt wie er kann. Du, ich, jeder. Auch Robert. Daran ist nichts zu verzeihen. Ich werde mit ihm so leben wie alle anderen leben.“ – „Und auf das, was man so Glück nennt, verzichtest Du?“ – „Ich war schon sehr glücklich. Aber nach dem Glück und dem Kuß geht das Leben doch weiter. Besonders, wenn es einem nicht mehr ganz allein gehört. Ich glaube, das ist das, was man so Glück nennt.“ Eine richtige Antwort ist das auch nicht; zu Vivaldis Winter-Largo geht der Blick in den Sternenhimmel, zuerst kreisend, dann hineinfliegend.
Kommt der Sternenflug nicht aus einem Verleihvorspann?

Donnerstag, 17.11.2016

Filme der Fünfziger XXIII: Mannequins für Rio (1954)

Wäre der deutsche Film ein Arbeitsamt, dann würden Frauen dort vor allem folgende Berufe finden: Chefsekretärin, Privatsekretärin, Sängerin oder Mannequin. Bei all diesen Berufen sind moralische Gefährdung und Heiratsmöglichkeit nicht ausgeschlossen. Ruth Leuwerik gerät als Fotomodell in Harald Brauns „Vater braucht eine Frau“ an Dieter Borsche, Maria Schell als verhungerndes Mannequin in „Bis wir uns wiederseh’n“ an O.W. Fischer, Marianne Koch bessert das Einkommen in der „Ehe des Dr. med. Danwitz“ mit Modellieren auf und sowieso können alle Studentinnen oder Schülerinnen nebenbei Mannequin sein, werden dann für den Film entdeckt und heiraten das Glück.
„Mannequins für Rio“ ist der Gegenentwurf, eben die Geschichte der moralischen Gefährdung, nach „Akten der Interpol“ geschrieben von Felix Lützkendorf. Lützkendorf hatte in diesem Jahr wirklich viel zu tun – neben den Mannequins kümmerte er sich auch um „Konsul Strothoff“, den „Ball der Nationen“, „Feuerwerk“ und um „Sauerbruch“, der auch von derselben Produktionsfirma, der  Corona betreut wurde. „Mannequins für Rio“ soll eine Coproduktion der Corona mit der amerikanischen Lippert-Films gewesen sein; Lippert Film tritt in den USA nur als Vertriebsfirma für „Mannequins“ auf; oft wurden solche Konstruktionen nur aus steuerlichen Gründen gewählt. Raymond Burr, Scott Brady und Gordon Howard sind die amerikanischen Schauspieler. Der deutsch-amerikanische Regisseur Kurt Neumann hatte nach unzähligen B-Filmen bereits „Regina Amstetten“ mit Luise Ulrich und „Rummelplatz“ mit Curd Jürgens und Eva Bartok in Deutschland gedreht. „Mannequins“ war keine Mehrsprachenversion; gedreht wurde auf deutsch, wobei die amerikanischen Schauspieler Lautschrift sprechen mussten („Aber Coltos sakte mere doch Zee hetten angeroofen vile dee Meana oonter Wasser stat“). Sie sind dann in der deutschen Fassung  synchronisiert worden. Es kann sogar sein, dass die amerikanische Fassung, die ich nicht kenne, noch ganz anders ist als die deutsche. „They were so young“ ist Teil der „Forgotten Noir“ Box, Collection Set Series One; darin auch ein Interview mit Robert Lippert Jr. . Mehr über die Lippert Produktionen gibt es bei https://kitparkerfilms.wordpress.com/about/

Mit Anzeigen werden Mädchen als Mannequins nach Rio de Janeiro gelockt; nachdem sie Kleider vorgeführt haben, sollen sie im Salon von Madame Lansowa (Gisela Fackeldey) und Pasquale (Kurt Meisel) reichen Herren zugeführt werden. Das ist etwas umständlich, denn wenn die Damen sich in ihren Vorführkleidern auf die Stühle gesetzt haben, baut sich um sie herum ein Gebirge von Textiltüll auf. Bei allem Schielen nach Sünde will der Film grundsätzlich anständig sein; deswegen singt Gerhard Wendlandt nach der Modenschau mit dem Charme eines Kurzwarenverkäufers
„Heute Nacht ist mir die Liebe begegnet und verliebt schloss ich die Tür,
denn vielleicht wäre diese Stunde gesegnet und die bleibt ewig bei mir.
Heute nacht begann der Himmel zu leuchten, denn dein Mund hat mich geküsst,
tausendmal will ich Dir selig nun beichten, dass nur Du die Liebe bist.“

Wo Horst Wendtland singt, da kann kein Bordell sein. Mit Recht wehrt sich also Eva Ullmann (Johanna Matz) gegen die Bordellchefs und folgt auf ihrer Flucht vor den Bösen dem Amerikaner Richard Lanning (Scott Brady) bis in den Dschungel; dort singt zu unserer Überraschung Caterina Valente ein kleines Schlaflied.

Kurt Meisel, Schurke und Fiesling auf allen Kontinenten, fährt ebenfalls in den Dschungel und entführt Eva auf ein Bordellschiff, auf dem schon wieder Caterina Valente singt. Gert Fröbe spielt den schurkischen Kapitän. Dank Richard Lanning wird Eva vor jedem unsittlichem Zugriff bewahrt und fährt mit ihm in eine glücklichere Zukunft. Wie schön, dass sie auch noch im nächsten Film, dann aber das letzte Mal, als keusche Jungfrau auftreten kann.
Gedreht wurde in Rom, in Geiselgasteig und in Bendestorf.

Samstag, 12.11.2016

Filme der 50er XXII: Oberarzt Dr. Solm (1955)

1955 produzierte die Berliner Delos-Film, die bislang nur Werbe- und Märchenfilme hergestellt hatte, ihren ersten Spielfilm. Mit Leopold Lindtberg, Rolf Hansen und Gustav Ucicky wurde über die Regie verhandelt; schließlich übernahm Paul May, der gerade mit dem ersten Teil von „08/15“ einen Riesenerfolg gehabt hatte, die Arbeit. Dem Titel nach ein Arztfilm, ist der „Oberarzt“ auch ein Familien- und ein Heimatfilm, enthält eine Schlagereinlage und macht zwischendurch noch einen ordentlichen Knicks vor der Jugend. Er habe, so der Produzent Schmidt, von vorneherein auf künstlerische Ambitionen verzichtet und beabsichtige lediglich die Herstellung eines gut gemachten Unterhaltungsfilms. Ambition und Unterhaltung zusammen ist keine Option.

Oberarzt Dr. Solm (Hans Söhnker) ist ein guter, ehrgeiziger Chirurg, der ganz wunderbar mit Kindern umgehen kann und sich auch mit Hirnchirurgie, speziell mit Leukotomie, beschäftigt. Sein Chef Möllenhauer ist mit dem Psychologieprofessor Berding zu einem Kongress nach Rio de Janeiro aufgebrochen. Frau Berding (Anna Dammann) bleibt mit Familie und Sorgen zurück; die Tochter Angelika (Sybil Werden) stört mit Ballettübungen, Sohn Benvenuto (Hans Clarin) ist geistesgestört und malt abstrakte Bilder. Hans Clarin reisst die Augen auf und wirft das Essen, das ihm die Mutter in den Wintergarten bringt, mit der Staffelei durchs Fenster. Dann lutscht er selbstvergessen am Pinsel. Solm soll auf Wunsch von Frau Berding Benvenuto operieren.

Bei Familie Solm sind die Verwandtschaftsverhältnisse kompliziert. Dr. Solm, ledig, ist Stiefbruder der wohl 20 Jahre jüngeren Geschwister Evchen (Karola Ebeling) und Konrad (Harald Juhnke), aber er fungiert für sie auch als Pflegevater mit Geldverteilungskompetenz. Evchen nennt Solm „Charly“ und jobbt neben der Handelsschule als Mannequin, Konrad nennt ihn „Alter“, studiert Medizin und jobbt als Trompeter in einer Band. Als Solm in finanzielle Schwierigkeiten gerät, helfen die jungen Geschwister aus und haben damit ihre Schuldigkeit getan.

Professor Möllenhauer (Fritz Hintz-Fabricius) gehört die Privatklinik, an der Solm und Möllenhauers Tochter Claudia (Ilse Steppat) arbeiten. Claudia ist Empfangsdame, Generalsekretärin und Oberschwester der Klinik, verliebt in Dr. Solm und eifersüchtig auf Angelika. Sie lädt den Oberarzt zum Abendtee in ihr Büro, um dort einer Direktübertragung vom Ärztekongress in Rio zu lauschen, bei der sich Professor Berding gegen die Leukotomie auspricht. Solm aber ist mit der Primaballerina Angelika ausgegangen, die ihm dieses Lied vorsingt:
„Sieh dich vor mit dem Jonas, denn mit Dir will er zum Amazonas,
nimm mich bitte nicht mit nach Brasilien, wo die Affen so schrein und die Schlangen sich freun, ja, da gründet man keine Familien.
Eijeijeijei, oh Senorita, eijeijeijei, so viel geschieht da. Eijeijeijei, und niemand sieht da, am Amazonas, was der Jonas mit Dir macht.“
Karl Solm erliegt nach diesem Vortrag der Liebe; er will Angelika heiraten („Das Ballett musst Du natürlich aufgeben“) und gegen den Protest von Schwester Claudia den verrückten Benvenuto operieren. Es kommt jetzt zu einer ganz schiefen Gemengelage aus erotischer Rivalität und Autoritätsanspruch; Schwester Claudia weiß via Rundfunkübertragung aus Rio, dass Professor Berding die Leukotomie ablehnt, hat also mit ihrem Protest durchaus Recht. Sie ist aber auch eifersüchtig; das setzt sie ins Unrecht. Und sie will dem Oberarzt die Operation untersagen, was der als Eingriff in seine medizinische Kompetenz empört zurückweist. Außerdem ist Solm ja mit Tochter Angelika liiert, quasi schon Teil der Familie. Da sieht er sich gleich doppelt im Recht, hat aber falsch kalkuliert. Als die Professoren aus Brasilien zurückkommen, muß Solm die Klinik verlassen. Einsam, bitter und mit starrem Blick in die Ferne harrt nun das Chirurgen-Genie vorübergehend auf Erlösung und Genugtuung.
In Oberbayern findet Solm eine neue Stelle und eine weitere stille Bewunderin. Schwester Regine (Antje Weisgerber), die auch drei Semester Medizin studiert hat und dann wegen Geldmangels das Studium aufgeben musste, trägt ihm auf vielen Wegen durch den Schnee die Tasche voran und weist ihm im Gebirge den Weg. Es gibt jetzt nur noch zwei Jahreszeiten – Advent und Weihnachten/Sylvester. Norbert Schultze komponiert ein paar Zitherklänge, Hans Schneeberger filmt glitzernden Schnee und Antje Weissgerber schmachtet dazu so lang, so lang. Im Land der Kerzen, der Schneefälle und selbstgebrannten Schnäpse soll Solm jetzt für immer mit Schwester Regine bleiben. Aber er wird in seiner alten Klinik noch rehabilitiert; der verrückte Benvenuto hat sich zu einem gesunden Dandy gemausert, Solm rettet dem alten Klinikchef durch sein chirurgisches Geschick das Leben, Schwester Claudia hat geheiratet und Professor Berding hat verziehen. Wieder ist Sylvester mit Glockengeläut, Schnee und einem Kuss zwischen Schwester Regine und Dr. Solm. Bleibt Solm nun in der Stadt oder geht er aufs Land zurück? Aber das ist doch ganz gleichgültig – wenn er nur seinem Herzen folgt, bei Regine bleibt und den dummen, dummen Ehrgeiz aufgibt.

Der Film landete 1955 auf Platz 47 der umsatzstärksten Filme.

Montag, 07.11.2016

LeRoy und Büld

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Mervyn LeRoy gilt in den dreißiger Jahren als Inbegriff modernen amerikanischen Kinos. Seine Filme sind schnell, effektiv, effizient und erfolgreich. Er sucht die wirksamste Kinoform und verlässt sie sofort, wenn er glaubt, dass die Formulierung trefflich geraten sei. Sein Stil besteht darin, die erprobten Wendungen der Hollywood-Filmsprache intensiv und straff zur eigenen Sprache und dabei das Wie des Erzählens im Was des Erzählens gleichsam unsichtbar zu machen.“
(Harry Tomicek: Before the Code, Viennale 1996)

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Aline MacMahon in Heat Lightning (1934 Mervyn LeRoy)

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Jean Simmons in Home before Dark (1958 Mervyn LeRoy)

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Virginia Field in Waterloo Bridge (1940 Mervyn LeRoy)

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Thirty Seconds Over Tokyo (1944 Mervyn LeRoy) via

Ich kannte I Am a Fugitive from a Chain Gang (1932) und Hard to Handle (1933). Dann sah ich Home before Dark (1958) und The Bad Seed (1956). Nach Random Harvest (1942) und Waterloo Bridge (1940) war er reif: der Zorn auf die Filmgeschichte. Immer läßt sie das Entscheidende weg, die dumme Filmhistorie. LeRoy gilt darin als alter Streitfall. Ob seine Filme nicht zuallererst Warner- oder MGM-Filme seien, wird skeptisch gefragt. Ob andererseits der von ihm produzierte Wizard of Oz nicht eher ein LeRoy- als ein Victor-Fleming-Film sei, wird zaghaft zurück gefragt. Unübersehbar ziehen zwar Antirassismus und weibliche Solidarität als Themen durch das Werk des Vielseitigen, dessen kontinuierlicher Erfolg aber wenig Entdecker und Verteidiger inspirierte. Nur einige wenige Schwärmer: „There is only one Mervyn LeRoy,” schreibt Mulrooney. Fest steht: Er hat einige der allerbesten Enden inszeniert, nach denen Menschen aus Kinosälen wieder auf die Straße treten mussten. Von Two Seconds (1932) bis Gypsy (1962)

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Vivian Leigh in Waterloo Bridge (1940)

„Mervyn LeRoys Madame Curie (1943) fällt mir noch ein. In einer fantastischen Szene kommt das Forscherpaar Marie (Greer Garson) und Pierre Curie (Walter Pidgeon) eines Nachts in den Schuppen zurück, in dem sie über Jahre schon versuchen, ein unbekanntes chemisches Element zu isolieren. Am Tage zuvor hat es einen weiteren Fehlschlag gegeben, am Boden einer Petrischale, in der die Substanz sich offenbaren sollte, ist nichts zu sehen. Dann, in der Dunkelheit, sehen Marie und Pierre von Weitem schon ein seltsames Schimmern im Hof. Sie öffnen die Tür, und vor ihnen steht die Schale, aus der heraus ein helles Licht den Raum und die Gesichter der beiden Liebenden erleuchtet, die sich mit dem ekstatischen Lächeln glücklicher Eltern in die Arme fallen. Es ist – ein Radium!“ (Volker Hummel)

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Mervyn LeRoy und Edward G. Robinson

Im Frankfurter Filmmuseum liegen die attraktiven Reihen und Retros gerade so dicht beisammen, dass sich zufällig oder zwangsläufig die schönsten Double Features ergeben. Am Mittwoch läuft Leroys Little Caesar und Lemkes Paul. Am Freitag folgen aufeinander Filme von Paul May und Dominik Graf. Am Samstag (12.11.) bildet sich sogar ein Quartett, ein vierblättriges Kleeblatt aus Raoul Walsh, Helmut Käutner, Klaus Lemke und Jack Arnold!

Nürnberg lockt unterdessen mit KARACHO, dem 2. Festival des Actionfilms. Ein Wochenendkongress im KommKino, liebevoll dem Kruden gewidmet, mit kundigen Einführungen von Cestnik, Huber, Krick, Vanisian, u.v.a. Mit Rarem, das einst alltäglich war: Charles Bronson (in einem besonders bösen Lee-Thompson-Film), Michelle Nichols (Uhura, als Gangsterchefin in Chikago Poker), Patty McCormack (LeRoys Bad Seed, in Die Cadillac-Bande von San Francisco) und und und.

Das Münchner Werkstattkino schafft es allerdings, sogar das zu überbieten. Denn dort läuft derweil eine Wolfgang Büld Retrospektive, und zusätzlich hat der übersehene Gigant des deutschen Trivialfilms in der Spätvorstellung Carte Blanche.

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Wolfgang Büld, der katholische Glam-Rock-Boy aus Lüdenscheid hatte schon als Filmstudent in München, mit den drei großen Lieben: Bahnhofskino, Musik und England, nicht die Hoffnung unterzukommen im Neuen Deutschen Film, „der so etabliert war, dass für Leute wie mich daneben nicht genug Luft zum Atmen war, und ich begehrte deshalb gegen die Diktatur des Neuen Deutschen Films und des guten Geschmacks auf, den er verkörpern sollte.“ So wurde Büld der erste Dokumentarist des Punk. Für ihn: „die logische Weiterentwicklung der Musik, die ich von Kindheit an gehört hatte.“

1977, als er Punk in London filmte, war er 24, also „nicht mehr so jung“, aber nur unbedeutend älter als die Leute vor der Kamera. Diese Perspektive bewahrte er sich irgendwie, nie schaut er altklug auf seine Helden, immer ist er teilnehmender Außenseiter wie sie. Brennende Langeweile (1978), die Rhein-Ruhr-Love-Story des Lemke-Meisterschülers galt als Fremdkörper im „Eliteprogramm“ des kleinen Fernsehspiels. „Die Ansage im Fernsehen war so eine halbe Entschuldigung, in der Form, dass dieser Film die Sprachlosigkeit der Nach-68er-Generation zeigt.“ * Brennende Langeweile ist die pure Poesie der Provinz: der lässig beiseite genuschelte Wunsch, weg zu wollen, unbedingt.

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Wolfgang Büld und Gaye Advert

Sein großer Erfolg Gib Gas – ich will Spaß (1983) ist der perfekte SGE-Kanon-Film. Stefan Ertl schrieb: „Der Klassiker unter den Teenager-Romanzen, ein Musical und ein Road-Movie, mit Nena und Markus. Kleine Taschenlampe brenn ist Markus’ Liebeserklärung an Nena: Wenn man zu zweit durchnässt in einer Hütte landet, entgeht man nicht mehr der großen Liebe.“
Die vom Filmclub 813 ermöglichte Anschauung erwies nun, dass sogar Manta Manta, der vornehm ignorierte Riesenerfolg von 1991, ein rundum filmisches Vehikel ist, das gekonnt bremst und anfährt, rauf und runter schaltet zwischen Demut und Größenwahn. Eine überraschend lehrreiche Lesung aus dem George-Lucas-Evangelium: American Graffiti im südlichen Ruhrgebiet.

„Ich habe kulturell zu Deutschland keine Beziehung“, sagt Büld. „Meine deutschen Platten passen in eine Tüte und die englischen sind ein halbes Zimmer.“ * Die andere Hälfte ist mit amerikanischen Romanen gefüllt. Seine Filme sind randvoll lebendig dank des Vertrauens in eigenwillige, eigensinnige Pin-up-Girls wie Gaye Advert und Nena und Beatrice Manowski. Im neuen Jahrtausend, seit er in London lebt, ist die Frau, die er filmt, Fiona Horsey. Die wildeste von allen.

Am Freitag um 20:00 Penetration Angst (2003) in Anwesenheit von Wolfgang Büld und Dominik Graf,
am Samstag um 20:00 die Kurzfilme: Nur die Sehnsucht bleibt (1976), Nur ein kleines bisschen Liebe (1977), Das Kloster (1975) in Anwesenheit von Wolfgang Büld,
am Sonntag um 20:00 Lovesick – Sick Love (2004),
am Montag um 20.15 Twisted Sisters (2006) und
am Dienstag (15.11.) um 20:00 Brennende Langeweile (1978).

Montag, 24.10.2016

Filme der 50er XXI: Gefangene der Liebe (1954)

Willi Kluge (Curd Jürgens) hat seine Frau Maria (Annemarie Düringer), die nach acht Jahren russischer Gefangenschaft nach München zurückkehrt, vom Bahnhof abgeholt. Kluge führt eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt, darüber ist seine Wohnung. Willi zeigt Maria die Wohnung, die Geigen singen, die Flöten klingen. „Das ist nun unser Schloß.“   Erst kommt die Küche („alles elektrisch“), gleich daneben ist das Wohnzimmer („Das ist praktisch für die Hausfrau“). Lichter von außen kreisen durch das Wohnzimmer wie Sternenglanz. Da ist der Spiegel, „unser Spiegel“, das Bild von der Hochzeit mit dem schönen Kleid. Und nun die Überraschung. Im Schlafzimmer, im Schrank („Nun mach doch schon auf“) ist das Hochzeitskleid. Das ist so lange her; Maria bricht in Tränen aus, aber jetzt, jetzt kommt der Clou – das Bad, mit Fliesen, Badewanne, heißem Wasser, kaltem Wasser, Mischbatterie. Das alles hat Willi geschafft, und er hat es gut gemacht. Aber das Wichtigste ist doch „Magst Du mich noch?“ –  Maria nickt verschüchtert und sackt in sich zusammen.

Jugerts „Gefangene der Liebe“ (1954) ist beherrscht von der Angst vor der Wiederbegegnung mit dem Mann, auch vor dem möglichen Verlust  bürgerlicher Ehre. Der jähe Wohlstand wirkt wie ein Alptraum auf Maria, die jedes der so stolz vorgeführten Zimmer auch als Bedrohung, als Beweis der Diskontinuität empfindet. Willi führt vor, was er geleistet hat; Maria hat in den Jahren ein Kind bekommen. Davon weiß Willi noch nichts. Das Kind hat sie aus Angst bei einer freundlichen Ärztin (Brigitte Horney) untergebracht. Es ist ihr unentdecktes Geheimnis, die Vergangenheit, die unerledigte und drückende Schuld. Das sind die Trümmer, die jetzt aufgeräumt werden müssen; wie kann man damit umgehen oder, um im Jargon zu bleiben, fertig werden?
Willi und Maria mit dem Kind finden mit Hilfe von Freunden relativ schnell wieder zueinander, aber so billig sollen sie nicht davonkommen. Jetzt wird das ganz große Schicksalsrad gedreht. Es ist Oktoberfest, die Zeit, in der es von den Karussells dauernd in den Fenstern blinkt; auf dem Oktoberfest begegnet Maria zufällig Franz Marten (Bernhard Wicki), dem Vater ihres Kindes. Marten ist Motorradfahrer in der Todesbahn, sässe aber viel lieber mit Maria und Kind in der guten Stube. Mit wem soll Maria, die das alles doch schon entschieden hatte, zusammen bleiben? Noch einmal erscheint das Gespenst der Vergangenheit, noch einmal müssen Maria und Willi um die Gegenwart kämpfen, um die ganze Existenz, die schöne Wohnung, die florierende Tankstelle. Wer ist bloß schuld an diesen furchtbaren Verwicklungen? Es ist der schauerliche Krieg, dem in einer Farce mit expressionistischem Licht, schräggestellten Bildern und einem besoffenen Kriegsversehrten der Prozess gemacht wird. Als alle Flaschen ausgetrunken sind, ist auch dieses Thema erledigt. Es gibt ja, trotz des Titels, keine Gefangenen, es geht nicht um Ausbruchversuche, es geht um die Befreiung von der Last der Vergangenheit. Gibt es diese Last überhaupt? Käutner hat das ein Jahr darauf in „Himmel ohne Sterne“ kurz und bündig kommentiert; Otto Friese (Gustav Knuth) ist mit dem Umsatz in seinem Lebensmittelladen sehr zufrieden – „ist fast schon wieder so wie 1937“.

Zwei Jahre war das Drehbuch herumgereicht worden, kein Produzent wollte noch einen weiteren Film mit Heimkehrer-Problematik drehen. Die Stabliste versammelt die bewährten Profis des deutschen Films: Walter Boos, Erich Kettelhut, Bruno Mondi, Charlotte Flemming, sogar Rainer Erler. In der Saison 1954/55 zählte „Gefangene der Liebe“ neben Veit Harlans „Verrat an Deutschland“, Laszlo Benedeks „Kinder, Mütter und ein General“ und Roberto Rossellinis „Angst“  unter kommerziellen Aspekten zu den „Versagern“ der Saison. Keine schlechte Nachbarschaft, wäre da nicht der billige Budenzauber.

 

Dienstag, 11.10.2016

Oderland. Fontane. Film von Bernhard Sallmann (D 2016, 72 Minuten).

Ein Film aus Landschaftstotalen, die unverrückt stehen – also gewählt und komponiert. (Nur einmal eine nähere Einstellung von oben auf ein Oder-Fliessgewässer.) Und eine Frauenstimme (Judica Albrecht), die Fontane liest – Passagen aus „Meine Kinderjahre“, 1893, und „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, 1892. Ebenfalls sorgfältig ausgewählt und zusammengestellt.

Bestechende Idee, die stoische Anwesenheit der Landschaft mit ausgewählten Textstellen Fontanes zu konfrontieren, in denen ja geschichtlich sehr reiches, gut dokumentiertes Material verarbeitet ist (bis zurück ins 13. Jahrhundert, anhand von Namen auch, Hexenprozessen, Kriegshändeln und Krieg, dem immer noch bekannten Derfflinger, Frau von Friedland als Pionierin der Landwirtschaft, der Architektur des ganz jungen Schinkel, dem Naturforscher und Dichter Adelbert von Chamisso u.a.m.). Man lernt, in welcher Weise das Oderland, über die Jahrhunderte hinweg, kolonisierte, kultivierte, gestaltete, ausgenutzte Landschaft war – und doch kann es auch den Anschein haben, als sei die ‚Menschenhand’ nur vorübergehend dagewesen. Als ob das, was sie hinzugefügt hat, sehr vergänglich sei – dem gegenüber, was die Landschaft von sich aus ist. Die Natur hat ihre eigene Geschichte, bewegt sich in langsameren Zyklen – ist also, bei aller äusseren Veränderung, von einer Stetigkeit, die es erst mal zu begreifen gilt.

Wie in der Malerei und der Dichtkunst scheint es auch beim Film (ein eher neues Phänomen) diejenigen zu geben, die sich mit ‚Landschaft’ befassen. Aber die Motivlage hat sich völlig verändert: mit dem, was früher einmal ‚Besinnlichkeit’ hiess, hat die Zuwendung zur Landschaft heute nicht mehr viel zu tun. Der Gegensatz zu dem, was technologisch-gesellschaftlich (im ‚Ultratechnoikum’) passiert, ist derart, dass sich ein Abgrund zu öffnen scheint – zwei Welten stehen sich gegenüber. Bei der einen, unterliegenden Welt verharren, heisst dann: Abgrenzung, Opposition, vielleicht auch Rückzug. Auf jeden Fall verweist die Anwesenheit der Landschaft auf das ‚ganz Andere’, ‚Ausgeschlossene’ – und doch immer Präsente. Durch die verschiedenen Wetterlagen hindurch, dem immer wieder anderen Licht, dem immer wieder veränderten Himmel (oft wie verhangen, was den Landschaftstotalen ein malerisches Gepräge gibt), bildet sich etwas Allgegenwärtiges ab. Das könnte man mit Hölderlin die ‚grosse Natur’ nennen.

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Der Film läuft auf dem Festival DOKLeipzig 2016 (Schaubühne Lindenfels, 01.11.2016 19:30 / CineStar 5, 02.11.2016 21:45 / Passage Kinos Filmeck, 05.11.2016 17:00).

Dienstag, 20.09.2016

Ein mögliches Leben

Vor ein paar Wochen ist Werner Dütschs Buch „Im Banne der roten Hexe“ erschienen. Im Untertitel, Kino als Lebensmittel, teilt sich mit, dass es um eine existentielle Begegnung geht: Um die Berührung mit dem Kino in den 1950er Jahren, „Verweis auf ein mögliches Leben jenseits eng empfundener Gegenwart“, wie es auf dem Rückumschlag heißt. Die Schauplätze dieser Initiation sind Marl und Düsseldorf, eine erste Fahrt nach Paris, Mutmaßungen über Sexualität, das Gegen-den-Strich-Lesen moralischer Verurteilungen von Filmen als ausdrückliche Empfehlungen. Schöne Beobachtungen zur Überblendung.

In „Welcome to the Club“ die verwirrende Erfahrung, wie wenig die anderen mit den eigenen Vorlieben anfangen können: „Besuch auch der Filmclubs in Herten und Recklinghausen, sonntags, neun, zehn Kilometer mit dem Fahrrad. Ich mochte ja die französischen Filme, besonders Grémillon und Renoir und war verwundert, dass im Club niemand amerikanisches Kino kannte. In Gesprächen zeigte sich die Geringschätzung der Mehrzahl der Filme, die ich mochte. Vergebliches Werben für Preminger und Western von Ford und Anthony Mann. Zweifellos wurde ich für jemand gehalten, der ein abseitiges Interesse für ein kulturloses Kino pflegte und jetzt eingeschüchtert wurde mit Originalfassungen.“

Wie sehr das Kino damals als wirkliche Volkskultur gelten konnte, zeigt die Statistik der SPIO auf Seite 150:
Kinogänger in der Bundesrepublik, 1956: 817,5 Millionen
Kinogänger in Gesamtdeutschland, 2014: 121,7 Millionen.

In den Sätzen des Buchs wird die alte BRD plastisch spürbar. Ein angenehm schweifender Blick, der in präzisen Erinnerungsminiaturen auskristallisiert, sich dann wieder auf die Wanderschaft begibt, etwas Neues entdeckt. Das Tastende, Unstete hat mit jugendlicher Neugier ebenso viel zu tun wie mit den Bild- und Blickwechseln des Kinos.

So wie ich das Buch lese, ist es zugleich ein Versprechen, denn es endet mit dem Beginn der Nouvelle Vague, und es hebt damit zugleich für die Zukunft auf, wie es für den Autor weiterging – in Berlin und, besonders folgenreich für die Filmgeschichte, als Redakteur der Filmredaktion des WDR. Gäbe es die Möglichkeit zur Subskription, wäre ich einer der ersten Subskribenten und würde besonders auf Band 3 warten: Pick Up on Appellhofplatz, 537 S., zahlreiche Abbildungen, mit Lesebändchen, den ich mir hier und jetzt schonmal herbeiphantasiere. Am liebsten bei einem prominenteren Verlag, der dem Buch dann auch etwas mehr Sorgfalt im Korrektorat spendieren würde.

Werner Dütsch ist so nett, uns eine Leseprobe drucken zu lassen, „aber bitte nur, wenn es auch einen begleitenden Text gibt, andernfalls erschiene mir das dann doch wie eine erschlichene Selbstanzeige.“ Hier der Abschnitt zu James Dean.

Werner Dütsch: Im Banne der roten Hexe. Kino als Lebensmittel, Würzburg: Königshausen & Neumann 2016.

James Dean

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Nicholas Ray … denn sie wissen nicht was sie tun 1955

Es geschieht in der Nacht, 1955. Jim kommt nach Hause, geht zum Kühlschrank und trinkt – Milch. Aus einer Flasche, mit der er auch seine Stirn kühlt. Milch war mit einem Mal nicht mehr Babynahrung, Kindergetränk, Schulspeisung, sie war mit zwei Einstellungen zu einem angemessenen Getränk für Jugendliche geworden.

Zwei Kisten badischer Vollcrememilch aus der Pforzhei­mer Milchzentrale, garantiert tuberkulosefrei und vitaminreich, waren unter Aufsicht eines Sonderbeauftragten der Landesregierung nach Schloßhotel Hahnhof expediert worden. Milchtrinker Mendès-France nippte nur davon.
Der Spiegel, 10.1.1955

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James Deans Großaufnahme brachte das neue Getränk zusammen mit Jims unverschämt roter Jacke, darunter ein T-Shirt, weiß. Zu den Gesprächen über den Film gehörte die Frage nach dem Mut, eine so auffällige Jacke tragen zu wollen. Die Antwort war einfach: nirgendwo fand sich eine.

Das T-Shirt: Nicht einmal die Bezeichnung war mir bekannt. Eng anliegende Unterhemden, Schultern fast und Arme ganz nackt, wurden als Unterwäsche getragen, hier war das plötzlich ein Kleidungsstück, das so selbstverständlich wie Hemd oder Pullover hätte getragen werden können.
Aber wo gab es das? Ein modebewusster Freund fuhr mich auf seiner Vespa nach Düsseldorf auf die Berliner Allee. Herrenausstatter Selbach. Da lagen sie, viel zu teuer.

Denn sie wissen nicht was sie tun: Waren die Schauspieler nicht zu alt für die High School? Bei den Dreharbeiten war Dean dreiundzwanzig. Den Verdacht, es ginge um einen Film, der sich an Jugendliche ranmacht, bestärkte Jims Vater. Der war unbeholfen, begriff nichts, sagte stets das Falsche, machte sich lächerlich mit einer gelben Schürze, die ihm Jim vom Leib reißt. Eine Figur, die nicht ernst zu nehmen war, billiger Verachtung preisgegeben wurde. Ein nicht ernst zu nehmender Idiot. Bedrohlich aber war James Deans hartherziger Vater in Jenseits von Eden.

Auszug aus: Werner Dütsch: Im Banne der roten Hexe. Kino als Lebensmittel, Würzburg: Königshausen und Neumann 2016. Mit Dank an Werner Dütsch


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