new filmkritik

Donnerstag, 08.07.2010

Fliegende Filme

„Cosmo, ich glaube, du hast deinen Auftritt verpasst.“

Polleschs„Tal der fliegenden Messer“, Ruhrtrilogie Teil 1, gespielt auf einem alten Bahngelände in Pankow, gesehen während des Fußballspiels Deutschland gegen Spanien, deshalb ein paar leere Stühle, ganz ungewohnt. Flugzeuge, Feuerwehrsirenen und ein bisschen trauriges Feuerwerk fügen sich in den Sound ein. Im Hintergrund des Geländes eine halbtransparente Reihenhauskulisse. Es gibt die Spielorte Wohnwagen, Bühne und aufgesuchte „Locations“ hier und dort, gefilmt. Auf der glitzernden Nachtlebenbühne wird an einen Höhepunkt erinnert, der außerhalb der Theaterwelt liegt: „Der Alexander Kluge, der erzählte in seiner Dankesrede zum deutschen Filmpreis, dass man nicht vergessen sollte, dass jeder Film nur Teamarbeit ist. Man kann nicht alleine einen Film herstellen, das sagt er am Anfang und kriegt dafür Applaus von den ganzen anwesenden Filmleuten. Und nach zehn Minuten, am Ende seiner Rede, hat man das Gefühl er hätte die letzten zwei Minuten nur noch gesagt: Rainer Werner Fassbinder, Rainer Werner Fassbinder oder John Cassavetes.“ 

Das irritierende „oder John Cassavetes“ zeigt eine der Quellen des Stücks an: The Killing of a Chinese Bookie“. Wie immer ist das ganze Ensemble großartig, selbst wenn mal der Text hakt, das gehört dazu. Zwischen den Polen: wunderbar überdrehte Inga Busch und ein wie „eingeflogener“ Volker Spengler, der wie ein Orakel spricht.

Dienstag, 06.07.2010

Montag, 05.07.2010

Nachmittagsvorstellung

Der Zehnjährige kennt die Werbung schon, die nicht für ihn bestimmt ist. Sie läuft aber vor dem Film über die verhinderten Superhelden, in den er schon gehen darf. Er kommentiert sie mehr für sich als für seine Mutter oder seine Schwester, wie alle andere Reklame auch, die eine Verfehlung oder Zumutung darstellt. „Man denkt, die zieht sich aus, dabei zieht sie sich an!“, fasst er treffend die Grundidee des Spots zusammen. Das zu begreifen, stellt  für ihn eine Erleichterung dar, weil er der sexuellen Zumutung entkommt. So gesprächig er bei der Werbung ist, so still ist er während des Films. Aber bestimmt hätte man auch nicht erfahren, was er an der Stelle denkt, als eins der Kinder der Superheldenfamilie die große Verschwörung plötzlich ganz persönlich nimmt. Es fragt: “Also wollen die nur Moms und Dads Ehe zerstören?“ Was die Feinde zwar nicht vorhatten, aber wie alles andere Böse abgewendet werden kann.

Die Eltern des Zuschauers aber werden sich in wenigen Tagen scheiden lassen.

Sein etwas jüngerer Freund, der von Mutter und Tante einer dankbaren allein erziehenden Mutter abgenommen wurde und zum Kino gebracht und auch wieder abgeholt wird, hat andere Probleme. Er muss die für ihn unerträgliche Red Bull-Werbung verkraften, denn er weiß, dass es um den Tod geht, will es aber nicht wahrhaben und hat die Handlung auch nicht ganz verstanden. Also spielt er sich mit einer Nacherzählung dem älteren Freund gegenüber als Fachmann auf: „Man sagt doch immer: letzter Wunsch!“ So als käme das alle Tage vor. Eine kleine Pause ist nötig, um den nächsten Teilsatz aussprechen zu können: „Wenn man jemand umbringt.“ Und dann völlig kindlich und alles ignorierend, auch das Getränk, um das es ja ging: „Und der hat sich Flügel gewünscht!“ Die Erleichterung, dass das Opfer den Verbrechern entronnen ist, kann man ihm immer noch anmerken. Sein Freund nimmt diese Version gelassen hin und sagt nichts, was den Kleinen verlegen machen könnte.

Das Blau von Sitzreihen und Boden ist nach dem Film ganz verschneit vom Popcorn.

Mittwoch, 30.06.2010

„Welch gesegnete Zeiten, in denen Daguerre mit seinem unhandlichen und unzuverlässigen Instrument das Bild dieses Lebens festhielt, das tägliche Leben von damals, das eben erst von der verhässlichenden Nüchternheit der aufkommenden Industrien berührt worden war, das aber noch nichts von seinem traumwandlerischen Gang verloren hatte. Wenn wir beim Anblick jener Schwarzweiss-Darstellungen so fasziniert sind, so ist das darauf zurückzuführen, dass sie uns innere Fenster auf das damalige Tagesgeschehen zu öffnen scheinen: im Augenblick, da irgendeine Fassade ihren Schatten auf die Strasse wirft, sind vielleicht gerade eben Balzac oder Baudelaire oder Delacroix über ihn hinweggeschritten. Die Hast, mit der man die Geschäfte betrieb, war nicht geschwinder als der Schritt der Pferde, ein animalischer Schritt, und so auch das Atmen der Menschen. Das Stundenmass war nicht unerbittlicher als das langsame Wachsen des Schattens, der sich auf die Gegenstände herabsenkt. Menschen und Dinge vermochten noch eine gesammelte Haltung einzunehmen unter dem Blick dieses Fotografen, der bestrebt war, mit Hilfe des die Zufälligkeiten abschwächenden Lichtes ihre ewigen Strukturen hervorzuheben. Doch die fatale Konspiration zwischen den gerissenen Bankiers und den Erfindern entfesselte eine Energie, die die aggressiven Intentionen des Denkens verzehn-, ja verhundertfachte, die Faktoren von Zeit und Raum interferieren liess, die Schwerkraft aufhob, die Strukturen aus dem Gleichgewicht brachte und Festes in Flüssiges verwandelte, so dass die Gegenwärtigkeit der Gesichter und Dinge in einem stetig sich verflüchtigenden Raum immer unwahrscheinlicher wurde. Sogar ihre naive Wahrnehmung verwirrte sich: zu diesem Zeitpunkt bildeten die Impressionisten das Echo zu dem Schwanengesang auf den einstigen Tag und die einstige Nacht des Lebens, des nunmehr modern gewordenen Lebens: es war ein Äusserstes an erhabenem Flimmern … und alles löste sich auf in leuchtenden Staub – während in der Provence ein alter Dämon, der verliebt war in die kahlen Berge und in das leise Beben der Pinien und der Eukalyptusbäume, sich darum mühte, noch einmal den feierlichen Anblick der Welt zu rekonstruieren. Er wurde als Narr behandelt, und diejenigen, die sich befleissigten, seiner göttlichen Hand zu folgen, wollten sich seine Augen aneignen, ohne seine Seele zu besitzen. In der von seltsamen Zuckungen und wilden Schauern erschütterten Atmosphäre brachten die Zentrifugalkräfte das Auge und das, worauf es gerichtet war, zum Zerspringen: die Explosion selbst war zur Notwendigkeit geworden, und das Auge konnte fortan nur noch an verstümmelten Gegenständen, an sich auflösenden Bildern Befriedigung finden; damals mischte sich der Teufel ein und proklamierte durch die Stimme eines ketzerischen Doktors – so ketzerisch wie nur denkbar –: ‚Die Fotografie hat die Malerei von dem Zwang der Naturnachahmung befreit.’“

(S. 76/77 in: Pierre Klossowski, „Die Gesetze der Gastfreundschaft“, Berlin 2002; übersetzt von Sigrid von Massenbach. Das Zitat ist aus „Der Widerruf des Edikts von Nantes“ / „La Révocation de l’Édit de Nantes“, zuerst erschienen bei den Éditions de Minuits, Paris 1959.)

Sonntag, 27.06.2010

Vorhang

Frank Giering (1971-2010)

„Often the wounds and gifts we receive take longer to metabolize than the span of our lives would appear to allow.“ (Eric Miller)

Eine seiner Rollen erscheint für mich so eng mit ihm verbunden, als sei er es selbst gewesen: Der namenlose „junge Mann“ in Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder.“ (2004)

Er ist darin beschwert von einer tiefen Traurigkeit, die sich mit Langsamkeit so paart, dass sie nicht als „gespielt“ erscheint. Es ist kaum möglich, sich das, zuschauend, vom Leib zu halten. Vielleicht war es besonders diese quälende Intensität, die so viel Ablehnung bei Publikum und Kritik hervorrief.

Und die Art wie der „junge Mann“ dann aus dem Film verschwand, lässt auch an das verfrühte Ende von Frank Giering denken, den Sprung muss nicht immer der ganze Körper ausführen, es kann auch nur das Herz sein, das nicht mehr will.

„Grief is slow and and growth is slow and many kinds of love are slow.“ (Eric Miller)

Freitag, 25.06.2010

Delahaye (encore)

Jetzt erschienen: À LA FORTUNE DU BEAU. Eine Sammlung mit Texten von Michel Delahaye.

Drei Teile:

(1) Ausgewählte Texte aus den Sechziger Jahren
(2) Ein langes Gespräch mit King Vidor
(3) Texte aus LA LETTRE DU CINEMA, die zwischen 1999 und 2005 entstanden sind.

12,2 x 19 cm, 336 Seiten. Sehr schönes Cover. Mehr dazu, wenn ich’s gelesen habe.

Mittwoch, 23.06.2010

Unbrauchbar

„Und da darf doch keine Botschaft herauskommen außer der einen: der hat gemacht, was er konnte!“ So hat Vlado Kristl einmal zusammengefasst, was er selbst von sich verlangte.

Dabei war er umstellt von lauter Unmöglichkeiten: Von allem, was er vermeiden wollte und wovon er doch wusste, dass es nicht zu vermeiden war. Gerade ein unsentimentales Sachbuch über Kristl, wie das gerade von Christian Schulte vorgelegte, kann uns dieses Künstlerschicksal vor Augen führen, in seiner Verweigerung und Verzweiflung, in Tragik und Komik. Eine erschütternde Charakterstudie. 

Die Zerstörung der Systeme, Reihe Filit, Verbrecher Verlag, 2010, 126 Seiten, 11 €

Freitag, 18.06.2010

Das Leben an Land bleibt schwierig

„Ich schaue mir viele traurige französische Filme an. Im Kino recke ich den Hals, Schmerzen hinter jedem Auge, denn die Münder der Schauspieler bewegen sich rasch wie Rotoren. Am Ende sollte ich wissen, wie jeder zu sich selbst geworden ist, weiß es aber nie.“

Im Roman „Schwimmen“ geht es nicht um die Lebensvermeidung durch das Kino, sondern durch Sport. Aber wer auch nur einmal versucht hat, Schmerz durch Leistung zu betäuben, liest dieses großartige Buch – komisch und traurig – nicht nur als Erzählung von einer Ausnahme. „Sag mir nur, was ich bin, und ich bin’s.“

Nicola Keegan, „Schwimmen“, Rowohlt, 2010, 476 Seiten, 19,95 €

Mittwoch, 16.06.2010

Posthumanismus

„If there’s something I’d like to criticize, I bring the zombies out.
And I get finanzing that way.“

10 questions for George Romero, dessen Lieblingsfilm The Tales of Hoffmann (Powell/Pressburger 1951) ist.

Dienstag, 15.06.2010


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