Samstag, 29.11.2003

hinweis/berlin

Raum3 / Kinogruppe zeigt am
Sonntag, 30.11.03 21.00 Uhr
in der Ziegelstrasse 20-23

James Benning: Landscape Suicide
1986, 16mm, color/so, 95min

Danach Bar und Musik mit DJ

Landscape Suicide: „The murderers in James Benning’s LANDSCAPE SUICIDE are a paranoiac teenage girl and a taciturn Wisconsin farmer. The reconstructive narratives take the viewer through the slants of minds in disturbance, through the ambiguities that surround any act of violence. Both Bernadette Protti, who killed a more popular classmate with a kitchen knife, and Edward Gein, who shot a storekeeper’s wife and then took her body home and cut it up, provide exemplars of ‚I couldn’t stop.‘ The homicides allow Benning to deal in emotion that is external to him (yet deeply felt), while imbuing his trademark ’still‘ images of roads, trucks, billboards, buildings and trees with newly charged meaning. … As strong as Benning’s photography is, it’s the talking head sequences that prove most chilling. The power of Rhonda Bell’s portrayal of Protti is such that there are moments when we’re convinced she’s the real killer. So, too, with Elion Sucher’s Gein, who looks like he’s been struck between the eyes with a heavy object, his head so caved-in by dementia. There is no actual violence here – save the disembowelment of a deer – but LANDSCAPE SUICIDE leaves you feeling like a witness nonetheless.“ – Katherine Dieckman, The Village Voice

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Montag, 17.11.2003

KATEGORIENGLÄUBIGKEIT
Momentaufnahmen von den 27. Dokumentarfilmtagen in Duisburg

Von Michael Girke

Die Dokumentarfilmtage in Duisburg zwingen Besuchern keine Wahl auf, es läuft stets nur ein Film. Und sie verschaffen Kinoerfahrungen Raum; nach jedem Film kann das Publikum das Gesehene mit den Machern ausgiebig diskutieren. So verändert sich die Position des Zuschauers, er wird vom bloßen Empfänger zum Akteur. Von hier zum Filmparadies ist nur ein Schritt: Man müsste das Kino von innen abschließen, den Schlüssel verlieren und auch den Rest des Jahres so verbringen.

Michael Pilz Film über den afrikanischen Musiker Simon Maschoggi ist beinahe vier Stunden lang. Die Kamera genießt Gastrecht in dessen Haus, ist dabei, wenn er immer wieder zu selbstgebauten Instrumenten greift, wenn Familienmitglieder und Nachbarn einsteigen in die Musik, wenn diese einfach abbricht oder zum Medium kollektiver Intensität wird.
Nach gängigen Vorstellungen von Professionalität ist Pilz’ Film dilettantisch. Es gibt minutenlang keinen Schnitt, kein Untertitel übersetzt Lied- und Sprechtexte. Dadurch sieht man, was synchronisierte, untertitelte Profifilme uns immer ersparen: Die Erfahrung wirklicher Fremdheit; dass Kennenlernen Zeit kostet und Verstehen Arbeit macht; dass Verständigung, zumal über Kontinente hinweg, ohne Missverständnisse, Reibungen und Geduld gar nicht zustande kommt. Hier technische Standards oder Untertitel einzufordern, wie das im anschließenden Filmgespräch geschah, ist unverschämt, ist Gewalt, die sich als solche nicht wahrnehmen kann, weil sie ganz selbstverständlich ist. Reibungslos soll alles Menschliche ins Bekannte übersetzt, in vertraute Filmformen und Sprachen eingepasst werden. Gerade weil der Film SIMON MASCHOGGI sich frei außerhalb der Marktgesetze bewegt, die sonst das Leben regeln, kann er fühlbar machen, wie sein Regisseur einen afrikanischen Musiker empfindet und hört; auch das Nicht-Begriffene, Nicht-Erfasste.
Eine einzige afrikanische Familie in ihrem Haus ein wenig kennen zu lernen, braucht das nicht noch mehr als 4 Stunden? Die Erfahrungen, die man mit Pilz’ Bildern machen kann, geben einem das Gefühl zurück für die Brutalität von handelsüblichen Fiktionen und Generalisierungen, mit denen die Medienmaschinerie unsere Erwartung abrichtet.

Sind Dokumentarfilme nicht auch Inszenierungen? Kann beim Reden übers Dokumentarische die Grenze zwischen den Kriterien „echt“ und „falsch“ sinnvoll aufrecht erhalten werden? Diese Fragen waren offizielles Thema in Duisburg. Zuschauern sollte, laut Festivalkatalog, ein Spiegel ihrer Bildergläubigkeit vorgehalten werden.
Der Vortrag des Wiener Filmwissenschaftlers Drehli Robnik über das in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtende Phänomen der Fake Documentaries schleuderte in Hochgeschwindigkeit ungefähr alle Stich- und Schlagworte aller Cultural Studies- und Theoriediskussionen der letzten 10 Jahre in den Raum. Schön, wenn Theorie mal offen deliriert und heitere Effekte produziert. Was Theorie grau macht: Wenn eigene Lesarten und Ideen vollständig an die Stelle geduldiger Auseinandersetzung mit Film treten.
Filmbilder aktivieren die Sinne im gleichen Maße wie den Intellekt. Robniks Vortrag aber gründete ganz auf der Vorrangstellung abstrakter, logischer, wissenschaftlicher Sprache und Begrifflichkeit. So war es kein Zufall, dass ihm die sinnliche Seite des Films vollständig entging. Einige der von ihm vorgeführten Filmbeispiele zeigten, für jedermann sichtbar, etwas ganz anderes als das, was er an ihnen beschrieb. Anders formuliert: Manche der Bilder, die Robnik als Belege für seine Thesen dienen durften, blickten zurück und hielten einer verbreiteten Einstellung grausam den Spiegel vor: Der Kategoriengläubigkeit hiesiger Kultur- und Filmwissenschaft.
Indem Robnik Filme in die Disziplin sprachlicher Rationalität nahm, wurde den Sinnen jede erkennende Funktion bestritten. Folgt man dieser Art von Theorie, hat das Kino 100 Leben, aber keines davon hat mit Erfahrungen von Wirklichkeit zu tun. Wer sich, seine Vorstellungen und vorformulierten Begriffe nicht herausfordern lässt von dem, was bewegte Bilder an Geschichtlichem, Körperlichem, Psychischem, Sinnlichem aufzeichnen und aufzuzeichnen vermögen, bringt das Kino um seine Tragweite.

Harun Farockis ERKENNEN UND VERFOLGEN führt anhand zitierter Bilder aus der Waffenwerbung, aus Flug- und Panzersimulatoren, vor, wie Großrechner und moderne Waffen die Welt sehen. Farockis gefundenen Bilder wirken aseptisch und unspektakulär, keine Zensurbehörde beanstandet sie. Es sind aber atemberaubende Gewaltbilder. Gewalt geschieht hier, anders als nach landläufiger Auffassung, nicht, in dem Schauspieler Brutalität nachstellen, die Gewalt ist im Blick. Der Betrachter dieser Bilder aus Rechner- und Waffenperspektive sieht Menschen, also sich selbst, als störende Biomasse auf dem Weg der Waffe zu wichtigen Zielen oder als längst ausgelöscht.
2001 zeigte Robert Bramkamp in Duisburg PRÜFSTAND 7, seinen Film über die Geschichte der Rakete. Bei der Recherche stellte er fest, dass es kein einziges Bild von Raketen aus der Perspektive anvisierter Ziele gibt. Weil Raketen mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit lautlos anfliegen und weil sie jederzeit überall auftauchen können, ist Aufzeichnung unmöglich. Diese Seite der Wirklichkeit lässt sich nicht dokumentieren, schon gar nicht lässt sie sich in dramatischen Konflikten mit handelnden Personen darstellen. Die beschleunigte Vernichtungskraft moderner Technologie hat sich der Wahrnehmung menschlicher Sinne entzogen, sie macht bilder- und sprachlos. Um überhaupt einen Zugang zu finden, um sichtbar zu machen, wie Technologie in die Geschichte eingreift und das Leben umbaut, muss Farockis Film die Perspektive der Maschinen einnehmen. Das ist nicht kalt und unsexy, es ist präzise.
Farockis Montagen ziehen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft zusammen, machen registrierbar, wie der 2.Weltkrieg im Heute weiter wirkt. Dass Technologie Menschen in industrieller Produktion und Krieg überflüssig macht, hat bei Farocki eine freundliche Seite: Vielleicht lassen sich waffentechnologische Entwicklungssprünge, und das heißt Kriege, ganz in die Simulatoren und Rechner verlegen.
Wie soll man ERKENNEN UND VERFOLGEN bezeichnen? Dokumentation, Essayfilm, Found Footage Film, Industriefilm; alles ist richtig und nichtssagend. Frieda Grafe erklärte vor Jahren, einen Film von Farocki neben einem üblichen Geschichtsfilm zu sehen, mache deutlich, was es heißt, auch mit gefundenen Bildern für sich selbst zu sprechen. Verglichen mit ERKENNEN UND VERFOLGEN, waren viele Filme in Duisburg erschreckend standardisiert, geschichtsfrei und blind für die technologische Seite der Wirklichkeit.
ERKENNEN UND VERFOLGEN geht nicht auf in plakativen Anliegen, mit denen Preisverleiher meinen das schlechte Gewissen rühren und sich selbst schmücken zu müssen. Der Film lädt nicht zur Identifizierung ein, gibt dem Zuschauer an keiner Stelle vor, wie er das Gesehene in vorhandene Begrifflichkeiten einzuordnen hat. Seine Moral liegt in seiner Genauigkeit. Das Anliegen von ERKENNEN UND VERFOLGEN ist ganz schlicht, er fordert auf, die Augen arbeiten zu lassen; zu sehen, was zu sehen ist. Ein solcher Film erhält in Deutschland natürlich keinen Filmpreis.

Mittwoch, 12.11.2003

montagabend den schluß von „süsses gift“ (chabrol) wiedergesehen. mich an einen alten text von damals erinnert. den wiedergelesen und heute auf die langtextseite gestellt – hier: merci pour le chocolat.

Sonntag, 09.11.2003

“Filme, die auf Festivals für Ausehen sorgen, Filme, die in anderen Ländern wie selbstverständlich in die Kinos kommen, Filme von renommierten Regisseuren, Filme, die vor zehn Jahren auch bei uns noch zu sehen gewesen wären oder auch nur Filme, von denen wir glauben, dass sie bei uns zu sehen sein müssten. Filme in jedem Fall, die es  zu Unrecht nicht auf deutsche Leinwände schaffen: unsichtbare Filme. […]”

Neue Rubrik bei Jump-Cut: Der unsichtbare Film

Freitag, 31.10.2003

Bauchdecke, revisited

Als jemand, der selten genug in Science-Fiction-Filme geht und das Genre immer aus einigen Lichtjahren Distanz, dann aber gerne beobachtete, kam mir der Alien-Director’s Cut ganz gelegen. Irgendwann in den Achtzigern hatte ich den Film auf Video gesehen, zusammen mit Freunden, deren Alter ebenfalls deutlich unterhalb der FSK-Grenze lag. Gemeinsam warteten wir Chips kauend auf den Moment, an dem John Hurts Bauchdecke von innen gesprengt wird, davon hatten wir alle schon gehört oder gelesen, das war die Sorte Geschichten, die in der großen Pause erzählt wird. Auch jetzt, passenderweise erneut voll drin in den Achtzigern, war eine ähnliche Anspannung wieder da, als Hurt, aufgewacht aus der Betäubung, scheinbar befreit vom krebsähnlichen Monstrum, das ihm straight into the face gesprungen war und doppelt hungrig, beginnt, sich die unappetitlichen Space-Spaghetti hereinzuschaufeln, gierig, weil es nicht mehr nur er selbst ist, der da ernährt werden will. Aber der explosionsartige Moment, dieser Geburtsaugenblick, in dem der Mann als kurzfristige Leihmutter das Alien in veränderter Form zur Welt bringt und ziemlich wirr, blutig und diffus, aber vielleicht deshalb doch überraschend Geburt und Phallus, Tod und Leben, Schmerz und Befreiung zusammenschießen, ohne genau verrechenbar zu sein, entlädt sich dann in ein Lachen über den kalkulierten Slapstick-Effekt, wenn der komische, bissfreudige Dildo hysterisch über den runden Tisch schießt und irgendwo in den Winkeln des Raumschiffs verschwindet.Das Raumschiff heißt hier bekanntlich „Mother“ und nicht HAL 9000, und mit Ripley und Lambert sind zwei Frauen an Bord, eine davon überlebt als einzige. Daran kann man den Abstand zwischen 1968 und 1979 ebenso messen wie an den Zuschreibungen von Klassenzugehörigkeit: Parker (schwarz) und Brett (weiss) schuften unter Tage, schweißen die Elektronik, die Captain Dallas bei seiner erstaunlich amateurhaften Landung auf dem fremden Planeten ruiniert hat, und feilschen um Prämien. Revolutionär ist das nicht, eher sozialdemokratisch, wenn am runden Tisch (Grosser Krisenstab) bei der Lagebesprechung zusammen gegessen und gescherzt wird. Wie auch immer man die Genderpolitik des Films deutet – ob hier die Frauen nichts anderes sind als die besseren Männer oder ob in Ripleys Entschluss, das Mutterschiff wohl oder übel zu sprengen nur die weibliche Version des Vatermords der Urhorde am Anfang von 2001 zu sehen ist: Vom intergalaktischen Service-Personal in Kubricks Film hin zur resoluten Kommandofrau hat sich offenbar etwas verschoben in Richtung Sichtbarkeit. Sigourney Weaver und die Urhorde: Gorillas im Nebel, das inoffizielle Alien Sequel.

Freitag, 24.10.2003

… und der Penny wird genommen und das Bett wird gemacht,
es wird keiner mehr drin wohnen in dieser Nacht.

Gerade aus DOGVILLE gekommen. Großartiger Wurf – das muss ihm der Neid schon lassen – aus einer Songzeile solch einen Aufriss zu machen – und durchzuhalten. „Und dann werden sie mich sagen hören: Alle!“ – ist ihm ausnehmend gut gelungen. Mit dem anschließenden „Hoppla!“ hapert es allerdings noch ein wenig.

… und man sagt: Was lächelt die dabei?

Das schönste HOPPLA finde ich nach wie vor das von Hildegard Knef auf der Aufnahme aus den Sechzigern – eine Mischung aus Lakonismus, Überraschung und Verschmitztheit. Juliette Gréco macht es zu engagiert, als wäre sie selbst das Fallbeil. Georgette Dee, denkt man zunächst, findet einen neuen Zugang, bleibt aber in Manierismen stecken. Sie alle üben die gerechte Rache. Und da Gerechtigkeit schon gar keine Rolle mehr spielt, ist sie weit schöner und reiner, eine Kinderallmachtsphantasie – ihr werdet büßen, was ihr mir angetan habt. Brecht zumindest hat das Lied einem verzogenen Gör in den Mund gelegt – und belässt es bei einem solitären Lied. Einzig die Zuarbeiter von Mackie Messer loben es als wahre Kunst.

… und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.

Kleine stämmige Jungs, richtige Biester also, die von ihrer Lehrerin geschlagen werden möchten, sind irgendwie auch nur Regisseure.

Sonntag, 19.10.2003

Film-Hinweis

Über die Biegsamkeit des Kopfes und der Gedanken und Wege aus dem Schwerkrafts- und Horizontalitätsgefängnis namens Bildkader. Über das Sehen von Architektur und Raum. Zerteilung und Rekonstruktion von Bewegung durch Montage. Wie hört sich Architektur an? „Ich kann keine Aufgabe formulieren, sondern nur das anbieten, was ich am besten kann: den Raum auf der Fläche repräsentieren. Ich sehe mich als eine qua Vertrag mit der Menschheit ausgehaltene Kameraperson, die ihre Blickresultate zur Verfügung stellt.“ (Emigholz)

62 Gebäude und eine Ruine des amerikanischen Architekten Bruce Goff (1904-1982), fotografiert von Heinz Emigholz. Noch drei Wochen lang im Kino International, Berlin, immer Sonntags um 14.00 Uhr (26. Oktober, 1. und 9. November), dann in weiteren deutschen Städten. Viele Infos auf der Website. Das „Making Of“ zum Film zeigt Emigholz am 29. Oktober im Buchladen „pro qm“, Alte Schönhauser 48.

Samstag, 18.10.2003

„[…] Bei den Abspannfotos (überwiegend Welfare-Doku eben) dachte ich eigenartigerweise an Wiglaf Drostes Worte über die angeblichen Jubelpalästinenser, arme Schweine seien eben oft auch Schweine. Vielleicht weiß von Trier das selbst nicht, aber so nihilistischer Universalismus, denke ich jetzt, liegt viel eher in der Perspektive des Werks als irgendwas Geographisches. Eine Aufwertung Kerneuropas u.ä. Schmutz ist dem Film nur bezüglich der Produktionsmittel eingewoben (Arte, Canal+, WDR, die Üblichen). […]“

boltzmann, Dogville. Anmerkungen.

Dienstag, 07.10.2003

Fernseh-Hinweis

Mi 8. Oktober – 3Sat – 22:25
LAST MINUTE JAMAIKA
D 2003
Mit Annika Herr und Claudia Grimm
Buch und Regie: Klaus Lemke

Sonntag, 05.10.2003

Kategorie des Zusammenhangs – Filme im Spätsommer

Das Rauschen der Toilettenspülung eröffnet den Film. Die unverdauten Reste drängen sich so in den Vordergrund, während der Blick freigegeben wird ins Abseits, auf eine Art Nicht-Raum, von dem aus sich die Wohnung erschließt – eine Tür und Lichteinbrüche von der Seite deuten darauf hin. Eines Morgens, der Prozess des Aufstehens. Halten sich die Personen in der Küche an der Spüle auf, erfährt die Filmhandlung wesentliche Wendungen. Dieser Ort befindet sich in extremer Unterbelichtung. Das kinderlose Paar, unverheiratet, unabhängig mittels einträglicher Lohnarbeit, erlebt eine Krise, ausgelöst durch die Ankunft des etwa siebenjährigen Sohnes des Mannes aus erster Ehe. Dessen Mutter kann sich vorübergehend nicht um ihn kümmern. Musik gibt es, sehr selten zwar und aufs Äußerste hermetisch – eine einzelne Geige wird bis auf den Nerv gequält. In diesen Augenblicken meint man zu ahnen, was Krümmung des Raumes bedeuten kann. Als Geste der Revolte schließt sich der Sohn auf dem Klo seiner Zieheltern ein. Wiederlesen, was Kaja Silverman in Bezug auf die Einleitungssequenz von WEEKEND zum Zusammenhang von Ausscheidung und Geld geschrieben hat, fällt mir ein (Silverman/Farocki: VON GODARD SPRECHEN, Berlin 1998). Musch-muschi (o.ä.) wird in Japan offenbar zur Eröffnung des Telefongesprächs gesagt und muss soviel wie HALLO!? bedeuten. Soviel Japanisch lernt man in diesem Film. Zahlreiche Ferngespräche legen die Einübung einer Formel nahe. Nach der Abreise des Sohnes und durchlittener Krise offenen Ausgangs öffnet sie die Jalousien und Rollos der Fensterfront, um den Morgen hereinzulassen. Diesmal steht sie im Gegenlicht. m/other, Suwa Nobuhiro, Japan 1999

Zunächst fällt die Schäbigkeit auf, das betont ästhetisch Unzusammenhängende, der schlampig behandelte Ton, so dass im Prozess der Herstellung von DIE VERDAMMTEN nicht Viscontis Absicht gelegen haben mag. Ein italienischer Regisseur macht einen Film über eine deutsche Industriellenfamilie am Beginn des verfassten Faschismus, in dem der Patriarch zunächst mehr an einen Mafia-Boss erinnert, als an deutsche Stocksteifheit. Schauspieler aus aller Herren Länder sprechen mit ihren landesspezifischen Akzenten ungeniert Englisch und behaupten den Alltag großbürgerlicher Dekadenz. Helmut Berger spricht österreichisch Englisch, Helmut Griem deutsch und Ingrid Thulin noch hölzerner. Originalton und nachsynchronisierte Sprachaufnahmen wechseln innerhalb laufender Dialoge merklich hörbar ab. Aber es scheinen nicht die Farbtropfen auf den Bildern der fünfziger und sechziger Jahre zu sein, die die Authentizität der Herstellung nachweisen sollten und die man Warhol erst ausreden musste, bevor er seinen Stil fand. Es war einfach der Mühe nicht wert, möchte man meinen. Alle Grandezza in der Aussage. Ohne es belegen zu können, scheint mir, hat dieser Film eine Welle losgetreten von Nachfolgern, die Faschismus, exotischen Sex und Formen der Dekadenz über die siebziger Jahre in eins bringen wollten. Ruppigkeit der Form als gesetzter Anti-Naturalismus, also doch wieder Tropfen. Fassbinder wird seinen Visconti gesehen haben. Schmierig-verdichtende Zooms, die in einer psychologisierenden Bewegung aus einer Raumtotalen auf dem Gesicht eines Darstellers landen, der dann Ausdruck ausdrückt. Puppenspiele. Und doch sind es gerade diese Posen, eingekratzt, worin der Film seine Nachhaltigkeit entwickelt. Es darf nicht mehr berühren, weil zu schick gedacht und zu kurz, aber es tut es. Film als Oper, die des Singens als brechendem Artefakt des Alltags gar nicht mehr bedarf.

Wovon UMILIATI erzählt, kann ich gar nicht sagen, denn die Darsteller sprechen Italienisch (siehe dazu die Besprechung des Films von Jacques Rancière). Italienisch klingt mir wohl im Ohr, verstehen tue ich es nicht. Weil die Lektüre der Untertitel keinen Blick mehr erlaubte, gab ich das Lesen alsbald auf. Zu Beginn wird aus Papieren rezitiert, über und über mit Anmerkungen versehen. Die Einstellungen gestatten, diese Notizen zu sehen. Was für eine fade Konzeptidee, dachte ich zunächst. Später dann lösen sich die Darsteller davon ab, sprechen frei, in einem Duktus, wie man ihn in Straub/Huillet-Filmen erwarten würde. Kategorie der Radikalität. Manfred Blank erzählte die Anekdote aus KLASSENVERHÄLTNISSE: – auf einem Balkon stehend, hatte er einen ellenlangen Monolog zu sprechen. Die Einstellung hätte Tafeln außerhalb des Bildes ohne Weiteres erlaubt, aber Straub/Huillet bestanden auf der auswendig gelernten Wiedergabe des Textes. – Nach den anfänglichen Titeln wird die Einleitungsmusik minutenlang über Weißfilm zu Ende geführt. Soviel Musik war nie (Musik: Edgar Varèse). Nun könnte man ein solches Vorgehen als pubertär rebellische Aktion abtun, als ein gegen-konventionelles Handeln, also doch wieder an die Konvention gebunden. Der nachfolgende Film macht allerdings deutlich, dass mehr Tiefe zu Grunde liegt. Sollte ich berichten, wovon er handelt, dann würde ich angeben, von Pathos und Schönheit, und zwar in einer Weise, die einen diese Worte unverschämt im Munde führen lässt. Und wenn es nicht wie das Lallen eines Bekehrten klingen würde, könnte man zu dem Wort Befreiung ausholen. Davon handelt der Film allerdings nicht. Er scheint mir ein Stück befreite Sinnlichkeit zu sein.


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