Mittwoch, 18.07.2018

Auge und Umkreis (I)


Ukradená vzducholoď (Das gestohlene Luftschiff 1966 Karel Zeman)

„Im Augenblick bin ich ein wenig in meine Kindheit zurück gefallen,” sagte Eric Rohmer, 2009***. “Ich lese meine Jules-Verne-Sammlung noch mal durch. … das beachtliche Ein Kapitän von fünfzehn Jahren.“ Hinter seinem Pseudonym und einem bei öffentlichen Auftritten angeklebten Schnurrbart hatte er sich versteckt vor seiner Mutter, die nie erfahren sollte, dass der Sohn ein Filmemacher war.

Halbjahresrückblick (Januar – Juni 2018)

(Wie lang eine Minute ist, wie kurz ein Jahr) …kurzes Auftauchen in der Mitte.

A Day at Henley (1911), 9 Minuten vollkommenster Psychedelik, eine Landpartie im Kinemacolor-Verfahren festgehalten, im flirrend pulsierenden Zerfall fixiert, ein irrsinnig lebendiges Kaputtgehen von nie gesehener Schönheit. Die Welt als himmelhohes Korallenriff, der Tag als flüssiges Feuerwerk – wie sonst nur in den Sturz-Sekunden des Einschlafens. 9 Minuten lang: wahrhaftige Unbeschreiblichkeit. Vielleicht hätte Jules Verne sie beschreiben können.

Jules Verne: „Der Major schlief schlecht; gegen 23 Uhr stand er schließlich auf. Als er seine Augen richtig aufmachte, flimmerte der ganze Waldboden vor ihm, als spiegele sich Licht im Wasser. Zuerst glaubte er, ein Grasbrand züngele am Boden entlang, aber dann bemerkte er, dass sich vor ihm eine Riesenkultur phosphoreszierender Pilze ausbreitete. Die leuchtenden Substanzen erhellten das Wäldchen fast einen Kilometer weit, und der Major wollte gerade den Geographen zur wissenschaftlichen Begutachtung des Phänomens wecken, als er weiter weg Schatten zwischen den Bäumen entlanghuschen sah.“ („Die Kinder des Kapitäns Grant“, 1867)

Entdeckungen und (*) Wiedersehen in Bologna, Köln, München, Nürnberg oder (**) daheim:

Seed (1931 John M. Stahl)
Caravan (1934 Erik Charell)
When Tomorrow Comes (1939 John M. Stahl)
Santa (1943 Norman Foster, Alfredo G. de la Vega)
Xiao cheng zhi chun (Spring in a Small Town 1948 Fei Mu)
Das doppelte Lottchen (1950 Josef von Baky) **
Le Ragazze di Piazza di Spagna (1952 Luciano Emmer)
Ave Maria (1953 Alfred Braun)
Je suis un sentimental (1955 John Berry) **

Nachts schlaflos in der Küche zu sitzen und Milch zu trinken, das ist ein Ritual der Selbstvergewisserung, deshalb ein bekanntes (amerikanisches?), beinahe klassisches Bild. Dass Ingrid Bergman in Stanley Donen‘s Indiscreet zum Glas Milch noch etwas verzehrt – und zwar Schmelzkäse-Ecken, ohne Brot, direkt aus dem Alupapier – das ist etwas Besonderes… in diesem insgesamt besonders schönen Film. Indiscreet nach Jahrzehnten wiederzusehen, im Kino, war ein unverhofftes Glück.

Indiscreet (1958 Stanley Donen) *
Immer wenn es Nacht wird (1961 Hans Dieter Bove)
Night Tide (1961 Curtis Harrington) **
La Ragazza in Vetrina (1961 Luciano Emmer) *
Naked City: Lament for a Dead Indian (1962 Robert Gist) **
The Birds (1963 Alfred Hitchcock) *
Ukradená vzducholoď (Das gestohlene Luftschiff 1966 Karel Zeman) **
Hau drauf, Kleiner (1974 May Spils)
Der zweite Frühling (1975 Ulli Lommel)
Filmemigration aus Nazideutschland (1975 G.P. Straschek)


Night Tide (1961 Curtis Harrington)

Aus der Tiefe des Meeres schaut die Meerjungfrau starr ihrem männlichen Opfer hinterher, auf seiner panischen Flucht an die Wasseroberfläche.

Ernst Mach: „Dass beim Erwachen im dunklen Zimmer die letzten Traumbilder in lebhaften Farben mit einer Fülle von Licht noch vorhanden waren, ist mir oft vorgekommen. — Eine eigentümliche Erscheinung, die mir seit einigen Jahren häufiger begegnet, ist folgende. Ich erwache und liege mit geschlossenen Augen ruhig da. Vor mir sehe ich die Bettdecke mit allen ihren Fältchen, und auf derselben meine Hände mit allen Einzelheiten ruhig und unveränderlich. Öffne ich die Augen, so ist es entweder ganz dunkel, oder zwar hell, aber die Decke und die Hände liegen ganz anders, als sie mir erschienen waren. Es ist dies ein besonders starres und dauerndes Phantasma, wie ich es unter anderen Verhältnissen nicht beobachtet habe. Ich glaube an diesem Bild zu bemerken, daß alle auch weit voneinander abliegenden Teile zugleich deutlich erscheinen, in einer Weise, wie dies bei objektiv Gesehenem aus bekannten Gründen unmöglich ist.“ („Die Analyse der Empfindungen“, 1886)


Night Tide (1961 Curtis Harrington)

In der Tiefe der Nacht (also genau um 4) aus einem Traum erwacht, schaut der Matrose auf die Uhr.

In “Die Kinder des Kapitäns Grant” beschreibt Jules Verne inmitten gefahrvoller Situationen irritierende Lichtphänomene. 17 Kapitel vor den leuchtenden Pilzen in Australien (nur 12 Kapitel sind es in der schön gekürzten Ausgabe von 1966, die mir in die Hände fiel, als ich gerade solche Lektüre dringend brauchte), als die Reisenden noch in Patagonien unterwegs vor einer Überschwemmungskatastrophe in die Krone eines großen Baumes geflohen sind, spiegeln sich in der Wasserfläche die Sternbilder der südlichen Hemisphäre, als wölbe sich der Himmel auch unter ihnen. Bis plötzlich vom östlichen Horizont ein dichter, finstrer Dunst bedrohlich aufsteigt, und schnell die Hälfte des Himmelsgewölbes verhüllt. Diese Wolke scheint sich von selbst zu bewegen, denn von Wind ist kein Hauch zu spüren, kein Blatt regt sich am Baum, kein Fältchen kräuselt die Wasserfläche, fast so, als sei alle Luft von einer gigantischen Pumpe abgesaugt. Selbst die Schatten haben sich aufgelöst und jeder Laut ist erstorben. „Das Schweigen wetteiferte an Tiefe und Stärke mit der Finsternis.“ Aber die Nerven jeglicher Lebewesen spüren die hochgespannte Elektrizität, mit der sich die Atmosphäre auflädt. Als jemand vorschlägt man solle herabklettern aus der Baumkrone ins tiefergelegene Nest, und sich verkriechen „in Philosophie und in unsere Ponchos“, bemerken sie alle erstaunt ein überraschendes Dämmerlicht. Es wird hervorgebracht von Myriaden leuchtender Punkte, die sich summend über der Wasserfläche hin und her bewegen. Phosphoreszierende Insekten. Johanniswürmchen. „Lebendige Diamanten, aus denen sich die Damen von Buenos-Aires prächtigen Schmuck fertigen.“ Der Sohn des Kapitäns Grant erhascht eins dieser leuchtenden Tierchen. Eine Art große Hummel von 2 cm Länge. Am Brustpanzer strahlt das Tier so hell, dass der Forscher Paganel an seiner Uhr ablesen kann, dass es 10 Uhr abends ist.


L’anticristo (1974 Alberto de Martino)

Ernst Mach beschreibt den Traum als etwas Geschmeidiges, das in seinem Verlauf reagieren kann auf die Anzweiflung der Echtheit des Traums.

Beim Schreiben über Filme müsste diese Geschmeidigkeit zu fühlen sein, die man beim Filmesehen doch zumindest an guten Tagen hat.


All of Me (1984 Carl Reiner)

„Das Ich ist unrettbar. Teils diese Einsicht, teils die Furcht vor derselben führen zu den absonderlichsten pessimistischen und optimistischen, religiösen, asketischen und philosophischen Verkehrtheiten. Der einfachen Wahrheit, welche sich aus der psychologischen Analyse ergibt, wird man sich auf die Dauer nicht verschließen können. Man wird dann auf das Ich, welches schon während des individuellen Lebens vielfach variiert, ja im Schlaf und bei Versunkenheit in eine Anschauung, in einen Gedanken, gerade in den glücklichsten Augenblicken, teilweise oder ganz fehlen kann, nicht mehr den hohen Wert legen. Man wird dann auf individuelle Unsterblichkeit gern verzichten, und nicht auf das Nebensächliche mehr Wert legen als auf die Hauptsache. Man wird hiedurch zu einer freieren und verklärten Lebensauffassung gelangen, welche Missachtung des fremden Ich und Überschätzung des eigenen ausschließt. Das ethische Ideal, welches sich auf dieselbe gründet, wird gleich weit entfernt sein von jenem des Asketen, welches für diesen biologisch nicht haltbar ist, und zugleich mit seinem Untergang erlischt, wie auch von jenem des Nietzscheschen frechen ‚Übermenschen‘, welches die Mitmenschen nicht dulden können, und hoffentlich nicht dulden werden.“ (Ernst Mach: „Die Analyse der Empfindungen“, 1886)

Daddy’s Home 2 (2017 Sean Anders)
Jim & Andy: The Great Beyond (2017 Chris Smith)
The Post (2017 Steven Spielberg)
Ready Player One (2018 Steven Spielberg)
Bad Girl Avenue (2018 Klaus Lemke)
The 15:17 to Paris (2018 Clint Eastwood)
Lucky (2017 John Carroll Lynch)
Die zwei Leben des Reno Roc (2018 Bruno Sukrow)
Grolsch (2018 Bruno Sukrow)
The Rider (2018 Chloé Zhao)

In Kürze mehr von Jules Verne und Ernst Mach, und über rundgerahmte Gesichter in Filmen.

Mittwoch, 04.07.2018

Hinweis

Das Zeughauskino startet heute eine Reihe mit Filmen von Peter Goedel.
„Schauplätze geistiger Erfahrung“ (Peter Nau)
Besonders nachdrücklich empfehle ich Talentprobe – am Sonntag um 18:00 Uhr

Dienstag, 03.07.2018

Filme der Fünfziger (XLII): Die Letzten werden die Ersten sein (1957)

In der Katholischen Kirche gab es am Sonntag drei Formen des Gottesdienstes: Die Frühmesse für alle, die sowieso jeden Tag frühmorgens zur Kirche gingen; die Kinder- und Jugendmesse etwa um 9 Uhr; und das Hochamt am späten Vormittag, die feierliche Messe zur Einstimmung auf den Sonntag. Im Genre der Problemfilme will dieser Film „um den ewigen Konflikt von Schuld und Sühne“ (Programmheft) das Hochamt sein; angepriesen wird wie eine Promilleangabe auf der Schnapsflasche „ein starker menschlicher Gehalt“, und eine Schauspielerleistung, die „zu einem Erlebnis von seltener Eindringlichkeit“ führt in einem „durch und durch realistischen Film“. Die literarische Vorlage war John Galsworthy’s bitter-sarkastische Novelle „Die Ersten und die Letzten“. Für die Bundesrepublik musste daraus ein Bibelspruch werden. Ahnte niemand, dass diese Mischung unweigerlich zum Kater führte?
Schon die Titelschrift in erhabener Walbaum sieht aus als sei sie in Stein gemeisselt. Es folgen Wolkenformationen und aus dem bewegten Äther spricht Gottes Stimme: Die Letzten werden die Ersten sein. Ach, du jemine.
Eine Gesellschaft verlässt die Villa des Rechtsanwalts Ludwig Darandt (O.E. Hasse). Er ist ein Realist und hartgesottener Pragmatiker; der Herr Senator, der gerade das Haus verlässt, möchte ihn gern in die Politik einbinden. Und was macht der Bruder, auch ein Doktor, aber arbeitslos, vielleicht Jurist? Nein, er ist Doktor der Philosophie, da kann man nicht viel helfen. Mit dem Bruder Lorenz (Maximilian Schell) brechen nach der Party ernste Probleme in das geordnete Leben. Lorenz ist ein Spätheimkehrer und findet sich in der Bundesrepublik nicht zurecht. Er hat das Mädchen Wanda (Ulla Jacobsen) kennengelernt, das als „displaced person“ in Hamburg hängen geblieben ist und zur Prostitution getrieben wurde. Nun ist ihr Zuhälter zurückgekehrt, erniedrigt sie und Lorenz hat ihn umgebracht. Ludwig muß helfen, schon seiner Reputation wegen.
Ein Bettler (Bruno Hübner) findet sich, der die Leiche beraubt hat und auch gut der Mörder sein könnte. Ludwig übernimmt die Verteidigung, will ihn aber hinter Gitter bringen. Lorenz quält das Gewissen. „Mein Bruder“, sagt Ludwig zu Wanda, „ist ein schwacher Mensch“ –„Nennen Sie Gewissen Schwäche?“, fragt Wanda zurück. Auch Wanda will Lorenz retten. Nach dem Schuldspruch – zehn Jahre Gefängnis für den Bettler – bezichtigt sie sich selbst des Mordes und bringt sich um. Lorenz geht zu Wanda, bettet die Tote auf das Bett, nimmt jetzt in einem Brief auch alle Schuld auf sich und bringt sich ebenfalls um. Ludwig entdeckt die beiden, dekorativ und friedlich auf dem Bett vereint, und nein, er nimmt sich nicht das Leben, sondern den Brief und zerreißt ihn im Herbstwind. Aus den Wolken tönt Gottes Stimme: „Kain, wo ist dein Bruder.“ Schluß, Ende, Ratlosigkeit.

Die dunklen Gassen

Der Film erstickt förmlich an seiner vorgeführten Seriosität und Kunstfertigkeit. Robert Herlth baut die Interieurs der Villa mit geblümten Sesseln zum Nachmittagstee, flackerndem Kamin im Wohnzimmer und einer imponierenden Bibliothek samt dunkel furnierten, schweren Möbeln im Arbeitszimmer des Rechtsanwalts. Das Paar Lorenz-Wanda lebt in einer billigen Absteige, gelegen an einer expressionistisch gefärbten Weggabelung mit Tunnel, Nebel und grobem Pflaster. „Durch und durch realistisch“ geht es von einer Kunstwelt in die andere. Im Haus des Rechtsanwalt schlägt die Wanduhr die Schicksalsstunde, an der Weggabelung klackern bedrohlich die Schritte unsichtbarer Polizisten. Als Wanda ihr Schuldbekenntnis schreibt, kündigt eine rhythmisch geschlagene, im Melodiefluss gedämpfte Pauke künftiges Unheil an. Der Film spielt in Hamburg; man war sogar dort zu Außenaufnahmen. Erhalten bleiben nur Illustrationen – Segelschiffe kreuzen in Rückprojektion beim Gespräch im Alstercafe, Schiffshörner tuten monströs durch nebliges Gewölk.

Erboster Denker im Schatten (Maximilian Schell)

Franz Weihmayers Kamera ist ganz alte, durchaus beeindruckende Schule: es flackern die Lichter, die Gesichter sind mit Halbschatten verdunkelt und gelegentlich auch dämonisch von unten angeleuchtet. O.E. Hasse schreitet gemessen, aufrecht und vornehm durch bedeutende Schrecken aus Licht, Ausstattung und Musik; Maximilian Schell dagegen, ganz der gequälte Mensch, geht und hetzt gebeugt unter der Last der Philosophie und des Gewissens. Interessant ist die Figur der Frau des Rechtsanwalts (Adelheid Seeck); ganz Dame der Gesellschaft besteht ihre Funktion nur darin, den Kaffeetisch zu präsentieren, zur Oper zu gehen und verständnisvolle Gattin zu sein („Ich weiß, Du hast morgen wieder einen schweren Tag“). Sie ist reine Dekoration und geschützt vor einem Drama, von dem sie gar nichts erfährt. „Ein Herrenzimmerfilm“ befand Friedrich Luft.

 

Realist im dämonischen Licht (O.E. Hasse)

Rolf Hansen inszenierte, Jochen Huth schrieb das Drehbuch. Beide hatten schon in der Ufa zusammengearbeitet. Aber die alte Schule des Qualitätsfilms zeigte nur noch im Glanz erstarrtes Handwerk und verwies geheimnisvoll auf “letzte Worte“. „Das letzte Wort“, so der angeklagte Bettler, „hat ein anderer.“ „Das letzte Wort“, so Lorenz, „ist noch nicht gesprochen“. Das war dann doch nur, wie Friedrich Wagner in der „Frankfurter Allgemeinen“ schrieb, „kostbar gemachte Kunstdruckillustrierte und deutsche Tiefsinnsknorzelei.“

Keine DVD, kein Video

Ergänzungen und Präzisierungen zu filmportal:
Standfotos: G.V. Krau; Innen-Requisite: Sylvester Schimpke; Ateliersekretärin: Annemarie Petke; Außenaufnahmen: Hamburg, ab 5. 10. 1956. Atelier: CCC-Film Atelier Spandau bis 30.11.1956

Dienstag, 19.06.2018

Langtexthinweis

* Rolf Aurich: Nachwort

»Kurz die Situation um 1997/98 aus meiner verblassten Erinnerung: Fritz Göttler (SZ) plante eine Neuauflage des Bitomsky-Buches „Die Röte des Rots von Technicolor. Kinorealität und Produktionswirklichkeit“ (Neuwied, Darmstadt: Luchterhand 1972), dazu erfragte er ein „Nachwort“ von mir. Das Erscheinen war wohl in der Reihe „Kino-KonTexte“ geplant. In ihr hatte es zuvor (frühe 80er Jahre) u.a. Bände über den „Film Noir“ und über die Filme von Powell und Pressburger gegeben, tolle Fundgruben, die jeweils als publizistische Begleitung von Filmreihen im Filmmuseum München erarbeitet worden waren. So reime ich es mir zusammen. In den etwa 20 Jahren seither ist nichts geschehen. Der Text lag bei Göttler, er lag bei mir, so wurde er „historisch“. Drumherum veränderte sich einiges. Die Rechtschreibung zum Beispiel. Auch gibt es heute keinen „Filmriß“ mehr im Kino.« (Rolf Aurich)

Mit Dank an Rolf Aurich für die freundliche Überlassung des Texts.

Sonntag, 17.06.2018

Paratexte der FILMKRITIK (4): Straub/Huillet im Arsenal


Auszug aus dem Monatsprogramm des Arsenal, Kino der Freunde der Deutschen Kinemathek e.V., November 1981: »Jean-Marie Straub/Danièle Huillet: „Zu früh, zu spät“. Weitere Programmschwerpunkte in diesem Monat: »Die junge Ingrid Bergman«, »Neue Experimentalfilme«, »Lucienne Lanaz«, »Seminar: Die großen Filmkomiker«.

Donnerstag, 31.05.2018

Paratexte der FILMKRITIK (3): Südcoop (1970)

Beilage zur Ausgabe 3/1970. Ein Wendeheft. Von vorne: „Unsere Filmpolitik der 70er Jahre (S. 1 bis 6), von hinten: „filmfestival der unabhängigen filmmacher, Festivalprogramm und Verleihkatalog Nr. 2“ (S. I bis VIII) Das Gesamtheft als PDF (6 MB) hier. Der Lesbarkeit halber sind die Seiten I bis VIII im PDF um 180 Grad gedreht.

Sonntag, 27.05.2018

DOME. Unser Verhältnis zum Kosmos

Hinweis auf eine von Frank J. Schäpel kuratierte Ausstellung und Veranstaltungsreihe (17.5. – 1.7.2018) im Zeiss-Grossplanetarium an der Prenzlauer Allee 80, 10405 Berlin.
Ich möchte insbesondere auch auf die beiden Musikveranstaltungen in der grossen Kuppel aufmerksam machen, Stockhausen am 30.5. und Xenakis am 1.7.2018.

Samstag, 12.05.2018

Paratexte der FILMKRITIK (2): zustimmen / nicht zustimmen

Gérard Genette gewidmet

[gefunden in Ausgabe 6/60. Im Inhaltsverzeichnis: „FILMKRITIK zweimal monatlich? Bitte beachten Sie das Postscriptum auf S. 192 und die diesem Heft beiliegende Antwortkarte“ – Das Heft erschien weiterhin im Monatsrhythmus.]

Freitag, 04.05.2018

Filme der Fünfziger (XLI): Liane – das Mädchen aus dem Urwald (1956)

Zu den unausgesprochenen Tabus im deutschen Kino der 50er gehörte die Darstellung der weiblichen Brust, die nur in Kulturfilmen gezeigt werden durfte. In Spielfilmen ging dagegen, so die These, vom entblößten Busen immer eine erotisierende Wirkung aus. Einer der ersten, der dieses Tabu brach, war der Göttinger, später Berliner Filmproduzent Gero Wecker. Er kaufte in Cannes 1952 die deutschen Verleihrechte für „Sie tanzte nur einen Sommer“ (Schweden 1951; R: Arne Mattson), der in der Bundesrepublik neben „Don Camillo und Peppone“ der erfolgreichste Film der Saison 1952/53 wurde. 1955 produzierte er mit „Die Mädels vom Immenhof“ den ersten Teil der „Immenhof“-Trilogie mit den Kinderstars Heidi Brühl und Angelika Meichsner.
Weibliche Kinderstars wie Romy Schneider, Christine Kaufmann, Cornelia Froboess oder Sabine Sinjen waren Mitte der 50er Jahre schon junge Frauen; mit Karin Baal und Marion Michael wandelten sich die süßen Kinder zu erotischen Objekten und öffneten das Kino zum Paradies für Pädophile.

Über Anzeigen in der „Bild“-Zeitung suchte Gero Wecker 1956 eine Hauptdarstellerin für „Liane“. Tausende Mädchen meldeten sich; ausgewählt wurde die fünfzehnjährige Marion Ilonka Michaela Delonge, die sich fortan Marion Michael nannte. Das junge Mädchen aus wenig begütertem Haus schien mit der Aussicht auf Filmengagement, Hauptrolle und Sieben-Jahres-Vertrag in den Sahnetopf gefallen zu sein, aber die Sahne erwies sich – ähnlich wie bei Karin Baal – als Essig. Der Sieben-Jahres-Vertrag kam erst nach dem ersten „Liane“-Film, für

Starfoto Marion Michael – wahrscheinlich Fotomontage

den Marion Michael ganze 1.300 DM Gage erhielt. Mit geradezu bösartiger Häme verbiss sich die Boulevardpresse in das Mädchen, nannte sie „Bundes-Nackedei“ („Bild“-Zeitung) und verfolgte ihre Bemühungen, sich von dem „Liane“-Klischee zu lösen, mit galligem Sarkasmus. Marion Michael war ein Kind, das in die Erwachsenenwelt und auf die Bühne des Kinos katapultiert wurde, damit nicht zurecht kam und letztendlich scheiterte. In dem Remake von „Bomben auf Monte Carlo“ (1960; R: Georg Jacoby) als Partnerin von Eddie Constantine sieht man deutlich, dass sie völlig überfordert ist; schon hier ist sie nur noch ein verschrecktes, von ‚Ängsten verfolgtes Mädchen.

Als Exploitation Movie ist „Liane“ gar nicht mal so schlecht wie ich befürchtet hatte. Gnadenlos mixt Regisseur Eduard von Borsody die Genres – es geht von Tieraufnahmen (Giraffen, Wasserbüffel, Zebras, Elefanten, Löwen) zum Buddy_Movie des Expeditionslagers, von der Denunziation der Farbigen als zivilisatorisch zurückgebliebene Wilde mit choreografierten Tänzen und Kriegsbemalung zu der Attraktion der halbnackten Liane, wird dann zum biederen Kriminalfilm und endet schließlich mit der Rückkehr – grosses Hallo im Stammesdorf – von Thoren und Liane. Ebenso gnadenlos setzt die Musik illustrierende Effekte ein –Trommelfieber und grell instrumentierte Tanzrhythmen in Afrika, von Mantovani ausgeliehene „cascading strings“ in Hamburg und das Schifferklavier, um die Reederei Amelongen ins rechte Bild zu setzen. Anhand nahezu jeder Sequenz lässt sich die innere Befindlichkeit der Autoren und ihre Spekulation auf die Vorurteile ihres Publikums festmachen.

Die Männer einer Urwald-Expedition entdecken im Südosten Afrikas beim Stamm der Wo-Dos das weiße Mädchen Liane. Es wird gefangen und nach Hamburg gebracht, denn Liane könnte die Enkelin des Reeders Amelungen (Rudolf Forster) sein. „Sehen Sie doch den Gesichtsschnitt und die Augenpartie – ich meine, sie muss aus einem sehr guten Stall sein“, lautet eine erste rassenkundliche Diagnose. Begleitet wird Liane von dem hemdsärmeligen Thoren (Hardy Krüger), in den sich schon die Expeditionsärztin Jacqueline Goddard (Irene Galter)verliebt hatte, und von Tanga (Jean Pierre Faye), einem Jäger der Wo-Do. In der Nacht legt sich Tanga als Beschützer neben das Bett von Liane, später legt sich Liane, jetzt schon im Baby Doll, neben das Bett von Thoren. Also immer noch eine Wilde. Amelungen hat seinen Geschäftsführer Viktor Schöninck (Reggie Nalder) als Generalerben eingesetzt, aber nun ist ja Liane aufgetaucht, die Enkelin und legitime Erbin. Schöninck tötet Amelungen und rast bei einer Verfolgungsfahrt in den Tod. Liane („Die kann ja schon richtig mit Messer und Gabel essen“) hat genug von der Zivilisation und kehrt mit Thoren zurück zu den Wo-Dos, in die Welt, „in der sie ihre glückliche und wunschlose Kindheit verbrachte.“ (Presseheft)

Die Beute …

Alle sind glücklich, alle Vorurteile und Ressentiments bestätigt, alle Klischees werden bedient. Hardy Krüger darf sogar ein wenig renitent werden (das Jugendproblem, die Halbstarken). Marion Michael hat ganz wenig Text, ganz viel Körper und sehr lange Haare. Was treibt Thoren weg von der intelligenten und schönen Ärztin und hin zur Kindfrau? Die Ärztin, so formuliert er es selbst, ist ihm zu intelligent, sie könnte seine vorgespielte Sicherheit durchschauen. Liane dagegen kann er dominieren; in einer der ersten gemeinsamen Szenen füttert Thoren die hilflose Liane tatsächlich mit einer Banane. So beginnt die falsche Romanze.
1957 wurde noch ein zweiter „Liane“-Film gedreht („Liane – die weisse Sklavin“; R: Hermann Leitner), 1961 entstand als Zusammenschnitt beider Teile „Liane – Tochter des Dschungels“.

Als Produzent Gero Wecker 1974 im Alter von 51 Jahren starb, titelte die „Bild-Zeitung: „Herzinfarkt! Der Mann, der den Deutschen den nackten Filmbusen brachte“. Nicht nur das, sondern auch acht Oswalt Kolle Fime, von „Das Wunder der Liebe“ (1968) bis „Liebe als Gesellschaftsspiel (1972). Gero Wecker kennt heute niemand mehr. Und Marion Michael?

… wird gefüttert.

„Liane wird mich bis zum Tod verfolgen“ soll Marion Michael gesagt haben. Das war sogar noch untertrieben – nicht bis zum Tod im Jahr 2007, sondern bis heute und für immer. Das ist sogar in Lars Kraumes jüngstem Film „Das schweigende Klassenzimmer“ zu sehen.

DVD bei e-m-s. Die DVD-Fassung ist unvollständig; es fehlt die Schlussszene mit Hardy Krüger und Marion Michael im Dschungelteich.

Ergänzungen und Präzisierungen zu Filmportal:
Mit Anneliese Würtz, Editha Horn, Waltraud Runze, Walther Blum, Kurt Lucas, Hans Emons, Erik Radolf
Kamera: Ekkehard Kyrath (Außenaufnahmen in Kenia oder Nairobi)
Außenaufnahmen der Spielszenen: Ab 14.7 1956 in Sabaudia (Italien) im Park der Villa Fogliano, Hafenaufnahmen in Baia (Golf von Neapel). Atelieraufnahmen in den Arca Filmstudios Berlin Pichelsberg ab 30.7 bis Ende August 1956.
Geschäftsführer: H.G. Steinamm; Kasse: Marianne Vogt; Ateliersekretärin: Annemarie Scheu; Garderobe: Luise Lehmann, Ernst Nuckel; Star- und Pressefotos: Roman Stempka
Agfacolor

Literatur:
Maja Figge: Deutschsein (wieder-)herstellen. Weißsein und Männlichkeit im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre. transcript Verlag, Bielefeld 2015. S. 265 – 300
Michael Flitner: Das Mädchen aus dem Urwald. Über Geschlecht und Nation in einem Film der 1950er Jahre. https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/2838/file/gr1_05_Ess01.pdf

Donnerstag, 26.04.2018

Paratexte der FILMKRITIK (1): Umfrage, 1964


[gefunden in FILMKRITIK 1/64, der ersten Ausgabe im größeren Format von 17 x 24 cm, die auch den Auftakt der Reihe „Zum Selbstverständnis der ‚Filmkritik'“ von Wilfried Berghahn enthält – die Umfrage wird aber wohl ursprünglich eine Beilage der Aprilausgabe gewesen sein.]


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