Filme der Fünfziger LX: Wenn die Abendglocken läuten (1951.R: Alfred Braun)
Willy Birgel war aus dem Film der Nazizeit unbeschadet in den Film der Bundesrepublik hinübergeglitten – immer noch Gutsbesitzer und Rittmeister – ganz alte Schule. Gutsbesitzer Finke (Birgel) präsentiert Michael (Hans Holt), dem jungen Studenten der Musik und Sohn des Schulmeisters (Paul Hörbiger), sein Anwesen „So dicke Mauern für die Ewigkeit. Da braucht man eine Ecke, in der man sich wohlfühlt“, geht in einen Billardraum und zeigt „lauter Erinnerungen an Turniere – jetzt soll ich mal endlich wieder in den Sattel steigen“. Er wendet sich zum Billardtisch. “Spielen Sie? Außer Pferden mein einziger Spass.“ Aber Michael spielt nicht Billard, er trinkt auch keinen Schnaps mit. Er gehört einer anderen Generation an.
Seine Jugendliebe Johanna (Julia Fjorsen) ist mit dem Gutsbesitzer Finke verheiratet, gemeinsam haben Finke und sie eine Tochter, Evchen. Das Kind schaut in die Limousine von Michael und staunt über die vielen Koffer. „Die Welt ist mein Zuhause“, erklärt ihr Michael und Evchen weint um ihn, der kein wirkliches Zuhause und keinen Schutzengel hat.
Alle tragen in diesem Film schwer an ihrem Schicksal, den Jungen wird es von den Alten einfach übertragen. Michael und Johanna lieben sich, aber Johannas Eltern haben ihre Tochter an Finke versprochen und der Schulmeister erklärt seinem Sohn: „Es bleibt dem Vater kein Ausweg übrig, wenn er seinen Hof retten will.“ Und er gibt Michael eine Weisheit mit auf den Lebensweg: “Man kann auch ohne Glück leben, Michael, aber mit einer Schuld – ist viel, viel schwerer.“ Vor der Hochzeit mit Finke verbringt Johanna eine Liebesnacht mit Michael. “Drei Stunden müssen reichen für ein Leben“ resumiert Johanna. In den Worten steckt noch die Erinnerung an das kurze Glück des Heimaturlaubs. Warum denn sollen die Jungen es besser haben als die Alten?
Michael hat ein Lied komponiert: die Abendglocken. Im Film hört man es als deutsches Heimatlied; die Melodie stammt jedoch vom französischen Komponisten und Widerstandskämpfer Jean Villard. In seinem Liebeskummer macht Michael daraus einen Boogie Woogie und spielt es mit grossem Tanzorchester als schmissige Nummer ein. Das klassische Gegensatzpaar von Stadt und Land wird durch die Musik thematisiert. „Mein Gott, „ kommentiert sein Vater die Aufnahme aus dem Rundfunk, „muss es dem Jungen schlecht gehen“. Er selbst spielt das Lied am Spinett, der Film unterlegt es mit Geigen und Harfe.
Der Film ist wie ein Friedhof, aus dessen Gräbern die Geister der Vergangenheit sich der Gegenwart bemächtigen wollen. Aribert Wäscher warnt als Musikproduzent seine Tochter vor Michael: „Der Junge ist in Gefahr“ , Otto Gebühr spukt als Küster in der Kirche herum und Hilde Körber ist das ewige Kindermädchen. Wer fegt die Spinnweben aus diesem Geistergewölbe? Natürlich niemand anderes als Willy Birgel. Sein Arzt untersucht die Lage eines Granatsplitters in seinem Körper, warnt Birgel vor weiteren Reit-Eskapaden und Birgel antwortet starr und falsch: „Ave Caesare“ und fügt hinzu: „Soldaten, die da sterben wollen, muß man geben, was sie wollen.“ Zu den Klängen von „Ich hatt’ einen Kameraden“ sollen alle, alle bei seinem Begräbnis innerlich strammstehen. Nun können Johanna und Michael zusammenkommen. Die Schuld bleibt. „Ich glaubte“, sagt Johanna, „die Schuld würde uns voneinander trennen – aber jetzt weiß ich, wie sehr sie uns aneinander bindet.“ Welche Schuld denn eigentlich? Egal – Hauptsache Schuld. Johanna bittet Michael, sie zu heiraten und ihr gemeinsamer Blick – der letzte des Films – wendet sich zur Kirche, jenseits des Mühlbaches.
Alfred Braun, getreuer Mitarbeiter von Veit Harlan, führt Regie und Georg Krause, über den Thomas Brandlmeier in seinem Buch „Kamera-Autoren“ im Schüren Verlag geschrieben hat, steht an der Kamera. Die Fachkritik bemängelte fehlendes und schludriges Handwerk, was Krause sicher gekränkt hat. An ihm lag es jedenfalls nicht.
Dem Publikum war es egal, es weinte heftig und gerne. 1952 war dies einer der erfolgreichsten Filme des Jahres.