Montag, 09.05.2022

Montag, 25.04.2022


Samstag, 12.03.2022

Montag, 24.01.2022

Freitag, 21.01.2022

Weltenbummler

In einer seiner Fernsehsendungen überquert Hardy Krüger auf dem Weg zu einer kultischen Stätte einen leeren Platz und anstatt dieses Nicht-Ereignis mit ein paar kommentierenden Sätzen zu überdecken, sagt er: „Augenblick mal.“ Und setzt sein Reden aus dem Off erst fort, wenn er im Bild den Platz überquert hat und wieder was passiert. (Eine Opfergabe der Einheimischen.) Diese Sprechpause kommt völlig unerwartet, auf seltsame Weise knüpft sie zwischen Reden und Zeigen eine gestische Verbindung.

Ein Bild aus Hartmut Bitomskys schönem Film REICHSAUTOBAHN: Unter einer Brücke sitzt er da und blättert in einem Buch mit Fotografien der alten Autobahn. Der Weltenbummler seinerseits bedient sich am Abend im Hotelzimmer eines Fotobandes, um seinen und unseren ersten Eindruck vom exotischen Ort zu vertiefen. Wie Bitomsky zeigt auch Krüger gerne den Daumen, der ein Foto in die Kamera hält. Eine Mitfahrerin gibt ihm, während er fährt, ein kleines Plastik-Album mit Familienfotos. Er hält es aufgeschlagen ans Lenkrad gepreßt. Der Kamerablick, der zuvor noch auf die Straße gerichtet war, senkt und verengt sich auf die Fotos. Aufmerksamkeit ist Aktion.

Zu all dem gehört auch die erheiternde Illusion, Hardy Krüger wäre allein ohne Kamera und Tonleute unterwegs. Angeblich erste Begegnungen sind inszeniert: die Kamera erwartet aus der Distanz das „unerwartete Zusammentreffen“ oder befindet sich bereits im Raum, den er zum ersten mal betritt. Daß dies nicht total bescheuert wirkt, liegt an der ohnehin durch den Kommentar bewußt zerstörten Trennungslinie zwischen der Gegenwart des Sprechens und der Vergangenheit des Gefilmten.

So zieht er auch beim Erzählen dem erinnernden Perfekt stets das dramatisierende Präsens vor, und benutzt dabei die Worte: „Dann“ und „Da“ und „Jetzt“. Ganz so als zähle eben nicht das Gesehen-und-erlebt-haben sondern viel mehr der Moment des Kennenlernens, die frische unvermittelte Erfahrung. So zurren die vielfältigen bunten Eindrücke seiner Reisen zusammen auf die eine sympathische Propagierung von Sinn und Zweck der Wanderschaft: persönlich Bekanntschaft zu machen.

Am Ostermontag, an Krügers 65. Geburtstag, zeigte der Filmclub 813 Robert Aldrichs THE FLIGHT OF THE PHOENIX und noch im selben Monat eine umfassende Werkschau Hartmut Bitomsky.

(Text von 1993)

Donnerstag, 30.12.2021

Freitag, 17.12.2021

Filme der Fünfziger LIX: Die Freundin meines Mannes. 1957. R: Axel von Ambesser

„Verzeih mir, dass du dich in jemanden anderen verliebt hast“, sagt Gabriele Roscher (Hannelore Schroth) im Garten ihres Hauses zu ihrem Mann, dem Architekten Alfred Roscher (Hans Söhnker). Fast könnte es das Schlussbild der Ehekomödie sein, aber Regisseur Axel von Ambesser hält noch eine Szene bereit. Er sitzt im Flugzeug nach London im Gang neben Barbara Rütting, zieht sich den Ehering ab und fragt, ob sie auch nach London fliege. „Nein, ich springe unterwegs ab“, antwortet sie etwas schnippisch. Aber man darf ihr die Antwort abnehmen – so viele altbackene Entschuldigungen und Erklärungen hat sie über sich ergehen lassen müssen, da darf sie eine dämliche Ansprache ruhig auch etwas ruppig beantworten.
Eine alleinstehende, beruflich erfolgreiche Frau hat es in diesen Zeiten schwer; die Gesellschaft verzeiht es nicht, wenn sie nicht beizeiten zu einem Mann unter die Decke geschlüpft ist und geheiratet hat. „Alle Plätze besetzt“ ruft es von der Leinwand bei Titeln wie Vater unser bestes Stück. „Mama räumt auf“ sollte Die Freundin meines Mannes zunächst heissen – so als wäre die Liebelei des Ehegatten ein Problem der hausfraulichen Organisation. Ambessers Film ist eine Boulevardkomödie, die in Wohnräumen, Büros, in Restaurants und im Garten spielt und vom Wortwitz und der Situationskomik lebt. Filmästhetisch darf man sich von einem Ambesser-Film nicht mehr erwarten als solides Handwerk mit professionellen Schauspielern – hier allerdings mit der Ausnahme von Peter Kraus, der außer einer zu großen Portion Selbstbewußtsein wenig zu bieten hat.
Der Titel führt etwas in die Irre, denn die Liebelei des Ehemannes wird nicht gleich aus der Perspektive der Ehefrau geschildert; es kommt auch die Perspektive der Geliebten (Barbara Rütting) zur Geltung,, die solche Affären offensichtlich schon des öfteren erlebt hat.

Die Modedesignerin Charlotte Bernhard (Barbara Rütting)nimmt den Architekten Alfred Roscher (Hans Söhnker) in ihrem Wagen mit.

Alfred und Gabriele Roscher (Hans Söhnker und Hannelore Schroth) müssen sich mit dem Wunsch ihrer Tochter auseinandersetzen, mit ihrem Freund zur Modemesse nach Paris zu fahren. Dort haben sie eine Wohnung, wo sie „tun und lassen können, was sie wollen“. Das gefällt den Eltern natürlich überhaupt nicht; Alfred, von seiner Frau Panther genannt, wird auf der Strasse von einem Mercedes angefahren; die Fahrerin ist Charlotte Bernhard (Barbara Rütting), eine berühmte Modedesignerin. Alfred beginnt eine Affäre mit Charlotte; er behauptet, dass er seiner Frau alles erzähle und diese ein sehr verständnisvoller Mensch sein. Man führe halt eine moderne Ehe, was natürlich alles nicht stimmt. Die Moderne – oder was man dafür hält – ist ein Trugbild, das keiner Belastung standhält. Frau Bernhard tritt im Fernsehen auf, bei Roschers gibt es einen Fernsehabend mit Freunden und Familie. Freund Heinrich (Willy Reichert) bekleckert sich beim Fernsehen immer den Anzug – also hängt ihm seine Frau eine Kochschürze um. Der gemeinsame Fernsehabend ist eine emotionale

Fernsehabend bei Familie Roscher mit Freunden (Corny Collins, Willy Reichert, Irene von Meyendorff, Hans Söhnker, Hannelore Schroth, Peter Kraus)

Tortur – niemand amüsiert sich wirklich. Alfred Roscher hat nun immer öfter abendliche „geschäftliche“ Verabredungen; Tochter Mariella (Corny Collins) besucht Charlotte Bernhard, um eigene Modeentwürfe vorzulegen und entdeckt den Schal ihres Vaters an der Garderobe. Gabriele lädt ihre Nebenbuhlerin zum Tee ein und schlägt ihrem Mann die Scheidung vor; der mimt gegenüber seiner Frau und seinen Kindern die verfolgte Unschuld und wird, quasi um seiner Familie einen Gefallen zu tun, mit Charlotte nach Stockholm fliegen. Sohn Claus findet heraus, dass Charlotte statt nach Stockholm nach London fliegt; bis auf Alfred weiß dies die ganze Familie; Claus bringt am Morgen schnell noch einen Blumenstrauß zum Flughafen, Alfred bleibt zu Hause, Gabrieles Entschuldigung („Verzeih mir, dass du dich in jemanden anderen verliebt hast“) glättet die Wogen.
Nur Charlotte ist weiterhin den Avancen reifer Herren ausgesetzt. So ist halt die moderne Zeit.

Hans Söhnker spielt souverän, auch selbstironisch den älteren Herrn und rutscht auch schon mal absichtlich auf der Treppe aus, Hannelore Schroth dagegen muss etwas schnippisch die betrogene Ehefrau darstellen – das ist eine eher undankbare Rolle, während Barbara Rütting charmant und elegant die Geliebte ist. Das Drehbuch kann leider auf einige Indiskretionen nicht verzichten; Söhnker beklagt sich bei Charlotte, dass seine Frau ihn nicht versteht, Gabriele Roscher bereitet Charlotte Bernhard auf den Ehealltag vor: Alfred schnarcht und hält auf seinem Schreibtisch keine Ordnung. Die Ehe bzw. das familiäre Zusammenleben ist in dieser Konstellation kein Kinderspiel, sondern gleicht dem Leben in einem Raubtierkäfig. Wehe, jemand will ausbrechen.
Das war die letzte Produktion von Alfred Greven, der es nach dem Krieg in der BRD nicht mehr so leicht hatte. Da war es ihm in der NS-Zeit besser ergangen.

Freitag, 26.11.2021

Sonntag, 07.11.2021

Mein Dank an Johannes

– von Manfred Bauschulte –

Meinen Beruf als Leser habe ich früh erkannt und reklamiert. Heute weiß ich ungefähr, was er bedeutet: er führt vom Abtasten der Augen beim Sehen (im Buch wie im Kino) zum Schreiben mit der Hand auf dem Papier. Es faszinieren mich Bücher, die es erlauben mit dem Reflexions- und Vorstellungsvermögen diesen Tastvorgang (des Sehens) zu begleiten, um ein kleines Stück Welt oder Wirklichkeit zu erfassen. Eins der Bücher, das mir das in jungen Jahren schon gestattete, habe ich in diesem Blog einmal gestreift: Antonin Artaud, Heliogabal oder der Anarchist auf dem Thron. Aus dem Französischen von Brigitte Weidmann mit einem Nachwort von Frieda Grafe. München 1972 (Bibliotheca Erotica et Curiosa).

Ein weiteres exemplarisches Buch im gleichen Format will ich genau vierzig Jahre nach seinem Erscheinen hier vorstellen und entsprechend würdigen:

Ludwig Hohl. Herausgegeben von Johannes Beringer. Frankfurt/M. 1981 (Suhrkamp Taschenbuch Materialien).

In den 1970er Jahre habe ich viele Leseversuche mit Büchern von Ludwig Hohl unternommen, in der Stadtbücherei Ibbenbüren die Erzählbände „Nächtlicher Weg“ und „Bergfahrt“ ausgeliehen, „Nuancen und Details“ im Ramsch gekauft. Es gab sie im handlichen Format der Bibliothek Suhrkamp. Der Schriftsteller Hohl war, blieb, ein Rätsel: Ist die „Bergfahrt“ eine Parabel, worin der Aufstieg wie der Abstieg zum Absturz führen? Was intendieren die Reflexionen über „Arbeit“ und „Arbeiten“? Was will der Satz „Dass fast alles anders ist“ sagen? Genau besehen wirkt er noch rätselhafter: „Dass fast alles anders ist… fast alles anders, als fast alle Menschen, fast immer, es sich vorstellen“. Bei Erscheinen trugen „Die Notizen“ (1980) diesen merkwürdigen Zusatz als Untertitel: „Von der unvoreiligen Versöhnung“.

Ende 1981 bin ich ich auf den besagten Materialienband gestoßen. Im ersten Teil versammelt er chronologisch 25 Rezensionen über das Werk von 1939 bis 1980, von Albin Zollinger bis Nicolas Born. Ich zitiere aus einem Essay des Schweizer Filmemachers Alexander J. Seiler (1928-2018) über die „unvoreilige Versöhnung“, was mir sofort eingeleuchtet hat: „Was kann der Mensch tun an der eigenen Stelle, er, dessen Mittel bescheiden, klein, scheinbar nichtig sind? Er, der Machtlose? Eben dies: keine Macht wollen, sondern Wert; mehr Leben wollen nicht als Quantität, sondern „Qualität“. „Das Unvoreilige der Versöhnung“ bestünde demnach darin im Kleinsten noch den Wert (die Qualität des eigenen Lebens) unbedingt einsetzen zu wollen. Das erlaubt Seiler von der „gigantischen Kleinheit“ der „Notizen“ zu sprechen.

Der Materialienband enthält ferner die erschütternde Chronik „Würde und Unwürde der Armut“ von Traugott Vogel, ein Bericht über die Jahrzehnte lange materielle Notlage des Schriftstellers Hohl. Er endet mit einer überraschenden Wendung über den Zusammenhang von „schöpferischer Not“ und „Glück“: „Aber das Glück ist nicht da, wo man es gewöhnlicher Weise vermutet: Zu sehen, wie, in allen Verhältnissen, der Geist von den Dingen sich scheidet, das ist das Glück“. Ein Autor wie Traugott Vogel (1894-1975) hat über die Grenzen der Schweiz hinaus wenig Beachtung gefunden. In diesem Band erhält er eine authentische Stimme ebenso der originelle, früh verstorbene Liedermacher Mani Matter (1936-1972). Auszüge aus den „Sudelheften“, die er bis zu seinem Unfalltod führte, lassen einen irriert staunend zurück: „Ich befinde mich im Zustand der Verpuppung und warte, dass der Schmetterling endlich aus mir herauskommt. Und wenn er nicht kommt? Hohl zitiert einen Satz der Katherine Mansfield, an den ich sehr oft denke: ‚Sometimes I feel that it is dangerous to wait for things‘. Der Satz macht mir Angst“.

Bei dem Satz der Mansfield geht es auch mir bis heute so, denn er zielt auf das bedrohliche Potential des Wartens (– auf das Ungewisse, den Tod?). Daran kann ich jetzt mit dem ungewöhnlichen Nachwort des Herausgebers anschließen. Wie das Nachwort von Frieda Grafe zu Artauds „Heliogabal“ den Pubertierenden (1972) hat dieses Nachwort (1981) den 20-Jährigen unvorbereitet getroffen. Ich will den Beginn im vollen Wortlaut wiedergeben:

„Ludwig Hohl ist am 3. November gestorben. – In seiner Wohnung an der Erstellung der Bibliographie weiterarbeitend, hatte ich oft, tagtraumhaft, den Eindruck, in sein Leben zu blicken, ihn bei der Arbeit zu sehen. Das, was in seinen letzten Monaten, vielleicht sogar intensiver als früher, volle Wahrnehmung der abnehmenden Physis, Auseinandersetzung mit dem körperlichen Leiden war, schien über den Einschnitt durch den Tod hinaus zu wirken. ‚Leben ist Arbeiten‘. Das hat auch da noch gegolten und es hatte zuletzt Geltung im Annehmen des Unausweichlichen. – Vom Arbeiten überhaupt. Dem Stück dieses Titels – ihm voran steht Vom Schreib-Arbeiten – habe ich den zitierten Satz entnommen. Hohls Gleichsetzung von Leben und Arbeit durchsetzt das Mißverständnis des allgeminen Begriffs: sie schließt in sich ein die Abrechnung mit dem Tod. Ich gebe den Satz im Zusammenhang des Schluß-Abschnitts wieder: ‚Nur im Willen zur Verwandlung ist das Leben. (Leben ist Arbeiten. Arbeiten ist ein Inneres in ein Außen bringen. Dieses Innere verwandelt notwendigerweise immer dieses Außen). Das Leben will Verwandlung und wird das Beharren der wichtigsten Dinge erreichen. Der Tod will das Beharren und wird die Verwesung erreichen‘ (Nuancen und Details, II,31).
Wie einer sein Leben wahrnimmt, wie er es wahrmacht, also erst lebt – sein bewußtes Sein -, wirkt über den Tod hinaus. Hohls Arbeit wird – nachdem er sein Leben bestanden hat – als sein Lebendig-Bleibendes weiterbestehen“.

Das Nachwort über Ludwig Hohl wurde von einem Herausgeber verfasst, von dem ich erst viel später erfahren habe, dass er als Cinephiler in der Tradition der französischen Filmkritiker André Bazin und Serge Daney steht. In diesem Zusammenhang will ich ihn noch einmal zu Wort kommen lassen:
„Kinoliebhaberei, sagt Daney, sei eine bestimmte Haltung und Sicht der Welt, bei der der Film zu einem fast persönlichen Gegenüber werde – da könne man hineinblicken wie in einen Spiegel und wie beim Bildnis des Dorian Gray erleben, dass man zusammen altere. Ein Cinephiler sei nicht einer, der bestimmte Verhaltensweise kopiere, die er auf der Leinwand gesehen habe, sondern einer der – viel bescheidener und viel stolzer – verlange, dass die Filme als Filme dauerten“.

Mit dieser Collage meiner Lese-Erinnerungen wollte ich auf schlichte Weise demonstrieren, wie in Bücher (und Filme) eine erfahrbare Dauer eingetragen ist, – und meinen Dank an Johannes Beringer für Anregungen, Briefe und Gespräche abstatten.

Köln, Rheinufer im Oktober 2021

Samstag, 16.10.2021



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