Sonntag, 02.09.2012

All these made audible music

Oberhausen 2012

Herzogs Grizzly Man (2005) hat, kaum überraschend, einige Memes hervorgebracht. Die Parodien heißen Chicken Man oder Crystal Man und zeigen junge Leute, die Timothy Treadwell und Herzogs dräuende deutsch akzentuierte Erzählstimme imitierend, ja, Hühner oder Kristalle vor wem auch immer beschützen.

In Herzogs fiktionalem Kurzfilm Maßnahmen gegen Fanatiker (1968) schützen verschiedene Personen „ohne Wissen der Rennleitung“ oder „auf höhere Anweisung“ die nervösen Pferde beziehungsweise nach Vertreibung von der Rennbahn Flamingos, vor Fanatikern, enthusiastischen Zuschauern oder Unwissenden. Schön improvisiert, einfach im Aufbau, in den Varianten der Szenen und Wiederholungen, mit Blackouts und Versprechern wirken diese Szenen wie Memes des 37 Jahre später entstandenen Grizzly Man und zugleich als Prophetie. Eine sich selbst bewahrheitende selbstverständlich.

Maßnahmen gegen Fanatiker wurde dieses Jahr im Oberhausener Thema „Mavericks, Mouvements, Manifestos“ gezeigt und verbreitete auf diese Weise ein angenehmes Vor und Zurück, ein Hin und Her in der Film- und Mediengeschichte auf einem Festival, das dieses Jahr „50 Jahre Oberhausener Manifest“ zu begehen hatte und so immer wieder Gebilde und Gespenster der historischen Imperative, der Generation und generation gaps, der Tradition und des Erbes parieren musste.

Das diesjährige Thema war zweigeteilt in „Mavericks, Mouvements, Manifestos“ und „Mavericks, Mouvements, Manifestos: Filme der Unterzeichner“. Während mir der Begriff der Unterzeichner in seiner ganzen Amtlichkeit im Lauf des Festivals immer unsympathischer wird – und am Ende werde ich auch keinen Film aus diesem Programm gesehen haben –, geschieht im ersten Programm eine Auflockerung über eine internationale Auffächerung und Kontextualisierung und somit eine Pluralisierung der Generationen durch internationale Wellen, Kooperativen und Zusammenschlüsse wie New American Cinema Group, dem Balász Béla Stúdió, der Eizō geijutsu no kai, des Svensk Experimentalfim Studio/Arbetsgruppen för film oder der Groupe des Trente.

Zwei Wasserfilme:

Robert Enricos La rivière du hibou (1962) ist eine Adaption von Ambrose Bierces Kurzgeschichte „An Occurence at Owl Creek Bridge“ von 1890.
Einer soll gehängt werden, an der Owl Creek Bridge, die als Galgen dient. Nach einem knappen Drittel des Films, kommt es zu der Szene, wo das Brett, auf dem der zu Hängende hoch über dem Fluss steht, gelöst wird und er stürzt. Aber er stürzt ins Wasser (d.h. der Strick ist gerissen), dumpf tönend blubbern Luftblasen an die Wasseroberfläche (d.h. er atmet noch). Tief im Wasser, geschützt von den Blicken der Soldaten, löst er seine Fesselung, zieht sich die schweren Stiefel aus, die ihn hinabsinken lassen. Als er auftaucht, um nach Luft zu schnappen, hört man erst einen Vogel, eine Gitarrensaite wird angeschlagen und zu „Living Man“ verliert sich La rivière du hibou eine Weile in den Blättern, im Dokumentarischen, im Gegenlicht, einem Spinnennetz: „I see each tree, I heed each vein, I hear each bug upon each leaf, the buzzing flies, the splashing fish, they moves around this living man.“

Dann beginnt die Flucht und der Fluss hilft dabei, Farquhar, so heißt er, taucht in ihm und versteckt sich so vor den suchenden Blicken der Soldaten, die ihn verfolgen, auch die Kugeln, die sie auf ihn abgefeuern, werden vom Wasser abgebremst. Flussabwärts lässt er sich von der stellenweise sehr heftigen Strömung treiben, nach einiger Zeit verläuft der Fluss in einer Schlucht, er hat sich ein Bett gegraben, das keine Uferwege zulässt und die Verfolger bleiben zurück. Das Wasser scheint ihm bei der Rettung beizustehen.

Bei Godards/Truffauts Une histoire d’eau (1958) hat der Fluss sein Bett verlassen.  Gelegenheit zu diesem Kurzfilm gab eine Flutkatastrophe nahe Paris. Truffaut machte dort einige Aufnahmen, wusste oder wollte dann nicht weiter. Godard übernahm das Material, montierte es neu, fügte Erzählstimmen hinzu. Die Handlung ist einfach. Ein junges Mädchen (Caroline Dim) macht sich auf den Weg zur Universität nach Paris, ein junger Mann (Jean-Claude Brialy) nimmt sie mit dem Auto mit. Die Geschichte, une histoire d’eau, ist verfahrener.

Das Wasser dient hier kaum als Transportmittel. Es muss balancierend überbrückt werden. Das Auto wird von den Wassermassen verlangsamt, bleibt stecken, er schiebt, fährt rückwärts, das Paar muss aussteigen und laufen, Wege sind abgeschnitten, verändert, nicht mehr vorhanden, wo kein Wasser ist, ist Morast. Man fährt im Kreis, an dieser Stelle war man doch schon einmal, noch einmal anders von vorn. Sie hüpft, er trägt sie, beide tanzen. So verlieren sich die junge Frau und der junge Mann auch in Gedanken, machen Umwege, bilden Gedankenströme vielmehr Überflutungen von Balzac über Aragon zu Petrarca.

Robert Enrico: La rivière du hibou (1962) 28′, 35mm, s/w, Ton
Jean-Luc Godard, François Truffaut: Une histoire d’eau (1958) 12′, 35mm, s/w, Ton
Werner Herzog: Maßnahmen gegen Fanatiker (1968) 12′, 35mm, Farbe, Ton

Programme des Themas sind auf Tour. Noch ausstehende Stationen:
22.-29. September 2012: DVD-Präsentation „Provokation der Wirklichkeit“ auf dem Message to Man Film Festival in St. Petersburg.
Vom 27. bis 30. September 2012 zeigt das Museum of Modern Art in New York vier Programme mit Filmen der Unterzeichner des Oberhausener Manifests.
Am 30. September Präsentation der DVD-Edition mit Filmen der Unterzeichner und am 2. Oktober 2012 Filmprogramm im Coolidge-Theatre in Boston.

Buch: Ralph Eue, Lars Henrik Gass (Hg.): Provokation der Wirklichkeit. Das Oberhausener Manifest und die Folgen, München 2012.

DVD: Provokation der Wirklichkeit. Die ›Oberhausener‹. 2012.

Donnerstag, 30.08.2012

Kinohinweise (Berlin)

# Vom 1. bis 19. September im Zeughauskino: Werkschau Dominik Graf, mit ausgewählten Fernseharbeiten und fast allen Kinofilmen (der Trio-Film fehlt leider, aber der ist echt nicht richtig gut). Deine besten Jahre (1999) und Kalter Frühling (2004) auf Leinwand! Schön auch, dass die Tonanlage im Zeughaus so prima ist, denn der Sound dieser Filme ist besonders.

# Den ganzen September im Arsenal: Alain Resnais, Gesamtwerk.

Dienstag, 28.08.2012

Langtexthinweis

* Mai, Juni, Juli und Anfang August

Freitag, 24.08.2012

# Eine Werkausgabe mit Filmen von Peter Nestler erscheint, fünf DVDs, bei absolut medien.

# Die Finanzen des Großherzogs, ein Radikant-Film (Max Linz), bei vimeo anzuschauen; bzw. – edit 24.8., 13.29 Uhr – jetzt wohl doch nicht mehr…

Mittwoch, 22.08.2012

Widerstandshumor

Nach der Lektüre von Jan Karskis Buch , Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund, (Kunstmann, 2011), sehe ich Lubitschs Film To be or not to be (1942) mit ganz anderen Augen.

Denn durch Karskis Bericht vom polnischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Okkupation, (der schon 1944 in den USA unter dem Titel Story of a Secret State erschien) sind uns schöne Beispiele des Widerstandshumors, der sich vor Ort unter der realen Unterdrückung behauptete, überliefert. Besonders eine Nachwuchsorganisation namens „Die kleinen Wölfe“ tat sich hervor und war sehr kreativ: 

„Im Herbst 1942, als die Deutschen alle Pelze und wollene Kleidung in Polen für ihre Soldaten an der Ostfront requirierten, kamen die „Kleinen Wölfe“ mit einer brillanten Serie von Plakaten zu dem Thema heraus. Sie zeigten einen hageren, finsteren deutschen Soldaten, eingehüllt in einen sehr weiblich wirkenden Nerzmantel, die Hände in einem Muff aus Silberfuchs verborgen. Darunter Sätze wie dieser: ‚Nun, wo ich es so schön warm habe, wird es mir ein Vergnügen sein, für den Führer zu sterben.“

Donnerstag, 16.08.2012

… to watch girls by

People,
people who need people,
are the luckiest people in the world …

Es war ein schöner Sommermorgen, oder um es lapidarer zu sagen: The sun shone, having no alternative, on the nothing new – wie es im ersten Satz von Becketts Murphy heißt. Mehr durch einen ebenfalls schönen Zufall traf ich Ba, Bla und Scha morgens um 10:00 Uhr im Kino. Be war auch erschienen, verließ das Kino aber zügig nach der Vorstellung, ohne sich weiter zu äußern. Ba und Bla hatten sich im Anschluss zu einer Partie Tischtennis auf einem Kinderspielplatz im alten Zentrum West-Berlins verabredet und in weiser Voraussicht jeweils einen zweiten Schläger mitgebracht. So spielten wir zu viert. Eine weitere Rolle übernahm der Wind. Ba, ein ambitionierter Spieler mit langjähriger Erfahrung auf der elterlichen Eigenheimkellertischtennisplatte mit Möglichkeiten zu eingeübten Tricks und Kunststücken, und Bla, ein versierter Returnspieler, der seiner Attacke noch Mankos bescheinigte, die es auszuputzen galt, trafen so auf Scha, einer weit erfahreneren Spielerin, als man zunächst denken würde, mit der Tendenz zu unerwarteter Raffinesse – und mich. Zwanzig Jahre Tischtennisabstinenz im Zusammenspiel mit wechselndem Rücken- und Gegenwind brachten mir zumindest die Bewertung ein, dass altes Potential zu erkennen wäre.

… we are children,
needing other children,
and yet letting our grown up pride,
hide all the need inside,
acting more like children than children.

Rudolf Thome hat wieder einen Film gemacht, in dem dabei zugeschaut werden kann, wie Mädchen durch Bilder zappeln, arrangiert um ein Drama mit ausgedachten Problemen, das eigentlich kein Drama ist, in dessen Verlauf ein älterer Mann auf unabsehbare Zeit – für immer? – verschwindet. Es lässt sich in vielerlei Hinsicht feststellen, was der Film alles nicht ist, was ihm nicht gelingt, an welchen Stellen er sich überall weigert, für irgendetwas Verantwortung zu übernehmen, worin er scheitert. Aber irgendetwas muss diesen Film auf den Weg gebracht haben, was positiv benannt werden kann, sonst wäre er nicht entstanden.

Der Film ist nicht Camp.
Wie alle deutschen Italienschnulzen der 50er und 60er Jahre fällt auch INS BLAUE über Italien her, ohne sich nur einen Deut für Land und Leute zu interessieren. Italien wird quasi überfahren und kommt im Film nicht vor. Das Drehbuch ist geschickt genug, allen romantischen Kitsch in die Filmhandlung des innerhalb des Films zu drehenden Films zu legen, mag diesen Kitsch aber nicht genüsslich überziehen, sondern nimmt ihn ernst. Grotten mit Lichteinfall sind magisch, Vögeln ist magisch – also wird in Grotten gevögelt. Die Gleichsetzung von Sex und Magie könnte Camp nur ironisch zitieren.

Es ist die absolute Ironieresistenz in diesem Thome-Film, die ihn so schwer genießbar macht bei gleichzeitiger Interesselosigkeit an jeder einzelnen Person. Einzig dem von Vadim Glowna gespielten alten Mann wird ein gewisses Gefühl von Rührung entgegen gebracht. Man denke nur an die Zeit, die darauf verwendet wird zu zeigen, wie er sein Hotelzimmer des Nachts verlässt, um ins Nachbarzimmer seiner Angebeteten zu kommen oder wie er ihr mit Hingabe ein Getränk mixt, das sie gefügig machen soll. Sein Leiden erreicht zuweilen den Erdboden.

In Interviews während der Dreharbeiten in Italien hat Thome von seinen eigenen Depressionen zu dieser Zeit erzählt und wie er sie überwand, indem er sich neu verliebte.

Lovers,
are very special people
they are the luckiest people in the world.

Filmfragen

Ein sehr verdichteter Film wird nicht auf Anhieb sein Bestes geben. Zunächst wird man in ihm das sehen, was dem gleicht, was man schon gesehen hat. (Es müsste in Paris ein ganz kleines, sehr gut ausgestattetes Kino geben, wo nur ein oder zwei Filme pro Jahr gezeigt würden.)

SORGE DAFÜR DASS MAN DIR GLAUBT. Wenn Dante im Exil durch die Straßen von Verona spaziert, wird gemunkelt, dass er in die Hölle geht, wann immer er will, und von dort Neuigkeiten mitbringt.

(Aus: Robert Bresson, Notizen zum Kinematographen, Alexander Verlag Berlin, 2007)

Samstag, 11.08.2012

It’s cool inside


Mönchengladbach, Busbahnhof, Lux Kino


Los Angeles, Anouk Aimée


Model Shop (1968 Jacques Demy)


Lissabon, Animatógrafo do Rossio

Gerade sehr neugierig geworden auf einen Exorzismus-Film mit Daliah Lavi, Il Demonio (1963 Brunello Rondi), der entstand zwischen den sündhaft schönen Filmen, die Vincente Minnelli, Mario Bava und Hugo Fregonese zu jener Zeit mit Daliah Lavi drehten.

Stille Vorfreude außerdem auf einen Striptease-Film mit Margarete von Trotta und Dunja Rajter, Tränen trocknet der Wind… (1967 Heinz Gerhard Schier) – am Mittwoch im Kölner Filmhauskino, um 21:30.

Bis dahin: Musik, die vor der Sonne flieht. Miss Nevada 1963, Cheryle Thompson: „Black Night“ (1964)

Freitag, 03.08.2012

Jean-Marie Straub et Danièle Huillet: Écrits (Independencia éditions, Paris 2012, 287 S.)

September 1954 hat der 21jährige Jean-Marie Straub für ‚Rythmes 54’ in zwei Teilen vom Filmfestival in Venedig berichtet: „Die Eröffnungsveranstaltung – der Vorstellung von Rear Window gewidmet – war ein wahres Geschenk für die Anhänger Hitchcocks, zu denen ich mich zähle.“ Der zweite Artikel befasst sich ausführlicher mit Touchez pas au grisbi von Jacques Becker, mit Shichi nin no samourai (Die sieben Samourai) von Akira Kurosawa, mit dem bulgarischen Film Poème de l’homme von Borislav Charaliev und vor allem mit El río y la muerte von Luís Buñuel. Dessen „verborgene Bedeutung“ sieht Straub in der Faszination Buñuels mit der Tradition Mexikos – welchen Umgang mit dem Tod man da pflegte und wie das, was „Kultur“ genannt wird, dem entgegensteht. Eindruck hinterlassen hat bestimmt auch Sanshô dayû von Kenji Mizoguchi.
Februar und März 1955 vier Artikel in ‚Radio Cinéma Télévision’: über die Bedeutung des Christlichen im Werk Rossellinis und über fünf Rossellini-Filme, die in der aktuellen Spielzeit anliefen (auch über Projekte: Straub hatte offensichtlich persönlichen Kontakt mit Rossellini). Der „dumpfen Selbstgefälligkeit“ Henri-Georges Clouzots (Les Diaboliques) und Léo Joannons (Le Défroqué) werden Filme von Howard Hawks, Orson Welles, Nicholas Ray, Alfred Hitchock und Robert Bresson entgegengestellt: „Verachtung und Liebe. Auf der einen Seite, setzt man den Zuschauer herab, indem man behauptet, ihm den hässlichen Spiegel der heutigen Realität vorzuhalten; auf der anderen Seite wird das Publikum erhoben, indem man es teilhaben lässt am Wunder einer transfigurierten Realität.“ Letzter Artikel: „Wer ist Nicholas Ray?“ – Straub beschäftigt sich mit der Art der Einstellungen bei Ray, und kommt dann auf das Hauptthema zu sprechen: die männlichen Akteure (etwa Humphrey Bogart, Robert Ryan) als „Gefangene der Gewalt“ – und wie die Begegnung mit einer Frau es ist, die sie sich besinnen und ihren inneren Frieden finden lässt. In Johnny Guitar – für Straub ein stendhalscher Film – entziehen sich am Ende nur Vienna und Johnny Guitar der Spirale der Gewalt und des Hasses. Der Text (verfasst zusammen mit Daniel Kostoveski) endet mit einem Zitat aus Rivettes Kritik zu The Lusty Men (die wäre deutsch nachzulesen in ‚CICIM’ 24/25, München, Januar 1989: Jacques Rivette, Schriften fürs Kino).
Es folgen dann, ab 1962, all die kleinen und grösseren Texte zu den einzelnen Filmen, diverse Stellungnahmen, Hinweise, Arbeitsmaterialien, Handschriftliches (vor allem in der ‚Filmkritik’, in ‚Cahiers du cinéma’ und ‚Filmcritica’), auch das schöne kleine Spottlied „Il était une fois un petit cinéaste“ von 1962 (!), das erst 2001 veröffentlicht wurde und auf der DVD-Ausgabe von Pedro Costas Onde jaz o teu sorriso (Wo liegt Euer Lächeln begraben?, 2001) mit der Stimme von Straub zu hören ist. Zwei Texte, schreiben die Herausgeber Philippe Lafosse und Cyril Neyrat im Vorwort, seien endgültig verloren: ein siebzigseitiger Text von Straub aus den fünfziger Jahren, der die „Architektur des Films“ Cronaca di un amore von Michelangelo Antonioni untersuchte, und die von Danièle Huillet 1954 besorgte Übersetzung von „The Art of Fugue, Bach’s last Harspicord Work. An Argument“ von Gustav Leonhardt (1952).

Der zweite Teil des Buchs ist mit ‚Portfolio’ betitelt: das sind Fotografien aus der Sammlung von Renato Berta, von ihm selbst kommentiert.

Der dritte Teil – ‚Atelier’ – stellt überaus detaillierte, umsichtige, vorausschauende (meist maschinengeschriebene) Briefe von Danièle Huillet etwa an Renato Berta, Willy Lubtchansky, Caroline Champetier vor, die als „feuille de route“ der Vorbereitung von Dreharbeiten dienten – kommentiert von Jean-Marie Straub. Folgen Notizen bei der Drehortsuche und den Proben, Drehpläne, ein „annotierter“ Drehbuchauszug von Ouvriers, Paysans, der Kommentartext von Une visite au Louvre („Der verrückteste Kampfplatz in diesem Bereich“, sagt Straub. „Wir haben Julie Koltaï bis zum letzten Detail geplagt … Weil das ein Off-Kommentar war, musste das noch genauer sein als ein gefilmter Text“) und dann die dichten, farbigen Eintragungen sowohl von Danièle Huillet wie Jean-Marie Straub für die Darsteller im Textbuch von Ces Rencontres avec eux. Die Pressedossiers (von denen ebenfalls einige abgedruckt sind) seien seine Sache gewesen, für die habe sich Danièle nur halb interessiert, sagt Straub. Er habe sie zusammen mit Jean-Paul Archy gemacht: „einem manischen, typisch französischen Typographen, einer von der Art, die man 1871 erschossen hat – die Kommunarden waren mehrheitlich Schriftsetzer.“
(Übersetzungen von mir.)

Samstag, 28.07.2012

Emil Jannings

Im Tagesspiegel vom 26. Juli fragt sich Frank Noack, woran es liegen mag, dass Emil Jannings so ganz und gar vergessen ist und antwortet darauf gleich selbst: es liegt „wohl eher an einem generellen Desinteresse an der Schauspielkunst früherer Epochen.“

Ich hätte dazu noch ein paar andere Antworten: es liegt auch an dem generellen Desinteresse für deutsche Filmgeschichte. Und die, die sich überhaupt noch dafür interessieren, teilen die Filmgeschichte so ein: bis 1933 und etwa ab 1965 – ich setze hier mal Kluges „Abschied von gestern“ als Zäsur – interessant, innovativ, spannend. Zwischen 1933 und 1965 liegen Sumpf, Nebel und Moor, die Leichen des deutschen Films, Wüste und Ödnis, Verdrängung und Propaganda. Da sehen wir nicht hin, wir wissen sowieso Bescheid, das ist ja alles Mist und Papas Kino und Opas Kino.
Leider stimmt das auch noch zum großen Teil und es stimmt natürlich genauso wenig als wenn ich jetzt sagen würde: alle Filme der Berliner Schule sind einfach stinklangweilig und öde, stinkende Moorleichen der Luxusproblematiker. Das eine ist so falsch wie das andere.
Es ist ja wirklich so, dass man sich vieles ansehen muss, um einiges Gutes zu entdecken. Das ist halt Arbeit, die wir uns nicht antun wollen. Deswegen sparen wir uns das und haben dann mangels Wissen gar keine Argumente mehr gegen die, die uns weiß machen wollen, dass der Film zwischen 1933 und 1945 eigentlich unpolitisch war, und wenn es dann politisch wurde, dann war nur Herr Goebbels schuld. Im Grunde war ja die ganze Filmindustrie unpolitisch und Anti-Nazi. Gab es außer Leni Riefenstahl überhaupt irgendjemanden, der mit dem System paktiert hat und nicht weiterfilmen durfte? Karl Ritter, NSDAP-Mitglied und Regisseur militaristischer Propagandafilme, durfte selbstverständlich in der Bundesrepublik weiterfilmen. Er behauptete allen Ernstes, er hätte im Dritten Reich lieber Märchenfilme gedreht als seine Fliegerfilme. Man ließ ihn reden, damit nur ja keine Diskussion aufkommt.

Was hat das nun alles mit Jannings zu tun? Jannings hat ebenfalls in einigen schlimmen NS-Filmen wie „Der Herrscher“ mitgespielt, und das fällt ihm natürlich bei denen, die die Filme kennen, zentnerschwer auf die Füße. Es liegt halt nicht „an dem generellen Desinteresse an Schauspielkunst“, sondern auch daran, dass sich keiner, der sich mit dem  Film-Erbe beschäftigt, durch ein Dickicht von Lügen und Beschönigungen kämpfen will. War Jannings nun Gegner, Mitläufer, Opportunist oder vielleicht auch Täter? Oder welche anderen Kriterien greifen hier? Man hätte es gern gewusst, aber es ist wohl zu mühsam, auch darüber noch nachzudenken.

Es ist schon symptomatisch, dass Frank Noack, der ein Buch über Jannings geschrieben hat, im Tagesspiegel einen Beitrag über Jannings schreibt und darauf hinweist, dass er ein Buch über Jannings geschrieben hat. Übrigens hieß „Madame Dubarry“ in den USA nicht „Power“, sondern „Passion“. Woran mag es nur liegen, dass man nicht einmal die Filmtitel richtig auf die Reihe kriegt?

Werner Sudendorf


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