Juni 2007

Freitag, 22.06.2007

Für Berry

STECKBRIEF 7-73 (HE RAN ALL THE WAY) Shelley Winters und John Garfield. Morgen früh um 3:05 in der ARD, gute Zeit für diesen ganz großen kleinen Film von 1951. Musik: Franz Waxman. Kamera: James Wong Howe. Unter den Drehbuchautoren: Dalton Trumbo (uncredited, blacklisted). Regisseur John Berry floh im selben Jahr vor der Kommunistenjagd (als man in seine Wohnung eindrang) durchs Fenster. „A friend of mine said, ‚It might not be six months [in jail], it could be for years. You’ve got to know that you could crack.‘ I think I’m enough of a resister. I don’t think I would have cracked. Anyway, he told me to go out on the road for a while — some guys had already been sentenced. So I went, as if I were a dangerous criminal. I did that for six weeks. Then I made my way to France.“ Das Kino MacMahon zeigte, als er 1999 in Paris starb, noch mal zu seinen Ehren HE RAN ALL THE WAY.

Donnerstag, 21.06.2007

Frage an den Leser

Stellen Sie sich vor, Ihnen fiele im Elektrofachhandel „Der BRD-Film-Kanon 1949-1990 als DVD-Edition im Schlangenlederschuber“ in die Hände. Interessiert läsen Sie die Liste der Filme: ALRAUNE (Arthur Maria Rabenalt, 1952); DER CORNET (Walter Reisch, 1955); BARBARA – WILD WIE DAS MEER (Frank Wisbar, 1961); DIE ENDLOSE NACHT (Will Tremper, 1963); OLD SHATTERHAND (Hugo Fregonese, 1964); EIN ARBEITERCLUB IN SHEFFIELD (Peter Nestler, 1965); PLAYGIRL (Will Tremper, 1966); MÄDCHEN MIT GEWALT (Roger Fritz, 1969); NICHT FUMMELN, LIEBLING (May Spils, 1969); BRANDSTIFTER (Klaus Lemke, 1969); ENGEL, DIE IHRE FLÜGEL VERBRENNEN (Zbynek Brynych, 1969); ROCKER (Klaus Lemke, 1971); CHAPEAU CLAQUE (Ulrich Schamoni, 1973); PAUL (Klaus Lemke, 1974); DIE HAU SCHAU (Arend Agthe, 1975); AMORE (Klaus Lemke, 1978); MONARCH (Manfred Stelzer & Johannes Flütsch, 1979); JOHNNY FLASH (Werner Nekes, 1986); SUKKUBUS (Georg Tressler, 1988);
DER MANN AUS DEM OSTEN (Christoph Willems, 1990); LEBEN BRD (Harun Farocki, 1990). Nehmen wir einmal an, Sie wären mit der Auswahl nicht restlos glücklich. Das mag ja sein. Die kommende Ausgabe von Sigi Götz Entertainment wird einen weitaus umfassenderen und verbindlich gültigen Sub-Kanon des deutschen Films vorstellen. Die heutige Frage aber gilt nun lediglich dem Filmtitel, den Sie in der Liste am meisten vermissen und der Sie, wäre er im „BRD-Film-Kanon 1949-1990“ enthalten, spontan zum Kauf der ganzen DVD-Edition im Schlangenlederschuber verführen würde? Gefragt ist nach einem einzigen Film. Überlegen Sie gut, Sie haben Zeit.

Mittwoch, 20.06.2007

* Als zöge man sich klobige Holzpantinen an die Füße zum Tanzen.

Sonntag, 17.06.2007

If it’s the Madonna who says so

In Tag Gallaghers 900-seitiger Rossellini-Biographie erfährt man Einiges über den Entstehungs- und Rezeptionskontext seines vermeintlich reaktionären letzten Kinospielfilms Anno uno, der vergangene Woche im Arsenal lief und von Lukas Foerster nicht zu unrecht verteidigt wird. Rossellinis Film über Alcide de Gasperi war vom Parteichef der Christdemokraten Amintore Fanfani und dem mindestens nationalkonservativen Industriellen Edilio Rusconi initiiert worden. Rossellini entwickelte Anfang der 1970er erstaunlich disparate Projekte und Kooperationen: mit dem American Film Institute war ein Film über die Amerikanische Revolution in Vorbereitung, der Washington, Paine und Turgot in ein ideengeschichtliches Gespräch verwickelt hätte; es gab ein Diderot- und ein Marx-Projekt; 1973 hoffte Rossellini, dass der Shah von Persien, Mohammed Reza Pahlavi, einen Film finanzieren würde, der den Arbeitstitel „Die Geschichte des Islam“ trug; durch Vatikan-Kontakte war Rossellini Anfang der 1970er Jahre auch bereits mit dem TV-Produzenten Father Patrick Payton im Gespräch, der am Messias-Projekt interessiert war. Gallagher behauptet, Payton sei unvermittelt in Rossellinis Hotelzimmer aufgetaucht und hätte, während sich die Geliebte des Regisseurs, Silvia D’Amico, auf dem Bett räkelte, Rossellini mitgeteilt, dass ihm die Madonna erschienen sei, mit der Botschaft: „You must make a film on the Messiah and the director has to be Rossellini.“ Darauf Rosselllini: „Well, if it’s the Madonna who says so…“. Silvia D’Amico war es auch, die in Anno uno als executive producer fungierte. Die D’Amico-Familie wurde dem Visconti-Clan zugerechnet; um mit Silvia D’Amico zu leben, der er ausgerechnet am Sterbebett von Anna Magnani näher gekommen war, verließ Rossellini nicht nur seine Frau Sonali, sondern brach auch mit einer ganzen Reihe politischer Freunde, die ihn nun auf der falschen Seite wähnten und sich mit dem Gasperi-Projekt doppelt bestätigt sahen. Die Unterschrift bei Rusconi, den die Linke als Neo-Faschisten betrachtete, war die lukrativste in Rossellinis Karriere. Hinzukam, dass der überzeugte Antikommunist Gasperi, der unter Mussolini über ein Jahr inhaftiert war, bevor er sich dann in die Bibliothek des Vatikans zurückzog, von der italienischen Linken als historische Schlüsselfigur des bürgerlichen Transformismo betrachtet wurde, der die Ideale der Resistenza in eine zwar post-faschistische, aber kapitalistische Gegenwart überführt, also verraten hatte (in Anno uno spricht Gasperi – ob den Diskursen der Zeit oder Rossellinis Haltung geschuldet – von Jesus als dem „ersten Proletarier“). Anno uno steht der historischen Figur Alcide De Gasperi wohl eindeutig zu unkritisch gegenüber – beispielsweise was seine Rolle bei der Inhaftierung ehemaliger Resistenza-Mitglieder und der Freilassung von Größen des faschistischen Regimes anbetrifft. Davon unberührt bleiben jedoch Szenen wie jene im ruralen Süditalien, die Gasperi in einen Raum stellt, der seine demokratische Performanz ästhetisch und politisch einklammert, ihm den rationalen Kern, das Bemühen um gelingende Verständigung aber gerade nicht im Namen einer scheinrevolutionären Idee abspricht: der Rahmen des Bildes als Grenze einer Sprache, auf die auch die Linke nicht verzichten kann.

Freitag, 15.06.2007

Vermischte Nachrichten

* Heute und morgen im Zeughauskino Berlin: 6 Filme mit Danièle Huillet, ausgewählt von Antonia Weiße und Jörg Frieß. Danièle Huillet. Filmemacherin im Film.

* Seit gestern im Filmtheater Friedrichshain und Cinéma Paris: 7. Französische Filmwoche, unter anderem mit „Dans Paris“ und „Lady Chatterley“.

* „Lady Chatterley“ kommt auch, in der 40 Minuten längeren TV-Fassung, am kommenden Freitag auf arte (22.06.07, 20.40 Uhr).

* Nebenan in Christoph Hochhäuslers parallel film-blog findet zurzeit so etwas wie eine kleine David Lynch-Debatte statt.

Montag, 11.06.2007

Ousmane Sembène (1. Januar 1923 – 9. Juni 2007)

* David Murphy: An African Brecht

Langtext-Hinweis

* Diedrich Diederichsen: KINO WIE NOCH NIE

11. Mai 2007, Einführung zur gleichnamigen von Antje Ehmann und Harun Farocki kuratierten Ausstellung, die noch bis zum 8. Juli 2007 in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin-Tiergarten zu sehen ist. Dank an Diedrich Diederichsen.

Donnerstag, 07.06.2007

Kino-Hinweis

Wer sich für Dokumentarfilme interessiert und den Film noch nicht kennt, könnte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit heute gegen 21.57 Uhr zu dem Schluss kommen, dass er sich mit der Entscheidung, 117 Minuten zuvor, also um 20.00 Uhr, im Zeughaus-Kino den Film „Von wegen ‚Schicksal'“ (BRD 1978, Regie: Helga Reidemeister) anzusehen, den ich von einer Fernsehausstrahlung vor circa 8 Jahren als den heftig-verstörenden Eintritt von etwas So-Noch-Nicht-Gesehenem in meine Kinobiographie erinnere, einen Gefallen getan hat.

Mittwoch, 06.06.2007

Gegen Bresson

Der Filmclub 813 zeigt im Juni Filme von Robert Bresson, auch aus finanziellen Motiven. Würde man Filme von Jacques Becker zeigen, käme keine Sau. Zeigt man Bresson, ist das Haus voll. Seine „Kinematographen“-Filme sind solides Storyboard-Kino, geadelt durch ehrenwerte Sujets: diffus Religiöses, hohe Literatur, wahre Begebenheit.
In „Ein zum Tode verurteilter ist entflohen“ waschen sich die Gefangenen immer und immer wieder nur die Hände und den Mund. Mozart untermalt jeden Hofgang, wie aus Lautsprechern in diktatorischen Ländern. Von Ängstlichkeit diktiert: Der alles erklärende Kommentar. „Was für eine Tristesse…“ meinte Jacques Rivette damals. Die „verwüstete Fresse“ (Rivette) des Hauptdarstellers Letterier. Was soll man denken? Handarbeit macht froh, Folter existiert nicht. Nie wird eine Zelle durchsucht, nie wurde Faschismus harmloser dargestellt. Die Gefangenen tuscheln in theologischen Schlagworten, der Klassikerkonsum wird Kirchentagsbesuch. Kino für Abiturienten in Begleitung ihrer Großmütter.

Fliehend, völlig unbehelligt, den Zurückbleibenden ein heiliges Beispiel gebend, so möchte mancher junge Filmemacher, mit Bresson als Vorbild, auch heute erfolgreich tätig sein. „Ein Bild muss… Ein Ton soll niemals… Unterdrücke radikal… Desto größer ist der Erfolg… Einen Film vorbereiten wie eine Schlacht… Du diktierst… Diese schrecklichen Tage, an denen ich das Drehen verabscheue, an denen ich erschöpft bin, ohnmächtig vor so vielen Hindernissen, sind Teil meiner Arbeitsmethode.“ Das ist der Klang seiner „Noten zum Kinematographen“. „Kann sein, daß nach der Lektüre man sich ganz neu um seine bewunderten Filme bemühen muß,“ meinte Frieda Grafe 1980. Kurz sprach sie da mal von der „Plattheit“ seiner Filme.

Ein wirklich geheimnisvoller Satz in Bressons „Noten“ steht in Klammern: „(Man müßte in Paris einen ganz kleinen Saal haben, sehr gut ausgestattet, wo nur ein oder zwei Filme im Jahr gegeben würden.)“ Seinem Publikum würde das gefallen, nur ein oder zwei Filme im Jahr. Wo war Verblödung durch Askese je so auffällig? Truffaut: „Die Möglichkeit einer zukünftigen Bresson-Schule versetzt selbst wohlwollende Beobachter in Schrecken.“ Aber Truffaut widerrief schon 1956 diesen Satz, beinahe ängstlich, „denn die Zeit, das sollten wir nicht vergessen, arbeitet immer für Bresson.“ Also, sagen wir es, gegen Pagnol, Guitry, Franju, Mocky… gegen das Lebendige ganz allgemein. Und andererseits mag ich doch die Schüler des strengen Lehrbuchmeisters: Aki Kaurismäki, Paul Schrader. Dessen Bresson-Interview von 1977 hat eine wirklich irre Passage.

Paul Schrader: In “Notes” you say “the nude, if it’s not beautiful, is obscene.” Do you feel that the explicit is by its very nature wrong?
Robert Bresson: When it is explicit, it is not sexual. The same as mystery. If you don’t make people guess, there is nothing there.
Paul Schrader: I believe that sex is mysterious whether you see it or not.
Robert Bresson: Yes, but when you see too much, it is not mysterious anymore.
Paul Schrader: Even if you see it all it is still mysterious.
Robert Bresson: Only what is lovely – sexual life is beautiful – but how they do it in pornographic films is ugly and dirty.
Paul Schrader: But could you not show pornography – show people fucking – and also be mysterious?

Ken Wlaschin schrieb 1969 in seinem klugen Büchlein „BLUFF YOUR WAY IN The Cinema“ über Bresson: „…very close to canonisation as the best of all time. You can call him the Jansenist of the French cinema, talk about the religious basis of all his films (even „Pickpocket“) (…) but be wary of calling him slow or dull.“
Und über Fellini: „Fellini has become so popular that you can dislike him if you wish.“
Und: „If you like Antonioni, you’re not supposed to like Fellini.“

Montag, 04.06.2007

Mundial 1982 – Slow motion (Serge Daney)

„In front of the small image, the TV spectator has a handicap. Or a privilege (depending on his degree of perversity). At certain moments in the game, he subconsciously asks himself a question which until now, only concerned cartoon lovers: is the ‚injured‘ player going to get back up again? Regularly, a body, doubled up with pain, is left on the field. Everything is possible. Real pain (and we expect the game to be stopped, we look for the medics, we are upset with the camera for moving casually to other things). Exaggerated pain (the player gets back up again, drags himself for one meter, limps for two and sprints for three). Put on pain (as soon as he is off screen, certain of having failed to move the referee to pity, he gets up and runs like a gazelle). It is a game between the players and the referee of course. And it is too bad that the camera doesn’t know how to film it well. Nevertheless: for a few seconds, there is what makes cinema happy, its powerful force: indecisive shots, enigmatic pictures, bodies under threat.“

* Serge Daney in English


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