2010

Montag, 24.05.2010

30/100

Die Geschichte vom amerikanischen Experimentalfilmer, der seinen Papagei auf den Namen „Peenemünde“ taufte und ihm die Worte „The End is nigh!“ beibrachte – eine düstere Parole, die der gelehrige Vogel am Himmel kreisend lautstark wiederholte, bis jemand vom Boden aus „Repent! Repent!“ rief, um ihn von seinen apokalyptischen Bahnen herunterzuholen.

Sonntag, 23.05.2010

Kleine Bücher

Mark Betz’ schöner Artikel über die Little Books und ihre Konjunkturen verfolgt den einleuchtenden Gedanken, dass die Entstehung und Geschichte akademischer Disziplinen eng mit den Publikationspraktiken von Verlagen zusammenhängt. Im Falle der Film Studies: Mit Filmbuchreihen und ihrer Ausrichtung, mit dem Verhältnis von nicht-akademischen und akademischen Autoren, mit Auflagenstärken und Schreibweisen. Und, nicht zuletzt: Mit der Größe der Bücher.

Little Books versteht Betz ganz handfest als „a small-format publication – usually around 18 cm x 13,5 cm (7 in x 5.25 in) – published in series, often by a trade publisher, and purchased more or less cheaply by an audience not primarily, or at least not exclusively, academic.“ Betz rekonstruiert die Konjunkturen und Hintergründe dieser Buchreihen, insbesondere seit den 60er Jahren; auf seiner Website am King’s College London kann man eine ausführliche Bibliographie der Bücher, Publikationsdaten und Phasen abrufen. Nach anfänglichen eher plätschernden Wellen (1933 bis 1958) und einem Anstieg der Produktion 1959 bis 1964 sind zwei große Phasen der Little Book-Produktion zu verzeichnen: Eine erste zwischen 1965-1971 und eine zweite zwischen 1972-1980. Danach gerät die Produktion dieser preisgünstigen Publikationen zu Regisseuren, Strömungen oder theoretischen Konzepten ins Stocken bzw. wird abgelöst von den dicken Wälzern akademischen Zuschnitts, für die sich nicht mehr die Publikumsverlage, sondern amerikanische University Presses zuständig fühlen. Erst ab Mitte der 90er Jahre tauchen die Little Books wieder verstärkt auf, erneut – wie in den ersten beiden Phasen – eher von britischen als von US-amerikanischen Verlegern und insbesondere dem BFI initiert; die BFI Film Classics sind wahrscheinlich das bekannteste Beispiel dieser Renaissance, während für den Übergang von Phase I zu Phase II Peter Wollens Signs and Meaning in the Cinema die weitreichendsten Folgen hatte.

In Großbrittanien wirkten die Bücher Anfang der 70er Jahre als Scharniere zwischen unterschiedlichen filmbegeisterten Milieus und Institutionen. Die Filmkultur, die im einzelnen vielleicht nicht weniger parzelliert war als später, kannte jedenfalls noch nicht in die scheinbar klaren Zuständigkeitsgebiete „Universität“, „Filmkritik“ oder „Theorie“. Das zeigt sich auch an den alltagspraktischen Anbindungen der Bücher an Orte und Öffentlichkeiten. Insbesondere die BFI-Publikationen – Richard Dyers Gays and Film oder Sylvia Harveys May ‘68 and Film Culture – begleiteten Filmreihen im National Film Theatre, dem Hauskino des BFI, andere wurden vom Edinburgh Film Festival im Rahmen von Retrospektiven herausgegeben oder flankierten die jährlichen Summer Schools, die das BFI in britischen Unis veranstaltete. Der Begriff „mortar“ fällt bei Betz in diesem Zusammenhang einige Male, und, wichtiger noch: „debate culture“. Wie Kitt oder Mörtel vermittelten die Little Books zwischen den Milieus und Geographien. Zwischen Cinéphilen, Filmkritikern und anderen, die professionell mit dem Kino zu tun hatten. Leser war, auch weil es noch keinen disziplinären (und disziplinierenden) Zusammenhang gab, eine breitere Filmöffentlichkeit, die in den Büchern ganz unterschiedliche Dinge suchte (und fand).

Ergänzend zu Betz’ Text kann man sehr gut das Gespräch lesen, das Peter Wollen und Laura Mulvey im gleichen Band führen und das die gleiche Phase zum Ende der 60er Jahre hin umkreist. Man bekommt sofort Lust, mehr über Paddy Whannel zu erfahren, der in dieser entscheidenden Phase das Educational Department des BFI leitete und Leute wie Wollen um sich herum versammelte. Whannels Working-Class-Hintergrund, die abgebrochene Schullaufbahn, grenzenlose Begeisterung für das amerikanische Kino…

An den Little Books lassen sich, so Betz, auch einige der Ungleichzeitigkeiten und Unterschiede festmachen, die sich zwischen den amerikanischen und britischen Film Studies entwickelten. Am interessantesten vielleicht die folgende Beobachtung: „Ironically, the BFI Monographs represent an apogee of the little book at the same time as they sowed the seeds for its decline. For the BFI monographes were (selectively) consumed, along with Screen, by the first university-trained generation of american film studies scholars who would reach their terminal degrees in the late 1970s and then go on to publish much lengthier treatises with university presses in the 1980s. In Britain they were intended for and purchased by a wider audience, as contributions to a ‚debate culture’ not centered in the university but on its fringes and dealing with aspects of popular culture in Britain, whether that be American cinema or national television.“

Natürlich würde man gern eine ähnlich präzise Rekonstruktion der Little Books für den deutschsprachigen Raum lesen. Hier gibt es faktisch keine University Presses, und das Feld der ernstzunehmenden Filmbuchverlage ist erschreckend überschaubar. Trotzdem gab es auch hier eine Kultur der großen kleinen Bücher. „Fischer Cinema“, die Reihe Hanser, die Buchreihen von Seeßlen und anderen bei Rowohlt. Viele Übersetzungen aus dem Französischen, die meisten davon von Grafe/Patalas. Kommt mir das nur so vor, oder versickerte diese Taschenbuchkultur auch hier schon Mitte der 80er Jahre?

***

Ach ja, wo ich gerade von kleinen Büchern spreche: Vielleicht kann ich diesen Eintrag zum Anlass nehmen, auf das Erscheinen eines Little Book hinzuweisen. Es ist 10 x 16 cm
 groß, 112 Seiten dünn, enthält 30 schwarz-weiße Abbildungen und hat in etwa die Röte des Rots von Technicolor. Der Titel ist Ränder des Kinos. Godard – Wiseman – Benning – Costa. Es kostet 9 Euro und 80 Cents und ist von mir so geschrieben worden, dass es in jede gutsortierte Jackentasche hineinpasst.

[Mark Betz: Little Books, in: Lee Grieverson / Haidee Wasson (ed.): Inventing Film Studies, Durham/London: Duke University Press 2008. S. 319-349; die vollständige Bibliographie der Little Books hier (ganz unten auf der Seite)]

Valeur humaine du cinema


Amerikaner mit Gesicht, Bechers Backhaus, Köln

Wer ist dieser Michel Dard, aus dessen Buch, „Valeur humaine du cinema“ (Paris, 1928), Siegfried Kracauer zitiert? Im Kino „sind wir Brüder der Giftpflanzen, der Kieselsteine…“.

Mir gefällt auch, daß „das Kino alle Dinge aus ihrem Chaos heraushebt, bevor es sie wieder ins Chaos der Seele eintaucht“.

Freitag, 21.05.2010

Fremd gestellte Blicke

„Unvollkommenheit als Menschenrecht“- diese schöne Lektion hat Romuald Karmakar aus seiner Zeit als Punk herübergerettet. So zitiert ihn Tobias Ebbrecht in seiner kleinen, feinen Studie. Er bringt nicht nur die politische Position des Künstlers in Erinnerung, sondern leistet eine genaue Abgrenzung von dem, was bei anderen filmischen Bearbeitungen „seiner“ Themen in den letzten Jahren so schrecklich falsch lief: „Karmakars Geschichten aus Deutschland unterscheiden sich fundamental von den zahlreichen Geschichtsfiktionen der letzten Jahre von „Napola“ bis zu „Der Untergang“.

Bilder hinter den Worten, 2010, Reihe Filit im Verbrecher Verlag, Band 5, 13 €

Dienstag, 18.05.2010

Langtexthinweis

* Stefanie Schlüter: „Around my way“ – Anmerkungen zu einem kleinen Juwel

Montag, 17.05.2010

‚You, me, watch.‘

„The legendary French film director Jean-Luc Godard, whose latest work, Film Socialisme, is showing at Cannes this week, has decided to run its subtitles in ‚Navajo English‘ as in old Westerns where the Native Americans spoke in choppy phrases. Because the drama takes place on a cruise ship where no one speaks the same language, Godard has fashioned his subtitles concisely to say the least. If a character is saying „give me your watch“, the subtitle will read ‚You, me, watch.‘ “

* Godard/Cohn-Bendit
[via cargo]

Sonntag, 16.05.2010

shomingeki 22

Die neue Nummer 22 von shomingeki ist da. Darin findet sich etwa ein Gespräch mit Tag Gallagher, dem großen John Ford-Forscher, – zeitnah zur Gelegenheit, im Kino Arsenal den Filmen des Regisseurs wieder zu begegnen.

www.shomingeki.de

Donnerstag, 13.05.2010

Paukenschlag

Einstellung aus dem Hubschrauber. Die Stadt. Ransprung in eine Übersichtsszene auf dem Boden, unterlegt mit einem soundbearbeiteten Paukenschlag und Blitzbildeffekt. Ransprung in eine nähere Einstellung des Geschehens mit Paukenschlag und Blitzbildeffekt. Ransprung an den Hauptdarsteller. Paukenschlag. Blitzbildeffekt. Zoomeinengung des Gesichts. – Lichtgeschwindigkeitssprünge. Bild- und Toneffekte künden davon, dass hier Großes vor sich geht. Und in IM ANGESICHT DES VERBRECHENS geht oft Großes vor sich. Die Bewegungslinie der Bildentwicklung sagt, dass mit diesen Effekten Einschränkungen von statten gehen. Nichts wird aufgestoßen, Türen fallen ins Schloss. Innerhalb des Molochs Großstadt soll uns diese eine kleine Szene interessieren, dieses eine Schicksal. Die Anstrengung dieser Konzentration ist mit sicht- und hörbaren Reibungsverlusten verbunden. Das kleine Problem steht immer in einem großen ganzen Zusammenhang. City that never sleeps. Wird mitgedacht. Soll.

Atemlosigkeit, besser: atemberaubend. Mittels Einstellungsüberflutung. Nach einem Dialogsatz wird für den Folgesatz in die selbe/gleiche Einstellung geschnitten. Der feine, aber wahrzunehmende Bruch verhindert, dass Langeweile sich breit macht. Keine Löcher. Keine Ruhe. Schauspieler halten. Auch beim Singen entscheidet sich an den ausgehaltenen Tönen, ob es sich um Schreien oder freie Resonanz handelt. Dagegen Riemelts ausgeglichenes Gesicht – schlauer zwar, aber gegenüber einer undurchsichtigen Welt ähnlich dauer-staunend wie Martin Sheen in APOCALYPSE NOW.

Erinnerung. Wir erinnern uns. Wir müssen uns erinnern an den zweiten Weltkrieg und deutsche Panzer in der Ukraine – heute wie die tote Mutter in THE NIGHT OF THE HUNTER auf den Seegrund verbannt, an den toten Bruder, an die Fortsetzungsfolgen zuvor. Wir erinnern uns viel. Erinnerung wird in Worten erzählt, aber auch ins Bild gesetzt. Ein-eindeutig. Eine Serie hat, zumindest wie man sie aus den USA kennt, Erinnerung eigentlich nicht nötig, entwickelt Gegenwart im Moment. Es ist ja auch keine. So wie BERLIN – ALEXANDERPLATZ auch keine ist. Auch dort immerzu Erinnerung.

Vorschlag zur Kategorisierung: Heimatfilm.

Parallel auf Arte eine wohl als Doku-Serie gemeinte Reihe: DEUTSCHLANDS KÜSTEN. Auch diese Produktion hatte einen Hubschrauber zur Verfügung. Wenn von der Aufsicht in eine Bodeneinstellung geschnitten wird, gibt es einen Wom-Effekt im Ton und eine Art Shutter im Bild.

Nach langem Zögern

Der Marquis de Saint-Cricq war eine Quelle unergründlicher Narreteien.
„So schritt er eines Tages in Holzschuhen an der Spitze eines von ihm formierten Zuges leerer Mietwagen über die Boulevards, befahl der Riesenprozession, vor Tortoni zu stoppen, ließ sich drei Portionen Eis aus dem Lokal kommen, aß eine davon und füllte sich nach langem Zögern mit den beiden übriggebliebenen die Schuhe.“
(Siegfried Kracauer: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit)

Das neuste SigiGötz-Entertainment ist (schon seit einigen Tagen) im Umlauf.
Das Heft ist für 2,50 Euro (plus 1 Euro Versandkosten) zu bestellen bei Ulrich Mannes.

Sonntag, 09.05.2010

Premiere im Netz: FILM SOCIALISME

Internetpremiere von Jean-Luc Godards Film FILM SOCIALISME als Video on Demand, zeitgleich mit seiner Projektion in Cannes am 17. und 18. Mai auf dem Portal FILMOTV. Einen Tag später dann in Frankreich im Kino.


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort