„Fritz Bauer – Tod auf Raten“
„Fritz Bauer – Tod auf Raten“ von Ilona Ziok, 97 Minuten – gesehen am 6. November 2010, um 18 Uhr 30 im ‚Zeughauskino’ in Berlin (der Film wurde im Rahmen dieses bundesweiten Filmfestivals ‚UeberMut’ gezeigt).
Ein Film, wiedermal, der mit seinem ‚Material’ höchst durchschnittlich umgeht (z.B. ein paar Crosscutting-Mätzchen einbaut, die völlig fehl am Platz sind) – dennoch sehr interessant, weil es eben um Fritz Bauer geht, über den man schon lange gerne ein bisschen mehr wissen möchte. Denn wenn es eine bundesrepublikanische Figur gibt, über die mehr ‚geraunt’ als gewusst worden ist, so ist er das. Als wir im Raum Frankfurt 1989 zu Dritt den Film „Kalmenhofkinder“ von Nico Tscheschner drehten, tauchte sein Name ‚legendenhaft’, wie mir schien, einige Male auf – und zwar über einzelne Personen, die ihn hochhielten. Dazu gehört sicher auch Peter Nestler, der bei einer Filmveranstaltung im ‚Arsenal’ in Berlin auf ein eben erschienenes Buch zu Fritz Bauer aufmerksam machte. (Irmtraud Wojak: „Fritz Bauer 1903 – 1968. Eine Biographie“, München 2009; auch Bd. 23 der ‚Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts’.)
‚Tod auf Raten’ – was soll das heissen? Ziemlicher Schwachsinn. Zu Beginn des Films geht es um den ungeklärten Tod Fritz Bauers, der zu Spekulationen über Mord, Selbstmord, Unfall Anlass gab. Die Selbstmordthese wird von einem hessischen Justizbeamten zurückgewiesen, Bauer habe ja noch um Verlängerung seiner Tätigkeit nachgesucht (er war gerade 65 geworden) – und die sei ihm vom zuständigen Ministerium telefonisch zugesagt worden. Wahr ist andrerseits, dass Fritz Bauer als hessischer Generalstaatsanwalt, der 1963 den Frankfurter Auschwitzprozess initiierte und die Ermittlungen gegen die Täter des Euthanasie-Verbrechens vorantrieb, sich schon Jahre vor seinem Tod in seiner eigenen Behörde wie auf fremdem Territorium bewegte – er, der als Jude aus der Emigration zurückgekommen war und seine ganze Hoffnung auf die nachwachsende Generation setzte. Er hatte es eben tagtäglich mit diesem ganzen Nazigesochs zu tun, das fast nahtlos vom Justizapparat übernommen worden war und seine Einstellung keineswegs geändert hatte – was sich schon abzeichnete, als er 1952 den Remer-Prozess anstrengte (wegen Verunglimpfung der Männer des 20. Juli 1944). Und um 1960 herum, als er den Aufenthaltsort von Eichmann in Argentinien eruiert hatte, hütete er sich sehr, jemanden im eigenen Dienstbereich einzuweihen – er wusste, dass Eichmann sofort gewarnt worden wäre (bekanntermassen lief die Sache dann über den Mossad).
Der Film stützt sich stark auf ein Dokument des Hessischen Rundfunks von 1964: ‚Heute Abend Keller Club’ – ein Gespräch, bei dem Fritz Bauer mit Studenten oder jüngeren Leuten zusammensitzt und über die Nazizeit und die autoritäre deutsche Erziehung redet. (Er war in dem Sinn einer der ersten ‚Antiautoritären’ und ‚Radikaldemokraten’ in der Bundesrepublik.) Thomas Harlan tritt hier wieder auf, im Freien, an seiner Seite der Staatsanwalt Herbert Schneider, und redet nochmal von dieser ‚kalten Amnestie der Schreibtischtäter’ – dem Gesetzescoup, der zwei Nazis (dem NS-Sonderjuristen Eduard Dreher und dem Gestapomann Werner Best) ausgerechnet 1968 gelang, als sie das ‚Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz’ durch den Bundestag boxten. (So gut wie keiner, auch nicht Brandt oder Wehner, schien zu wissen, was er da verabschiedet hatte.) Nachzulesen wäre das in Harlans Buch „Das Gesicht deines Feindes. Ein deutsches Leben“, Interviews mit Jean-Pierre Stephan, Frankfurt am Main 2007, S. 140ff.; Harlan sagt dort auch, wegen dieses Dreherschen Gesetzes habe sich Fritz Bauer, mit dem er befreundet war, 1968 umgebracht – sei ihm doch dadurch all das entzogen worden, wofür er gekämpft habe.
Das alles gehört zum ‚doppelten Boden’ der Bundesrepublik und den Leichen im Keller – das muss erstmal festgestellt und gesehen werden: gegen diese ganze lange Periode, in der man sich vom ‚Historiker’ Kohl einlullen und dann von Merkel weichspülen liess … Es ist nicht so, es war nicht so: wenn Kohl vom Widerstand in der Nazizeit geredet hat (40, 50 Jahre danach) hat er nicht den konkreten (zum Beispiel jüdisch-kommunistischen) Widerstand gemeint, sondern seinen eigenen Widerstand gegen die Nazizeit – es ging allein darum, dass die Bundesrepublik besser dasteht. (Ich erinnere mich noch an den ‚Schweinsgalopp’, mit dem er – ein Bild aus irgendeiner ‚Tagesschau’ – eine Lagerstrasse in Auschwitz mit seinem Tross hinter sich gebracht hat.) Ein weitverbreitetes Phänomen unter Politikern: man will nichts auf sein Land kommen lassen. Der ‚Kongress der Weisswäscher’ lässt grüssen …
Aberwitzigerweise taucht der Name Kohls auch in dem Film von Ilona Ziok auf – und zwar im Zusammenhang einer Diskussionsveranstaltung mit Fritz Bauer: weil der eingeladene CDU-Obere sich der entziehen wollte, schickte er Kohl hin.