Notes on Camera Movement (2)
Kevin B. Lee: Steadicam Progress
The Career of Paul Thomas Anderson in Five Shots.
Kevin B. Lee: Steadicam Progress
The Career of Paul Thomas Anderson in Five Shots.
I think I know the reason why
Producers tend to make him cry
Inevitably they demand
Some stationary set-ups, and
A shot that does not call for tracks
Is agony for poor dear Max,
Who, separated from his dolly,
Is wrapped in deepest melancholy.
Once, when they took away his crane,
I thought he’d never smile again…
[James Mason über Max Ophüls, zitiert in Raymond Durgnat: Films and Feelings, London: Faber and Faber 1967, S. 55-56.]
Ein Coffee Table Book für Kinder, ein Kakao Table Book.
Auszug aus dem Register: Alligatorfrosch, Brillenpinguin, Chamäleon, Doppeltier, Eule, Flamingo, Gespensterheuschrecke, Hackennatter, Igel, Krauskopfpelikan, Laternenträger, Mähnenschaf, Nilpferd, Ordensband, Pangolin, Rüsselkäfer, Schlanklori, Totenkopfschwärmer, Urson, Venuskörbchen, Wollaffe, Zwergflusspferd.
Heino Jaeger schaut Dich an. Eine gute Überschrift für Volker Hummels tollen Text über Gerd Kroskes neuen Film. Der in Köln in keinem Kino läuft. Was mich frostig stimmt.
Um die Three Stooges der Farrelly Brüder zu sehen, fuhr ich raus mit der S-Bahn nach Leverkusen. Vier Elfjährige saßen in der letzten Reihe des ansonsten leeren Kinosaals und lachten sehr viel. Im Abspann wurde erklärt, wie gefährlich es ist, einem Spielkameraden die Finger in die Augen zu stoßen. Die kleine Reise hatte sich gelohnt.
Weil ich nicht nach Oostende fuhr, als dort vor Wochen im Cinema Rialto am Nachmittag The Greatest Show on Earth (1952 Cecil B. DeMille) zu sehen war, komme ich seitdem immer mal wieder, in Gedanken, aus dem Kino raus und gehe am Casino vorbei die paar Meter bis zum Strand…
Was sagt die Wahrscheinlichkeitsrechnung dazu? Innerhalb von 48 Stunden sah ich: Fraktus (2012) mit Jacques Palminger als asymmetrisch frisierter Optiker Wand; W.C.Fields als Optiker Bisbee in You’re Telling Me (1934); eine kurze Optikerszene im unendlich langen Abel-Gance-Film La Roue (1923), und Cronenbergs Videodrome (1983) mit Les Carlson als beängstigendem Optiker, der aussieht wie Frank Schirrmacher. Vier Filme, vier Optiker! Geradezu gruselig. In welchem filmgeschichtlichen Nachschlagewerk finde ich ein Berufsregister (mit der Zahl) der Optiker im Kino?
Am Anfang von Stanley Donens Op-Art-Thriller Arabesque wird ein Mann beim Optiker (oder vom Augenarzt?) mit Augentropfen ermordet. Berühmt ist natürlich der Optiker Coppola in Hoffmanns Erzählungen, auch bekannt als der Sandmann, gespielt von Robert Helpmann im Film von Powell & Pressburger, dem gemeinsamen Lieblingsfilm von Scorsese und Romero.
Der, wenn man mich fragt, beste Optiker aller Zeiten ist Andreas Kunze in Johnny Flash (1986 Werner Nekes). Kunze berät Helge Schneider, er zeigt ihm „ein etwas sportlicheres Modell aus Titan“ und stellt nach gründlicher Untersuchung die besorgte Frage: „Mein Gott, hatten sie früher mal eine ganz schlimme Krankheit?“ Im Hintergrund ein Brillenregal in Brillenform.
Gary Cooper in North West Mounted Police (1940 Cecil B. DeMille)
Ein Engel in Leder, das sei er, sagt ihm eine Frau. Der ganze Film handelt von den Farben und Assesoirs der Männerkleidung, von schützenden Mützen und schmückenden Münzen, noch im Sterben geht es einem kanadischen General um das Rot der Uniformen. Für Oberflächlichkeit könnte man halten, was DeMille wirklich und ehrlich das Wichtigste war.
Das aufklappbare Biologieposter macht Cooper neugierig, bis ihm die Organe entgegen flattern.
Ein Spiegel aus poliertem Metall, eine Attraktion in der Wildnis.
Als Calamity Jane (Jean Arthur) die kriegsbemalten Indianer auf der Türschwelle der Blockhütte sieht, spielt sie die gutgelaunte Gastgeberin: „Come on in fellas, don’t be afraid.“ Dem Häuptling schenkt sie einen modischen Federhut.
The Plainsman (1936 Cecil B. DeMille)
Per Post über den Atlantik bekamen Powell und Pressburger nach The Tales of Hoffmann (1951) Lob von allerhöchster Stelle. „Wir waren sehr stolz darauf. Zu diesem Zeitpunkt drehte DeMille The Greatest Show on Earth. Der ganze Briefkopf war farbig, mit dem Zirkus, dem Himmel und allem darauf… Ich sagte zu Emeric: Was ist das? und dann las ich unten: Cecil B. DeMille. Donnerwetter!“ (Michael Powell, 1981 in Positif)
Die beste Brille aller Zeiten trägt Anthony Quinn in The Savage Innocents (1960 Nicholas Ray).
Come all without. Come all within.
You’ll not see nothing like the Mighty Quinn.
„…wenn du mit grauenhaftem Scharfsinn behauptetest, dass es nur der Geist sei, der sehe, höre, fühle, der Tat und Begebenheit fasse, und dass also auch sich wirklich das begeben, was er dafür anerkenne, so vergaßest du, dass die Außenwelt den in den Körper gebannten Geist zu jenen Funktionen der Wahrnehmung zwingt nach Willkür.“ (E.T.A. Hoffmann: Die Serapions-Brüder)
Das Schaurige in Hoffmanns „Sandmann“, sei „gerade darum entsetzlich, weil es zugleich komisch ist,“ schreibt Ricarda Huch.
Man sagt auch: Dass Hoffmanns Ambitionen der Musik galten – viel mehr als der Literatur, das habe sein Schreiben beflügelt.
Den Blick trüben Erwartungen. Und alles Erzählen wird geschärft durch Bedenkenlosigkeit.
Schade, dass den Spielraum von Studio Braun in Fraktus (2012 Lars Jessen) ein Zeppo Marx (Devid Striesow) vierkantig verringert.
„Aber noch eigentümlicher erregt es uns, wenn wir hören, dass Hoffmann auf einem Balle den Einfall hatte, sich sein Ich durch ein Vervielfältigungsglas zu denken und alle Gestalten, die sich um ihn herum bewegten, als seine Ichs zu sehen, über deren Tun und Lassen er sich wie über sein eigenes ärgerte.“ (Ricarda Huch: Die Romantik)
Jetzt fast ein Jahr auf den Tag genau elf Jahre „new filmkritik“ – What would you have done differently?
Im Supermarkt höre ich ein kleines Mädchen fröhlich singen. Ihre Mutter ist gar nicht begeistert davon, obwohl die Kleine sehr niedlich und lustig singt: ganz konkret von allem, was sie sieht und schon benennen kann. Sie tut es offenbar, um sich selbst zu unterhalten und aufzuheitern – ohne etwas zu fordern. Sie hat nichts Bestimmtes im Auge, wie andere Kinder. Sie scheint sich einfach an allem zu erfreuen. Denn genauso fröhlich singt sie von dem, was ihre Mutter in den Wagen packt, wie von dem, was nicht zu bekommen ist. Mir ist es unverständlich, warum sich die Mutter nicht davon aufheitern lässt. Ist es ihr nur peinlich? Oder singt die Tochter den ganzen Tag? Für mich wird der ganze trübsinnige Discounter jedenfalls wie in einen heiteren Film hineingezaubert.
Doch immer wieder wird die kleine Sängerin aufgefordert zu schweigen. Zum Glück gehorcht das Mädchen nicht. Auch in der langen Schlange noch singt sie, wie um die Mutter zu beruhigen – zuversichtlich: „Jetzt sind wir gleich an der Kasse!“ Leider stehe ich zu weit weg, um zu protestieren, als das Verbot erneuert wird. Das Mädchen schweigt schließlich. Vielleicht aber auch nur, weil es am Ausgang nichts mehr zu besingen gibt und weil die Auswahl definitiv getroffen ist.
Hier.
Lady on a Train (1945 Charles David). Ein Film, der schon mit dem ersten Bild das Gefühl vermittelt, dass er Wünsche kennt, die das Kino erfüllen kann.
Wunsch Nummer Eins: Zeuge zu werden.
Schon wie sie da im Zug sitzt und „The Case of the headless Bride“ by Wayne Morgan liest, macht klar, dass es lustig wird mit Deanna Durbin.
Wunsch Nummer Zwei: In etwas hineingezogen zu werden.
Der berühmte Krimiautor will mit seiner Verlobten (r.) und seiner Sekretärin (l.) Weihnachten feiern, doch am Telefon ist seine Leserin – in Not. Äußerste Gefahr zwingt Deanna Durbin zu kontinuierlichen Kostümwechseln und neuen Frisuren in einem noblen, aber zwielichtigen Etablissement.
Wunsch Nummer Drei: Angst.
Es ist schön, dass Something Weird, trotz ungewisser Zukunft des Kölner Filmhaus Kinos, heute abend um 20 Uhr mit Dario Argentos Geheimnis der schwarzen Handschuhe / L’uccello dalle piume di cristallo (1970) den Spielbetrieb (35mm) fortsetzt.
Es ist schade, dass dieses Gebäude an der Kölner Nord-Süd-Fahrt kürzlich abgerissen wurde.
Unter dem Namen Nightingale stelle ich mir ein kleines, altertümliches Kino mit Samtsitzen, Holzvertäfelung und schummrigem Licht vor. Stattdessen ist es ein weiß gestrichenes Ladenlokal mit LCD-Projektor und Laptop, wie man es sicher auch in Kreuzkölln finden könnte. Eine unscheinbare Tür führt vom Bürgersteig direkt in den Projektionsraum. Eintritt zwischen 7 und 10 Dollar, sliding scale: Man zahlt innerhalb des angegebenen Rahmens soviel wie man für richtig hält.
Der Raum ist mit 20 Klappstühlen gut gefüllt. Vorne ein Sofa und ein durchgesessener Fauteuil. Projiziert wird von einer Empore, auf die man durch eine steile Leiter hinaufklettert. Es ist nicht ganz klar, ob der Steenbeck-Schneidetisch links am Eingang noch benutzt wird oder hier nur abgestellt wurde, damit man sein Rennrad daran anlehnen kann. Keines der vier Räder hat eine Gangschaltung.
In seiner Einführung erinnert sich Dan Eisenberg, der bei Wyborny studiert hat, an dessen Offenheit und Neugier. Das sei ein erholsamer Kontrast zur Ernsthaftigkeit der Experimentalfilmzirkel damals gewesen. Mit Partituren in der Hand ging es raus in die Landschaft, ein Filmemachen, das sich am frühen Kino und an den musikalischen Vorstellungen der Zwölftonleute orientierte.
Bevor „Studien zum Untergang des Abendlands“ (2010) beginnt, wird eine schlichte gelbe Tasche mit Kodak-Logo verlost. Eisenberg, der vorne links neben dem Steenbeck sitzt, wird aufgefordert, eine Zahl zwischen 1 und 23 zu nennen. Vierzehn, sagt Eisenberg, und die Tasche fliegt in die vierte Reihe, wo jemand diese Zahl auf seinem Ticket stehen hat. In einigen Jahren, so der junge Taschenverloser, der den Film nach Chicago geholt hat und Wyborny Why-bornie ausspricht, wird keiner mehr wissen, wofür Kodak steht, und dadurch wird die Tasche besonders wertvoll sein.
Das Screening will nicht gelingen. Zuerst sieht man die Befehlszeile des Laptops, dann stimmt das Format nicht. Der Computer muss neu hochgefahren werden und das enervierende Hochfahrgeräusch eines bekannten Computer und Telefonherstellers grätscht unsanft zwischen die sanft tröpfelnden Klavierklängen von Wybornys Film. Als dieses Problem gelöst ist, kommt der Projektor nicht mit den schnellen Auf-, Ab- und Überblenden zwischen den 6299 Einstellungen klar. Jeder Bildwechsel, und besonders die ganz kurz aufflickernden Bildimpulse sind von horizontalen Balken überlagert, als solle dem Super 8-Material ein digitales Wasserzeichen verpasst werden. Zwar legt sich dies aus unerklärlichen Gründen in der Mitte des Films, aber aus genauso unerklärlichen Gründen kehrt es am Ende zurück. Die Bilder pulsieren vehement gegen die technischen Widrigkeiten an.
Trotzdem spürt man die vibrierende Intensität dieser Einstellungen, und wie sich Bild und Musik aneinander entzünden. Das Ruhrgebiet wirkt wie aus einem Murnaufilm, dann wieder erinnern die Metallverstrebungen von Lastkränen, Fördertürmen an Vertov und die konstruktivistischen Utopien der 20er. Viel Ruinöses und Düsteres, wie sollte es beim Untergang des Abendlands anders sein, aber auch klare, helle Farben schwimmen sich im Laufe der fünf Sätze der Komposition allmählich frei. Unvermittelt ist man plötzlich in Rimini oder bei New York. Auch an Epstein musste ich denken.
Als ich nach draußen komme, empfindet ein junger Mann mit seinen Armen das Zittern der Kamera in manchen Einstellungen nach. Seine Geste begleitet er mit einem Satz, der anerkennendes Staunen ausdrückt. Dreißig Fuß weiter lehnt ein älterer Mann, der rechts in der zweiten Reihe gesessen hatte, an einer Laterne. Gedankenverloren schreibt er etwas in sein Notizbuch.
[Sonntag, 30. September 2012, White Light Cinema at the Nightingale, 1084 N. Milwaukee Ave., Chicago]
Das Münchner Underdox Festival zeigt in den nächsten Tagen neben vielen neuen Sensationen auch Traité de bave et d’éternité (1951 Isidore Isou) – am Samstagabend im Filmmuseum.
Heute zeigt das Arsenal in Berlin um 20 Uhr Peter Przygodda, Schnittmeister (1993 Peter Goedel). Und die Cologne Conference lockt mit neuen HBO-Serien ins Residenz-Kino, darunter Girls von und mit Lena Dunham, und The Newsroom mit Jeff Daniels. In der Schauburg in Karlsruhe läuft morgen früh um 11 Uhr How the West Was Won (1962 Henry Hathaway) als Auftakt des achten 70mm-Festivals, und am Samstagmorgen dann First Men in the Moon (1964 Nathan Juran).
Die Ausgabe der Schriften von Serge Daney – „La Maison cinéma et le monde. 1. Le Temps des Cahiers 1962-1981 (Paris 2001) und „2. Les Années Libé 1981-1985 (Paris 2001) – ist jetzt komplettiert worden durch „La Maison cinéma et le monde. 3. Les Années Libé 1986-1991 (P.O.L. éditeur, Paris 2012). Dieser Band, 870 Seiten stark, samt Index, ist angeordnet in dreizehn Komplexen, es geht also nicht nur um Texte am ‚Leitfaden der Filme’, sondern auch um Wiederbesichtigungen, Filme am TV, Dreharbeiten, Gespräche, die ‚politique des auteurs’, die ‚poétique des acteurs’, Figuren, Buchbesprechungen, Bilderpolitik, um dies und jenes (‚Ici et ailleurs’), Kunst und Industrie, um das, was sich im ‚Innern der Medien’ abspielt, um Tennis, rumänische Telechroniken und den Golfkrieg. (Bereits in frühere Bücher aufgenommene Texte oder Teile – „Le Salaire du zappeur“, 1988 und 1993, „Devant la recrudescence des vols de sac à main“, 1993, „L’Amateur de tennis“, 1994 – sind in diesem Band 3 nicht enthalten.)
Der Schritt von den ‚Cahiers’ zur Tageszeitung ‚Libération’ (wo Daney den Bereich ‚Cinéma’, später die Seiten ‚Rebonds’ betreute) war sicher einer ins Ungewisse, vielleicht auch ins Freie – das tägliche Schreiben (in den Niederungen des Tagesjournalismus) stellte einen andern Anspruch an die eigene Formulierungsgabe, forderte sie heraus. Es kam darauf an, das Schreiben geschmeidig zu halten und dennoch Konsistenz zu erreichen, den bei den ‚Cahiers’ geprägten Stil in der täglichen Auseinandersetzung zu formen und zu stählen. (Nur ein Beispiel für die Vielzahl der Sujets: am 30. Januar 1986 schreibt Daney einen Nachruf auf die am Vortag verstorbene Lilli Palmer.) Wo ich auch blättere, in diesen Seiten, – es kommt mir immer interessant vor, sicher wäre da (wie im Tagesjournalismus von André Bazin) mancher Theoriebrocken zu heben.
Ich übersetze noch einen Abschnitt aus ‚Serge Daney, le voyeux’ von Pierre Eugène (‚artpress’, Nr. 391, Paris, Juli/ August 2012), der diesen Band 3 vorstellt (und unter anderem auch eine „Parallele“ Serge Daney – Saint-Simon zieht). „Es bedarf einer längeren Lektüre, um das schätzen zu können im Schreiben von Daney, was durch ein fragmentweises Lesen nicht unbedingt erscheint. Das sind seine Beunruhigungen und Besorgnisse. So gibt es eine permanente Sorge um die ‚Gesundheit’ (so wie man sich um die Gesundheit des Königs sorgt): die schlechte Gesundheit des Kinos, die ‚falsche gute Gesundheit’ des Fernsehens, die Krise der Drehbücher und der Ideologien, das Ende der grossen Erzählungen, Identitätswirren, das Erstarken der Rechten, der Zerfall der UdSSR … Ein Subtext, der sich immer stärker bemerkbar macht. Die Kritik, wie Daney sie sieht, wird zu einer Art Klinik, die den Zustand des Kinos zum Zeugnis für den Zustand der Welt nimmt. Eine Kino-Hypothese, an der Daney eisern festhalten wird, – der dokumentarische Blick (auch der an der Seite der Fiktion) als Vermittlung [‚passeur’] einer Erfahrung der Welt.“