Donnerstag, 24.08.2023

Ein fränkisches Dorf 1940 und 1980

 

Filmtitel: Ein fränkisches Dorf 1940 und 1980

FWU-Film: Ja (FT 3259 A)

Produktionsland: BR Deutschland (Grünwald/München)

Produktionsjahr: 1981

Filmdauer in Minuten: 15

Filmmaterial: Farbe + SW, Ton

Originalformat: 16mm

Produktion (Firma): FWU

Regie (bzw. „Gestaltung“): Wolfgang Kiepenheuer

Redaktion des FWU-Beihefts: Böhn, Dieter (Dr.): Ein fränkisches Dorf 1940 und 1980. München: Graphis-Druck GmbH, 1982.

Seite des Films auf filmportal.de

 

Zur Kopie

Kopienherkunft: DFF Wiesbaden

Sichtungsformat: 16mm-Kopie, Farbe + SW, Ton

Filmdauer: 17 Min.

Begleitmaterial: 4-seitige FWU-Begleitkarte, Laufkarte der Kreisbildstelle Wetzlar

Augenscheinliche Mängel: Starke Laufstreifen, Kratzer, Dreck, Staub, Flecken

 

Zum Film

Der Film beginnt mit einer Stimme, die aus dem Off erklärt, dass nach knapp 40 Jahren das fränkische Dorf Mürsbach aus dem Film Auf einer fränkischen Dorfstraße (1939) ein zweites Mal von Wolfgang Kiepenheuer besucht wird, der damals als Kameramann am Dreh beteiligt war. Der Film soll Veränderungen im Dorfleben aufzeigen. Dafür werden Interviews mit den Dorfbewohner*innen geführt, neu gedrehte Szenen im Dorf mit Aufnahmen aus dem Film von 1939 verbunden. Während die Interviews als roter Faden der Erzählung dienen, wechselt das Bildmaterial zwischen alten und neuen Aufnahmen sowie Fotos. Ältere Aufnahmen werden durch die Dorfbewohner*innen erläutert und durch neuere Aufnahmen kontrastiert, die von den Veränderungen der letzten 40 Jahre zeugen. Die älteren Aufnahmen werden jedoch nicht chronologisch und teilweise in verkürzter Form gezeigt. (TK, SO)

Es sind Veränderungen zum ersten Film zu erkennen: Der Film ist zum Beispiel in Farbe und es werden Interviews mit Einwohner*innen eingeblendet. Die Interviews wirken allerdings geskriptet, die Leute reden sehr gestelzt. (TK)

Der Sprachduktus kommt sehr geskripted herüber, aber zeigt auch, dass dies keine Menschen sind, die oft vor der Kamera stehen (sie sind Arbeiter, Bauern). (FH)

[Es] wird ein Vergleich zwischen damals und heute gezogen. (SO)

Dieser Vergleich zeigt sich insbesondere in dem Interview mit Johann Feiler, einem alten Bewohner von Mürsbach. Seine Erzählung bildet den roten Faden des neuen Films:

[Er] erinnert sich an seine Kindheit im Dorf und beschreibt die Veränderungen seit dieser Zeit. Er betont, dass das Leben in Mürsbach früher langsamer und gemütlicher war. (SO)

Ebenfalls zu Wort kommt Elli Bischoff, die als Kind als „Gänseliesel“ bekannt war und als solche auch in einer Einstellung des Films von 1939 zu sehen ist. Sie hat Mürsbach zwar verlassen, kann sich aber gut an ihre Kindheit dort erinnern und daran, wie involviert schon Kinder in das landwirtschaftliche Leben um 1939 waren. Es wird klar, dass der damalige Film nicht umsonst den Begriff der„Dorfstraße“ in sich trug: Die Straße war für die Dorfbewohner*innen ein zentraler Lebens- und Arbeitsraum. Elli erinnert sich an die Tiere, die einen festen Bestandteil des dörflichen Lebens darstellten. Johann Feiler wiederum beschreibt das Aussterben der Handwerkskunst.

Eine gewisse Form von Wehmut, die mitschwingt. Zitat: “Alles, was wir brauchten, hatten wir im Dorf und wir waren zufrieden damit.“ (TK)

Dorfleben und Strukturwandel, zeigt die Veränderungen im Dorf z.B. Dorfbrunnen: früher von allen benutzt, jetzt steht er still! (FH)

trotz einer gewissen Sentimentalität werden die Entwicklungen seit 1939 als Fortschritt gedeutet, der Auszug aus Mürsbach erscheint als sozialer Aufstieg (SO)

In Interviews mit einigen der verbliebenen Landwirte und Handwerker, wie etwa dem Schreiner oder dem Schmied, wird die Frage angeschnitten, ob die Betriebe in der Familie fortgeführt wurden. Passend dazu zeigt der Film den Sohn von Johann Feiler, der den landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters nicht weiterführen, sondern Musik studieren möchte. Feiler bedauert diese Entscheidung, akzeptiert sie allerdings.

Analog zur Frage nach der Fortführung der elterlichen Betriebe werden einerseits Kontinuitäten zwischen der jetzigen Eltern- und Kindergeneration sichtbar, gleichzeitig zeigen sich durch Kleidung und Frisur des Sohnes auch die Eigenheiten der jüngeren Generation, die den Alltag im Jahr 1939 nicht selbst erlebt hat und diese Zeit nur aus den Erinnerungen der Eltern kennt. (SO)

Bemerkenswert: Der Sohn des einen Mannes wird auch interviewt, er ist aber der Einzige, der nicht beim Reden gefilmt wird, sondern nur aus dem Off zu hören ist. (TK)

Johann Feiler selbst erscheint als Scharnierfigur der verschiedenen Zeiten (1939, 1980, Zukunft) und als Symbol für Kontinuitäten und Veränderungen in Mürsbach. (SO)

Deutlich wird allerdings auch, dass viele traditionelle Tätigkeiten in der Freizeit fortgeführt werden.

Ein Bedeutungswandel findet statt: die ehemals selbstverständlichen, den Alltag bestimmenden Arbeiten werden teilweise als identifikationsstiftende, an eine verlorene Vergangenheit erinnernde, Tätigkeiten fortgeführt. (SO)

Uns allen ist beim Schauen aufgefallen, wie wenig der Film auf den Zweiten Weltkrieg eingeht. In lediglich ein bis zwei Sätzen geht Feiler auf die NS-Diktatur und die Einschränkung der Meinungsfreiheit ein.

Der Krieg wird kaum thematisiert und wenn, dann wirkt es eher obligatorisch. (TK)

Gerade diese gestellt wirkenden Dialoge sind beispielhaft dafür, wie der Umgang mit dem Nationalsozialismus auch in den 80er Jahren noch schwierig war. Ich habe den Eindruck bekommen, die Interviewten haben sehr darauf geachtet, nichts Falsches zu sagen. Generell zeigt sich in diesem Film eine fehlende, aber durch den Film langsam aufkommende Erinnerungskultur. Dass gerade dieses nicht besonders große Dorf thematisiert wird, macht deutlich, dass die Diktatur des Nationalsozialismus und insbesondere der Krieg auch auf einer sehr persönlichen Ebene seine Spuren hinterlassen haben. Gerade der Sohn des Mannes, der nur aus dem Off zu hören ist, wirkt auf mich, als wäre er bewusst so im Film platziert worden. Er steht für den Neubeginn und die neue Generation. (FM)

Es kommt keine jüdische Stimme zur Sprache. (FH)

Der Film schließt mit einer Aufnahme von Motorradfahrer*innen, die über die Dorfstraße fahren.

 

Teil des Dossiers „Sichten, Schreiben, Beschreiben: Zur Arbeit mit analogen Filmarchiven anhand von 16mm-Kopien aus der Bildungsarbeit der BRD“

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