Einträge von Bettina Klix

Donnerstag, 13.02.2014

Night will fall

„Night will fall“ von André Singer am Dienstag auf der Berlinale. Ein Film über einen Film, der nie gemacht werden konnte. Die Idee dazu entstand bei der Befreiung von Bergen-Belsen am 15. April 1945, beim Anblick dessen, was da umzäunt gewesen war. Ich hatte hier schon einmal auf ein 700 Seiten-Buch hingewiesen, das im letzten Jahr erschien, „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen. Josef Weiss“ von Hans Dieter Arntz, durch das ich die Welt dieses Konzentrationslager von innen kennen lernte. Deshalb ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass diejenigen, die die Tore öffneten, diesen Horror noch heute nicht vergessen können. Die Ausrichtung des Films, den der britische Produzent Sidney Bernstein plante aus dem Material zusammenzustellen – das auch bei der Befreiung anderer Lager gedreht wurde – musste sich nach Kriegsende zwangsläufig ändern. Der Film wurde nie vollendet und die Bilder des Schreckens verschwanden in den Archiven. „Night will fall“ ist deshalb auch eine Hommage an Bernstein, dessen Sohn im Publikum war. Als er sich zu Wort meldete, sagte er, dass sein Kinonachbar sofort bei Beginn des Abspanns aufgesprungen sei und ihm das Wort „Verlogen!“ zugerufen habe, um dann zu verschwinden. Er musste sich das erst übersetzen lassen. Aber es war wie ein „Beweis“ dafür, dass den Deutschen nicht genug Filme, wie der von Bernstein geplante, gezeigt worden sind. Aber andererseits auch der Gegenbeweis, weil der gerade gezeigte Film auch nicht durchdringen konnte.

Montag, 10.02.2014

Beschweigen

Die schönste Erinnerung an den im letzten Jahr verstorbenen Dieter Hildebrandt ist für mich der Fernsehfilm „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, (R: Rolf Hädrich ,1964) in dem er die Hauptrolle spielt. Obwohl der Film großartig ist, sind doch einige Drehbuchänderungen (von Hildebrand) ein Verlust, wenn man die Vorlage von Heinrich Böll (1958) damit vergleicht. In der gleichnamigen Geschichte gibt es eben mehr als nur eine satirische Abrechnung mit dem deutschen Nachkriegsrundfunk. Bölls Geschichte gehört zum Besten, was er je geschrieben hat. Einige „subversive“ Elemente sind in der Fernsehfassung geopfert. Was Doktor Murke mit dem aus den Sendungen herausgeschnittenen Schweigen anfängt, dass es ihm unentbehrlich ist, um sein Leben zu meistern, sich dieses Schweigen am Feierabend anzuhören. dass er sogar seine Freundin bittet, ihm Tonbänder zu „beschweigen“. („Ich kann nicht mehr, es ist unmenschlich, was du verlangst.“ Sagt sie.) Diese Figur kommt gar nicht vor. Und auch eine kleine Nebensache nicht; Als Murke sich der Gepflegtheit des Funkhauses, der geschmackvollen, großzügigen Ausstattung in einem Moment des Überdrusses bewusst wird, überkommt ihn der „Wunsch, das kitschige Herz-Jesu-Bildchen, das seine Mutter ihm geschickt hatte, hier irgendwo an der Wand zu sehen. Er blieb stehen, blickte um sich, lauschte, zog das Bildchen aus der Tasche und klemmte es zwischen Tapete und Türfüllung an die Tür des Hilfsregisseurs der Hörspielabteilung. Das Bildchen war bunt, grell, und unter der Abbildung des Herzens Jesu war zu lesen: Ich betete für dich in St. Jakobi.“ Mit dieser Versicherung endet die Geschichte auch, als der Hilfsregisseur, der das „Geschenk“ gefunden hat, es dem Techniker zeigt, als Rätsel, als „Kitsch“, und dieser den Satz laut liest, völlig verständnislos. Im Funkhaus, wo aus einem Vortrag das Wort „Gott“ siebenundzwanzigmal herausgeschnitten wird, und zwölfmal wieder Verwendung finden kann, als es in ein Hörspiel hinein geschnitten wird, kennt man solche exotischen Bräuche nicht.

Montag, 27.01.2014

Gedenkkultur

In der neuen Nummer der Zeitschrift Fuge. Journal für Religion & Moderne (No. 12/13/2013) kritisiert der Schriftsteller Ulrich Schacht in seinem Text „Zwischen Schuld-Erbe und Sühne-Simulation“ die deutsche Gedenkkultur und auch den heute begangenen Holocaustgedenktag: „Wenn man weiß, dass der 27. Januar bereits seit 1959 in Israel Gedenktag ist, wird jedenfalls klar, dass in der Übernahme dieses Datums in den eigenen Symbolbestand Nachkriegsdeutschlands nicht mehr und nicht weniger als ein frivoler Seitenwechsel vorliegt…“ Ein böser Aufsatz über Irrwege der deutschen Gedenkkultur.

Sonntag, 19.01.2014

Arbeitsnachweise

Ich möchte dem Beitrag von Michael Girke zustimmen – mit dem Hinweis auf Siegfried Kracauers Buch Straßen in Berlin und anderswo (2009 in der Bibliothek Suhrkamp wiederaufgelegt). Keine klassische Flaneursperspektive, sondern schauen, entziffern, erschrecken, mitleiden und schildern, was unbegreiflich oder anstößig bleibt, Wie in einem Zerrspiegel kann man etwa in einem Text von 1930 unsere heutigen Jobcenter erblicken. Die „Arbeitsnachweise“ genannten Ämter schildert Kracauer als „eine Passage, durch die der Arbeitslose wieder ins erwerbstätige Dasein gelangen soll. Leider ist die Passage heut stark verstopft.“ Und auch das ist noch aktuell: “Mir ist nicht eine Örtlichkeit bekannt, in der das Warten so demoralisierend wäre.“ Kracauer schreibt: „Ich habe mehrere Berliner Arbeitsnachweise besucht. Nicht um der Lust des Reporters zu frönen, der gemeinhin mit durchlöchertem Eimer aus dem Leben schöpft, sondern um zu ermessen, welche Stellung die Arbeitslosen faktisch in dem System unserer Gesellschaft einnehmen. Weder die verschiedenen Kommentare zur Erwerbslosenstatistik noch die einschlägigen Parlamentsdebatten geben darüber Auskunft. Sie sind ideologisch gefärbt und rücken die Wirklichkeit nach dem einen oder anderen Sinne zurecht; während der Raum der Arbeitsnachweise von der Wirklichkeit selber gestellt ist.“

Montag, 16.12.2013

Fehlende Augen

Durch einen Spiegel

Wenn Du gesehn, dass es Gespenster sind,
die dich von ihm und seiner Liebe trennen,
wenn du gesehn, dass du nur sehend blind,
weil du nicht wagst, dich Sehenden zu nennen.

Wenn du gesehn! – Doch, ach, du siehst ihn nicht.
Wo wär ein Aug, das sein Gesicht ertrüge?
Du siehst den Widerschein von seinem Licht
Im dunklen Spiegel deiner Lüge.

(Rudolf Alexander Schröder)

Dienstag, 03.12.2013

Im Namen Gottes

Im Berliner Zeughauskino kann man von heute an bis zum 22. Dezember eine Filmreihe unter dem Titel „Im Namen Gottes. Der Evangelische Pfarrer im Film.“ sehen. Am 4. 12. läuft auch „The Night of The Hunter“(Die Nacht des Jägers, 1955) von Charles Laughton. Seit meiner Beteiligung am „Minutentexte“-Buch darüber (Brinkmann und Bose, 2006) habe ich den Film nicht wieder sehen wollen und mich würde es wundern, wenn es andern Beteiligten anders ginge, es sei denn, er oder sie musste sich seine zu beschreibende Minute nur einmal ansehen und konnte gleich darauf losschreiben.
Allerdings hatte ich ja bei der Verlosung auch den Mord zugeteilt bekommen. (Wofür ich von einigen wohl beneidet wurde.)
Jedenfalls freue ich mich seitdem immer über jeden Film, in dem Shelley Winters nicht stirbt.

Montag, 18.11.2013

Those who could believe, did

„Zum großen Erstaunen derer, die mich wegen Verunglimpfung der Religion verurteilt hatten, drehte ich Il vangelo. Das war zur Zeit des Pontifikats von Johannes XXIII., ihm habe ich den Film auch gewidmet. Es war so etwas wie ein realer Dialog, eine Beziehung zwischen einem Kommunisten, wenn auch ohne Parteibuch, und den progressiven Teilen des italienischen Katholizismus. Vom religiösen Standpunkt aus möchte ich, der ich immer versucht habe, die Eigenschaften der Religiosität mit meinem Laizismus in Verbindung zu bringen, festhalten: Die Menschlichkeit Christi entspringt einer dermaßen starken inneren Kraft, einem dermaßen unstillbaren Hunger nach Wissen und Verifizierung des Wissens, und zwar ohne jegliche Angst vor Skandalen und Widersprüchen, dass für diese Menschlichkeit die Metapher göttlich schon an die Grenzen der Metaphorik stößt, sie selbst wird ideell zur Wirklichkeit. Mehr noch: für mich ist die Schönheit immer eine moralische. Sie erreicht uns jedoch stets nur mittelbar: über die Poesie oder die Philosophie oder die Praxis: das einzige Beispiel einer nicht vermittelten moralischen Schönheit, habe ich im Evangelium gefunden.“
Pier Paolo Pasolini, so zitiert gefunden bei meiner verspäteten Lektüre von Thomas Meineckes Roman „Jungfrau“(2008), der unter dem guten Stern des Mottos steht: „Those who could believe, did“ (Jack Smith)

Donnerstag, 14.11.2013

Harvey

„Ein Bild von sich selbst besitzen, auf dem zu sehen ist, dass man nicht alleine ist“ so schrieb Rainer Knepperges in „Aufgehoben“, um eine Szene aus „Harvey“ von Henry Koster in seine Überlegungen einzufügen. Dieser Film, den ich (wie wohl viele meiner Generation) nur synchronisiert und im Fernsehen laufend als „Mein Freund Harvey“ kenne, begegnete mir kurz darauf in einer hübschen Nacherzählung: „…James Stewart als Elwood P. Dowd brilliert 1950 in Harvey als fleißiger Martini-Trinker in Begleitung des zwei Meter großen gleichnamigen Hasen, dessen Anwesenheit allerdings ausschließlich für Elwood sichtbar ist. Ob es sich bei „Harvey“ um die Auswirkungen einer jahrelangen Trinkerkarriere oder einen keltischen Kobold in Tiergestalt handelt, bleibt bis zum Ende offen. Der einzige Ort, der den unsichtbaren Freund toleriert, ist Charlie’s Bar, wo der Keeper stets anstandslos zwei Martinis für die Buddies serviert. … Elwood ist durch Erbschaft reich, hat sich aber gegen Ehrgeiz und Ambition für Freundlichkeit, Stil und perfektes Benehmen gerade gegenüber den unteren Schichten der Gesellschaft entschieden. Briefträgern, Pförtnern und Krankenschwestern überreicht er mit ausgesuchter Höflichkeit seine Visitenkarte…Die Familie versucht ihn in eine Irrenanstalt einzuweisen. Der Arzt fragt bei der Aufnahme vorsichtig, ob Elwood, wie eigentlich jeder, hin und wieder einen trinken würde. Elwood: „ Yes, I do, doctor. As a matter of fact, I’d like one right now.”
Zu finden im Gin-Kapitel des lehrreichen Buches „Die Schule der Trunkenheit“ von Kerstin Ehmer und Beate Hindermann, Metrolit Verlag, Berlin, 2013,

Samstag, 14.09.2013

Aufgeschoben

„Es gehört wesentlich zur Malerei, dass sie nicht berührt wird. Dem Bild im Allgemeinen ist es wesentlich, dass es nicht berührt wird. Das macht seinen Unterschied zur Skulptur aus. Diese bietet sich zumindest entweder dem Auge oder der Hand dar – aber auch dem Gang um sie herum, dem Gang, der sich fast bis zum Berühren nähert und sich entfernt, um zu sehen. Doch was ist das Sehen, die Sicht, wenn nicht, unzweifelhaft, ein aufgeschobenes Berühren? Was aber ist ein aufgeschobenes Berühren, wenn nicht ein Berühren, das den Punkt restlos – bis zu einem notwendigen Übermaß – zuspitzt oder herauszieht, die Spitze und den Moment, an dem sich die Berührung von dem, was sie berührt, im Moment des Berührens selbst ablöst?“
Fragt Jean-Luc Nancy in Noli me tangere, deutsche Ausgabe bei diaphanes, 2008

Sonntag, 08.09.2013

Friedhofsspaziergänge

Alle warten auf Teil II von „Karten und Pläne“ da will ich nur schnell noch ein Buch empfehlen, das auch für Menschen mit schlechtem Orientierungssinn sehr lesbare Karten von
den wichtigsten Berliner Friedhöfen enthält. So konnte ich eine Schülergruppe auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof problemlos zum Grab von Friedrich Schinkel führen, – das sich übrigens in einem sehr gepflegten Zustand befindet. Was sich von vielen seiner Bauten leider nicht behaupten lässt, skandalösestes aktuelles Beispiel: die Friedrichswerdersche Kirche, die durch die Bauarbeiten des Luxuswohnprojekts ganz dicht daneben Risse im Gemäuer hinnehmen musste. Der Baustopp ist inzwischen wieder aufgehoben und man muss das Schlimmste befürchten. Da bewahrheitet sich leider eine Geschichtsvergessenheit und Pietätlosigkeit, die in Berlin besonders krasse Formen annimmt. (siehe Hanns Zischler: „Berlin ist zu groß für Berlin“) Der DDR war die Schinkelsche Bauakademie einfach nur im Weg.
So bleiben aber wenigstens die Friedhöfe, die auch abgelöst von den ursprünglichen Gestaltungszielen eine Kultur bewahren, die außerhalb der geschützten Zone so nicht mehr existiert. „Wie durch ein geöffnetes Geschichtsbuch“, so der Autor, könne man hindurchgehen.
Ingolf Wernicke, Berliner Friedhofsspaziergänge, Jaron Verlag, Berlin, 2010, herausgegeben vom Berliner Landesverband der Deutschen Kriegsgräberfürsorge und der Stiftung Gedenken und Frieden


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