Einträge von Bettina Klix

Freitag, 21.12.2012

Notlösung

„Die Welt geht vorüber, sie ist noch da, aber eigentlich schon vergangen: Geschichte. Die zeitraffende Sicht der Apokalypse durchbricht die zähe Weltgewohnheit, das drohende Ende aufzuschieben, aufzuhalten, mit Schulden zu verlängern. Die Welt ist porös geworden. Wir können aufbrechen: Exodus aus der Schuldknechtschaft. Eigentlich besteht die Welt gar nicht, sie passiert, sie bricht unaufhörlich zusammen unter der Wucht der Ereignisse…“

Hannes Böhringer. Notlösung. Kultur und Christentum, Merve Verlag,  gerade erschienen,

Dienstag, 04.12.2012

From Here to Eternity

Die neue Nummer (11) der Zeitschrift FUGE.  Journal für Religion & Moderne  ist unter dem Titel „Zweite Naturen. Humanismus und Anti-Humanismus (I)“ erschienen. Der Umschlag zeigt ein Szenenfoto aus „Brideshead Revisited“ nach dem Roman von Evelyn Waugh. Im Heft finden sich auch sechs Gedichte des Australiers Les Murray, englisch und deutsch (übersetzt von Margitt Lehbert).

Meine liebste Strophe aus dem Gedicht „Burning Want“: 

„But I called people ‚the humans’ not knowing it was rage.

I learned things sidelong, taking my rifle for walks,

recited every scene From Here to Eternity, burned paddocks

And soldiered back each Monday to that dawning Teen age.“

 

Samstag, 03.11.2012

Musical, Supermarkt, Berlin-Reinickendorf

Im Supermarkt höre ich ein kleines Mädchen fröhlich singen. Ihre Mutter ist gar nicht begeistert davon, obwohl die Kleine sehr niedlich und lustig singt: ganz konkret von allem, was sie sieht und schon benennen kann. Sie tut es offenbar, um sich selbst zu unterhalten und aufzuheitern – ohne etwas zu fordern. Sie hat nichts Bestimmtes im Auge, wie andere Kinder. Sie scheint sich einfach an allem zu erfreuen. Denn genauso fröhlich singt sie von dem, was ihre Mutter in den Wagen packt, wie von dem, was nicht zu bekommen ist. Mir ist es unverständlich, warum sich die Mutter nicht davon aufheitern lässt. Ist es ihr nur peinlich? Oder singt die Tochter den ganzen Tag? Für mich wird der ganze trübsinnige Discounter jedenfalls wie in einen heiteren Film hineingezaubert.

Doch immer wieder wird die kleine Sängerin aufgefordert zu schweigen. Zum Glück gehorcht das Mädchen nicht. Auch in der langen Schlange noch singt sie, wie um die Mutter zu beruhigen – zuversichtlich: „Jetzt sind wir gleich an der Kasse!“ Leider stehe ich zu weit weg, um zu protestieren, als das Verbot erneuert wird. Das Mädchen schweigt schließlich. Vielleicht aber auch nur, weil es am Ausgang nichts mehr zu besingen gibt und weil die Auswahl definitiv getroffen ist.

Mittwoch, 22.08.2012

Widerstandshumor

Nach der Lektüre von Jan Karskis Buch , Mein Bericht an die Welt. Geschichte eines Staates im Untergrund, (Kunstmann, 2011), sehe ich Lubitschs Film To be or not to be (1942) mit ganz anderen Augen.

Denn durch Karskis Bericht vom polnischen Widerstand gegen die nationalsozialistische Okkupation, (der schon 1944 in den USA unter dem Titel Story of a Secret State erschien) sind uns schöne Beispiele des Widerstandshumors, der sich vor Ort unter der realen Unterdrückung behauptete, überliefert. Besonders eine Nachwuchsorganisation namens „Die kleinen Wölfe“ tat sich hervor und war sehr kreativ: 

„Im Herbst 1942, als die Deutschen alle Pelze und wollene Kleidung in Polen für ihre Soldaten an der Ostfront requirierten, kamen die „Kleinen Wölfe“ mit einer brillanten Serie von Plakaten zu dem Thema heraus. Sie zeigten einen hageren, finsteren deutschen Soldaten, eingehüllt in einen sehr weiblich wirkenden Nerzmantel, die Hände in einem Muff aus Silberfuchs verborgen. Darunter Sätze wie dieser: ‚Nun, wo ich es so schön warm habe, wird es mir ein Vergnügen sein, für den Führer zu sterben.“

Donnerstag, 16.08.2012

Filmfragen

Ein sehr verdichteter Film wird nicht auf Anhieb sein Bestes geben. Zunächst wird man in ihm das sehen, was dem gleicht, was man schon gesehen hat. (Es müsste in Paris ein ganz kleines, sehr gut ausgestattetes Kino geben, wo nur ein oder zwei Filme pro Jahr gezeigt würden.)

SORGE DAFÜR DASS MAN DIR GLAUBT. Wenn Dante im Exil durch die Straßen von Verona spaziert, wird gemunkelt, dass er in die Hölle geht, wann immer er will, und von dort Neuigkeiten mitbringt.

(Aus: Robert Bresson, Notizen zum Kinematographen, Alexander Verlag Berlin, 2007)

Montag, 23.07.2012

shomingeki No. 24

Das sehr verspätete shomingeki No 24 ist gerade erschienen.

Titelthema ist Terrence Malicks Meisterwerk „The Tree of Life“.

Es finden sich außerdem im Heft: Texte über Filme von Naomi Kawase, Helke Misselwitz, Jia Zhang-ke,  Jafar Panahi, Celia Caturelli, Yoichi Higashi, Robert Mulligan, Minuru Shibuya.

Und eine erneute Empfehlung von Helmut Färbers großartigem Buch „Partie/Renoir“.

Freitag, 29.06.2012

Geräusch

Eine unsterbliche Weisheit von einem uns schon Vorausgegangenen:

„I was talking to a guy the other day trying to convince me that CDs were better than vinyl because they had no surface noise. And I said ‘Listen mate, life has surface noise.’”

(John Peel)

Zu finden auf einer Platteneinkaufstüte, ausgestellt an der Wand des Horenstein, einem wunderbaren Schallplattenladen (Schwerpunkt Klassik) mit Café, in Berlin-Wilmersdorf, Fechner Straße 3.

Donnerstag, 21.06.2012

In den Zug springen

„Ich wusste selbst nicht, warum ich in diesen Zug gesprungen war.“ Die Icherzählerin in Roswitha Schiebs Die beste Zeit benutzt für ihre Reisen jedes Vehikel: Bahn, Auto, Erinnerung – oder den Schwung unglücklicher Liebe, zwischen Mauer-Berlin, Moskau, Stechlinsee und Port Bou: „Auf dem Grabstein war auf Deutsch und Spanisch ein Satz aus Benjamins siebter geschichtsphilosophischer These eingemeißelt: Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein….Dahinter erstreckte sich die schräge weiß gekälkte Friedhofsmauer, die einen Blick auf die Landschaft freigab, gewellt und dunkelgrün, voller Licht und Schatten. Eine Szene aus dem Film Accatone von Pasolini fiel mir ein, Accatones Traum kurz vor seinem Tod. Im schwarzen Anzug blickt er über eine hohe Mauer, hinter der sich ein weites Landschaftspanorama ausbreitet…Dort ist ein dicker uniformierter Dienstmann beschäftigt, mit einer Spitzhacke, die er rhythmisch schwingt, ein Loch zu graben. Accatone, dem plötzlich klar wird, dass das sein Grab werden soll und er den Anzug zu seiner eigenen Beerdigung schon anhat, fleht den Mann verzweifelt an, das Loch doch nicht im Schatten, sondern weiter rechts in der Sonne zu graben.“ Aber, und jetzt geht es um eine Reise-Richtung, von der im Buch auch die Rede ist: der Totengräber hackt unbeirrt weiter den Boden auf, wobei er „immer tiefer in die steinige Erde hinein das schwarze Loch treibt, wo die Welt ringsumher doch so weit ist.“

„Wir wussten es noch nicht, es war die beste Zeit gewesen.“ Dieser Satz wird auf keine der großen Reisen angewendet. Das Gefühl verbindet sich mit einem Ausflug in das Umland von Berlin, in den noch nicht vereinheitlichten Osten der Nachwendezeit.

Eine wunderbare Reiselektüre, gerade für diejenigen, die nicht weg kommen. (Auch von dort, wo sie ihre „beste Zeit“ hatten.)

Roswitha Schieb: Die beste Zeit, Literaturmetzgerei, Reutlingen.

Sonntag, 27.05.2012

Vorbehaltsfilm

Im Berliner Zeughauskino sehen wir einen Vorbehaltsfilm. Als im Vorspann der Name „Kristina Söderbaum“ erscheint, höre ich gleich von zwei Seiten hämisches Geflüster: „Reichswasserleiche“ – als wäre das eine Erkenntnis.

Man möchte Distanz beweisen.

Sehen und sich selbst darüber belehren – der Riss geht in jedem einzelnen Moment durch einen hindurch. Nur diesmal gab es in Kolberg (1945), dem Kriegsfilm im Krieg von Veit Harlan, etwas völlig Unerwartetes. Zwar hatte ich einiges über den Film gelesen, doch noch nichts über die Szene, die mich spontan an Spielbergs Blaue Fee in „Artificial Intelligence“(2001) erinnerte, aber damit ist über den Zauber, dem ich mich völlig ergab, nichts gesagt. Eine so kunstvolle Szene in diesem fast völlig kunstlosen, unfilmischen Film, die Herstellung eines so überzeugenden Effektes von weitweg, unerreichbar, berückend: die überirdische Schönheit der Königin (Irene von Meyendorff), der das Mädchen Marie (Kristina Söderbaum) – nach langer Unfähigkeit – einen Brief für den König übergibt. (Gerade bei dieser völlig unerwarteten, keinem Kriegsziel dienenden Szene, hört man im Publikum komische Geräusche, die Kinder machen, wenn sie zeigen wollen, dass sie nicht mehr daran „glauben“.)

Vielleicht weiß jemand, womit ein Filmfreund diese Szene verglich, er meldete sich in der Diskussion zu Wort und wenn ich es richtig verstand, verglich er es mit einem Effekt in „The Ten Commandments“, aber so als sei der bei „Kolberg“ abgeguckt. Klingt jetzt völlig abstrus, aber vielleicht gibt es eine Spur?

Samstag, 05.05.2012

Spellbound (Ich kämpfe um dich)

In ihrem engagierten Buch „Kinoanalyse. Plädoyer für eine Re-Vision von Kino und Psychoanalyse“(Schüren, 2011) gelingt Veronika Rall im Kapitel „Loving Analysis“ eine Ehrenrettung von Hitchcocks Spellbound (1945). Die krasse Unterschätzung dieses Films durch Francois Truffaut in „Le Cinéma selon Hitchcock“ – beeindruckte auch mich als junge Leserin, ich gestehe es. Rall schreibt: „Bemerkenswert ist an Truffauts ‚Hitchbook’ (wie er selbst das Projekt nannte) dass er keinen anderen Film des Meisters derart kritisierte wie Spellbound. In den 1962 geführten Gesprächen provoziert Truffaut deshalb in erster Linie defensive oder dem negativen Urteil zustimmende Antworten von Hitchcock. Dabei hat Truffaut Spellbound so oberflächlich angesehen, dass er sogar eine falsche Zusammenfassung des Filminhalts gibt…Möglicherweise hat Truffauts negative Einschätzung des Films das Urteil der Filmwissenschaft und Filmkritik nachhaltig geprägt.“

Als ich Spellbound nach der Lektüre von Ralls „Re-Vision“ wieder sah, erstrahlte der Film in voller Schönheit.


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