„Ich wusste selbst nicht, warum ich in diesen Zug gesprungen war.“ Die Icherzählerin in Roswitha Schiebs Die beste Zeit benutzt für ihre Reisen jedes Vehikel: Bahn, Auto, Erinnerung – oder den Schwung unglücklicher Liebe, zwischen Mauer-Berlin, Moskau, Stechlinsee und Port Bou: „Auf dem Grabstein war auf Deutsch und Spanisch ein Satz aus Benjamins siebter geschichtsphilosophischer These eingemeißelt: Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein….Dahinter erstreckte sich die schräge weiß gekälkte Friedhofsmauer, die einen Blick auf die Landschaft freigab, gewellt und dunkelgrün, voller Licht und Schatten. Eine Szene aus dem Film Accatone von Pasolini fiel mir ein, Accatones Traum kurz vor seinem Tod. Im schwarzen Anzug blickt er über eine hohe Mauer, hinter der sich ein weites Landschaftspanorama ausbreitet…Dort ist ein dicker uniformierter Dienstmann beschäftigt, mit einer Spitzhacke, die er rhythmisch schwingt, ein Loch zu graben. Accatone, dem plötzlich klar wird, dass das sein Grab werden soll und er den Anzug zu seiner eigenen Beerdigung schon anhat, fleht den Mann verzweifelt an, das Loch doch nicht im Schatten, sondern weiter rechts in der Sonne zu graben.“ Aber, und jetzt geht es um eine Reise-Richtung, von der im Buch auch die Rede ist: der Totengräber hackt unbeirrt weiter den Boden auf, wobei er „immer tiefer in die steinige Erde hinein das schwarze Loch treibt, wo die Welt ringsumher doch so weit ist.“
„Wir wussten es noch nicht, es war die beste Zeit gewesen.“ Dieser Satz wird auf keine der großen Reisen angewendet. Das Gefühl verbindet sich mit einem Ausflug in das Umland von Berlin, in den noch nicht vereinheitlichten Osten der Nachwendezeit.
Eine wunderbare Reiselektüre, gerade für diejenigen, die nicht weg kommen. (Auch von dort, wo sie ihre „beste Zeit“ hatten.)
Roswitha Schieb: Die beste Zeit, Literaturmetzgerei, Reutlingen.