Einträge von Bettina Klix

Dienstag, 18.01.2011

Lauschen

Das Telefon klingelte durch die schlaflose Nacht.

Er war sofort am Apparat.

„Dein Spiegel ist kaputt!“ Ihre Stimme klang zersprungen.

„Bist du krank?“ fragte er.

„Genau das.“

„Ich komme sofort!“ sagte er überraschend.

„Meinst du?“ fragte sie, als habe sie gar nicht daran gedacht.

„Ich bin gleich bei dir. Ich konnte nicht schlafen, weil die Stille so groß war. Ich wusste nicht, dass ich lauschte, bis es klingelte.“

Mittwoch, 22.12.2010

Weihnachtsgeschenk

Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für am Ende des Jahres wehmütig Gestimmte:

Peter Nau, Die Filme von Reinhard Kahn und Michael Leiner, Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt a. Main, 2010, 150 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, 18 €.

Der Stroemfeld Verlag lässt wissen: „Öffentlichkeit und Filmgeschichtsschreibung hatten die Filme so gut wie vergessen, als der Filmkritiker Peter Nau auf sie stieß.“

Mit dem vorliegenden Band hat er das Werk der beiden Absolventen der Ulmer Hochschule für Gestaltung so intensiv zu beschreiben unternommen, dass die Filme nachgeschaffen werden und darin fürs Erste „gerettet“. Aber es wird auch der Wunsch geweckt wird, sie zu sehen.

„Die Musik muss immer ein Sehnen enthalten, ein Sehnen über die Dinge dieser Welt hinaus.“ Schreibt Nau. Und beim Anschauen von Kahn/Leiners „Platzwunder“(1983/84) findet er genau diese Bewegung: „Dieses andere, das was die Sehnsucht meint, sucht der Film dort auf, wo es incognito ist, beim Verlorenen, bei dem, was unter die Räder kam, was Opfer des Fortschritts wurde.“

Dienstag, 14.12.2010

Hergé Moving Pictures

„Wie die meisten anderen Menschen seines Alters und Hintergrunds stand auch Hergé unter dem Einfluss der Filme von Buster Keaton und Charlie Chaplin. Sein allererster Comicstrip, Les Aventures de Totor, C.P. des Hannetons, der Mitte der Zwanzigerjahre in Le Boy-Scout Belge publiziert wurde und sich den Taten eines Pfadfinderführers oder chef de patrouille widmete, wurde mit den Worten „United Rovers präsentiert einen großartigen Comicfilm“ angekündigt, gefolgt von einem Credit beziehungsweise einem „Copyright“: „Hergé Moving Pictures. Regie: Hergé“. Schon hier, und später in den Tim und Struppi-Strips selbst, bediente Hergé sich des Mediums Kino, dessen Konventionen noch lange nicht festgelegt waren, um die Logik seiner Bilder zu bestimmen.“

So Tom McCarthy in seinem ganz wunderbaren und sehr seltsamen Buch „Tim & Struppi und das Geheimnis der Literatur“, in dem er das Universum der Comichelden und ihrer Reisegefährten erforscht.

Blumenbar Verlag, Berlin, 2010, 256 S., 18,90 €

Montag, 20.09.2010

Schlingensief ohne Pause

Volksbühne Berlin, 1993. „Kühnen 94 – Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“.

Das Stück wurde ohne Pause gespielt, so dass es keine bequeme Möglichkeit zu entkommen gab. Deshalb schloss ich mehrmals meine Augen, wie sonst nur bei Filmen. Es war aber nicht nur das Bühnengeschehen, sondern auch das, was auf zwei Leinwänden eingespielt wurde, was die Zumutung darstellte…Das Thema neuer und unbewältigter Nationalsozialismus wurde in einer Show verhandelt, mit einer gespielten Diskussionsrunde und einer Techno-Einlage, die zugleich brutal und lustig war…Der Regisseur trat selbst auf und sprach von sich in der dritten Person: „Was der Schlingensief sich alles traut!“ rief er fröhlich. Und immer wieder – begleitet von seinem Dackel: „Tabubruch! Noch ein Tabubruch!“ Das waren für mich die schönsten Momente.

Davor und danach war tatsächlich einiges auf der Bühne zu sehen, was ich noch nie dort gesehen hatte und auch nicht zu sehen wünschte…-

Wenn ich meine alten Notizen wieder lese, kommen sie mir so rückständig vor. Aber das liegt daran, dass man das Werk eines Menschen erst von seinem Tod aus beurteilen kann. So wie er selbst dann wohl auch, von draußen.

In seinem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ schreibt er an sich selbst: „Schau Christoph, versuch es doch, schreibe oder male irgendetwas, schau, dass du deine Sachen in Gedanken weiterführst. Und wenn du nicht mehr kannst , dann machst du halt eine Pause. Oder du schreibst drauf: „Pause“.“

Ganz lange Pause.

Montag, 06.09.2010

Tränen vor der Leinwand

Wer glaubt, dass der Film – und ganz besonders als ein Produkt, das die von ihm ausgelösten Tränen im voraus kalkuliert, wie ein weepie – konkurrenzlos ist auf dem Gebiet der Künste, hat noch nie davon gehört, was Gemälde anrichten können – so wie ich bisher.

Belehrt wurde ich darüber durch die außergewöhnliche Zeitschrift Fuge. Journal für Religion & Moderne. In der aktuellen Nummer erzählt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp dort in einem Interview von Pictures and Tears, einem Buch von James Elkins: „Der Autor stellt sich die Frage, warum Menschen vor Kunstwerken weinen, und beginnt mit einer eindrucksvollen Szene im Atelier von Rothko. Im Jahre 1967 kommt der Kunstkritiker Ulrich Middeldorf in Begleitung einer Kunstkritikerin, die auch Theologin ist, in Rothkos Atelier. Die beiden Besucher wenden sich den Werken des Künstlers zu, und die Kunstkritikerin bricht, ohne den Vorgang kontrollieren zu können, minutenlang in Tränen aus…Es scheint gewiss, dass vor den Werken keines anderen Künstlers des 20. Jahrhunderts Menschen öfter und länger geweint haben als vor den Gemälden Rothkos. An zweiter Stelle folgt dann Barnett Newman. Ich vermute, dass sich die Kontinuität des Religiösen an der Oberfläche abstrakter Malerei sich hier so unbezwingbar aufdrängt, dass der Mensch ergriffen wird. Er ist konfrontiert mit einer Oberfläche, die ihm die Gewissheit entzieht, dass diese Oberfläche nur Oberfläche sei.“

Zu finden in der Nummer 6/2010 der Fuge.

Sonntag, 22.08.2010

So schön wie hier

Christoph Schlingensief (1960 – 2010)

„Heute Abend habe ich mich erneut gefragt, warum das Leid als Währung in unserer Welt nicht richtig existiert. Das war doch früher mal anders, es gab doch Zeiten, wo man sich mit seiner Wunde nicht so verstecken musste.“

„Am liebsten würde ich einfach allen, allen Menschen zurufen, wie toll es ist, auf der Erde zu sein. Was einem da genommen wird, wenn man gehen muss. Ich wünsche mir so sehr, dass die Leute begreifen, wie sehr es sich lohnt, sich um diese Erde zu kümmern.“

Aus:

Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! (2009)

Donnerstag, 08.07.2010

Fliegende Filme

„Cosmo, ich glaube, du hast deinen Auftritt verpasst.“

Polleschs„Tal der fliegenden Messer“, Ruhrtrilogie Teil 1, gespielt auf einem alten Bahngelände in Pankow, gesehen während des Fußballspiels Deutschland gegen Spanien, deshalb ein paar leere Stühle, ganz ungewohnt. Flugzeuge, Feuerwehrsirenen und ein bisschen trauriges Feuerwerk fügen sich in den Sound ein. Im Hintergrund des Geländes eine halbtransparente Reihenhauskulisse. Es gibt die Spielorte Wohnwagen, Bühne und aufgesuchte „Locations“ hier und dort, gefilmt. Auf der glitzernden Nachtlebenbühne wird an einen Höhepunkt erinnert, der außerhalb der Theaterwelt liegt: „Der Alexander Kluge, der erzählte in seiner Dankesrede zum deutschen Filmpreis, dass man nicht vergessen sollte, dass jeder Film nur Teamarbeit ist. Man kann nicht alleine einen Film herstellen, das sagt er am Anfang und kriegt dafür Applaus von den ganzen anwesenden Filmleuten. Und nach zehn Minuten, am Ende seiner Rede, hat man das Gefühl er hätte die letzten zwei Minuten nur noch gesagt: Rainer Werner Fassbinder, Rainer Werner Fassbinder oder John Cassavetes.“ 

Das irritierende „oder John Cassavetes“ zeigt eine der Quellen des Stücks an: The Killing of a Chinese Bookie“. Wie immer ist das ganze Ensemble großartig, selbst wenn mal der Text hakt, das gehört dazu. Zwischen den Polen: wunderbar überdrehte Inga Busch und ein wie „eingeflogener“ Volker Spengler, der wie ein Orakel spricht.

Montag, 05.07.2010

Nachmittagsvorstellung

Der Zehnjährige kennt die Werbung schon, die nicht für ihn bestimmt ist. Sie läuft aber vor dem Film über die verhinderten Superhelden, in den er schon gehen darf. Er kommentiert sie mehr für sich als für seine Mutter oder seine Schwester, wie alle andere Reklame auch, die eine Verfehlung oder Zumutung darstellt. „Man denkt, die zieht sich aus, dabei zieht sie sich an!“, fasst er treffend die Grundidee des Spots zusammen. Das zu begreifen, stellt  für ihn eine Erleichterung dar, weil er der sexuellen Zumutung entkommt. So gesprächig er bei der Werbung ist, so still ist er während des Films. Aber bestimmt hätte man auch nicht erfahren, was er an der Stelle denkt, als eins der Kinder der Superheldenfamilie die große Verschwörung plötzlich ganz persönlich nimmt. Es fragt: “Also wollen die nur Moms und Dads Ehe zerstören?“ Was die Feinde zwar nicht vorhatten, aber wie alles andere Böse abgewendet werden kann.

Die Eltern des Zuschauers aber werden sich in wenigen Tagen scheiden lassen.

Sein etwas jüngerer Freund, der von Mutter und Tante einer dankbaren allein erziehenden Mutter abgenommen wurde und zum Kino gebracht und auch wieder abgeholt wird, hat andere Probleme. Er muss die für ihn unerträgliche Red Bull-Werbung verkraften, denn er weiß, dass es um den Tod geht, will es aber nicht wahrhaben und hat die Handlung auch nicht ganz verstanden. Also spielt er sich mit einer Nacherzählung dem älteren Freund gegenüber als Fachmann auf: „Man sagt doch immer: letzter Wunsch!“ So als käme das alle Tage vor. Eine kleine Pause ist nötig, um den nächsten Teilsatz aussprechen zu können: „Wenn man jemand umbringt.“ Und dann völlig kindlich und alles ignorierend, auch das Getränk, um das es ja ging: „Und der hat sich Flügel gewünscht!“ Die Erleichterung, dass das Opfer den Verbrechern entronnen ist, kann man ihm immer noch anmerken. Sein Freund nimmt diese Version gelassen hin und sagt nichts, was den Kleinen verlegen machen könnte.

Das Blau von Sitzreihen und Boden ist nach dem Film ganz verschneit vom Popcorn.

Sonntag, 27.06.2010

Vorhang

Frank Giering (1971-2010)

„Often the wounds and gifts we receive take longer to metabolize than the span of our lives would appear to allow.“ (Eric Miller)

Eine seiner Rollen erscheint für mich so eng mit ihm verbunden, als sei er es selbst gewesen: Der namenlose „junge Mann“ in Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder.“ (2004)

Er ist darin beschwert von einer tiefen Traurigkeit, die sich mit Langsamkeit so paart, dass sie nicht als „gespielt“ erscheint. Es ist kaum möglich, sich das, zuschauend, vom Leib zu halten. Vielleicht war es besonders diese quälende Intensität, die so viel Ablehnung bei Publikum und Kritik hervorrief.

Und die Art wie der „junge Mann“ dann aus dem Film verschwand, lässt auch an das verfrühte Ende von Frank Giering denken, den Sprung muss nicht immer der ganze Körper ausführen, es kann auch nur das Herz sein, das nicht mehr will.

„Grief is slow and and growth is slow and many kinds of love are slow.“ (Eric Miller)

Mittwoch, 23.06.2010

Unbrauchbar

„Und da darf doch keine Botschaft herauskommen außer der einen: der hat gemacht, was er konnte!“ So hat Vlado Kristl einmal zusammengefasst, was er selbst von sich verlangte.

Dabei war er umstellt von lauter Unmöglichkeiten: Von allem, was er vermeiden wollte und wovon er doch wusste, dass es nicht zu vermeiden war. Gerade ein unsentimentales Sachbuch über Kristl, wie das gerade von Christian Schulte vorgelegte, kann uns dieses Künstlerschicksal vor Augen führen, in seiner Verweigerung und Verzweiflung, in Tragik und Komik. Eine erschütternde Charakterstudie. 

Die Zerstörung der Systeme, Reihe Filit, Verbrecher Verlag, 2010, 126 Seiten, 11 €


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