Einträge von Matthias Rajmann

Sonntag, 14.08.2005

Rund ums Fernsehen, Hochbrück, Black Beauty

Wohnblock in Hochbrück bei München. In den Sandkästen zwischen den Hochhäusern zertrampeln Fiese die Sandburgen und klauen Matchboxautos. Holger und Pamela nehmen meine Schwester und mich mit in die Wohnung. Es riecht würziger, als ich es kenne, nach Bratwurst und Parfüm. Der Teppich hat lange Haare und ist lieb zu uns. Holger trägt eine dicke Hornbrille. Weil er nicht gut sieht, sitzen wir nah an der Mattscheibe. Die Füße der Mutter in Nylonstrümpfen versinken im lila Flokati. Barfuß gehen ist bei uns zuhause nicht wohl gelitten. Meine Schwester ist gebannt von Black Beauty. Die Mutter von Holger und Pamela hat dieselbe Frisur wie die Reiterin des Heldenpferdes, ein Pony. Meine Mutter toupiert ihre Haare. Black Beauty langweilt mich, und ich gehe, will raus, zum Pappel-Kanal, renne über die Straße. Ein kastenförmiger, orangener BMW muß bremsen. Stumm steigt ein Mann aus, packt mich heftig am Arm, zerrt mich auf den Gehsteig, frägt, wo ich wohne und schleppt mich dorthin. Er sagt meiner Mutter in die Sprechanlage, daß er mich beinahe erwischt hätte und schiebt mich nach dem Türöffnersurren ins Treppenhaus. Meine Schwester kommt nach Black Beauty heim. Um Ecken hören wir, daß die Tochter des BMW-Fahrers, der auch in einem der Blocks wohnt, im Jahr zuvor überfahren wurde.

Freitag, 15.04.2005

Kino II
Duden Bildwörterbuch
– bei einer Bibliotheks-Recherche unter der Rubrik „Deutsch für Ausländer“ drauf gestoßen –

Samstag, 09.04.2005

Klaus Lemke, Harun Farocki

Vor anderthalb Jahren war ich an der Kamera bei den Dreharbeiten für „Die Quereinsteigerinnen“ von Rainer Knepperges und Christian Mrasek. Zwei Frauen entführen den Telekomchef; gefangen gehalten – fast ohne Fesseln, weil es weit und breit keine Verbindung zu potentiellen Rettern und bald andere Bindungen gibt. In diese einsame deutsche Landschaft, die ein PKW-Kennzeichen aus drei Buchstaben hat – in der Bedeutsamkeits-Hierarchie der Versicherungen, d.h. Unfallzahlen, ganz unten, obwohl es eine ganze Region ist: HSK – in den Hochsaulerlandkreis also wurde er eingeflogen wie ein Star, von Paderborn mit Chauffeur geholt: Klaus Lemke – den die beiden Regisseure verehren. Er übernahm eine Rolle, spielte ein dunkle Figur mit tiefer Stimme und schwarzer Sonnenbrille, die von den Frauen als „Stuten“ spricht. Er wirbelte das Drehen auf, forderte Gefährlichkeit und trieb zum Tanz der Darsteller mit der Kamera.
Bei dieser Gelegenheit lernte ich Lemke kennen. Neulich gab er mir den Film, den er im letzten Jahr fertiggestellt hatte, auf Video. „3 Minuten Heroes“, der noch nirgends gelaufen ist.
Klaus Lemkes Synopsis: „Miles: Genialer DJ, der an Koks und Größenwahn zugrunde geht. Timo: In dem das Herz von St. Pauli steckt. Claudia: Killer-Lilly aus Schnelsen, inzwischen 28, Barfrau, Geliebte von Miles und Timo. Eine bittersüße Love-Story.“
An Harun Farocki hatte ich kurz geschrieben, nachdem ich den Film sah: „dieser 25jährigen-Look macht mich skeptisch, weil Lemke einiges über 60 ist und ich keine Verstellungen mag. Und dann ist da aber die unverschämte Dreistigkeit, mit der er in die Szenen springt wie ein Bungee-Jumper. Was mich nervt sind die ollen Kamellen von Typen und Bienen und Waffen und Kohle; das langweilt mich; deshalb guck ich auch nicht mehr fern – oder eben nur Boxen und Autorennen, wo es wenigstens ums Ganze und wirklich perverses Geld geht.“
Harun Farocki wollte den Film selbst sehen. Er hat es innerhalb einer Woche geschafft, eine Werkschau von Lemke-Filmen anzustoßen, denn er fand großen Gefallen. Damit der Film vielleicht aufm Münchner Filmest laufen kann und überhaupt erst die Hürde nimmt, von der Auswahl-Jury gesichtet zu werden, schrieb er dorthin. Dieser Brief wiederum gefällt mir, und um ihn zitieren zu können, bedurfte es dieser Vorrede.
Harun Farocki schreibt zu „3 Minuten Heroes“ ans Filmfest München: „Als ich davon die ersten drei Szenen sah, dachte ich, ich hätte ein Jugend-Club-Video vor mir, ein paar Minuten später murmelte ich etwas wie „Meisterwerk“. Endlich ist es jemandem gelungen, durch Armut frei zu werden. Die Figuren in diesem Film staunen über sich selbst, daß sie Gesten und Worte aufgreifen und sich anverwandeln und mit diesem Apparat fliegen können – wenigstens eine Weile. Und auch der Film ist glücklich darüber, dass Film möglich ist. Diese Begeisterung habe ich seit der Nouvelle Vague kaum noch gesehen, sie hat mich angesteckt.“

Freitag, 08.04.2005

Kino I
Doc Göttler

Montag, 28.03.2005

Willenbrock (Andreas Dresen) D 2005

Das Frollein an der Kasse des Kinos war eine Filmschülerin der Münchner Filmschule; vielleicht ein Job zur Finanzierung des Studiums. Es heißt, daß die Abgänger im Mediensektor unterkommen.
Beim Rüberschieben der Karten aus dem Glasgehäuse sagt sie, es sei nicht gesichert, ob der Film laufen werde; bei bloß zwei Zuschauern komme die Vorführung nicht zustande.
Ich schöpfe Hoffnung, daß es ein langweiliger Film sein könnte – im Sinne eines willkommenen Mangels an Dramaturgie. Dabei spricht der Titel Bände; ohne satte Hebelwirkung ist auch der Wille schwer zu brechen.
Es fand sich dann doch ein halbes Dutzend Leute ein. Der Saal ist derart groß, daß an den Seitenwänden, als Deko, je vier plakative Bilder einst gelaufener Filme in lockerer Hängung Platz finden, wie sie von den beiden in München noch tätigen Malern zur Werbung für die Fassaden der Kinos in Acryl angefertigt werden, ca. 6×4 Meter.
Die aufkeimende Langeweile angesichts der Fernsehspielnummer auf der Leinwand war insofern von der vergnüglichen Sorte, als vergleichbar der Muße, wie sie bei Klobrillengrübeleien sich einstellen kann, wenn keine Zeitung zur Hand ist. (Neulich sprach ein Bekannter vom „Zeitvertreib“, den er im Kino suche.)
Ob man nicht Maße einführen könnte, die wertfrei Auskunft erteilen und zugleich einen Index abgeben; es würde genügen, eine nüchterne Statistik anzufertigen von 5 Minuten eines Filmes:
Wieviele Schnitte? Welchen Anteil an Musik? Wieviel Quasselzeit? Wieviele Sätze, die den Anspruch mit sich herumtragen, in die Sammlung „Erfolgreiche Zitate und Aphorismen von A – Z für Bürgermeister und Kommunalpolitiker“ (weka-Fachverlag für Behörden, Kissing 1998) aufgenommen zu werden? Man hätte dann sowas wie eine Körbchen- oder Konfektionsgröße, die – je nach Vorliebe – beim Stöbern im Kinoprogramm die Treffsicherheit der Wahl erhöhen würde.
Daß nix los war, mag an der Nacht auf Karfreitag gelegen haben; Kino und Religion, verträgt sich das nicht? Oder die Menschen waren auf dem Weg zum österlichen Skifahren.

Samstag, 22.01.2005

Milchwald (Christoph Hochhäusler) D 2003

So riesig, übermannshoch, daß es, beim Radlabsperren, mim Kopf nach unten, also mit kopfstehenden Buchstaben, in fremder Sprache, sich reindrückt, das Plakat im Kinofoyer: „Les Bois Lacté“ – den Euro-Markt im Visier.

Eine Reminiszenz an Dylan Thomas‘ „Unterm Milchwald“ sei es nicht, sagt Christoph Hochhäusler.
Der Titel macht die Vorgabe, es handele sich um Sowaswiengedicht.

Milchwald – Weißwasser, immerhin scheut sich Hochhäusler nicht vor geographischer Bestimmtheit; eine Landkarte spielt mit, auf der dieser Ort verzeichnet ist. Der große Anspruch des Überall, die allgemeine Gültigkeit, also nicht.

Daß die Pampa unserer Breitengrade ein prima Gelände für eine Erzählweise abgibt, die eher Bericht ist als dramaturgisches Quetschwerk, indem sie sich zunächst von selbst der Übertreibung entzieht, war schon in Petzolds „Wolfsburg“ zu sehen.

Hochhäusler ist nah an die Grenze gegangen, Deutschland-Polen. Da fliegen die Pollen bollenweise, von der Windmaschine übers Feld getrieben der Stiefmutter um die Ohren, als sie vergebens nach den Kindern ruft, die sie zuvor wütend aus dem Auto warf.

Die Straße, über die sie in der ersten Einstellung gefahren kommt, hat Wellenform, ein ungewöhnliches Auf und Ab, auf das die Kamera mithilfe langer Fingerzeigbrennweite angeberisch hinweist. Der Schwenk mit dem Fahrzeug kurz darauf endet unvermeidlich mit dem Blick in die Hochspannungsleitungsraumtiefe.

Dann aber wieder das herrlich trübe Haus mit aufgeklebten Fensterkreuzen, gefliesten Fluren, Zimmern aus gipsverspachtelten Trockenbauwänden, in dem gevögelt und die Vermißtengeschichte durchlitten wird.

Gerne steigt man gelegentlich, wie Wim, aufs Hoteldach und nimmt die Leuchtschrift von hinten.

Das rotzige Mosern der Kinder, die strichmündige Betrübtheit der Stiefmutter, die dem Mann und sorgenvollen Vater nicht verrät, daß sie selbst die Bälger ausetzte und ihr von Filmen abgegucktes Leidenschaftsspiel im Sexgebiet – das von Hochhäusler ungebremste oder herausgeforderte Overacting wird in seiner Übertriebenheit spätestens erkennbar, wenn es sich messen muß mit dem Mittelmaß an Erregbarkeit von Miroslaw Baka, bekannt aus z.B. Kliers „Überall ist es besser, wo wir nicht sind“ und Kieslowskis “ … Töten“ – eine ihm aus der Erinnerung zugewiesene Rolle, die mich kindisch auf eine sich entpuppende Grausamkeit warten läßt. Hochhäusler sagt, daß – in seinem Film – dieser reisende Auffüller von Seifenspendern ein freies Leben führe. Vielleicht muß er deshalb Kuba heißen.

Weil es wirklich sehr gut gemeint ist, gibt es Musik nicht aus der Konserve und auch nicht vom Synthi, sondern eigens komponiert und eingespielt, mit Pauken und später auch Trompeten – nicht jedoch kitschig symphonisch, sondern kitschig angeschrägt, daß der Wald auch recht unheimlich märchelt.

Mir schien, als habe sich bei diesem „Kunstfilm“(M.H. in taz, 11.11.2004) der eine Hochhäusler nicht gegen den anderen durchsetzen können. Der Vorsatz zur Schlichtheit war im Ringen mit dem Marketingspekulanten nicht durchzuhalten.

Nun glaube ich zu wissen, warum im Veranstaltungsprogramm stand: Wir freuen uns auf den nächsten Hochhäusler-Film.

Freitag, 12.03.2004

Brigitte Hobmeier

Das Mieseste am Film ist sein blöder Anglotitel: „Identity Kills“, Sören Voigt, D 2003, 81 Min.

Brigitte Hobmeier, die sog. Hauptdarstellerin, steht an einem Glaskasten, in dem Figuren aus geschliffenem Kristallglas feilgeboten sind. Eine negroide Verkäuferin kommt dazu, sperrt die Vitrine auf und drückt ihr zur Begutachtung ein gläsernes Schildkrötelchen in die Hand. Über die Maßen lang steht B.H. mit dem Kleinod in Händen, ohne Zicken und Mucken. Die Verkäuferin im Vordergund frägt, als das Maß überschritten ist, ob ihr nicht gut sei – Zurechnungsfähigkeit in Frage gestellt.

B.H. hat, in meinen Augen, ein Püppchen-Gesicht, hütet sich aber vorm Mißbrauch, keine Faxen, kein Geschrei, das Expressive nach Innen gestülpt – dies scheint die Nöte der Dargestellten auszumachen.

Sie jobbt in einer Besteckfabrik. Man sieht, wie Blechplatten geschnitten, die Abschnitte auf ein Förderband sortiert werden, sie Stanzstücke von Hand unter die hydraulische Presse setzt, die das Blech ins Negativ einer Gabel drückt.

An einer Autobahnraststätte, beim Transport der Ware zum Kunden, hintergeht sie die Kollegin, die noch am Essen ist – ich schmecke geradezu das Besteck – und verscherbelt ein paar Gedeckkoffer an Automobilisten.

Im weidenen Wäschekorb lagert sie Geld und Reiseprospekt für einen Trip nach DomRep, von wo sie während der Kopfmassage beim Friseur erzählen hört. Die Karibikinsel, auf der es einen Hoteljob gibt, rutscht ihr in die Persönlichkeitsspalte und wird zum Spleen, den sie verfolgen möchte trotz Heirats mit einem Sportwagenfreund. Es hakt und hapert zwischen beiden; Beziehungsprobleme löst er, indem er den Einkaufswagen bedient. Auf den spröden Weidenkorb legt sie sich einmal, als wäre es ein plüschiger Kinderteddy.

Diese Frau, B.H., kommt mir in dem Film vor, wie eine Mutantin der Mouchette.

Zur Wesenswendung – kein Widerspruch – kommt es, als sie einen Plan faßt und eine Hintertreibung begeht, ein Spiel beginnt mit einer Hotelfachfrau, jener Parallelkundin beim Friseur, der sie – oh je, ganz ohne 19. Jahrhundert kommt das Drehbuch nicht aus – zufällig wiederbegegnet. Sie übernimmt den Part der eine Stelle feil bietenden Hotelmanagerin, nachdem sie sich eine Ausrüstung zusammenklaute – vom Kostümchen über den Aktenkoffer bis hin zur Sonnenbrille, die sie von einer zum Nachsetzen zu schwer bepackten Passantin pflückt. Sie inszeniert sich selbst, und man sieht ihr dabei zu, wie einer Verbündeten.

Nach dem nur hörbaren Mord an der Genasführten vollzieht sie den Rollentausch und zieht dieser die Kleider vom Leib. Sie drückt sich den Rock ins Gesicht, um den Duft der anderen in sich aufzunehmen.

Mittwoch, 14.01.2004

Karinas Flaum

WIR„, Martin Gypkens, D 2003, 100 min.

MonGay Preview in München. Die Kinolüftung packt die Parfümmenge nicht. Sogar das einzelne Werbefilmchen zuvor kompatibel: Regenbogenkampagne für Schwulensport.
Daß sie keinen Dialekt hatten, z.B. die Aachener, daß im Callcenter die Schalldämmwände zu niedrig sind, als daß die großen Kinder, die dort jobben, sich nicht drüberweg angucken und unterhalten könnten – beim Sehen hab ich mich gefragt, ob sowas der Erinnerungsstoff sein würde, den ich ein Zeitlein vom Film behalte.

wir.jpg

Eine Frau (Karina Plachetka) hat eine Zahnlücke und ruft mir einen Film von Les Blank (Gap-Toothed Women,1987) ins Gedächtnis, der sich im Nachweis versucht, daß die Lückenhaften besonders lustvoll seien. Diese hier ist die Pechmarie, weil sie nicht loskommt vom Bi-Freund, der nie zurückruft. Auf ihr liegt ein Schatten, wie der dunkle Flaum auf ihrer Oberlippe. Sie täte ich gerne öfter sehen.
Ein Blondschopf, der zum Glück nach Indien abhaut und erst gegen Ende wieder auftaucht, kaut expressiv auf seinem Mundwinkel. Sounddesign aus Weckernölen, Telefonklingeln, Clubmucke. Ambitionen der Filmleute, des tapetenversessenen Ausstatters und der Absolventen der Ernst-Busch-Schauspielschule. Gelegenheit zwangsläufig, die Gesichter anzugucken und nach vorne gewuschelte Haarschnitte, auch das Öffnen einer Olivenplastikschale und die kauende Stoppelbacke in einer Nahen.
Eine regiegeschulte Situationsverwicklung ist es, als eine der WG-Frauen, die gelegentlich einen Vögelfreier holt, diesen nach getaner Arbeit entlassen, er aber bleiben möchte, es zur Ohrfeige kommt, der Sich-mißbraucht-vorkommende sogar weiterprügelt; dann stoßen der Bi-Mann und sein Schwulfreund dazu, und der Bi prügelt den Prügler.
Vor der Wende wurden die Wägen auf dem Avus ausgefahren, hieß es einst. Jetzt passieren tödliche Unfälle auf der Strecke Potsdam-Berlin. Was ich nicht vermisste, ist der sinnvolle Gesamtzusammenhang.

Mittwoch, 31.12.2003

Trockener Schnee

zu
„Sie haben Knut“, Stefan Krohmer,
D 2003, 107 Min.

(Weil der Film glücklicherweise noch immer läuft …)

Fast jedesmal renne ich nach zehn Minuten aus dem Kino. Ich guck mir beim Hineingehen schon an, ob Säulen im Weg, Kurven in der Treppe, Podeste eingezogen sind. Die Werbung ist nütze, nicht solange sie Bilder zeigt, weil sie zu schnell sind, aber Schriften, und die kommen immer vor, welche das Produkt benennen und eine CI abliefern, um sicher zu sein, daß der Vorführer wieder schlampt. Die Schärfe stimmt fast nie. Das muß ich monieren und mich manchmal dumm anmachen lassen dafür. Heute hat es mich nicht gestört, weil ich allein im Saal war. Auf der Anzeigetafel an der Kasse stand „freie Plätze 180“; nachdem ich die Karte gekauft hab, 179. Ich sah „Sie haben Knut“ von Stefan Krohmer.
Ein Grüpplein in einer Skigebietshütte; ein Pärchen rauft sich zusammen und auseinander. Zwei Burschen sind dabei, 10 und 14, letzterer mit operierter Hasenscharte. Beim Milchholen vergnügt er sich, indem er die Kühe im Stall mit einem Prügel schlägt. Er hört frühe Technomusik. Die Chose ist Anfang der Achziger plaziert; die Sonnenbrillen markieren das. Wie in „La vie de Jesus“ (Bruno Dumont, F, 1997) gibt es Szenen im Sessellift, drei mal. Der Motor für deren Bewegung sitzt woanders; es ist still, obwohl die Paare in der Brettergondel durch die Landschaft transportiert werden. Ich finde, daß man einen ganzen Film machen könnte in solchen Schwebegleitern.
Einer von der Gruppe, Knut, kommt nicht, ist verhaftet worden. Es klingt an, daß es politische Aktivisten sind, ein paar jedenfalls. Eine Frau sagt mal verschämt zu einem, daß diese Zeiten vorbei seien, die anderen das aber nicht merken würden. Der Film macht sich darüber nicht lustig. Manchmal kommen die Sätze ungewollt daher wie Zitate; dieses Reden gefällt mir, weil die Sprache fast visuell betrachtbarer Bestandteil der sozialen Verhältnisse ist. Manchmal ist nicht zu verstehen, was gesagt wird, weil es nur für die Ohren des anderen/der anderen bestimmt ist, nicht fürs Mikro. Ein Pädagoge mit Bart findet den richtigen Tonfall für die Kinder, schleppt einem die Ski, als der nicht mehr mag und vom Vater gestutzt wird deshalb, und sie lassen sich darauf ein, mit dem Bärtigen ein Iglu zu bauen. Den Burschen ist nicht wohl, daß ihre jeweils alleinerziehenden Elternteile ein Verhältnis haben (von dem man, außer durch die Kinder, kaum mitbekommt), weil sie fürchten, daß wieder Idioten entstehen. Im Iglu machen zwei Liebe, die Frau aus der Paarschaft und der Gitarrenmann aus dem Grüppchen. Das Iglu bricht nicht über ihnen zusammen. Der dramatischste Moment ist es, als der Pädagoge sich seinen Knöchel verstaucht, weil er auf dem Eis ausrutscht, das der jüngere Bub anlegte. Der speckige Mann aus der zerbröselnden Beziehung liest „Deutschland umsonst“ von Michael Holzach (das zum Epochenausklang dann im Zweitausendeins verramscht wurde).
Als Knut auftaucht und tags drauf vom Semmelholen kommt, schmeißt einer einen Schneeball auf ihn, man sieht, wie er alle Semmeln wieder aufklaubt, eine liegenläßt, förmlich die geweichte Kruste schmeckend.
Wenn zu dem Geplänkel VOR der Kamera eben SIE ganz streng gewesen wäre, ganz nüchtern und unverrückbar, hätte ich den Film großartig finden können. Manchmal biedert sie sich an, wie sie verfolgt und mitschleicht, erscheint mir.
Das Charmelose des Films zeichnet ihn aus als einen deutschen; das finde ich befreiend, weil er nichts anderes sein will und darum seinen Platz einnehmen soll.


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