Einträge von simon rothöhler

Samstag, 16.04.2005

The Big Red One (Sam Fuller)

„This Is Fictional Life, Based on Factual Death“. Dann eine kinetisch organische Montagesequenz, die gerade nicht, wie es dann immer heißt, ‚den ganzen Film enthält‘, sondern eher ein Täuschungsmanöver darstellt. Fuller interessiert sich den restlichen Film über wenig für symbolische Verdichtungen faktischer Erfahrungen, sondern zerdehnt und biegt die visuell spektakuläre Seite des Krieges in schier endlose Wiederholungen und Alltagspraktiken zurück. In der Repetition der Handlungsmuster werden historische Räume und Konstellationen tendenziell unscharf, was aber vielleicht am ehesten einem soldatischen Point of View entspricht. Jedenfalls eher als Scotts oder Spielbergs übersomatisierte Engulfment-Ästhetik. In der bizarrsten Szene des Films agiert Lee Marvin – dem ich in den 1980 gedrehten Szenen, die teilweise 1918 spielen, anzusehen glaube, dass er, als Schauspieler, schon 1967 einen modernistischen Entfremdungsfilm überlebt hat – als tatkräftiger Geburtshelfer, der die Sprachprobleme seiner Truppe auszubügeln versucht und nebenbei aus Munitionsketten eine gynäkologische Apparatur bastelt: „Poussez!“ (Goddamn It).

Samstag, 26.03.2005

Repräsentationsprobleme, extreme cases

One theater in America was showing a film with a scene of a man dying of TB, in which his wife kisses the dying man. At this point the manager asked the drummer to imitate the sound of the kiss. The drummer wrote to a trade paper to complain: „Of course the people laughed – they always laughed when a kiss is imitated – and I think it spoiled the picture, because the scene was a sad one.“ Sounds for kissing scenes became quite an issue. Apparently some effects men would imitate the kissing sounds by whacking the top of a barrel with a board, while in some theaters the rowdier element would imitate the effect themselves with a chorus of lip-smacks. Young Fullilove was allowed to do much the same: „I would also kiss the back of my hand to represent screen kisses, and in extreme cases pull a cork from an empty bottle!“.

(Stephen Bottomore: „The Story of Percy Peashaker: Debates about Sound Effects in the Early Cinema“; in: Abel/Altman (Hg.): The Sounds of Early Cinema. Bloomington, 2001).

Freitag, 18.03.2005

Twentynine Palms

David und Katia laufen durch 29 Palms, was ein ausgedachter und kein gefundener Ort ist. Noch nicht metaphorisch, nicht mehr materialistisch, wenn dieser Zeichen-Ding-Gegensatz überhaupt Sinn macht. Jedenfalls spricht der Film nicht wirklich allegorisch. Zu hören ist eine Bach-Suite, die als diegetische inszeniert wird und akusmatisch ausströmt. Der vorgestellte Shopping-Mall-Lautsprecher, der diese schöne Musik in Dumonts Jerry-Springer-Amerika scheppert, bleibt im Hors-Champ. Postkatholisch, meint E.; Alice in den Städten-Syndrom, meint S. Duisburg hat dennoch andere Probleme und Rüdiger Vogler würde auch nicht im Cape-Fear-Kostüm aus dem Badezimmer hechten. Odd Film, Old Film, Art Film? Die Untertitel legen sich auf letzteres fest.

Donnerstag, 17.02.2005

Kontaktbilder

„Kontaktbilder? Bilder, die etwas berühren, dann jemanden berühren. Bilder, um zum Kern der Fragen zu kommen: berühren, um zu sehen, oder im Gegenteil berühren, um nicht mehr zu sehen; sehen, um nicht mehr anzurühren, oder im Gegenteil sehen, um zu berühren. Bilder, die zu nahe gehen. Bilder, die haften bleiben. Hindernisbilder, in denen aber das Hindernis etwas in Erscheinung treten läßt. Bilder, die aneinanderhängen oder an dem, was sie abbilden. Bilder, die an etwas stoßen. Bilder, die sich an etwas lehnen. Bilder mit Gewicht. Oder aber sehr leicht sind, aber uns sacht und flüchtig streifen, so daß sie uns doch berühren. Streichelnde Bilder. Tastende oder schon fühlbare Bilder. Bilder vom Entwicklungsbad geformt, vom Schatten modelliert, vom Licht gemalt, von der Belichtungszeit gezeichnet. Bilder, die uns gefangennehmen, uns möglicherweise manipulieren. Bilder, die uns weh tun, verletzen können. Bilder, um uns zu packen. Durchdringende Bilder, verzehrende Bilder. Bilder, damit unsere Hand sich bewegt.“
(aus: Georges Didi-Huberman: „phasmes“, 2001, S. 30)

Die Bilder von Denis/Godard berühren Körper, die an globalkapitalistischen Schnittstellen atmen und aufgerissen werden, dann den Zuschauer, der nicht weiss wohin, mit dieser weltweit vernetzten Intimität und deren taktilen Geldströmen. Leere Herzen in Bildern mit Gewicht, welche Kontakt aufnehmen, mit einer Ökonomie, die sich angeblich schon lange ins Immaterielle verflüchtigt hat. Repolitisierung des Index. Kontaktbilder, die wissen, wo sich die Hindernisse verschanzt haben und auf Tuchfühlung gehen. Selten war man so sehr: in bed with late capitalism.

Samstag, 05.02.2005

Lola (100 Worte)

Demy, sagt M, setzt die Welt, die er aufstellt, nicht unter Druck, was verschiedene Formen von Unbeschwertheit ermöglicht, die bei mir den Wunsch nach Erdung hervorrufen. Gravity als Desiderat: wenigstens eine halbwegs physische Matrosenbewegung; Hopper in Harringtons Night Tide oder eben gleich das komplette Querelle-Programm. Eine Leichtigkeit, die figurativ elaboriert gebaut ist und deshalb nur kurz unter Poesieverdacht gerät. Auf dem Spiel steht dabei trotzdem wenig; zu wenig, finde ich. French-Feingeistigkeit ist codierter Populismus, für die, die immer Ophüls dazu denken mögen. Ungerecht ist ein solches Reden über diesen Film natürlich auch, etwa weil es diese wunderbar triviale Zeitlupen-Sequenz gibt.

Freitag, 14.01.2005

Return to the Real

„The evidence of cinema is that of the existence of a look trough which a world can give back to itself its own real and truth of its enigma (which is admittedly not its solution), a world moving of its own motion, without heaven or a wrapping, without fixed moorings or suspension, a world shaken, trembling, as the wind blows it. That is how Kiarostami’s cinema is a metaphysical mediation (to play on Descartes ’s title). But this does not mean a cinema treating of metaphysical themes (for example, in the sense that Ingmar Bergman’s „Seventh Seal“ does); it means cinematic metaphysics, cinema as the place of mediation, as its body and its realm, as the taking-place of a relation to the sense of the world.

[…]

The capturing of images in a film […] captures nothing if it is not to let free again. The framing, the light, the length of a take, the camera’s movement contribute to free a motion, which is that of a presence in the process of making itself present. The film’s ‚maker‘ makes nothing other than a making-real and a realization of the real: of the real that a respectful gaze makes possible.“

(aus: Jean-Luc Nancy „L’Évidence du film. Abbas Kiarostami“. Brüssel: Yves Gevaert, S.44, 38)

Samstag, 01.01.2005

The Clearing (Pieter Jan Brugge) USA 2004

In den ersten Szenen erinnerte mich Helen Mirren an Romy Schneider in Les Innocents aux mains sales, Chabrol, 1975. Die nouveau riches sind alt geworden, aber immer noch schöne Menschen. Minimal irritierte Gesten verraten die sorgfältig kaschierten Zumutungen performativer Bürgerlichkeit. Noblesse oblige. Jeder Auftritt wird als öffentlicher begriffen, gerade im privaten Raum, gerade wenn der erreichte Status kein tradierter ist. Nicht für die ‚Fassade‘ dieses Lebensstils interessiert sich Brugge, der erstaunlicherweise auch Heat produziert hat, sondern wie dieser körperlich gefüllt wird.
Upper-class-Biographien als Geschichten der Einübung in kontrollierte, gemessene Bewegungen. Throwing Like a Girl, würde man in den Gender-Studies dazu sagen. Die Klassendifferenz zwischen Redford und Dafoe, die ich beide lange nicht mehr so zurückgenommen und präzise gesehen habe, zeigt sich allein schon darin, wie ersterer Manschettenknöpfe zu bedienen gewöhnt ist.
Auch erzählökonomisch ist der Film von seltener Klarheit; eine eigentlich simple dramaturgische Entscheidung – die Unterwanderung der impliziten Gleichzeitigkeitsbehauptung ‚parallel‘ montierter Handlungsstränge – wendet den Thriller schleichend aber transparent ins Melodramatische. Der entstehende Riss bilanziert vor allem ein denkbar nüchternes Liebesmodell. Die gelassene Aufrichtigkeit, mit der Redford seiner abwesenden Frau eine finale Liebeserklärung macht, ähnelt jenem Tonfall, in dem Maggie Cheung in Clean gegenüber ihrem kleinen Sohn genossene Drogenexzesse erklärt, nicht rechtfertigt.
Blicke in den Himmel; Mirrens gefasster Abschied von Redford. Mit kalkuliertem Understatement, wie zuletzt Nicole Kidman in der erbaulichen Wagner-Szene bei Glazer, liefert sie ihr Gesicht indiskreten Großaufnahmen aus.
Die tausendmal ideologiekritisch zerlegte und doch immer wieder stupende faciale Souveränität der Hollywood-Stars, die genau hier ihren Mehrwert erzeugen.
Im Wald ist Redfords Körper ein letztes Mal Träger der Distinktionspolitik des Arrivierten; am Ende wird er nicht zuletzt als sozialer ausgelöscht. Material Ghost: erst sie für ihn, dann er für sie. Mit Patrick Swayze und Demi Moore hat das allerdings wenig zu tun. Fast möchte ich sagen: 20 +1 toller Film 2004; ein Schauspielerfilm.

Freitag, 31.12.2004

20 tolle Filme, zum ersten Mal gesehen 2004, DVD/Kino

Stuck on You (Farrellys), Children of the Beehive (Shimizu), Portrait of Jenny (Dieterle), Tropical Malady (Weerasethakul), Collateral (Mann), The Assasination of Trotsky (Losey), Gerry, Elephant (van Sant), Whirlpool (Preminger), Los Muertos (Alonso), Routine Pleasures (Gorin), A Farewell to Arms (Borzage), The Passenger (Munk), L‘ Enfant secret (Garrel), Night Tide (Harrington), Infernal Affairs 2 (Lau/Mak), S 21 – la machine de mort Khmère rouge (Panh), 29 Palms (Dumont), Dil se (Ratnam), Starsky & Hutch (Philips).

Dienstag, 16.11.2004

The Manchurian Candidate (Jonathan Demme) USA 2004

Die closure macht den Zwilling des Kandidaten dann doch wieder zum Herr im eigenen Haus; entlang der Wiederherstellung des politischen Urteilsvermögens und einer geschichtsbewussten Subjektivität, können auch die staatlichen Apparate wieder ihren demokratischen Dienst aufnehmen. Schade, dass Demmes ansonsten so smartes Update, in dem die Verschränkung von Geo- und Biopolitik den Sprung in die zeitgenössische Machtlogik markiert, die Spirale der Konspiration ausgerechnet in einem fotografischen Sentiment ertränkt. Während Warren Beatty in Parallex View noch zum handlungsohnmächtigen Schatten ‚desubjektiviert‘ wurde, darf Denzel Washington die historisch-kritische Aufarbeitung der Verschwörung identitätssicher anführen. Wenn die böse Hitchcock-Mutter tot ist, kann plötzlich wieder ungeniert tapferer Soldaten gedacht werden. Dass der angeblich so unterwanderte Staat dann durch den verliebten Blick einer Polizistin repräsentiert wird, hat mir für einen Moment den Film verleidet.

Freitag, 08.10.2004

The Hunted (Hundert Worte)

„There is no reference in what you do“, flüstert es den überausgerüsteten Freizeitjägern zu. Verweise hinterlassen und als bedeutende Spuren wahrnehmen – darauf gründet der modus operandi echter Naturburschen, die noch ein indexikalisches Weltverhältnis leben. Ein kartographisches Spiel betreiben sie: Räume mappen, auch in der urbanen wilderness noch Material finden, in das eingeschrieben werden kann. Der Showdown als biblische Verabredung; archaisch, vielleicht auch antizivilisatorisch, in jedem Fall aber: nicht mehr im Zugriffsbereich einer Polizeimacht, die high-tech-bewehrt im Hubschrauber kreist und die Räume nicht mehr prozessiert bekommt. Am Ende werden alle Abdrücke ausgelöscht; Briefe verbrennen, Schnee legt sich über die Landschaft.

The Hunted (William Friedkin) USA 2003


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