Einträge von Stefan Ripplinger

Donnerstag, 12.06.2008

Tierfilm

Neben vielem anderen ist Murnaus „Sunrise“ auch ein Tierfilm; Ochsen dominieren das Idyll, Hühner müssen wie das Kind versorgt werden, Pferd und Hund wittern den Mordplan, das Wildschwein betrinkt sich mit den Landleuten im Luna Park und tritt als Gespenst auf. (Ich frage mich, ob die Tiere dem stockdummen Plot von Hermann Sudermann oder der überragenden Bildphantasie Murnaus entspringen, bin aber geneigt, Murnau alles Schöne und Interessante zuzuschreiben.)

Samstag, 31.05.2008

Passagen

Bei Manoel de Oliveiras „Palavra e Utopia“ (2000) musste ich an John Huston denken. Schon der Vorspann, eine Fahrt unter Baumwipfeln, erinnert ein wenig an den berühmten Anfang von „The African Queen“, aber frappierend sind die metonymischen Kürzel für die Reisen des unermüdlich missionierenden Jesuitenpaters Vieira, um den es in dem Film geht. Er reist von Brasilien nach Portugal, Schwenk über Meerwasser von links nach rechts, er reist von Portugal zurück nach Brasilien, Schwenk über Meerwasser von rechts nach links – genauso wie in „Prizzi’s Honor“ (1985), die von links nach rechts, von rechts nach links fliegenden Flugzeuge. Ich war dann etwas enttäuscht, als Vieira zum letzten Mal nach Brasilien aufbricht und die Kamera nicht übers Meer schwenkt. Aber als er am Ende gestorben ist, folgt in der genauen Entsprechung zur Fahrt unter den Wipfeln eine über Wasser, als ob er immer noch unterwegs wäre.

Sonntag, 25.05.2008

Bildhauer

Man hat die Handkamera bei Cassavetes für ein Mittel der Verlebendigung, für eine kunstlose Verneigung vor der Kunst der Schauspieler gehalten, aber in „The Killing of a Chinese Bookie“ (1976) ist deutlich zu sehen, dass sie modelliert und verewigt, sie schält Ben Gazzaras Haupt aus dem Dunkel, als ob es das eines Cäsars wäre.

Samstag, 24.05.2008

Living-room

Die Wahrheit über das Kino, das konservieren soll, was verloren geht, in einer Szene von „Fra Diavolo“ (1933): Stanlio fragt Ollio, ob er ihn nach seinem Tod begraben oder ausstopfen soll. Was er denn mit „ausstopfen“ meine, fragt Ollio empört. – „I thought it would be nice to keep you in the living-room.“ Die Szene handelt auf ihre Weise auch von Liebe.

Freitag, 16.05.2008

Remake

Die uninteressanten Künstler sprühen von Ideen, die interessanten kauen auf einem und demselben Gedanken herum. So sind im Grunde alle Fords und alle Ozus Remakes von früheren Fords und Ozus, aber in manchen Fällen ganz explizit; Ford drehte mit „The Sun Shines Bright“ (1953) „Judge Priest“ (1934) noch einmal, Ozu mit „Ukigusa“ (1959) noch einmal „Ukigusa Monogatari“ (1934). Beidemale ist der zweite unendlich viel reicher und differenzierter als der erste, der wie die Skizze zum Gemälde erscheint. Und doch fehlt der Verbesserung etwas, was der Entwurf hat, eine gewisse Lässigkeit, Unbekümmertheit, vor allem Unvollkommenheit.

Sonntag, 13.04.2008

Emigholz

Während unser verschnarchtes Feuilleton seine Ausstellung im Hamburger Bahnhof ignoriert hat oder, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, seine grandiosen Architekturfilme mit Diaabenden verwechselt, hat Heinz Emigholz in einigen süd- und nordamerikanischen Ländern, vor allem in den USA seine Freunde gefunden, auch in dieser und jener Zeitung und in Blogs. Am besten gefällt mir diese Bemerkung: „Emigholz reveals a remarkable, observant, nearly difficult intelligence whose perspective will clearly enrichen those willing to watch and listen.“

Mittwoch, 09.04.2008

Rückprojektion

Vermutlich ist der Film „Der rote Baron“ unerträglich, ich will es gar nicht überprüfen, aber dieses Argument aus der Rundschau leuchtet mir nicht ein: „Die digitalen Kampfszenen sind lächerlich und kaum von jenen billigen Rückprojektionen zu unterscheiden, denen Howard Hughes in Hollywood schon 1930 eine Absage erteilte.“ Howard Hughes erteilte ja manchem eine Absage, nicht zuletzt den Bazillen. Ich freue mich immer über die Rückprojektionen und wundere mich, dass sie ganz aus der Mode sind. Als Sirk gefragt wurde, weshalb er bei „Magnificent Obsession“ nicht besser aufgepasst habe, da sei doch, wenn Rock Hudson und Jane Wyman durch die Schweizer Postkartenlandschaft gondeln, an den falschen Schatten zu erkennen, dass es sich um Rückprojektionen handele, antwortete er, diese Irritation komme ihm gerade zupass. Und hat er nicht Recht? Steigert es diese Szene nicht noch, dass man nie sicher sein kann, wo man ist, wenn man so sanft dahingegondelt wird, halb im süßen Traum, halb im herben Studio? Die Arts of the Artificial sind gerade dann nicht steril, wenn sie sich nicht völlig der Illusion ergeben.

Dienstag, 01.04.2008

Dassin

An wieviele Filme erinnert man sich, die man vor über 25 Jahren ein einziges Mal im Kino gesehen hat? Nicht viele wohl. Ich erinnere mich an „10:30 p.m. Summer“ von Jules Dassin, zwar an sehr wenige Einzelheiten nur, nicht daran, dass Marguerite Duras die Vorlage geschrieben hat, aber doch an den Regen und daran, dass mich der Film zutiefst verstört hat und ich ihn seither wiedersehen wollte.

Montag, 28.01.2008

Happy Together

Als in „Blindsight“ von Lucy Walker (GB 2006) die blinden tibetanischen Kinder den Lhakpa Ri hinansteigen und dabei nicht etwa das tibetanische Äquivalent von „Im Frühtau zu Berge“, sondern Happy Together von den Turtles singen, spüre ich wieder, wie herzergreifend die Globalisierung sein kann.

Donnerstag, 29.11.2007

Blut

Die Biographen ereifern sich darüber, dass die Hauptdarsteller die ganze Zeit besoffen waren, der beste Kenner klagt seitenlang, wie reaktionär der Regisseur sei, der Regisseur selbst behauptet, den Film nie gesehen zu haben. Eine schlechtere Presse als „The Horse Soldiers“ (1959) hat kaum ein Werk von John Ford. Und doch ist es ein bemerkenswerter Kriegsfilm, grimmig, aber nicht zähnefletschend, resigniert, aber ohne Selbstmitleid, zynisch, aber nicht widerlich. Er formuliert den Krieg in Inversionen; der Eisenbahningenieur, der Gleise in Klump legen muss, der Arzt, der bloß den Tod bringt, Kindersoldaten in Paradeuniformen, die die Schlacht gewinnen. Das stärkste Bild aber ist ganz undialektisch: Ein Sanitätshelfer tritt auf die Straße und schüttet einen Eimer Blut aus.


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