Einträge von Volker Pantenburg

Dienstag, 16.12.2008

Sharon Lockhart | Becky Allen | James Benning

Aus Anlass der Sharon Lockhart-Ausstellung in der Wiener Secession, in der neben Fotografien und zwei neuen Filmarbeiten (LUNCH BREAK, 35mm auf HD, 80 min | EXIT, 16mm, 40 min, beide von 2008) auch Teile aus James Bennings Baseballsammelkarten-Collection zu sehen sind, hier ein Hinweis auf Becky Allens Website.

Becky Allen hat – wie schon bei KHALIL, SHAUN, A WOMAN UNDER THE INFLUECE (1993), bei TEATRO AMAZONAS (1999) und in PINE FLAT (2005) – den Score für LUNCH BREAK (in diesem Fall gemeinsam mit Benning) komponiert. Über die Arbeit an TEATRO AMAZONAS schreibt sie: „The film was a live filming of the choir concert and therefore the premiere of the piece. The entire sound track focuses on the music and incidental sound that is heard through the film. The concert premiered at the baroque opera house, Teatro Amazonas, in Manaus Brazil. I worked directly with a 60-person choir from Manaus; the Choral Do Amazonas. The performance was recorded live the day of the shoot with a 60-person choir. I began the piece with a large chord cluster of all 60 voices at the start of the film. Then, slowly and imperceptibly, the clustered voices progress to a single note over the period of 24 minutes. As the music decays it slowly fuses into the incidental sounds made by the audience.“

Dienstag, 09.12.2008

Kino- und TV-Hinweis

Wäre ich heute abend in Berlin und wollte ins Kino gehen, würde ich mir – anlässlich einer Buchvorstellung von Jeanne Faust – im Arsenal Rüdiger Neumanns Film ARCHIV DER BLICKE ansehen (20:00 Uhr). „ARCHIV DER BLICKE ist ein Portrait Westdeutschlands in den 80ern. So hat es sich angefühlt, dieses Land ohne Zentrum, ein Nebeneinander von Provinzen, deren wichtigstes Unterscheidungsmerkmal die Fassaden der Häuser waren: Klinker im Norden; Beton, Schiefer, Eternit in der Mitte; Holz und Geranien im Süden. Der VW Scirocco ist so gepflegt wie die Wälder, durch die er fährt. Deutschland im Jahr der ersten Kohlschen Wende 1983“, hat Ulrich Köhler hier über den Film geschrieben.

Bliebe ich zuhause vor dem Fernseher, würde ich mir das KINOMAGAZIN anschauen, für das Sven von Reden eine Sendung mit und über Jonas Mekas gemacht hat. (3sat, 22.25 Uhr bis 22:55Uhr, Wiederholung 03:25 Uhr bis 03:55 Uhr).

Samstag, 06.12.2008

Dem Klassizismus gehört die Zukunft

Kino heißt: Brüche in der zeitlichen Wahrnehmung hervorzurufen. Das ist in der Aneignung und Fortschreibung der neuen Formen – insbesondere der Zeitkonzepte – seit den 60er Jahren vergessen oder verdeckt worden. Die Einseitigkeit der Modernerezeption: Man hat sich für Antonioni entschieden, nicht für Godard. Und zwar weltweit. Das Plansequenzkino, ein gedämpftes, einsinniges Dahinströmen der Zeit, keine Brüche. In Frankreich gilt das für so weit auseinanderliegende Positionen wie die Garrels oder Claire Denis‘, auch für Pialat. Gegen diese totalisierende Tendenz kann und muss man andere Tendenzen stark machen. Boris Barnet oder Leo McCarey, vieles, was es im vermeintlich prä-modernistischen, klassischen (US oder Sowjet-) Kino gab.

Anders als in den übrigen Künsten ist in der Filmgeschichte nie eine Tür zugeschlagen worden. Man kann immer noch alles machen. Es gibt nicht den Punkt (wie in der Malerei), an dem man nicht mehr – oder nur noch ‚meta’ – gegenständlich malen kann. Es gibt nicht den Punkt (wie in der Musik), an dem man keine klassische Symphonie mehr – es sei denn ironisch – schreiben kann.

Alle Türen stehen weit offen. Dem Klassizismus gehört die Zukunft.

[Das hat, so oder so ähnlich, Serge Bozon in der Debatte gestern Abend im Centre Pompidou gesagt. (Er spricht sehr schnell und eruptiv, man versteht nicht alles.) Der letzte Satz – Le classicisme est à venir – ist ein Rohmerzitat, das Bozon gern und immer mal wieder benutzt – oder sich ausgedacht hat, ich finde es jedenfalls grad nicht.]

Dienstag, 04.11.2008

Election Day 2008

„… weil hier die Wirklichkeit das Leben überholt hat.“

[F. H. v. Donnersmarck um 23.22 Uhr im New Yorker ARD-Wahlstudio im Gespräch mit Otto Schily, Gerd Ruge, Dr. Cerue Diggs und Sandra Maischberger]

Montag, 27.10.2008

Langtexthinweis

Dass Film forschen könne – siehe Wolfgang Schmidts Eintrag von gestern –, davon war Jean Epstein überzeugt. Etwas über das vor einiger Zeit erschienene Buch mit einer Auswahlübersetzung aus seinen Schriften zum Film steht jetzt hier.

Mittwoch, 22.10.2008

Was der Krieg anrichten kann

[…] mit genau jener anmutigen Spröde […] glamouröse, nationalsozialistische Kosmopolitin […] jener barbarischen Taktik der sowjetischen Truppen […] in der Psyche des unterlegenen Volkes […] mit genau jener Mischung aus unnahbarer Kühle und verletzlicher Tiefe, die man nur im deutschen Kino in dieser Perfektion findet. Authentische Menschlichkeit […] Quentchen Macht über ihr Schicksal zu erkämpfen […] eine der anspruchsvollsten Rollen im laufenden deutschen Kinojahr […] schwierigen Film […] den schönen und edelmütigen russischen Offizier Andrej […] Wie schwach, wie feige […] darf in seiner Schwäche weitere Schichten der Menschlichkeit freilegen, die aus einer Tragödie der unvorstellbaren Grausamkeiten ein Drama machen, in dem das Überleben zum heldenhaften Kraftakt wird. […] der Geniestreich gelungen, ein Tabuthema der deutschen Geschichte so zu inszenieren, dass es die aktuellen Ängste vor dem Absturz aus einem kosmopolitischen Wohlstandsleben in die archaische Form des Faustrechts nachvollziehbar macht. […] Eines der gruseligsten Tabuthemen der deutschen Nachkriegsgeschichte […] Beklemmung, aber keine Bestürzung […] der heldenhafte Kraftakt des Überlebens […] allzu authentischen Schlussstrich […] erforderte Mut […] Thema, das an viele Tabus und Empfindlichkeiten der historischen Aufarbeitung stößt. […] Trauma der deutschen Nachkriegsgeschichte begraben […] einige cineastische Meisterwerke möglich gemacht […] zerstörerischen Spirale der Grausamkeit […] ein dramaturgischer Schleichweg.

[Andrian Kreye: Der Kraftakt des Überlebens, Süddeutsche Zeitung, 22. Oktober 2008]

Dienstag, 21.10.2008

Assess and Evaluate

Am Strand lag einer, der, nachdem er seine Liege an ein schattigeres Plätzchen gezogen hatte, die Taschenbuchausgabe des „Baader Meinhof Komplex“ zu lesen begann. Der Impuls, in den Schatten zu gehen, deutete darauf hin, dass er noch nicht lange am Urlaubsort war; seine noch blasse Haut stützte den Eindruck. Wahrscheinlich waren er und seine Freundin (wie wir vor knapp zwei Wochen) abends spät auf der anderen Seite der Insel gelandet und dann heute Morgen mit dem Leihwagen weitergefahren. Heute war Freitag, gestern war der Edeleichinger in Deutschland angelaufen. Ich rechnete mir aus, dass sich – spätestens jetzt – die Taschenbücher am Flughafen stapelten, und da hatte dieser Urlaubsleser kurzentschlossen zugegriffen.

Ja, so musste es gewesen sein.

Das prozessierende Denken, das von einem unscheinbaren Tatbestand auf seine möglichen Hintergründe schließt, um daraus die denkbaren Folgen und notwendigen Reaktionen abzuleiten, hatte – das merkte ich an dieser Gedankenkette – von den Lee Child-Romanen auf mich abgefärbt. „He had been taught to assess and evaluate,“ heißt es in einem der Bücher über Jack Reacher, und diese basale Krimi-Formel überträgt sich so wirkungsvoll auf den Leser, dass ich einmal nachts nicht schlafen konnte, weil die Spannung kaum auszuhalten war. Welche widerwärtigen Dinge würde sich Hook Hobie oben in der schallisolierten Büroetage des WTC noch ausdenken? Es gibt aber noch einen zweite Facette von Reachers Methode: „and to use pure force of will to succeed“ – die Fred-Niezsche-Meets-Dirty-Harry-Seite der Romane, die manchmal ein bisschen nerven kann.

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Urlaubshaft am Urlaub sind nicht mehr der Strand, die Sonne und das Meer. Urlaubshaft ist die Lizenz, zwei Wochen lang keine Emails zu lesen. Man sollte deshalb keine Urlaubsanträge mehr einreichen, sondern beim Arbeitgeber beantragen, offline sein zu dürfen. Auch die „out of office“-reply macht kaum Sinn, wenn das Büro 33 x 22,5 x 2,5 cm groß ist und einen fast immer begleitet. Diesmal war das Büro zuhause geblieben und wir mieden die Internet-Cafés wie ein trockener Ex-Alkoholiker das Kneipenviertel.

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In einer der Pensionen gab es Satelliten-Fernsehen. Die deutschen Sender funktionierten nicht, aber irgendwo weit hinten, auf Programmplatz 749, blieb ich an CNN INTERNATIONAL hängen. Es war der Tag, an dem das amerikanische Finanzhilfepaket nicht zustandekam. Bei den Pressekonferenzen wechselten sich Republikaner und Demokraten ab. Ich kannte diese Leute nicht, die über hunderte Milliarden Dollar entscheiden müssen und war überrascht von ihrer Ruhe. Auffällig auch der saloppe Tonfall, ganz in der Linie des amerikanischen Pragmatismus. We need to get the job done, sagte einer immer wieder hemdsärmelig, und ein anderer replizierte – noch näher an der Idee des Tellerwäschers – let’s clean up the mess. In den Werbeblöcken zwischendurch wurden einem die Vorzüge des Finanzstandorts Dubai mit einer Vehemenz eingeprügelt, gegen die die 0190-Clips in den Privatsendern wie höfliche Einladungsgesten wirkten.

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In eigentlich jedem Buch von Ross Thomas fährt jemand einen Chevrolet. Deshalb hielt ich es für passend, dass unser Leihwagen ebenfalls ein Chevrolet war. Wenn ich hier also schriebe: „We got back into our Chevrolet and started crossing the island to be back at the coast before dusk“, würde es, ohne gelogen zu sein, fast wie eine Zeile aus einem Ross-Thomas Roman klingen. Ich müsste dann allerdings verschweigen, dass es sich bei Thomas meist um einen IMPALA handelt, während unser Modell MATIZ hieß und wahrscheinlich selbst nicht genau weiß, wie es zum Namen Chevrolet gekommen ist.

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Großartig an den gelben Ullstein-Versionen der Ross-Thomas Bücher sind die nachlässigen Übersetzungen. Wenn jemand ein Büro sucht, das auf dem vierten Flur liegt und ein anderer ein Mädchen aufgreift, dann weiß man sofort, in welchem literarischen Kosmos man sich bewegt. Schon ein Titel wie GEHEIMOPERATION GELBER HUND! Wenn ich einen Krimi schreiben würde, dann müsste er genau diesen Tonfall treffen. Er müsste so klingen, als sei er schnell und etwas fahrig, aber mit einem Gespür für den Drive des Ganzen aus dem Amerikanischen übersetzt worden.

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Vierzehn Tage ohne Kino. In einer der größeren Städte auf der Insel lief ausschließlich MAMMA MIA, und so ausgehungert waren wir nun doch nicht. Erst am Tag des Rückflugs, als wir ein paar Stunden in der Hauptstadt der Insel zu überbrücken hatten, ergab sich die Gelegenheit. BURN AFTER READING lief hier schon, ein oder zwei Wochen früher als in Deutschland. Aber fünf Ross Thomas- und zwei Lee Child-Romane hatten mich so vollständig in den Bann des Geheimnisvollen gezogen, dass ich mich nicht damit abfinden wollte, dass hier zwar alle Gesten, aber kein Geheimnis zu finden sein sollte. Wir waren die einzigen Gäste in einem großen Multiplex-Kino. Draußen in der Mall tranken die Jugendlichen ihren Starbucks-Kaffee und kauften in klimatisierten Geschäften Kleidung, die so aussah wie die Kleidung in Berlin auch aussieht. In zwei Stunden sollten wir Chevrolet am Flughafen auf dem Parkplatz des Autoverleihs abstellen. Es war schon Nacht, als die Maschine endlich abhob.

Sonntag, 12.10.2008

http://www.calidoscopio.net/2006/09Septiembre/images/F_Bill_Traylor.jpg

„Bill Traylor saw what he looked at. From 1939 to 1942 he made over 2000 paintings and drawings, either from memory or current observation. ‚I missed plowing so bad today, I just had to draw it,‘ he once said, and from the placement of his images on the page, each always creating a unique negative space with great balance, you could tell he knew the contour of the land he had worked so hard. In three years he created a most sophisticated chronicle, accurately describing his very being.“

[James Benning über Bill Traylor und Andy Warhol, über das Hingucken und die Zeit, im Blog des wexner center for the arts; via girish]

Dienstag, 30.09.2008

Filmhinweis

Viennale 2008: 17. bis 29. Oktober 2008. Trailer:

Jean-Luc Godard: Une catastrophe, F/Ö 2008, Farbe und s/w, 1 min.

Sonntag, 07.09.2008

Nicht vergessen: 500 Yen.

MADAMU TO NYÔBÔ (THE NEIGHBOUR’S WIFE AND MINE) von 1931 sei der erste japanische Tonfilm, kann man lesen. Aber die Töne und Geräusche kommen in dieser Komödie nicht als technischer Fortschritt und Qualität vor, auch nicht als angenehme Zerstreuung, sondern fast ausnahmslos als nervtötende Störung und Ablenkung. Ein Theaterautor muss in kurzer Zeit ein Stück fertigstellen, aber es sieht nicht danach aus, als würde er das schaffen. Zu Beginn liefert er sich mit einem Pleinair-Maler ein schönes Rededuell über ihre jeweiligen Künste. Welches Haus gefällt dir besser, fragt der Maler: dieses hier auf meiner Leinwand oder das da vorne, das zu mieten ist? Das da vorne natürlich, antwortet der Schriftsteller, und wie zum Beweis dafür (und weil es sich erzählerisch grad so ergibt) zieht er mit seiner Familie dort ein.

Den Maler könnte man für die Hauptfigur des Films halten, aber nach ein paar Gosho-Filmen ahnt man, dass eine Figur, der zu Beginn alle Aufmerksamkeit gehört, unter Umständen im weiteren Verlauf gar keine Rolle mehr spielen wird. (Das ist kein Mangel, sondern Ausweis einer demokratischen Auffassung von Dingen und Menschen, die nicht ohne weiteres in Haupt- und Nebensachen einzuteilen sind.)

Dieses Reihenhaus am Stadtrand, in dem sich die Bücher stapeln und die Gemälde provisorisch an die Regale gelehnt sind, ist voller Geräusche, an Arbeit ist kaum zu denken. Nachts, als er sich endlich an seinen Schreibtisch hockt, jaulen die Katzen draußen, und er jault zurück und krümmt den Rücken zu einem Buckel. Anstatt zu schlafen, schreien die Kinder, und am nächsten Morgen weckt ihn das Mädchen zuerst mit einem großen Wecker und dann mit einer Glocke, an der wie ein Preisschild ein mahnender Zettel mit der Aufschrift „Time is Money“ befestigt ist. Immer wieder verzieht der arme Mann das Gesicht vor Schmerzen und hält sich die Ohren zu. Als zentrale Geste in einem „ersten Tonfilm“ kommt mir das einigermaßen subversiv vor, selbst wenn der Film am Ende die etwa hastige Wendung nimmt, dass die im Nachbarhaus probende Jazz-Band mit dem Song „The Age of Speed“ seine Schreibblockade löst und wir ihn im Schlussbild mit Frau und Kind singend durch die Felder ziehen sehen.

[Weitere Filme von Gosho Heinosuke bis Ende September im Arsenal-Kino]


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