Einträge von Volker Pantenburg

Freitag, 11.07.2008

Errata

Wer den Text über die Filme der DZIGA-VERTOV-Gruppe in einer der letzten Ausgaben der Zeitschrift „film-dienst“ gelesen hat, wird sich die Sache folgendermaßen vorstellen:

Anfang 1968 zieht Jean-Luc Godard in die Schweiz. *** Als es in Paris brenzlig wird – „Anzeichen für eine Entladung des sozialen und intellektuellen Unmuts“, gemeint ist wohl das Frühjahr 1968 – reist Godard nach London, um die Rolling Stones bei den Proben im Aufnahmestudio aufzunehmen. *** Dann ist das Festival von Cannes. *** Godard gründet die DZIGA-VERTOV-Gruppe und macht von nun an Filme unter diesem Namen. *** Was die Autorschaft dieser Filme angeht, so ist es unklar, wer außer Godard an ihnen beteiligt war. *** Nein, „[b]ei genauerem Hinsehen“ merkt man, dass die DZIGA-VERTOV-Gruppe „im Wesentlichen aus Jean-Luc Godard und seiner Lebensgefährtin Anne-Marie Miéville besteht“. *** Der Film PRAVDA von 1969 ist zu kritisieren, weil Godard das in der CSSR aufgenommene Material im Schneideraum „von der komfortablen Schweiz“ aus montiert. *** 1974 dreht Godard das „Meisterwerk“ TOUT VA BIEN.

Undsoweiter.

Möglicherweise hat Claus Löser (dessen Arbeit ich gemeinhin schätze, darum geht es nicht) spektakuläre neue Dokumente gefunden, die all das belegen. Wenn ja – sein Text erwähnt allerdings nichts Derartiges –, dann ziehe ich meinen Beitrag zurück und freue mich darauf, seine Recherchefunde kennenzulernen. Wahrscheinlicher aber scheint mir, dass das oben Aufgezählte zur folgenden Gegendarstellung Anlass gibt:

Keineswegs zieht Godard 1968 in die Schweiz (das tut er 1977 oder 1978). Zwischen 1968 und 1972 ist er fast ununterbrochen unterwegs in Europa, dem Nahen Osten und den USA. 1972 verlegt er seinen Wohnort nach Grenoble. *** Die Rolling Stones filmt Godard im Juli/August 1968, zwei Monate nach dem Festival von Cannes. In welchem Bezug die Reise nach London zu den Anzeichen für eine Entladung des sozialen und intellektuellen Unmuts stehen soll, ist mir nicht klar. Ebensowenig weiß ich, für wen diese Reise „überraschend“ war. Für Godard? Für seine Frau Anne Wiazemsky? Für Claus Löser? *** Die Gründung der DZIGA VERTOV-Gruppe, wenn man denn von einer Gründung sprechen will, findet irgendwann im Laufe des Jahres 1969 statt; einige frühere Filme wurden im Nachhinein „adoptiert“; ohnehin ist „Autorschaft“ in diesem Fall eine Frage der Zuschreibung, denn einen Vor- oder Abspann, der die Gruppe nennt, gibt es nicht. (Es gibt allerdings eine sehr umfassende und verlässliche Filmographie von David Faroult.) *** Man weiß sehr wohl (und kann das schon im Reihe Hanser-Band von 1979 nachlesen), wer zur DZIGA VERTOV-Gruppe gehörte (federführend neben Godard zunächst Jean-Henri Roger, dann, ab VENT D’EST Jean-Pierre Gorin). *** Ich wüsste nicht, wo man „genauer hinsehen“ müsste, um zu erkennen, dass Anne-Marie Miéville, mit der Godard ab dem nicht realisierten Projekt MOI JE (1973) zusammenarbeitet, an den Filmen der DZIGA VERTOV-Gruppe maßgeblich beteiligt gewesen wäre. Im Gegenteil: Man müsste an allen denkbaren Stellen besonders ungenau hinsehen, um auf diesen Gedanken zu kommen. *** TOUT VA BIEN wurde im Januar / Februar 1972 gedreht und hatte Anfang April des gleichen Jahres seine Premiere.

Undsofort.

Ich will nicht auf die sprachlichen Merkwürdigkeiten eines Texts eingehen, der damit beginnt, dass jemand in die „’innere Emigration’ in der Schweiz“ geht (was nun: geht er in die innere Emigration oder geht er in die Schweiz?) und damit einen öffentlichen Rückzug einleitet, den ich mir allenfalls als einen Rückzug aus der Öffentlichkeit vorstellen kann. Ich will eigentlich überhaupt nicht über diesen Text sprechen, weil alles, was man über ihn sagt, den Beigeschmack von Herablassung und – weil man es besser weiß – Besserwisserei haben muss. Andererseits wäre es ein Missverständnis, den Hinweis auf Selbstverständlichkeiten, die fern von jedem Geheimwissen liegen, sondern immer wieder in Texten über Godard zu lesen waren, als Arroganz auszulegen. Was mich ratlos macht, ist eher die Frage, wie ein Text zum Abdruck kommt, der seinen Gegenstand so wenig ernst nimmt, aber aus haltlosen Fehlinformationen Spekulationen ableitet, die im Tonfall des selbstsicheren Urteils daherkommen.

Ein guter Freund, dem ich von meiner Mut- und Ratlosigkeit berichtete, wie (und ob überhaupt) auf das Falsche richtig zu reagieren sei, sagte mir, ich solle es jedenfalls nicht einfach ignorieren; sonst strenge sich doch bald niemand mehr an.

***

[Die Filme des GROUPE DZIGA VERTOV sind noch bis zum 24.7. im Berliner arsenal zu sehen, darunter der burleske VLADIMIR ET ROSA, der lehrstückhafte TOUT VA BIEN, der analytische LETTER TO JANE und der hochreflexive ICI ET AILLEURS. Wer nicht in Berlin wohnt, dafür aber Französisch oder Spanisch spricht, hat seit kurzem die Möglichkeit, die Filme der DZIGA VERTOV-Gruppe – incl. dem knapp einminütigen Werbeclip für das After Shave „Schick“ – auf DVD zu kaufen.]

Mittwoch, 09.07.2008

Bruce Conner, 18. November 1933 – 7. Juli 2008

conner.jpg

[Take the 5:10 to Dreamland (1977)]

Dienstag, 24.06.2008

Temenos 2008
will present the premiere of

Gregory J. Markopoulos’s ENIAIOS Cycles 3-5
June 27 – 29, 2008

Markopoulos

The outdoor projections will take place at the site for
which the work was created, near Lyssaraia in Arcadia, Peloponnese.

Further details at
www.the-temenos.org

Montag, 23.06.2008

Euro 2008

Ich bin weder ein besonders geübter noch ein besonders konzentrierter Fussballzuschauer, aber beim Spiel der Niederlande gegen Russland hat man die chauvinistische Bildregie kaum übersehen können.

Wann immer der russische Fanblock zu sehen war, orientierten sich die Bilder an der Ikonographie der Horde: barbäuchige, nicht besonders hübsch anzusehende Grölende, wippend im Takt ihrer Trommeln. Als pars pro toto für „Niederlande“ dagegen wurden jeweils Großaufnahmen von traurig-ätherisch dreinblickenden Blondinen (die Niederlande lagen zu diesem Zeitpunkt zurück) mit Fähnchen auf den zarten Wangen gezeigt. Diese Form der dubiosen Emotionalisierung der Übertragung scheint mir viel stärker zu sein als noch vor zwei Jahren. Auch sonst kommt es mir vor, als seien die medialen Player von der Nationalisierungswelle 2006 (selbst wenn sie aktiv daran mitgearbeitet haben), zu sehr überrascht worden, um seinerzeit im Vorhinein ihre geballten Kollateralmaßnahmen darauf abzustimmen. Heute jedoch arbeitet jeder Auto-, Bier- und Sonstwasfabrikant genauso wie die Berichterstattung selbst am laufenden Meter mit den Fahnen. Dass „Europa“ dabei kein Korrektiv, sondern ein zusätzliches, nur scheinbar metanationales Signifikat sein würde – die Summe, nicht das Gegenteil der Fahnen –, war absehbar.

Wahrscheinlich verhält es sich so, wie Saskia Sassen es in ihrem Buch über die Globalisierung beschreibt: Das Globale ist nicht als Überwindung oder Abbau des nationalen Prinzips zu verstehen, sondern als seine Modifikation. In der heutigen SZ steht eine Besprechung ihres Buchs, aber in der gleichen SZ schämt man sich nicht, auf Seite 2 die widerliche Formulierung, dass „das Boot“ „voll“ sei, nicht nur zu benutzen, sondern gleich gut europäisch in den Plural zu versetzen. Zwar sind hier ganz wörtlich die Flüchtlingsschiffe gemeint, aber mit der Formulierung handelt man sich die Metapher ein und mit der Metapher das Ressentiment.

Dienstag, 03.06.2008

Ein Lehrstück

Einer der beiden Farelly-Brüder, von denen ich immer dachte, man müsse ihren Familiennamen auf dem „e“ betonen und nicht auf dem „a“, bevor ich jetzt, beim Angucken eines der Bonus-Schnipsels auf der THE HEARTBREAK KID-DVD merke, dass es wohl doch eher Richtung „farely“ auszusprechen ist (zumindest tut dies einer der Schauspieler, vielleicht sogar Ben Stiller, naja, nicht so wichtig), jedenfalls hat einer der beiden Farelly-Brüder vor seiner Konvertierung zum Regisseur ein kreisrundes Handtuch erfunden und sich patentieren lassen. Die Erfindung ergab sich fast zwangsläufig aus der einfachen Beobachtung, dass die Sonnenbadenden am Strand in regelmäßigen Abständen gezwungen sind aufzustehen, um die Ausrichtung des Handtuchs dem geänderten Stand der Sonne anzupassen. Mit einem kreisrunden Badetuch entfällt diese Zumutung, man dreht einfach den Körper wie auf einem Zifferblatt der Sonne hinterher, ohne das Handtuch bewegen zu müssen; es klingt nach einer sicheren Geschäftsidee. Dieser eine der beiden Farelly-Brüder ließ also in Brasilien – möglicherweise ist Brasilien eine der führenden Badetuchfabrikationsnationen, ohne dass ich je davon gehört hätte, wahrscheinlicher ist, dass dort kostengünstiger produziert wird als in den USA – kreisrunde Handtücher produzieren. Allerdings verkauften sich diese Handtücher wider Erwarten nicht nur nicht gut, sondern überhaupt nicht, und dieser eine der beiden Farelly-Brüder zog daraus den Schluss, dass seine Ausgangsdiagnose falsch gewesen ist: Für die Leute am Strand ist die Ausrichtung des Handtuchs nach der Sonne keineswegs ein Zwang, sondern – ganz im Gegenteil – eine willkommene Abwechslung. Ich bin geneigt, dieses Lehrstück vom überraschenden Scheitern des kreisrunden Handtuchs als Hinweis darauf zu interpretieren, dass sich nicht alles dem funktionalen Diktat der Bequemlichkeit fügt, sondern manches an ganz ungeahnten Orten vom Eigensinn der Abwechslung durchkreuzt wird.

Sonntag, 25.05.2008

17/100

Die Geschichte vom politisierten Filmemacher, der 1968 gemeinsam mit einem Genossen im kältesten Norden Kanadas einen Monat lang ausgewählte „Worte des Vorsitzenden“ über einen Radiosender ausstrahlen und den Bewohnern der Gegend die Gelegenheit zur Äußerung ihrer revolutionären Forderungen am Mikrofon geben wollte und dieses Unternehmen nach drei Tagen ohne Rückmeldung des „Volks“ abbrach, um auf dem Rückweg in Richtung Süden mit dem Plan für ein Buch über die Zusammenhänge zwischen Maoismus und Klima auf die geänderte Lage zu reagieren.

Donnerstag, 08.05.2008

16/100

Die Geschichte vom Filmwissenschaftler, dem im Titel THE MOST DANGEROUS GAME die mit Blick auf den Plot sehr viel naheliegendere Bedeutung von „Game“ als „Wild“ über Jahre hinweg verborgen geblieben war und der die Schuld daran auf den deutschen Verleih schob, weil dessen freie Übersetzung GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN sich feige unter der Mehrdeutigkeit des Originaltitels hinweg geduckt hatte.

Samstag, 03.05.2008

Schöne, mir bislang unbekannte Formulierung: „Don’t get semantic!“, Ethan Hawke von seiner Ex- oder Noch-Ehefrau als Vorwurf an den Kopf geschleudert und in den Untertiteln als „Werd nicht spitzfindig!“ übersetzt. Möglicherweise hab ich mich aber auch verhört.

Sonntag, 20.04.2008

Kitano

„I still bear an ineradicable grudge toward Takeshi Kitano, one of the few contemporary Japanese filmmakers known in the West, for spearheading this cultural rollback by hosting one of the first Darwinist game shows in television history. Fuun! Takeshi Jo (Takeshi’s Castle, 1986-9) became the model for a global flood of television shows that translated Thatcherite values of competition and social selection into the voluntary degradation of participants.“

[Hito Steyerl: Life in Film, in: Frieze 114 (April 1008), 32-33: 33]

Donnerstag, 17.04.2008

15/100

Die Geschichte der Dreizehn.


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort