13 Lakes (Benning, 2004): Ein Roadmovie, dessen Strassen sich in den Schwarzbildern zwischen den Seen verstecken. Der Kontinent, die zurückgelegten Wege im Auto. Die Anstrengung des Sehens und Hörens: sedimentierte Arbeit, von der man sich zehn Minuten lang pro See erholen kann. Bennings Filme sind großzügige Gesten gegenüber den Zuschauern; er teilt Blicke und Zeit. Dass Großzügigkeit als Zumutung aufgefasst werden kann und das Geschenkte wie Gestohlenes, erzählt etwas über den Sehenden. Die empörte Frau, die bis Minute Fünfzehn neben mir sitzt, atmet beim ersten Bild von See 2 geräuschvoll ein. Das überwältigte Einatmen des Benning-Fans, der sich auf ihren Platz setzt, klingt genauso. +++ Le Pont des Arts (Green, 2004): Zwei Paare lieben aneinander vorbei, ohne davon zu wissen. Eine singt Barockmusik und springt von der Brücke. Einer schmeißt sein Studium und verliebt sich in ihre Stimme, ohne von dem Selbstmord zu wissen. Die Stimme der Toten lässt ihn den Kopf aus dem Gasherd zurückziehen. Was bei Green nicht aneinander vorbeigeht, sind die Blicke und die Kamera. Es ist ein Schock, bei vielen Dialogen frontal angeblickt zu werden, man fühlt sich ertappt. Wenn es gelingt, zurückzublicken, sieht man einen Film, der auf eine Weise mit Garrel, Eustache und Bresson zu tun hat, die in hundert Worten unmöglich zu beschreiben ist. +++ Miscellanea III (Emigholz, 2005): Verbindungen, Scharnierstücke, Gelenkstellen zwischen den Eigennamen-Filmen der „Photographie und Jenseits“-Reihe. Ein ausgetrockneter kleiner Flusslauf im amerikanischen Westen, der stehengebliebene „Chicago Stock Exchange Arch“ von Louis H. Sullivan. Was der Bogen trug, ist 1972 abgerissen worden. Besuch bei den Gräbern von Sullivan und Goff. Abtastende Schwenks. „Unique to the design is a sparkling chunk of blue glass cullet salvaged from the tragically burned Price house in Bartlesville, Oklahoma. The metal, glass, and stone reflect the light, always an essential element of Goff’s architecture. The marker reads: Bruce Goff Architect 1904-1982 in a handmade typeface which Goff often used on his drawings.“ +++ D’Annunzios Höhle (Emigholz, 2005): Emigholz ist besser, wenn er Dinge filmt und hört, die er liebt. Deshalb ist die Denunziation D’Annunzios deutlich schwächer als die respektvolle Verneigung vor Sullivans Banken oder Goffs Gebäuden. Der Durchgang durch die Räume in D’Annunzios Gruselkabinett zeichnet sich durch eine programmatische Nachlässigkeit aus, die sich schneller erschöpft als der geduldige Blick und das immer wieder neue Staunen, das in jeder Einstellung des Goff-Films liegt. Hier spricht der Hass, und ihn durch Bilder sprechen zu lassen, ist gar nicht so einfach. Daher die durcheinander quatschenden Computerstimmen. Plunder, Lächerlichkeit, Kunstreligion, Lifestyle, Faschismus, das kommt einem irgendwann vor wie eine trübe Suppe. +++ The Basis of Make Up III (Emigholz, 2005): Der Sullivanfilm, der Maillartfilm und der Gofffilm gehören von der UNESCO refinanziert. „The Basis of Make Up“ ist etwas anderes als ein abgefilmtes Textarchiv. An den 38 Heften, restlos vollgeschrieben, bemalt und -collagiert ist vielmehr im Zeitraffer erkennbar, wie die Seiten schon als Trickfilm inszeniert sind. Schwarze, eckige Schlangen fressen sich einmal von den Rändern aus durchs Karopapier, umzingeln die Schrift und ziehen sich wieder zurück. Dazwischen Einstellungen von Ornamentalem, ein Wand- oder Bodenmosaik, hallende Geräusche. Diesmal Fotos aus D’Annunzios Geisterbahn. Man frisst sich durch mehrere Jahre Emigholz, und der müsste eigentlich altern, während der Film durch den Projektor läuft. +++ Dumplings (Chan, 2004): B. hatte Fruit Chan empfohlen und dann hinterher geschoben, dass die Filme „manchmal etwas seltsam“ seien. Hier ist es eine Dorian Gray-Geschichte, statt eines Paktes und eines Bildes besteht die Verjüngungskur im regelmäßigen Verspeisen junger Föten. Eine Abtreibung mit gehörigem Nachbluten und auch sonst einige Ekelhaftigstkeiten gibt’s zu sehen, mal auf Horror gebürstet, mal ins Komische überschraubt. Christopher Doyles Kamera nervt weniger – Kunststück – als bei 2046, der leersten Affektpose der letzten Kinomonate. Dass der Doyle nebst seinen unzähligen Epigonen an die Wand gestellt gehört, sagt M. später im Arsenal-Foyer in gutgelaunt-stalinistischem Tonfall. Nach der Revolution wird alles besser. +++ Stadt als Beute (von Alberti, Gronenborn, Dehne, 2005): Erzählen, das sich jung wähnt und dabei weder das eine noch das andere ist. Nicht jung und kaum Erzählen. Das Tolle an Omnibusfilmen ist, dass die einzelnen Teile sich unterscheiden; hier allerdings zeigt erst der Abspann, dass verschiedene Leute Regie gemacht haben. Die Stadt, von der im Titel die Rede ist, kommt nicht vor, der Film ist ohne es zu wissen die Beute, gegen die in Polleschs Stück so zornig gewütet wird. Drei Individualgeschichten von Schauspielern, die, wie René bei den Proben immer wieder lässig einschärft, „einen Bezug zum Stück“ finden sollen. Am Schluss lachen alle wie auf dem Kindergeburtstag. +++ Ten Skies (Benning, 2004): Wenn ich einen Begriff finden sollte, um die letzten fünf Filme von Benning zu beschreiben, wäre es nicht „Reduktion“ oder „Konzept“. Vielleicht würde ich „Elementary Filmmaking“ sagen. Sehen und Hören, eine Rückkehr zu den elementarsten Funktionen der Kinematographie. „Paying attention“: komischer Ausdruck – Aufmerksamkeitsökonomie. Der Himmel als Funktion der Landschaft. Die Landschaft als Funktion der Zeit. Man denkt den Himmel immer im Scope-Format, hier ist er in 16mm, wie durch das Dachfenster von Bennings Bekanntem, wenn er in der Badewanne liegt. Die Politik des Rahmens. Die Politik des Tons. Die Politik des Bildes. De rerum naturae. Alles andere als ein Naturfilm. +++
Einträge von Volker Pantenburg
Sonntag, 13.02.2005
Freitag, 04.02.2005
Lola (100 Worte)
Wie ich jeden Augenblick damit rechne: gleich fangen sie an zu singen. Wie die Dialoge nicht richtig an den Figuren zu haften scheinen und die Figuren nicht richtig an der Stadt, durch die sie sich bewegen. Wie Raoul Coutards Fotografie die schwankenden Bewegungen zusammensetzt zu einer Strömung, die als Poesie falsch zu verstehen leicht fällt. Wie das ein Musical fast ohne Lieder und beinah ohne Körper ist, aber mitten in einem realen Nantes des Jahres 1960. Im amerikanischen Musical sticht die Hyperkörperlichkeit der Tänzer aus dem künstlichen Dekor des Studios hervor. Hier, so kommt es mir vor, ist es andersrum.
Lola
Frankreich / Italien 1961
Regie: Jacques Demy
Freitag, 31.12.2004
+/- 20 tolle Filme, zum ersten Mal gesehen 2004, Kino / VHS
Capturing the Friedmans (Jarecki), Children of the Beehive (Shimizu), Dead End (Wyler), Deprisa, deprisa! (Saura), Die Jahreszeiten (Pelechian), Election (Payne), Elephant (van Sant), Eternal Sunshine of the Spotless Mind (Gondry), Ich bin den Sommer über in Berlin geblieben (Schanelec), L’Esquive (Kechiche), La Vie Nouvelle (Grandrieux), Le Revelateur (Garrel), Medium Cool (Wexler), Mysterious Object at Noon (Weerasethakul), One way passage (Garnett), Peau d’Ane (Demy), Raja (Doillon), Stuck on you (Farelly & Farelly), The Brown Bunny (Gallo), The Cooler (Kramer), The Wild Angels (Corman), Ulysse (Varda), Zwischen Gebäuden (Schultz)
Donnerstag, 30.12.2004
FREIBURGER PROJEKT
Phase 1
Montage aus im Straßenbild vertrauten Materialien (Klötze, Steine, Rohre – typische Baustellengegenstände) wird in der Stadt ohne Aufwand errichtet.
Phase 2
Passanten später daraufhin beobachten, ob sie diese Umweltveränderung, die als kunstvoll und sinnlos erkennbar ist, wahrnehmen. Evtl. fotografieren(?)
Phase 3
Die Presse berichtet über die Montagen und ihren Standort.
Phase 4
Gleichzeitig mit der Pressemeldung verschwinden die Montagen (abbauen).
Phase 5
Reaktion des Publikums, das durch den Pressehinweis nach Kunst sucht, wo keine (mehr) ist, wo aber welche war, bevor man sie bemerkte.
P.R.
Freiburg April 1967
[Peter Roehr 1944-1968. Neues Museum Weimar. Die Sammlung Paul Maenz Band 2, hg. von den Kunstsammlungen zu Weimar, bearbeitet von Gerda Wendermann, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2000, S. 130]
Samstag, 25.12.2004
Bad Santa
Terry Zwigoff: Was offered $10,000 by the Gap to appear in a commercial about hip filmmakers, but turned it down, citing his dislike for big companies. Den Film über Robert Crumb von 1994 habe ich nicht gesehen. Angeblich wurde Zwigoff während des Drehs von solchen Rückenschmerzen geplagt, dass er einen Revolver unter sein Kopfkissen legte, um sich gegebenenfalls erschießen zu können. Die Waffe soll später als Druckmittel eine Rolle gespielt haben, als Crumb aus dem Projekt aussteigen wollte.
In „Ghost World“, über den Christian Petzold und Ludger Blanke vor gut drei Jahren den ersten Text hier posteten, ging ich völlig unvorbereitet. Nach fünf Sekunden hatte mich der Film auf seiner Seite, das passiert selten (bei „Elephant“ war es dieses Jahr ähnlich). Das Travelling außen entlang der Häuserwand. Drei-, viermal Mikrokosmos/Makrokosmos, innen/außen, parallel dazu Mohammed Rafis „Jaan Pehechan Ho“. Die Bollywood-Tänzerinnen und Enid, von der wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen, schütteln alles von sich ab, was Alltag heißt (und der Film fängt diesen Alltag in den kommenden 90 Minuten wieder ein): es konnte nichts mehr schiefgehen.
Letztes Jahr hörte ich, dass Zwigoff einen neuen Film gemacht hat, „Bad Santa“, eine Weihnachtskomödie.
Ich weiß ja nicht.
Nicholson sagte ab, Murray zog „Lost in Translation“ vor, so dass jetzt Billy Bob Thornton den versoffener Loser spielt, der alle Jahre wieder den Kaufhausweihnachtsmann geben muss. Das geht mit viel Tristesse, Geschimpfe und Körpersekreten einher, und die Witze, die aus dem Kontrast zwischen Kinderträumen und der zynischen Frustration des unambitionierten Safeknackers herausspringen, sind so voraussehbar, wie man es vorausgesehen hatte. Da hat S. schon recht, wenn er sagt, der Film habe nach den ersten drei Minuten (Ranfahrt durch den leise rieselnden Schnee auf eine Kneipe, bis hinten durch zur Bar, an der Thornton in voller Santa-Montur sitzt und einen nach dem anderen hebt) alles gesagt und stelle danach nur noch Variationen dieses Bildes her. Trotzdem: mindestens drei schöne Dialogzeilen gibt es zu hören, und an der Stelle, an der der Sicherheitschef Bernie Mac und sein Spitzel John Ritter sich am Schreibtisch gegenübersitzen und sich über das weitere Vorgehen gegen die Chaoten unterhalten, musste ich an Heinz Emigholz‘ „Démon – Die Übersetzung von Stéphane Mallarmés ‚Le démon de l’analogie'“ von 1977 denken. In Emigholz‘ Film bekommt jeweils ein Mallarmé-Wort eine Einstellung und wird dreifach multipliziert: französisch, deutsch, englisch. Mallarmés Text wird auf drei Sprecherinnen verteilt und jedes Wort zum Bild- und Klangklötzchen. Auf einmal ist Sprache so irr, sprunghaft und kantig wie Sprache nun mal ist.
Bei Zwigoff ist es anders: Er schneidet so, dass immer der zu sehen ist, der gerade spricht, und weil der Dialog beständig an Geschwindigkeit zunimmt, gibt es ein zunehmend groteskes Ping Pong. Schuss-Gegenschuss in forcierter Plansoll-Übererfüllung: Hier macht sich jemand das luxuriöse Weihnachtsgeschenk, die ziemlich durchschnittliche Erzählung für ein paar schöne Momente über die Klinge des etablierten Verfahrens springen zu lassen. Frohe Weihnachten.
Freitag, 03.12.2004
TV-Hinweis
Samstag, 4. Dezember 2004 um 00:25, arte:
Katzensprung, F 2004, Regie: Chris Marker
Der Film hat heute abend Vorpremiere im Centre Pompidou, morgen nacht dann wird er von arte, die ihn mitproduziert haben, verschämt nach Mitternacht gezeigt. Das Monatsprogramm schaufelt ganze vier Textzeilen dafür frei, gibt im Netz eine andere Anfangszeit an als in der Printfassung (da ist von 00.20 Uhr die Rede), schreibt den Nachnamen des Filmemachers falsch und hofft wohl insgesamt, dass keiner den Film wahrnimmt. Den Gefallen werde ich ihnen nicht tun. Wenn man den Originaltitel herausgefunden hat, der nirgendwo vermerkt ist, findet man im Netz sogar den ein oder anderen Artikel.
Maldone (100 Worte)
Der tödliche Reitunfall seines Bruders hatte die Kamera in eine schwindelerregende Aufregung versetzt. Jetzt muss der Binnenschiffer Maldone, der nur in der Unruhe Ruhe findet, das Landgut übernehmen. Mit den gleitenden Kamarabewegungen, mit der filmischen Anverwandlung an Natur und Körper, die sich am Umschlagpunkt zu Taumel und Delirium steigert, ist nun Schluss. M. sagt, das liege daran, dass die Stative 1928 noch keine Kugelgelenke hatten, aber trotzdem ist diese Eckigkeit der Bewegungen auch ein Ausdruck für die Steifheit des bürgerlichen Lebens. Ich stelle mir einen Film vor, der keine diagonalen Schwenks kennt und dem Blick deshalb immer wieder Haken schlägt.
Maldone
F 1928
Regie: Jean Grémillon
Donnerstag, 11.11.2004
„Dann möchte ich ihnen noch das mit den weißen Negerinnen erzählen. Möchte mir aber das Ja-das-gibts und die jeweiligen Beispiele ersparen, denn im Wirtshaus gibt es keine Sicherheit vor Rassismus. Ich gehe und überlege mir, was ich wohl alles nicht begriffen habe in dem Film ‚White Chicks‘. Aber wie? Also gehe ich nochmal in den Film und noch einmal im Mathäser. Im Kino 14 läuft das Original, in 13 sind die Köpfe angeschnitten, im 2 perfekt. Mein erster überwältigender Eindruck, die beiden Wayans-Brüder spielen auf Teufel komm heraus, Schneewittchen komm heraus, weiße Blondine. Hat es das schon einmal gegeben? Was ist denn mit schwarzen Männern geschehen, wenn sich weiße Damen von ihren Blicken belästigt fühlten, noch vor 60 Jahren? Und jetzt das!
Die schwarzen FBI-Agenten lassen sich in angenehmer Kürze zu weißen Mädchen ummodeln. Sie leben in der ständigen Angst, ihren Job mit den angenehmen Sozialleistungen zu verlieren. Und das Weibchen des Jüngeren. Mit faszinierender Ähnlichkeit unterscheiden sie sich nicht nur in Farbtupfern, sondern geheimnisvolle Trauer umgibt sie… Ein feiner Höhepunkt ist eine Autofahrt mit 5 weißen Mädels, drei normale. He, sagt die Fahrerin, habe ich nicht ein N-Wort gehört? N für Neger? Da sagt so eine weiße künstliche Dame: Ist doch keiner da. Wie da die beiden schauen und schweigen, ist feiner nicht zu machen. Endlich eine Darbietung, die mich an Tashlin und Jerry Lewis denken lässt, mich aber gleich wieder mitreißt.“ (Auszug aus „Unter die Haut. N-Wörter und ‚White Chicks‘, von Herbert Achternbusch, SZ 4. November – drunter steht „gekürzte Fassung“: Wo gibts die ungekürzte?)
Mittwoch, 27.10.2004
5 x 2
Der Titel klebt auf dem Film wie das Preisschild auf einer Ware. Eine etwas abgeschmackte Art ist das, Versuchsanordnung zu sagen oder Experiment. Auf einer Toilettenpapierverpackung wirkt das gut, fünf Rollen, zweilagig, wie das vom Penny um die Ecke, auf dem „Happy End“ draufsteht. Das finde ich immer grandios und es passt gut zu Ozons Film, der in einem Glück endet, das durch das schon Gesehene, das noch Kommende, bereits vollständig kontaminiert ist. 5 x 2, das klingt auch ein bisschen so, als gäbe es etwas umsonst – man kauft ein Paar und kriegt noch vier andere dazu. Hier also: Papa & Mama, Ich & mein One-Night Stand in der Hochzeitsnacht, der schwule Bruder meines Ehemanns & sein Freund, mein Mann & seine Ex. Und überall ist es gleich, es ist eine unnötige Vervielfachung des bedingt Interessanten, überall herrschen die gleichen Automatismen von Beziehung und Alltag, von Verletzen und Verletztwerden. (In einem typisch französischen Mittelklasse-Milieu noch dazu, das die Houellebecqs und Beigbeders dieser Erde frustrierter und deshalb meinungsfreudiger denunziert haben.)
Über schlechten Sex sind schon bessere Filme gemacht worden.
Das vermeintliche Rätsel, das sich mit dem Titel verbindet, ist läppisch, und aus der damit verbundenen formalen Entscheidung, die Geschichte in fünf Etappen rückwärts zu erzählen, springt erstaunlich wenig erzählerischer Surplus heraus. Gut, ein paar scheinbare Eindeutigkeiten geraten ins Schwimmen. Zum Beispiel ob der gemeinsame Sohn wirklich der gemeinsame Sohn ist (dieser Gedanke kam mir im gleichen Moment wie der Neben-, Gegen-, Ergänzungs- und Entwertungsgedanke „So what?“: für den Film hätte auch das überhaupt keine Folgen).
Bei jeder Einstellung der Verdacht, die Rückseite des Bildes sei interessanter.
Häppchenweise Psychologie bekommt man durch Marions Eltern eingeflößt. Dass das schon immer so… Und dass das halt zum Pärchen-Sein… Geschenkt. An diesen Stellen wird die Argumentation anthropologisch, aber in der verallgemeinernden Gleichung zugleich banal. Alltag = Beziehungskiller. „Alle diese Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, daß das Unfaßbare unfaßbar ist, und das haben wir gewußt. Aber das, womit wir uns jeden Tag abmühen, sind andere Dinge.“ Dabei behauptet der Film, er würde genau das zeigen, die alltäglichen Dinge eben, die in französischen Filmen so viel Spaß machen können. Aber die sind hier in keinem Bild enthalten und es wird schmerzlich bewusst, wie wenig Ozon mit dem Alltag anfangen kann: Wischi-waschig ein paar wichtige Papiere im Büro unterzeichnen und im Bistro um die Ecke mit entrücktem Blick Steak-Frites essen, während die Ehefrau im Krankenhaus entbindet. Ein Gesicht wird nicht zwingend dadurch aussagekräftiger, dass ich ihm langsam immer näher rücke mit der Kamera. Allerdings, das gebe ich gerne zu, mag ich Valeria Bruni-Tedeschis obere Schneidezahnreihe, wenn sie so von schräg halb-unten gefilmt wird.
Ein Film wie ein Vorwand für etwas anderes, das er selbst vergessen hat.
Was mir gefallen hätte als eine verächtliche Geste (und damit: überhaupt eine Geste) dem Publikum gegenüber und als wirkliche Überraschung: Wenn Gilles und Marion am Ende, der zugleich der Anfang ihrer Beziehung ist, in diesem unerträglichen Postkartenbild also, in dem beide in den italienischen Sonnenuntergang hinein schwimmen, plötzlich ertrinken. Dann hätte sich der ganze Film im Vor- und Nachhinein selbst gelöscht und ich wäre mit dem zufriedenen Gefühl der Bestätigung nach Hause geradelt, dass all dies wirklich nicht der Rede wert war.
Mittwoch, 20.10.2004
TV-Hinweis: 20.10., WDR 23.15 Uhr
Diejenigen, die nicht in Österreich sind, diejenigen, die hier ausharren oder mit dem Zug in die, wie man anderswo lesen konnte, „lebenswerteste Stadt der Welt (Kategorie 200.000 – 750.000)“ unterwegs waren, um dort „A Corner in Wheat“ und „Die Seele des Geldes“ zu zeigen, diejenigen, die auf die John Ford-Filme verzichten müssen, und auch auf die Filme von den beiden, die die John Ford-Filme ausgesucht haben für Wien, eine Stadt, in der es, wie ich erfahre, keine Camel-Zigaretten und keine Lucky Strikes gibt, seit zwei Jahren schon, was mir in einem merkwürdigen Gegensatz zu den John Ford-Filmen zu stehen scheint, die man dort sehen kann, diejenigen also koennen sich heute abend den Film, besser: die Filme IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO – UMILIATI“ im Fernsehen anschauen, was doch immerhin auch etwas ist.