Einträge von Volker Pantenburg

Donnerstag, 22.07.2004

Sunburnt

[more on MORE]

Heroin heisst hier die Sonne, um die sich alles dreht, und man müsste darüber nachdenken, was das heißt, 1969. Der Film jedenfalls setzt den Stoff als das einerseits zentrale, andererseits völlig entleerte Signifikat ein, das den Spaß ebenso verbrennt wie die Liebe und die Politik.

An einer Stelle wird die Droge zum Herzstück einer utopielosen Gegenideologie gemacht und der Film ist überzeugend in der Überzeugungslosigkeit, mit der das verkündet wird: Die Heroin nehmen, wollen vor der Welt fliehen, sagt die Süchtige lakonisch, während die Hippies die Welt verstärken wollen mit ihrem Dope. Zwei Welten seien das, die nichts miteinander zu tun hätten. Dann nimmt sie noch einen Zug aus der Wasserpfeife und setzt sich noch einen Schuss.

Einmal, viel früher, gibt es bei einer Party eine Ratte auf einer Schulter zu sehen, da ist der Film plötzlich Jahre weit voraus bei ganz anderen Insignien einer ganz anderen Popkultur, deren Lust an der (Selbst)Zerstörung er vorwegnimmt, ohne daraus irgendwas blöd-Prophetisches ableiten zu wollen.

Die beiden jugendlich-bedrückten, seltsam leer wirkenden Protagonisten, „Stefan“ aus Lübeck und „Estelle“ aus New York stranden, nachdem die Paris-Erzählung, als die der Film begonnen hatte, plötzlich überraschend abgebrochen ist, auf Ibiza und hängen über kurz oder lang beide an der Nadel. Ein Nazi kontrolliert die Insel, Wolf heißt er und wirft im Kreise seiner zahlreichen Freunde Messer, in deren Klinge das Hakenkreuz noch eingeritzt ist. Er wird ganz sentimental dabei. Wir sind ziemlich unvermittelt auf eine politische Spur gesetzt. Da ist noch jemand hinter Wolf her, der ist ganz nach Karikaturen des „Jüdischen“ aus dem neunzehnten Jahrhundert modelliert und man denkt schon: gleich lässt er ihn hochgehen, aber das Stereotyp war eine Finte, und gegen das Heroin muss auch die moralische Entrüstung einpacken.

Der Film erzählt von der Entleerung der Zeichen, die ein Jahr vorher noch alles bedeutet haben mögen. Politik und Liebe sind hier nur noch als ausgestanzte Hohlformen zu sehen, Spurenelemente. Eines von vielen Bildern dafür ist, dass die freie Liebe zu dritt hier hinter dem feinmaschigen Gitter eines Mosquito-Netzes statt findet. MORE wirkt wie Zabrisikie Point minus Politik. In beiden Filmen gibt es Musik von Pink Floyd zu hören. Eine Wüste – eine Insel. Reisen und Stranden. Anders als bei Antonioni richtet sich in Schroeders Film aber alle Aggression nach innen und lässt keine hochmodernen Ingenieurshäuser gaaaannnnz laaaanngsam, Vorsicht mit der Axt, Eugène, gezeitlupt in der Wüste explodieren. Stattdessen: Ein ganz unspektakuläres, etwas hohles Geräusch am Schluß, als ein Sarg unten im Grab aufschlägt und die Kamera schamvoll nach oben schwenkt, in die Sonne.

(Volker Pantenburg)

MORE, ein Film von 1969, zum ersten Mal gesehen am 15.7.2004.

Ich wusste nur: der Score stammt von Pink Floyd und das Cover der Soundtrack-LP, zu meinen Teenager-Tagen in jeder zweiten Plattensammlung zu finden, zierte eine mediterran aussehende klapprige Windmühle.

Vier Überraschungen:

I
Der Score beutet keinen Pop-Ruhm aus. Er ist sparsam eingesetzt und distanziert, als wäre ein Ethnologe auf der Suche nach zeittypischen Geräuschen fündig geworden.

II
Der Vorspann weist Nestor Almendros als Kameramann aus. Mit der Filmgeschichte im Rücken lässt sich sagen: Almendros ist der Star im Ensemble. Der Kubaner hat einige der besten Filme der französischen Nouvelle Vague fotografiert, später auch in Hollywood gearbeitet – und in seiner „Werk-Autobiographie“ Barbet Schroeder als einen seiner Lieblingsregisseure bezeichnet, weil dieser Kino wirklich als Teamarbeit auffasse.

III
Keine Spur von hippieskem Geschnörkel, Gewabere oder sonstigem ästhetischen Geraune. Die Erzählung von MORE geht sehr geradlinig und gleichzeitig mit erstaunlichen Ellipsen vor. Sie beginnt auf einer Autobahn-Landschaft im nass-grauen Mittel-Europa und landet gleich in einem Sommer-Paris. Nur kurze Zeit später springt sie mit der Leichtigkeit eines Kinderspiels und der Kühnheit eines Manifests im 24stel einer Sekunde ins nachsaisonale Ibiza.
Bunt und kalt defilieren Zeichen einer Realität vorüber, verwandeln sich für einen kurzen Moment in böse Orakel, bevor sie wieder behaupten, nichts weiter als die banale Abbildung von Gegenständen und Vorgängen zu bedeuten: ein Tramper im Regen, die Tätowierung eines Lkw-Fahrers, eine Pokerpartie, der Beginn einer Männerfreundschaft (möglicherweise), der nächtliche Einbruch in einem Luxusappartement, eine Party in einer kleinen Wohnung (Alkohol), die geheimnisvolle Blonde; Hasch, Sex, ein Schiff; verschwiegene Hotel-Rezeptionisten, ein Alt-Nazi, dessen SS-Dolch und seine ungeklärte Beziehung zu der jungen Frau; deren Freundin; eine ausschweifende Party in einer Villa (ganz viel Hasch, Percussion und Sex); entwendetes Heroin, ein einsam gelegenes Haus; eine Felsküste mit wogender Brandung; Sonnenaufgänge; ein Sterben im schwarzen Tunnel Richtung Meer.
Gesten des Dokumentarfilms unterstützen die große Lakonie. Vage Motive, undeutliche Antriebskräfte, rudimentäre, nichts erklärende Herkünfte – regredierende Agonie zweier verzogener Gören, die alt genug sind, um Sex und vor allem Drogen als zentrale Vorrichtungen ihrer Existenz durchsetzen zu können.
Die beiden Hauptfiguren produzieren nichts. Sie werden in ihrer Süchtigen-Wesentlichkeit immer leerer. Das klagt der Film nicht an. Er registriert es präzise und führt es in unsentimentaler Weise auf. Seine zentrale Bild- und Verbal-Metapher ist das Verbrennen. Verbrennen ist die etymologische Grundlage von Konsum.

IV
Ich habe Barbet Schroeder immer für einen frankophilen Amerikaner gehalten. Wir sprechen über den Film und es stellt sich heraus: Schroeder ist Deutscher (wie der männliche Protagonist von MORE). Ab jetzt wundert es mich, dass eine Figur mit derartigem Parcours in der deutschsprachigen Cinephilie nicht präsenter ist.

(Stefan Pethke)

Samstag, 26.06.2004

L’enfant secret de la modernité

Morgen geht in der „Cinémathèque francaise“, Paris, eine umfangreiche Retrospektive mit Filmen Philippe Garrels zu Ende: Bis auf die Fernseharbeiten wurde dort so gut wie alles gezeigt, viele Filme der 70er Jahre in frisch restaurierten Fassungen. Von den Schwierigkeiten, den Zerfallsprozeß dieser Filme zu stoppen und der traurigen Ironie, dass es oft leichter ist, einen Film aus den 20ern in einer vernünftigen Kopie aufzutreiben als einen, der dreissig Jahre alt ist, spricht Garrel in einem zweiteiligen Gespräch (Teil 1/ Teil 2).

Über Sylvina Boissonnas, die ab 1968 viele Filme der „Groupe Zanzibar“ finanzierte, findet sich dort der schöne Satz: „C’était une fille de bonne famille qui, après mai 1968, s’est dit : ‚Mes parents ont tort et les artistes de ma génération ont raison‘.“

Begleitend zur Retrospektive ist auch ein Interview“ („On oubliera Chirac, pas Godard“) in „Libération“ erschienen: „En 1968, pendant dix minutes, pas plus, on s’est foutu du cinéma, de la caméra… On s’est dit, un temps : cette autre vie est plus importante que sauvegarder le cinéma. Mais non.“

Mittwoch, 16.06.2004

Absichtserklärung

Bald, demnächst, irgendwann (wenn der Kopf freier ist und die Augen offener als jetzt), vielleicht nie, möchte ich etwas über dieses Bild schreiben und über den Film, aus dem es kommt:

Vorher wäre herauszufinden, was genau mich daran anspricht. Es wird mit der Art und Weise zu tun haben, wie der Mann hier an einem Tisch sitzt und schreibt. Ein Brief entsteht, seine Hand bewegt sich erst flüssig, dann zögerlich, die Zeilen werden von einem kurzen Innehalten und Zur-Seite-blicken unterbrochen. Ein Augenblick der Sammlung, dann wieder Sätze. Aus dem Text, den er schreibt, genauer: aus der Schrift (wird man später erfahren), versucht der potentielle Arbeitgeber, an den sich sein Schreiben richtet, den Menschen herauszulesen. Er will das, was hier als Erzählung ins Bild gebracht ist, zurückübersetzen, als könne aus der Art der Linienführung, dem Druck, mit dem der Stift auf das Papier aufsetzt, der Enge oder Weite der Bögen, das Abbild vom Menschen rekonstruiert werden.

So klar dieses Bild erscheint und so einfach, habe ich doch den Eindruck, dass darin mehr steckt, dass es eine Diagnose enthält und man in ihm das Interesse eines Forschers erkennen kann. Aber was wird untersucht, auf wen bezieht sich die Diagnose? Arbeitsverhältnisse an der Schwelle zwischen den Siebziger und den Achtziger Jahren, damals, als man ein Bewerbungsschreiben noch mit der Hand verfasste? Verzweifeltes Ineinanderdenken von Existenz und Schrift, wie es im Jahrzehnt nach 68 Konjunktur hatte (wie man nachlesen kann)?

In diesem Bild etwas auszumachen, das auch schon den selbstgewählten Tod des Regisseurs ahnen lässt, der es ausgedacht und inszeniert hat, würde zu weit gehen. Trotzdem ist es für mich ein melancholisches Bild.

Dienstag, 01.06.2004

Typo

Vor ein paar Tagen, beim Schnelltippversuch, hier zu landen, stattdessen hier gelandet. One letter less that makes all the difference. Fast gleiche Adresse, deutlich andere Bewohner. Welcher Glauben da wohin umgelenkt werden soll. Grabtuch und Leinwand. Ans Kino glauben. Meine Lieblingskategorie: „Spiritual Warfare“. „Unsaved look like saved“ und „Voice of Satan“ klingen allerdings auch nicht schlecht. Zutiefst unklar, was das ganze mit Filmkritik zu tun haben könnte; der einzige Satz, den ich bislang in der Richtung ausfindig machen konnte: „Since it has been said that a picture is worth a thousand words, perhaps the best way to reflect a portion of the ministry is through pictures. See Ministry photos.“

Dienstag, 18.05.2004

Nadelöhr Film

„Möglicherweise nämlich ist der Kinofilm die einzige gesellschaftliche Technologie, die es erlaubt, 100 Millionen Dollar, einen äußerst laborierten Maschinenpark und die arbeitsteilige Aktivität mehrer tausend Beteiligter in einem einzigen Text von 90 Minuten Länge zu komprimieren; einem Text, der auf dieser Basis so attraktiv ist, dass er ein Massenpublikum anzieht, das ihn refinanziert. Der Film selbst ist, so betrachtet, das Nadelöhr, durch das die gesamte Anstrengung hindurch muss; die genannten Ressourcen werden im Produkt kondensiert, um sich dann – technisch reproduziert – an die Massen zu verteilen.“ (Hartmut Winkler: Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien, Frankfurt / Main: Suhrkamp 2004, S. 35)

Montag, 26.04.2004

Langtexthinweis

Drei Sequenzen aus „East Side, West Side“ – Über den Eröffnungs- und Abschlußfilm der Filmreihe „East Side – West Side. Schätze aus dem Filmarchiv des MoMa“ (9.5. bis 5.6., Kino Arsenal, Berlin).

Mittwoch, 21.04.2004

TV-Hinweis, last minute

Mittwoch, 21.4., 23.15 h, WDR

Vladimir Günstig – eine trojanische Affäre
(Deutschland 2004, Regie: Hellmuth Costard)

Unglauben beim Blick in die Programmzeitschrift: Costard… 2004?!

Aufklärung dann im letzten Satz des Begleittexts: „Dies höchst eigenwillige Vermächtnis des ‚Filmrebellen‘ Costard (1.11.1940-12.6.2000) wurde nach seinem Tod in dessen Schnittcomputer gefunden.“

Dienstag, 13.04.2004

* Langtexthinweis

„Katastrophe und Kontingenz.“ Ein Gespräch über Gus van Sants Film „Elephant“, gekürzt erschienen in der Jungle World 16/2004.

Sonntag, 28.03.2004

Arbeit [= Hände III]

„Für uns ist auch die Idee wichtig, Dinge durch Arbeitsprozesse zu vermitteln. In Le fils besteht darin die eigentliche Arbeit: jemandem etwas zu vermitteln, in dem man ihn mit den Arbeitsabläufen und Gesten eines Schreiners bekannt macht. Das ist ein Prozess des Lehrens und Lernens. Ein bisschen wie beim Schreiben, wie beim Schreiben lernen, auch das ist eine Arbeit. Sie besteht darin, etwas Neues entstehen zu lassen. Einen Stoff, einen neuen Stoff zu formen, einen Stoff umzuformen.

[…]

Darum ging es in allen Diskussionen: bloß nicht den selben Beruf ergreifen. Nicht das machen, was der Vater gemacht hat! Man sollte was Besseres werden: keine manuelle Arbeit, eine intellektuelle Tätigkeit war besser als ein Handwerk. Man hat die Arbeit mit den Händen immer gering geschätzt. Heute sitzt man vor seinem Computer, guckt auf den Bildschirm und darin besteht die Arbeit! Man vergleicht zwei Daten und trifft dann eine Entscheidung, indem man einfach mit der Maus klickt. Das Wesen der Arbeit hat sich verändert, soviel steht fest. Und das zu filmen…“ (Luc Dardenne)

Quelque chose qui résiste au regard – ein längeres Gespräch mit Luc und Jean-Pierre Dardenne ist in der aktuellen Ausgabe von Hors Champ zu lesen.


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