Einträge von Werner Sudendorf

Sonntag, 16.08.2015

Schnittmengen, Bruchstellen

In Wiesbaden, der Landeshaupt-, Kur- und Filmstadt, war 1954 die große Welt zu Gast. Zsa Zsa Gabor logierte mit ihrem Liebhaber Porfirio Rubirosa, allen Illustriertenlesern als Playboy bekannt, im ersten Haus am Platz. Sie spielte die Hauptrolle in dem von Karl Ritter inszenierten Film „Ball der Nationen“; jeder in der Filmbranche kannte Karl Ritter, der schon 1925 Mitglied der NSDAP geworden war, als den Regisseur NS-ideologisch durchwirkter Filme wie „Unternehmen Michael“ (1937), „Stukas“ (1941), „Kadetten“ (1941) oder „GPU“ (1942). Ritter sah das 1970 ganz anders: „Ich persönlich habe keine Propagandafilme gemacht.“ „Ball der Nationen“ ist kein gelungener Film, wegen einer schrillen Koinzidenz aber nicht unwichtig. Zur selben Zeit drehte John Brahm in denselben Ateliers „Die goldene Pest“. Brahm war 1933 über England in die USA emigriert und hatte dort eine Reihe von wenig bekannten B-Filmen gedreht. Was mögen Brahm und Ritter übereinander gedacht, was miteinander geredet haben, falls sie sich getroffen haben?

Gerhard T. Buchholz ist der Produzent der „Goldenen Pest“. Er war ursprünglich Maler und Bühnenbildner und hatte als Vertragsautor der Ufa auch an dem Drehbuch des antisemitischen Films „Die Rothschilds“ gearbeitet. Nach 1945 produzierte er Gegenwartsstoffe wie „Weg ohne Umkehr“ (1953) oder „Viele kamen vorbei“ (1955/56). Weil „Die goldene Pest“ mit einer Bundesbürgschaft abgesichert war, bemühte sich Buchholz, nur nicht als Zeitkritiker mißverstanden zu werden. Es geht um ein deutsches Dorf, das durch die Nähe zu einer amerikanischen Garnison und einer den jungen Soldaten quasi natürlich innewohnenden Vergnügungssucht zu einer Lasterhöhle wird. Dafür gab es ein zeitgenössisches Vorbild, das aber im Film nicht erwähnt werden darf. „Die Geschichte des deutschstämmigen US-Sergeanten, der in seine Heimat zurückkehrt und hier in Deutschland auf so verworrene Verhältnisse stösst, die alle der Dämon Geld heraufbeschworen hat, ist ein rein menschliches Filmthema. Dass es zwischen Amerikanern und Deutschen angesiedelt ist, hat im Grunde wenig zu sagen“, flunkert Regisseur John Brahm im Presseheft.

Maja Figge hat in ihrem sehr klugen Buch „Deutschsein (wieder-) herstellen“ mit dem Sezierbesteck der Theorie herausgearbeitet, dass der Gangster (Heinz Hilpert), dem das moralische Desaster in dem Dorf angelastet wird, antisemitisch konnotiert ist. Ich möchte das ergänzen: der Chauffeur des Gangsters wird von Alexander Golling gespielt, der in Ritters „Ball der Nationen“ den Pressesprecher der russischen (sprich: kommunistischen) Delegation darstellt. „Ball der Nationen“ kam vor „Die goldene Pest“ in die Kinos; die Zuschauer könnten doch nahezu zwangsläufig in dem Chauffeur den in eine neue Maske geschlüpften Vertreter des Kommunismus erkennen, so dass wir es in der Kombination Gangster (Jude)/ Chauffeur (Kommunist) eigentlich mit einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung zu tun haben.

Andererseits wurde Golling, so Wikipedia, wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus, auch der „braune Fürst von München“ genannt. Vielleicht ist es auch nicht ohne Bedeutung, dass Zsa Zsa Gabor in „Ball der Nationen“ unter anderem folgende Zeilen singt: „Wir fragen nicht die andern/ wir tun, was uns gefällt/Wir gehen eigne Wege/ uns gehört die weite Welt.“ Komponist Werner Bochmann sei, so schreibt „Der neue Film“, in der Wahl der Texte eben wählerisch.

Ich gebe zu, das ist jetzt alles sehr verwirrend. Zsa Zsa Gabor demonstriert in „Ball der Nationen“, wie es einfacher gehen könnte. Reporter Percy Buck (Gustav Fröhlich) hat auf einer Staffelei ein Großfoto seiner angebeteten Zsa Zsa; sie schneidet das Gesicht heraus und plaziert ihr eigenes in die Fehlstelle. Die Bruchstellen zwischen dem Glamourbild und dem lebendigen Gesicht sind überdeutlich, aber Percy ist überwältigt vor Glück.

 

Freitag, 17.07.2015

Filme der Fünfziger XV: Stern von Afrika (1957)

Unter diesen Jungs, sagt Major Niemeyer (Alexander Kerst) zu dem Jagdflieger Hans Joachim Marseille (Joachim Hansen, in seiner ersten Filmrolle), komme er sich vor wie ein Vater mit vielen Söhnen. Und deshalb ermahnt er Marseille auch, sich an die Regeln des Fliegens zu halten, weil er sonst seine Kameraden in der Luft gefährde. Dann befördert er ihn zum Leutnant. Er ist halt Papas Bester.

Marseille ist ein toller Hecht; schon in der Fliegerschule hält er sich nicht an vorgegebene Flughöhen, landet bei einem Erkundungsflug einfach auf der Autobahn, um nach dem Weg zu fragen, und setzt seine Uniformmütze keck und schief auf den Kopf. Um ihn herum, den erfolgreichsten Jagdflieger der deutschen Wehrmacht, sind die guten Kameraden Robert Franke (Hansjörg Felmy in seiner ersten Filmrolle), der etwas zynische Albin Droste (Horst Frank ebenfalls in seiner ersten Filmrolle), Werner Heydenreich (Werner Bruhns), der auf jede Situation einen Reim weiß, und Answald Sommer (Peer Schmidt). Das Kampfgebiet ist die Wüste Afrikas, man lebt wie die Pfadfinder in Zelten und wartet auf die Einsätze. Der Einsatzbefehl lautet: Jagd Frei! Und Marseille schießt die Engländer ab, dass es eine wahre Pracht ist. „Das ist grossartig; acht Abschüsse an einem Tag!. Das ist noch nie dagewesen.“

In der Höhlenbar tanzt Mathias voller Lust am eigenen Körper (Roberto Blanco in seiner ersten Filmrolle). Als Marseille das Ritterkreuz bekommt, macht ihm Kamerad Sommer den farbigen Mathias zum Geschenk. Mathias ist für die Wäsche zuständig und mit breitem Lachen stets zu Diensten. Christian Doermer hat einen kurzen Auftritt als Unteroffizier Klein; er wird aber gleich von den Engländern abgeschossen, was zu einer ebenso kurzen Nachdenklichkeitsphase führt. Dieser schmutzige Krieg!

Und schon wieder schießt sich Marseille von Rekord zu Rekord, bekommt die höchsten Auszeichnungen und verlobt sich in einer romantischen Einlage mit der Lehrerin Brigitte (Marianne Koch). Soll Marseille seinem persönlichen Glück folgen oder der Pflicht gehorchen? Er kann die Jungs nicht im Stich lassen, und so geht es heim nach Afrika und in den Heldentod.

Sind die Flieger in der Luft, grüßen sie sich von Kabine zu Kabine – so wie Jäger, die sich bei der Pirsch absprechen. Die wahren Helden sind aber die Messerschmidt-Maschinen , am Boden von der Kamera immer von unten aufgenommen; nach dem Einsatz brausen sie noch mal – Huii – im Formationsflug über das Basislager. Aus der Nase der Messerschmidt schiessen die Piloten wie aus Kampf-Phalli ihre Munition ab. Als Marseille schließlich abstürzt, sieht man nur die Trümmer seiner Maschine. Die Manneskraft ist versiegt, der Krieg verloren. Es ist tragisch.

Das Drehbuch schrieb Herbert Reinecker, Regie führte Alfred Weidenmann. Beide hatten zum Ende des „3. Reiches“ an „Junge Adler“ zusammengearbeitet. Dreimal wurde der Film neu montiert (die Schrecken des Krieges sollten mit Wochenschau-Aufnahmen und belegter Kommentarstimme doch nicht vergessen werden), dann gab ihn die FSK ab 12 Jahren frei. Die Presse identifizierte den „Stern von Afrika“ als glasklaren Propagandafilm und sorgte sich darum, welches Bild Deutschlands der Film im Ausland vermitteln würde. Dem Publikum war das gleich. „Ausgezeichnete Ergebnisse“, schrieb eine Fachzeitschrift als Resumee des Jahres 1957, „brachten alle Kriegsfilme mit ‚heldischer’ Tendenz. ‚Der Stern von Afrika’ (aus Deutschland) und ‚Panzerschiff Graf Spee’ aus England zum Beispiel. ‚Haie und kleine Fische’ rangieren gleichfalls in der kommerziellen Spitzengruppe.“

„Der Stern von Afrika“ wird am 18. Juli um 20.15 Uhr im Arsenal anlässlich der Präsentation der Buchreihe „Post_koloniale Medienwissenschaft“ gezeigt.

Verfügbar als DVD (Bonus: Interview mit Joachim Hansen) bei Kinowelt.

Was nicht in Filmportal steht:
Modellaufnahmen: K. L. Ruppel; Modellbauer: Zirzow; Maskenbildner: Jonas Müller; Garderobier: Anton Dissertori; Requisite: Kurt Squarra, Paul Prätel; Produktionssekretärin: Gerda Nürnberger; Atelier-Sekretärin: Annemarie Kalter; Geschäftsführung: Alma Pewny; Pyrotechniker: Erwin Lange; Militärischer Berater: Eduard Neumann; Standfotos: Lars Looschen; Presse: Siegfried M. Pistorius

Montag, 06.07.2015

Liebe 47

Der Schauspieler Karl John war in den vierziger Jahren als Typ des kumpelhaften Draufgängers in den Propagandafilmen Karl Ritters („Stukas“, „U-Boote westwärts“ – beide 1940/41) bekannt geworden. In „Großstadtmelodie“ (1942/43), seinem letzten Film vor Kriegsende, spielte er neben Hilde Krahl einen flotten Bildjournalisten; Hilde Krahl, die Ehefrau des Regisseurs Wolfgang Liebeneiner, ist in „Großstadtmelodie“ eine moderne, junge Frau, die ihren Beruf und das Leben in der Großstadt liebt. John und Krahl unter der Regie von Liebeneiner, das war die Erinnerung an eine intakte Stadt, an das Glück des Alltags und an Hoffnung auf Zukunft. Manche Besucherin von „Liebe 47“ – die Reklame warb um das weibliche Publikum – wird auf diese Konstellation gesetzt haben.

Die Kinogängerin sah einen Glockenfriedhof mit Flusslandschaft, vor der eine desillusionierte Anna Gehrke (Hilde Krahl) und ein ganz und gar verlassener Fritz Beckmann (Karl John), beobachtet vom Tod (Albert Florath) und dem lieben Gott (Erich Ponto), über ihren Selbstmord sprechen. Beckmann ist erst wenige Tage aus dem Krieg zurück; er hat nichts und niemanden mehr, noch nicht einmal eine Unterkunft. Anna denkt praktisch; wer erst so wenige Tage im Elend ist, der darf nicht aufgeben. Beckmann kann ihre Wohnung haben, die sie nun nicht mehr braucht. So führt sie ihn zu sich nach Hause –„aber machen Sie sich keine falschen Hoffnungen“.

Beide erzählen einander ihr Leben; Anna von ihrer Ehe, von Enttäuschungen, zerstörten Illusionen, ihrem bitteren Lernprozess, „wie die Herren sich bezahlen lassen“ für Gefälligkeiten, Schutz und Unterkunft. Beckmanns Erzählung seines Kriegs- und Heimkehrer-Traumas zeigt mit einem Kabarettauftritt, Albtraumsequenzen und Allegorien nur Fragmente seiner Verstörung und Sinnsuche. Der Kameramann Franz Weihmayr und die Trickabteilung strengten sich mächtig an: Beine gehen übergroß auf einem Bürgersteig, der klein gebliebene Beckmann liegt im Rinnstein und fürchtet, von einem Besen in den Müll gekippt zu werden. Heute erinnert man sich an Bilder aus „The Incredible Shrinking Man“, aber der stammt aus dem Jahr 1957.

Vieles war anders, neu und leider einmalig in „Liebe 47“. Der Mann breitet sein Innenleben aus, die Frau ihre Erfahrungen mit der Außenwelt; sie reflektiert nüchtern ihre Situation, er findet aus dem Lamento seiner Schuldgefühle nicht heraus. Von statischen Theaterelementen wechselt der Film ins Kammerspiel, dann zur weitausholenden Montage retrospektiver Lebenserzählung, gelegentlich auch ins Kunstgewerbe und damit verbunden in den „Botschafts“-Modus, in dem nicht nur gezeigt, sondern auch erklärt wird, wie man das Gezeigte zu verstehen hat. Und dennoch: das war ein furioser Neuanfang für Liebeneiner, der heute – wenn überhaupt – nur durch „Ich klage an“ (1941) und eventuell „Die Trapp-Familie“ (1956) bekannt ist. Hilde Krahl bekam 1949 für ihre darstellerische Leistung einen Preis auf dem Filmfestival von Locarno. Zu Hilde Krahl siehe auch Rainer Knepperges Beitrag Etwas zum Staunen

Die literarische Vorlage für „Liebe 47“ war Wolfgang Borcherts Theaterstück „Draußen vor der Tür“, von Liebeneiner 1947 in Hamburg inszeniert; Hans Abich und Rolf Thiele produzierten den Film 1948 als ersten Spielfilm ihrer neugegründeten Firma „Filmaufbau“. Als er 1949 in die Kinos kam, liefen die Besucher scharenweise aus der Vorführung; einen „Film vom Neubeginn des Lebens  im dunklen Strom der Zeit“ (Werbung des Filmverleihs) wollte niemand mehr sehen, „der dunkle Strom“ war nach der Währungsreform dem hellen Zauber der Warenwelt gewichen, der Neubeginn sah anders aus als es der Film sich vorstellte. Der Verleiher versuchte es – vergebens – mit einer Version, in der die Beckmanns Traumsequenzen geschnitten waren.

„Was brauchen wir die Welt zu verändern?“, fragt Anna zum Ende des Films. „Fangen wir lieber bei uns selber an. Ich helfe Ihnen und Sie helfen mir.“ Das passte 1949 nicht mehr in die Zeit. Die fünfziger Jahre hatten bereits begonnen.

Sonntag, 17.08.2014

Filme der Fünfziger XIV: Ich war ein hässliches Mädchen

Es geht wieder um das richtige Rezept für junge Frauen, einen Mann fürs Leben zu bekommen. „Kleine hässliche Mädchen müssen ihren letzten Groschen zum Friseur und zur Kosmetikern tragen“, weiß der berühmte Schauspieler Claudio Pauls (Dieter Borsche).  Anneliese (Sonja Ziemann) ist dieses hässliche Mädchen. Sie wohnt mit Schwester und Eltern in einer biederen Mietswohnung, in der  die Familie jedes Telefonat mithört. Claudio – bei ihrer ersten Begegnung nennt er sich Anneliese gegenüber „Onkel Claudio“ – schickt sie zu seiner Kollegin Luise (Olga Tschechowa). Tschechowa war neben ihrem Schauspielberuf auch Diplom-Kosmetikerin und führte einen Kosmetiksalon, bevor sie 1958 ihre erfolgreiche Kosmetikfirma „Olga-Tschechowa-Kosmetik“ gründete. Annelieses Vater (Bruno Fritz), die Karikatur einer moralischen Autorität, steht für den gesunden Menschenverstand. Er ermahnt Anneliese: „Deine Schwester wird heiraten, aber Du musst Deinen Verstand benutzen, um Dich eines Tages zu ernähren.“ Und er ist natürlich auch entsetzlich rückständig. Der Schönheit nachhelfen? „Mit Haarfärben fängts an, in der Gosse hört es auf.“  Luise/ Tschechova schickt Anneliese zu einem Kosmetiksalon nebst angeschlossenem Friseur. Wie bei einer Operation beugen sich Gesichter über Anneliese, eine Liege wird aufgebaut, das Mädchen wird auf Hochglanz poliert und sieht jetzt so schön aus wie Sonja Ziemann.
Claudios Familie besteht aus seinem Impresario (Fritz Rémond), einem Journalisten (Wolfgang Neuss) und wechselnden Geliebten. Statt in einer Wohnung lebt er mit seiner Entourage im „Schwarz/Weiß Club“, in dem man trinkt und tanzt, fröhlich und traurig ist. Als Alternative zur elterlichen Wohnung und dem bürgerlichen Salon von Tante Elsa, dem Ort der ersten Begegnung mit „Onkel Claudio“, taugt er nur bedingt. Evelyn Künneke  singt im Club „Mach nicht Uh, wenn Du den Mambo tanzt“ und bringt Wolfgang Neuss mit ihrem Dekolleté zur Raserei. Der Mambo war gerade aus den USA als neuer Modetanz nach Deutschland gekommen; die deutschen Tanzlehrer sahen darin „abstoßende Zügellosigkeit“.

Es gibt keine wirklichen Charaktere in dem Spiel; an ihre Stelle treten Objekte und Haltungen – der schicke Wagen des Schauspielers, die Suche nach dem schönen Kleid, der tollen Frisur, das Borgward Cabrio des Bankierssohns Thomas von Bley (Karl-Heinz Böhm), der Urlaub im Nobelhotel am Bergsee, die beginnende Langeweile des Luxus („Schon wieder Motorboot?“, trällert Anneliese Thomas von Bley zu) und alles dient der Suche nach dem Hauptgewinn, dem richtigen, dem reichen Mann. Dieter Borsche muss auf Betreiben von Anneliese einen herrenlosen Hund aufnehmen und geht schon bald mit und an der Leine. Haben die Mädchen im Publikum die Botschaft verstanden? „Wie haben Sie Ihre bildhübsche Frau gefunden“, fragt ein Reporter Dieter Borsche bei der Hochzeit. Sonja Ziemann nimmt ihm die Antwort ab und spricht in die Kamera: “Ich war ein hässliches Mädchen.“

Das Drehbuch basiert auf dem 1937 veröffentlichten Roman der Österreicherin Annemarie Selinko. Den Film produzierten Dr. Heinrich Jonen von der Meteor-Film und Marcel Hellman von der Cine-Allianz; Jonen hatte Liebeneiner 1937 für seine erste Regiearbeit „Versprich mir nichts“ engagiert, Hellman war nach Grossbritannien emigriert. 1955 klagte Liebeneiner in einem Interview, dass er für seine künstlerischen Ideale im deutschen Film kein Gehör fände und entschuldigte sich gleichsam für seine Regiearbeiten. „Ich mache das Ernste ernst – und wenn das nicht möglich ist, mache ich, was man nicht ernst nehmen kann. Im übrigen ist der Unterhaltungsfilm ein zwar nicht sehr edles, aber doch echtes und sehr notwendiges Bedürfnis des Publikums. Der Alltagsmensch unserer verworrenen Zeit würde ohne das Kino, wie er es meist auffasst, zugrunde gehen.“

Da hätte die Bevölkerung der Bundesrepublik Liebeneiner ja eigentlich dankbar sein müssen, dass er sich ihr mit dieser kleinen Filmillustrierten wieder einmal geopfert hatte. Sie war es nicht; der Film war nicht der erwartete große Erfolg.

Nicht als DVD, nicht als Video erschienen.

Was nicht im filmportal steht (samt einiger Präzisierungen):
Nach dem gleichnamigen Roman von Annemarie Selinko; Schnitt: Walter von Bonhorst; Regieassistentin: Zlata Mehlers; Kameraführung: Johannes Nowak; Kamera-Assitenz: Hermann Dey; Standfotos: Herbert Lindner; Starfotos: Arthur Grimm; Herstellungsleitung: Dr. Heinrich Jonen

Sonja Ziemann (Anneliese Howald), Karl-Heinz Böhm (Thomas von Bley), Marianne Wischmann (Lilian Markowski, Freundin von Pauls), Alexa von Poremsky (Frau Howald), Bruno Fritz (Alexander Howald, Vater von Anneliese), Erika Remberg (Inge Howald, Annelieses Schwester), Tatjana Sais (Tante Elsa), Fritz Rémond (Verleger Bierbaum), Peter Präses (Plumberger), Wolfgang Neuss (Mopp, Journalist), Olga Tschechowa (Luise Raymond), Myriam Lynn (Grace Morton), Maly Delschaft (Mme. Lax), Kurt Lucas (Diener Franz), Ingrid Schwarz (Erika, Verkäuferin)

Evelyn Künneke singt „Mach nicht uh, wenn Du mal Mambo tanzt“
Atelieraufnahmen Juni/ Juli 1955 in den CCC-Studios Spandau; Außenaufnahmen Mitte Juni 1955 am Eibsee.

Mittwoch, 02.07.2014

Filme der Fünfziger XIII: Die Dritte von rechts

Der Revuefilm wurde im „Dritten Reich“ als deutsche Variante und Ersatz des amerikanischen Musicals entwickelt. Mit dem bundesdeutschen Film der 1950er Jahre wird das Genre nicht verbunden; immerhin nennt Wikipedia für die Zeit nach 1945 noch 19 Filmtitel, reichlich unscharf allerdings auch Hans Deppes „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ (1953) oder „Bonjour Kathrin“ (1955). Es werden also deutlich weniger sein.

Geza von Cziffra, schon im Stummfilm aktiv, hatte 1943 mit der Eiskunstlaufrevue „Der weiße Traum“ eine der erfolgreichsten Produktionen des „Dritten Reiches“ realisiert; Anfang 1950 drehte er für die Real-Film in Hamburg den ersten Nachkriegsfilm mit Zarah Leander „Gabriela“ und machte darin das deutsche Publikum mit seiner Entdeckung, der Schauspielerin Vera Molnar, bekannt. Die Real-Film, 1947 von Walter Koppel mit Gyula Trebitsch gegründet, produzierte 1950 mit „Die Dritte von rechts“ bereits ihren siebzehnten Spielfilm. Nur die DEFA hatte mehr Filme gemacht.

Im Sommer 1950 wurde auf dem Real-Film Gelände ein großes neues Filmatelier errichtet, am 27. September fiel die erste Klappe für „Die Dritte von rechts“ und bereits am 1. Weihnachtstag war Premiere in Berlin. Cziffra war ein Routinier, ein schneller und verlässlicher Arbeiter. „Ich stehe auf dem Standpunkt, dass ein Film kein Kunstwerk sein kann. Ein Kunstwerk kann nur ein einzelner schaffen, bei der Herstellung eines Films wirken aber mindestens zehn Personen mit.“ Diese skurrile Formel äußert Cziffra in seiner zweiten Autobiografie „Ungelogen“ (1988), einer gekürzten und um einige Invektiven gegen den schon damals nicht mehr Jungen Deutschen Film angereicherten Fassung von „Kauf Dir einen bunten Luftballon“ (1975).

„Die Dritte von rechts“ war der erste deutsche Revuefilm nach dem Krieg. Vera Molnar ist innerhalb des Handlungsverlaufs zunächst nur eine kleine Tänzerin, die ein Star werden will, was dann auch wirklich eintritt. Dafür sorgt der schmierige Finanzier des Revuetheaters (Oskar Sima), der die Tänzerin in seine Wohnung lockt und vor Erfüllung seiner Wünsche angeschossen wird. Er fällt geradewegs aus der Senkrechten in die Waagerechte auf den gedeckten Abendtisch. Zu der Handlung gehören ein umtriebiger Kriminalkommissar (Willi Rose), ein spielsüchtiger Dirigent und Chef der Showtruppe (Peter van Eyck), seine enttäuschte Geliebte (Marianne Wischmann), ein Faktotum (Paul Kemp) und eine gute Kameradin (Grete Weiser), ein zwielichtiger Cabaret-Besitzer (Rudolf Platte) und ein blasser Tänzer (Robert Lindner), der Partner von Vera Molnar. Eva Pflug, die später durch die Fernsehserie „Raumpatrouille“ deutschlandweit bekannt wurde, ist ein Mitglied der Girltruppe.

Zwischen den Revueszenen und der Handlung gibt es keinerlei Verbindung; deshalb kündigt auch ein Nummerngirl auf Rollschuhen die Revuebilder aus Gesang, Ballett und Show-Orchester an. Alles gibt es doppelt und vielfach, die schiere Masse steht für das, was fehlt im Leben: Reichtum, Glanz und Sorglosigkeit, Lustreisen und die Erotik. Das ist das Zeitkolorit eines Films ohne Gegenwart oder Vergangenheit. Laya Raki tanzt mit Blütenkospen auf den Brüsten einen Schönheitstanz, Gerhard Wendland singt als Bill aus Mexiko (das Bild heißt „Mexikanische Vision“), Evelyn Künneke hat Auftritte als singende Pariser Puffmutter („Winke, winke, winke, winke, mit den Augen, mit den Händen, mit dem Mund“) und südländische Bardame („Wo sind die Männer noch so voll Glut und Leidenschaft, die soviel Freuden schafft…“). Noch ein Zigeunerlied und dann intoniert Bruce Low, mit viel Theaterschminke maskiert, die „Heimkehr des alten Negers auf dem Missouri, der enttäuscht die große Stadt verlässt und in seine paradiesisch schöne Tropenheimat zurückkehrt“. Alles, was Palmen hat und mit ihnen oder dem eigenen Körper wedeln kann, wiegt sich auf der Bühne am Ufer des Missouri. Nur ein nackter Busen, von Cziffra ins Bild gesetzt, musste aus dem Film entfernt werden.

Weil die Handlung etwas dürftig ist und die Revue so opulent, ist Vera Molnar, die gerade etwas tanzen und singen gelernt hatte, nicht sehr prominent ins Bild gesetzt. Sie war auch vom Pech verfolgt. Im Vorfeld des Films war bekannt geworden, dass sie wegen Schwarzhandels im Gefängnis gesessen hatte; im Frühjahr 1950 kam sie nach einem Verkehrsunfall mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Vorbei waren die Filmpläne mit Jean Cocteau und Helmut Käutner.

Bei den vielen Tanz- und Gesangsnummernwirkt die üppige Architektur von Herbert Kirchhoff fast schon selbstverständlich; Willy Winterstein, der Kameramann des Films, wurde kritisiert, weil er so statische Bilder geschaffen habe. Die Kritik verglich die Revue mit dem amerikanischen Musical – „The Barkleys of Broadway“ in Technicolor mit Fred Astaire lief zur gleichen Zeit in den Kinos – und senkte den Daumen. Aber der Revuefilm wollte gar kein Musical sein; in ihm jubilierte es vor und um die Kamera und alles sollte von vorn gesehen werden. Die spektakuläre Szenerie lehnt sich an die  Kino-Erlebnisse aus NS-Zeiten; alles war so schön wie früher, jetzt eben mit Paris. Mexiko, Amerika, dem „Negersänger Bruce Low und den Sunshines“, nur ohne nackte Busen. Die mussten auf Drängen der FSK herausgeschnitten werden.

Gleichzeitig mit dem Film erschienen auch die Lieder auf Schallplatte. Der katholische „film-dienst“ tat der Real-Film den Gefallen, „Die Dritte von rechts“ wegen „Pansexualisierung der Öffentlichkeit“ mit 3 = Abzuraten einzustufen. Hinter dem „Doppelten Lottchen“ und noch vor der „Sünderin“ rangierte die Revue 1951 auf Platz zwei der umsatzstärksten Filme.

Alle Zitate aus dem Pressematerial im Schriftgutarchiv der SDK. Kein Video, keine DVD.

Was nicht im filmportal steht:
Standfotograf: Michael Michaelis; Filmverleih: Allianz Film
Es singen: Evelyn Künneke, Iska Geri, Kurt Reimann, Bruce Low, Gerhard Wendland, Das Gellert Quintett, Vier Sunshines
Es spielen: Gerhard Gregor auf der Rundfunkorgel des NWDR Hamburg; Alfred Hause, der virtuose Geiger; Laszlo Nyaky, der ungarische Cymbal-Virtuose; das Horst-Wende-Trio und das verstärkte Unterhaltungsorchester des NWDR
Es tanzen: Vera Molnar, Robert Lindner, Maria Litto, Erwin Bredow, LayaRaki, Gabor Orban und Die Original Hiller-Girls unter der Leitung von Gertrude Söderling-Hiller.
Ausserdem: Hagenbecks Seelöwentruppe, Juan Coll’s Schimpansentruppe

Platten auf Ariston:
Vera Molnar und Gellert Quintett: Wenn ich will…
Evelyn Künneke und die drei Glorias: Winke, Winke/ Oh Juan.
Bruce Low: Leise rauscht es am Missouri.
Fritz Sengl: Du und das Glück/ Des Zigeuners Geige.

Auf Odeon:
Wenn ich will/ Leise rauscht es am Missouri

Auf Polydor (Grammophon):
Winke/Winke

In der Deutschen Kinemathek gibt es im Nachlass Kirchhoff/Becker (Signatur: 198904) 19 Architekturskizzen, ein Drehbuch, Graue Literatur, 932 s/w Fotos (incl. Negative), Presseausschnitte und Verträge.

Montag, 21.04.2014

Filme der Fünfziger XII: Geliebtes Fräulein Doktor (1954)

Ulrich Kurowski hat Hans H. Königs Film „Rosen blühen auf dem Heidegrab“ (1952) zu einem Klassiker des Heimat-Schauer-Melodrams erklärt, aber die wenigsten werden überhaupt irgendeinen Film von König gesehen haben. Der Produzent Richard König war der ältere Bruder des Regisseurs Hans und Hans war mit Edith Mill verheiratet, seiner bevorzugten Schauspielerin. Richard dagegen hatte früher als Mitinhaber der Objectiv-Film Josef von Bakys „Und über uns der Himmel“ (1947) und „Der Ruf“ (1948/49) produziert. „Geliebtes Fräulein Doktor“ sei, so Wikipedia, ein Remake des Jenny Jugo Films „Unser Fräulein Doktor“ von 1940. Das stimmt nicht.

Jungen singen im Gleichschritt in den Bergen ein frohes Lied und spielen am Abend dem Lehrer einen Streich; der Lehrer fällt in einen See und kündigt sofort seine Stelle. Es ist nicht der erste Lehrer, den die Internatsklasse von der Schule getrieben hat. An seine Stelle tritt Frau Doktor Maria Hofer (Edith Mill), frisch aus dem Kloster engagiert. Die Kamera fährt bei ihrer Ankunft den Frauenkörper ab und registriert von der altbackenen Frisur bis zu den Haferlschuhen eine graue Provinzmaus mit einem attraktiven Gesicht. Die Jungen hatten sich eine andere Frau als Lehrerin vorgestellt; Klassenprimus Cicero (Hans Clarin) formuliert Liebesbriefe an das Fräulein, die er mit dem Namen des Sportlehrers Dr. Hans Klinger (Helmut Schmid) signiert. Und jeweils am Ende des Briefes gibt es ein Postscriptum, in dem Cicero/Klinger Maria auffordert, sich doch andere Schuhe, andere Strümpfe, eine andere Frisur und ein anderes Kleid zuzulegen. Jetzt mausert sich das Fräulein zu einer aus einem Modeartikel entsprungenen attraktiven jungen Frau – die Litfass-Reklame für Arwa Nylonstrümpfe gibt den letzten Anstoß. Mit der neuen Kleidung wächst auch die Liebe zum heimlichen Verehrer Dr. Klinger, einem Muskelprotz mit Stroh im Kopf, der natürlich von seinen Liebesbriefen gar nichts weiß. Dass er selbst auch schon verliebt ist, muss ihm Pater Anselmus (Robert Freitag) beibringen. Weil der Geistliche wie alle katholischen Pfarrer den Knabenchor leitet, heißt er auch Pater Tralala. Es kommt zu autosuggestiven Vorfällen. Bei einem Gottesdienst wähnt sich die Lehrerin als Braut vor dem Altar und ruft ganz laut und zur allgemeinen Verwunderung „Ja“. Der Junge Cicero verliebt sich auf Grund seiner Liebesbriefe für eine kurze Unsterblichkeit in das Frl. Doktor, aber natürlich finden die beiden Doktores zueinander, mild belächelt vom Direktor des Internats,  einem weiteren Doktor. Zum Schluss gibt es einen Fackelzug,  bei dem die Jungen die klassischen Zeilen des Eingangsliedes singen: „Keine lange Meile/ macht mir lange Weile/ Nur das eine wünsch ich mir/ dass Du nicht schon längst/ Herz und Hand verschenkt.“

Bis auf die weibliche Hauptperson, die mit einer Klosterszene eingeführt wird, hat keine der Personen ein biographisches Vorleben. Versammelt sind die Lieblingsfiguren des Volksgeschmacks. Die Jungen sind eine „Rasselbande“, der Pater ist sportlich und weltoffen, der Direktor (Hans Nielsen) gütig und streng zugleich und der Sportlehrer selbstredend ein guter Kumpel. Nur „Unser Fräulein Doktor“ braucht noch männliche Einflussnahme, um dem Volksbild die lieblich-moderne Note zu geben. Das Internat hat den Charme eines fünfziger Jahre Reformbaus; es liegt zwar auf dem Land, aber doch auch in der Nähe einer Stadt mit Litfaßsäulen. Und dann auch wieder in der Nähe eines mächtigen Gotteshauses.

Der Film wurde im Garutso-Plastorama-Verfahren gedreht, einer der vielen technischen Erfindungen, mit denen man Anfang der 1950er dem 3-D- und dem Cinemascope-Film die Stirn bieten wollte. Der Schauspieler Helmut Schmid, später Ehemann von Lieselotte Pulver, wurde von König entdeckt und spielt hier seine erste Filmrolle. Ein weiterer Filmdebutant ist Christian Doermer, einer der Jungen aus der „Problemklasse“. Pieter Kunheim, der Sohn von Brigitte Helm, trat das erste und allem Anschein nach auch das letzte Mal vor der Kamera auf. Die Musik schrieb Werner Richard Heymann, die Liedtexte Robert Gilbert – für beide war das eine Brotarbeit. Der Kameramann Kurt Hasse wurde wenige Jahre später mit „Himmel ohne Sterne“ bekannt; ihm assistierte Heinz Pehlke. Wahrscheinlich sind diese beiden dafür verantwortlich, dass eine Sequenz im Klassenzimmer in Erinnerung bleibt. Die Jungen müssen Strafe absitzen und skandieren: „Wenn ich nicht im Karzer säße, fräße ich jetzt Harzer Käse“. Dazu Top-Shot Aufnahmen der Klasse, Großaufnahmen von gegeneinanderschlagenden Schuhsohlen auf einer Schulbank und weit im Hintergrund das Gesicht von Hans Clarin. Für solche exzentrischen Aufnahmen war Garutso-Plastorama gut.

Nicht auf DVD, nicht auf Video.
Atelieraufnahmen in Geiselgasteig vom 20. September bis 12. November 1954
Außenaufnahmen vom 14. bis 26. Oktober 1954

Dienstag, 21.01.2014

Dann schon lieber Krimi

An den ungewöhnlichsten Stellen stösst man auf Filmreferenzen und Bewertungen. Beim Kriminalroman ist man ja eigentlich weit weg vom Nachdenken über Film und wird dann doch wieder eingeholt. Entweder ist man abgestossen, weil der Autor so völlig anderer Meinung ist als der Leser und plötzlich und unpassend Volkes Stimme ins Spiel bringt; oder der Leser fühlt sich bestätigt und geschmeichelt, weil der Autor mit seinem Filmgeschmack ein echter Kumpel ist. Oder man liest es als Teil einer Fiktion und stellt halt fest, dass die genannten Personen international bekannt sind, was ja nicht das Schlechteste ist.

In Dennis Lehane Buch „Absender Unbekannt“ beschattet Privatdetektiv Patrick Kenzie den jungen Jason Warren.
„Seit zehn Tagen war Jason nicht wesentlich von seinem Tagesablauf abgewichen. Jetzt ging er ins Kino. Allein.
Ich blickte zur Anzeigetafel hoch und dachte, dass ich so oder so mit ihm hineingehen musste. Hoffentlich war es kein Film von Bergman. Oder, noch schlimmer, ein Film von Fassbinder.“

Es ist die ungekürzte Fassung von „Apocalypse Now“. Und was nun in der Geschichte passiert – übrigens nichts besonders Spannendes – wird mit dem Filmverlauf synchronisiert. „Als Robert Duvall gerade am Strand eine Grillparty veranstaltete, kam ein Mann herein und setzte sich in die Reihe hinter Jason…“ Das kann man auch verstehen, wenn man den Film nicht kennt – macht aber mehr Spass, den zwei Handlungen gleichzeitig zu folgen.

Wer wegen der Fassbinder-Aversion leicht angesäuert ist, wird wenige Seiten später versöhnt. „Im Fernsehen gab es nichts, was sich anzusehen lohnte. Bruce Springsteen hatte recht: 57 Kanäle und nichts drin.“

So isses.

Dennis Lehane: Absender Unbekannt. Ullstein Taschenbuch.
Das Original hat den schönen Titel „Darkness take my hand“ und ist 1996 erschienen.

Sonntag, 19.01.2014

Etwas über deutsche Filmliteratur

Wenn man Anfang der 1970er Jahre deutsche Filmbücher kaufen wollte, konnte man ewig lange suchen und fand dann doch nichts ausser alten Kamellen wie Heinrich Fraenkels „Unsterblicher Film“ (und von dem immer nur Band 2), Autobiografien oder vielleicht, wenn man Glück hatte, Herbert Iherings „Von Reinhardt bis Brecht“. Die Zeiten für Filmliteratur waren denkbar schlecht; da waren selbst die sechziger Jahre besser gewesen, als zur Krise des deutschen Films 1961 sogar zwei Bücher erschienen – Walter Schmiedings „Kunst oder Kasse“ und Joe Hembus „Der deutsche Film kann gar nicht besser sein“. Schlagartig besserte sich die Situation, als 1971 Frieda Grafe in der Reihe Hanser „Godard: Kritiker“ herausgab; das Buch verkaufte sich erstaunlich gut und mit einem Mal stellte man fest, dass es für gute und anspruchsvolle Filmliteratur auch in Deutschland einen Markt gab. Ulrich Kurowski folgte 1972 mit seinem ebenfalls erfolgreichen „Lexikon Film“ und verhob sich dann ziemlich mit dem „Lexikon des internationalen Films“, das nie über zwei Bände hinauskam.

Seit Jahren geben Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in der edition text+kritik die Reihe „Film & Schrift“ heraus, in der jetzt gerade der Band 17 über Herbert Linder erschienen ist. Als sie diese Reihe ankündigten, war ich ziemlich perplex, weil sie als dritten Band Erwin Goelz alias Frank Maraun ankündigten. Ich dachte, ich würde mich etwas mit der deutschen Filmkritik auskennen – aber wer im Himmel war Erwin Goelz? Und Lucy von Jacoby, Libertas Schultze-Boysen oder Hans Ulrich Eylau? Das wissen wir jetzt alles dank dieser Reihe.

In dem neuen Band über Herbert Linder schildert Rolf Aurich als Subtext die Folgen des programmatischen Artikels von Enno Patalas „Ästhetische Linke“, der langfristig zur Trennung der Kritiker der Berliner Schule von denen der Münchner Sensibilisten führte; den Untergang der „Filmkritik“ läutete der Artikel nicht ein. Dafür war das neue Redaktionsstatut der „Filmkritik“ verantwortlich, das zu Streit und Ärger führte. Einer der Protagonisten der Streithanseln war Herbert Linder, der im Zorn die Abonnentenkartei der Filmkritik mitgehen ließ, dann in die USA ging, zwei Nummern der „filmhefte“ herausgab und aufhörte zu schreiben. Das Buch versammelt seine Kritiken und Aufsätze und wird eingeleitet mit einem fiktiven Dialog über die „Ästhetische Linke“. Sehr lesenswert. Seine Kritik über Dr. Gerd Albrechts „Nationalsozialistische Filmpolitik“ ist ein Klassiker.

Linder war im übrigen auch für meinen ersten Flop verantwortlich; in der „Eisenstein-Chronik“ hatte ich in einer längeren Passage eine Kritik von Linder zitiert – ohne ihn zu fragen. Das ließ er sich nicht gefallen und klagte mit Erfolg gegen den Hanser Verlag; der Verlag musste zahlen und das Buch durfte nicht mehr ausgeliefert werden. Auch das war Linder.

Bei jetzt 17 und bald sicher zwanzig Bänden mit Filmkritiken wünschte man sich ein Register, damit man mal etwas nachsehen kann. Ich glaube, das wird nie kommen – die Bücher sollen gelesen, nicht nachgeschlagen werden. Aber praktisch wäre ein Register schon.

Eberhard Spiess, der vor Jahren verstorbene Leiter des Archivs des Deutschen Instituts für Filmkunde in Wiesbaden, heute Deutsches Filminstitut in Frankfurt, gab Ende der sechziger Jahre die Filmkundlichen Mitteilungen heraus. Um den Einkaufsetat der Bibliothek zu entlasten, versprach er, jedes Filmbuch, das er umsonst bekam, in den „Mitteilungen“ zu rezensieren. So wurden die „Mitteilungen“ zu einer Bibliographie der Filmliteratur jener Zeit und die Bibliothek des DIF bekam immer mehr Bücher umsonst. Diese Idee nahm Hans Helmut Prinzler für die von der Kinemathek herausgegebene Zeitschrift „FilmGeschichte“ auf – allerdings in etwas bescheidenerem Rahmen, dafür mit ausführlicheren Rezensionen. Das führt er auch heute noch weiter und publiziert auf seiner webseite www.hhprinzler.de kontinuierlich Besprechungen zu Filmbüchern und Nachrichten zur Filmgeschichte. Heute, am 22. 12. empfahl Knut Elstermann diese Seite in der sonntäglichen Rubrik des „Tagesspiegel“, in der Journalisten dazu befragt werden, was sie in dieser Woche geärgert und worüber sie sich gefreut haben. Eine wirkliche Überraschung – dass Elstermann, der überall Präsente und fast jedem Film Zugeneigte, gerade diese Webseite herausstellt, ist und zeigt sein Gespür für Klasse.

Dienstag, 14.01.2014

Der Fortschritt ist eine blinde Maus

Heute zeigte mir der Vertreter eines grossen Verlages die neueste Errungenschaft der Bücherwelt. Er scante eine Buchseite mit seinem Handy und dann lud das Handy einen Film. Es war Abel Gance „Napoleon“. Triple Screen, auf dem Handy.

Samstag, 29.06.2013

Filme der Fünfziger XI: Ich suche Dich (1955/56)

Keiner war so beliebt wie O. W. Fischer, keiner strebte mehr nach ideellen und materiellen Werten. „Ich führe in Deutschland ein recht einkömmliches Leben,“ schrieb Fischer 1955 an Paul Kohner. Für zwei Filme im Jahr bekam er 350.000 DM steuerfrei – er bestand auf Auszahlung der Nettogage. Dazu kamen pro Film 10% des Weltertrags = 200.000 DM. Und wenn er selbst Regie führte, stieg die Beteiligung von 10% auf 25%. 1955 führte er zweimal Regie: für „Hanussen“ und „Ich suche Dich“. Dafür bekam er, folgt man seinen Angaben, 2 x 675.000 DM. Um das in die richtige Relation zu bringen, muss man wissen, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen 1955 in der BRD 4.548,- DM betrug. Das aber brutto.
Fischer sah sich als “einen Mann, dem es gelungen ist, nach höchst deprimierenden Nachkriegsfilmjahren jenem Fähnlein von Künstlern anzugehören, deren andauerndes, zähes Tauziehen um die Hebung unseres Filmniveaus zu den ersten Anfangserfolgen geführt haben.“
Die prätentiöse, sich in falscher Bescheidenheit gefallende Sprache, deutet schon an, welche Höhen der Fähnleinführer diesmal erreichen wollte. Mit „Ich suche Dich“, nach einem in den 40er Jahren entstandenen Theaterstück des englischen Romanciers A.J. Cronin, hatte Fischer schon auf der Bühne großen Erfolg gehabt. Cronin selbst war der gebildeten, christlichen Hausfrau – die Männer lasen eh nur Zeitung – spätestens durch den Bestseller „Hinter diesen Mauern“ ein Begriff.
„Das Kernthema des Stoffes ‚Ich suche Dich‘“, erklärte Fischer vor der Premiere, „ist die große, tiefgreifende Liebesbeziehung zwischen einem Mann, der an seine Wissenschaft, und einer Frau, die an ihren Gott glaubt. Dieser Konflikt – wenn ich ihn auf ein Schlagwort bringen darf – zwischen ‚Glauben‘ und ‚Wissen‘ scheint mit einer der bewegenden Kräfte unserer Zeit zu sein. Ich habe versucht, ihn in einer sehr privaten Geschichte sichtbar zu machen.“ Oder, um es kürzer und noch schlichter zu sagen: “Glauben gegen die Hybris unserer Tage“.
Das war allerdings ein genuin deutsches Thema. „Land des Glaubens, deutsches Land“ sollte 1950 eigentlich die neue deutsche Nationalhymne werden – sie wurde es nicht, aber sie fasste die innere Haltung der Bundesrepublik gleichsam in den Ährenkranz der Unantastbarkeit. Fischer war ihr hoher Priester.
Dr. Paul Venner (O.W. Fischer) arbeitet in einem Nervensanatorium an einem Serum, das die Gehirnzellen reaktivieren soll. Der Schauspieler flattert in seiner ersten Szene als genialisches Wesen an Dr. Françoise Maurer (Anouk Aimée) vorbei – mit offenem Kittel, unrasiert und von seinem Genius gehetzt. Francoise Maurer, voll des christlichem Glaubens an das Gute, will in der Klinik Geld verdienen, um nach Indochina zu fahren und dort den armen, armen Menschen helfen zu können. Venner ist auf dem Weg zu seiner bahnbrechenden Entdeckung; er hat keine Zeit für Liebe, Mitleid und diesen ganzen Frauenkram. Gerade hat er das Verhältnis mit Gaby Brugg (Nadja Tiller) beendet, der Ehefrau des Chefarztes. Tiller schwebt und schwirrt als erotischer Brummkreisel durch den Film und setzt aus Eifersucht und Dummheit das Labor in Brand, in dem Venner seine Zauberformel notiert hat. Francoise, inzwischen mit Venner geistig ganz eng liiert, rettet die Formel aus dem Feuer und opfert ihr Leben für den Herrn und die Wissenschaft. Nun erkennt Venner seine wahre Berufung, er pfeift auf die bevorstehende Karrier‘ und fährt auf dem Pferdeschlitten nach Indochina, dem imaginären Land des Glaubens und der Innerlichkeit. Mit Kutscher, versteht sich.
Fischer konstruiert platte Gegensätze: Sexuelle Bedrohung gegen christliche Aufrichtigkeit, Hinterhältigkeit gegen Ehrlichkeit, kommerziellen Ehrgeiz gegen die Weisheit des Alters, Big Band Musik gegen Chopin, das Genie gegen die Kretins. Er inszeniert seine Verachtung der Welt-Wirklichkeit, die nicht erkennt und nicht bewundert, wie sehr er an ihr leidet, wie sehr er kämpft, um einer echten Auseinandersetzung zu entgehen. Es braucht ein zweifaches Frauenopfer (Tiller wird in eine Heilanstalt expediert), um dieser Welt „Adieu“ sagen zu können. Kameramann Richard Angst gibt ihm dazu elegante, gelegentlich auch magisch verhauchte Bilder – alles vergeblich.
Bei einer Pressekonferenz in Hamburg – Fischer kam gerade von der umjubelten Premiere in Hannover – gingen die Kritiker ihn hart an. Fischer war nahe dran, die Pressekonferenz abzubrechen. Der Schauspieler Paul Bildt setzte sich in höchster Erregung für seinen Regisseur ein und erlitt daraufhin eine Herzattacke. Die „Star-Revue“ (Nr. 6/1956) schrieb: „O.W. Fischer diskutierte nun – bei einem Glase Milch – friedlich mit den weintrinkenden Journalisten.“
Der Film war bei der Premiere ein riesiger Erfolg, aber letztendlich kein Geschäft. Fischer ließ die Filmregie sein. Aus Einsicht, aus Verachtung für die schnöde Welt oder nur, weil die Prozente so mager ausfielen – wer weiß?
Erhältlich auf DVD

Die Fischer Zitate stammen aus dem Presseheft zu „Ich suche Dich“ und aus Fischers Beitrag „Geld oder Gewissen“ in Film Revue, Nr. 13, 1956; die Gagenangaben machte Fischer in einem Brief an Paul Kohner vom 1.8.1955 (Paul Kohner Archiv – SDK)


atasehir escort atasehir escort kadikoy escort kartal escort bostanci escort