The Whispering Chorus (1918 Cecil B. DeMille)
„Es ist so schwer den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen.“
(Ludwig Wittgenstein, 1948, Vermischte Bemerkungen)
The Affairs of Anatol (1921 Cecil B. DeMille)
Mit DeMille beginnen, heißt dem Irrtum entgehen, Anfänge wären unschuldig oder harmlos… es gäbe da in der Kindheit des Kinos noch keine Zerstörungswut. Archaisch, auch kindlich ist Aggression, die sich gegen das Abbild richtet.
La dame masqueé (1924 Victor Tourjansky)
Der Spiegel hat zwei Seiten. Die eine rückt zu nah heran, betont das Teilstückhafte, löst dadurch Angst aus. Die andere erst gibt Kontur und bietet das Ich zur Betrachtung an – – – mit den Augen der anderen.
Chicago (1927 Frank Urson)
Dali & Dr. Lacan waren fasziniert von den Schwestern Papin, die als Dienerschaft in Le Mans 1933 ihre Herrschaft, Mutter und Tochter, mit grobem Werkzeug ermordeten und ihnen (zuvor!) die Augen aus den Köpfen rissen.
Three on a Match (1932 Mervyn Leroy)
Der Gangster, der sich in Anwesenheit seiner Schergen die Haare aus der Nase zupft, ist nur eine (besonders böse) Nebenfigur in einem Frauenfilm von Mervyn LeRoy.
The Kiss Before the Mirror (1933 James Whale)
A Universal Picture. Ihr Blick in den Spiegel, ihr fest entschlossenes Schönseinwollen (für wen?) erweckt seine Eifersucht. Aber vollends vernichtet den Mann, dass sie durch den Spiegel auf ihn mit Verachtung schaut.
Mit seinem Wahnsinn impft er, zum Mörder geworden, seinen Anwalt. Oder steckt er ihn an?
Tragödie im Plural. Das Remake hieß Wives Under Suspicion
Strictly Dynamite (1934 Elliott Nugent), an RKO Radio Picture.
Der junge Autor (Norman Foster) betrachtet sich im Spiegel. Im Nacken sitzt ihm der Misserfolg. Es wurde ihm geraten, sich selbst anzupreisen – als regelrechter Sprengstoff.
Salvador Dali schreibt 1934 an André Breton: “I’m in Hollywood where I’ve made contact with the three American Surrealists, Harpo Marx, Walt Disney, and Cecil B. DeMille. I believe I’ve intoxicated them suitably and hope that the possibilities for Surrealism here will become a reality.”
Becky Sharp (1935 Rouben Mamoulian)
Nur eine Pose. Gerade noch hat sie (Miriam Hopkins) getanzt vor dem Spiegel.
„Das Gesicht ist ein Zeichen für die anderen, das ich selbst gar nicht entziffern kann – zumeist nicht einmal vor dem Spiegel, der mir stets verbirgt, was meine Geliebte, mein Feind, mein Kind oder mein Nachbar in meinen Gesichtszügen zu lesen glauben.“ (Thomas Macho: Wittgenstein und die Photographie, 2008)
„Aber es ist doch ein Jammer, dass jemand ganz allein für sich oft am schönsten ist.“ (Irmgard Keun: Nach Mitternacht, 1937)
The Plainsman (1936 Cecil B. DeMille)
Salvador Dali: “Die Wirklichkeit ist eine Begleiterscheinung des Denkens – eine Folge des Nichtdenkens, eine durch Gedächtnisschwund hervorgerufene Erscheinung.“
„Wenn du dich benimmst, werde ich dich ihm vorstellen“, sagte George Antheil zu Dali. Der küsste wenig später die Hände von Cecil B. DeMille und nannte ihn „den größten Surrealisten auf Erden“. DeMille hatte nichts dagegen, dass der Unbekannte ihm die Hände küsste, und ließ sich erklären, was das sei: ein Surrealist?
Go West Young Man (1936 Henry Hathaway)
Mae West. Komödiantin, Sexsymbol, Drehbuchautorin.
Dali porträtierte sie, machte aus ihrem Gesicht ein Appartement.
Go West Young Man (1936 Hathaway) – via
Angesichts der Gestaltung dieser Mahlzeit wird eine Beschwerde laut: Es sieht mich an! „Es sieht mich an!“ ruft ein alter Mann.
Dali erfand die „paranoisch-kritische Methode“ zur Herstellung von Doppel- oder Vexierbildern, zur Stimulation und Simulation von Halluzinationen.
“Dieses Laster, genannt Surrealismus, besteht in dem unmäßigen und leidenschaftlichen Gebrauch des Rauschgiftes Bild,“ sagt Louis Aragon.
Danger – Love at Work (1937 Otto Preminger)
„Im Film, wie auf der Photographie, sehen Gesicht und Haare nicht grau aus, sie machen einen ganz natürlichen Eindruck; Speisen in einer Schüssel dagegen sehen im Film oft grau und darum unappetitlich aus.“
(Ludwig Wittgenstein: Bemerkungen über die Farben)
The Sisters (1938 Anatole Litvak)
Ein Kapitel in John Dickson Carrs „Tod im Hexenwinkel“ (1933) ist einem Butler gewidmet, der gern ins Kino geht. Es wird da beschrieben, was Abenteuerfilme mit ihm machen: „Seine Seele wurde zu einem Ballon, einem Fesselballon zwar, aber immerhin einem Ballon.“
Es gefällt mir, wenn in einer handlungsreichen Erzählung plötzlich jemand Selbstgenügsamkeit an den Tag legt.
„Kaum konnte er lesen, hatte er auch die Geschichten der großen Entdeckungen verschlungen. Aber er nahm die Schilderungen nicht etwa kritiklos hin. Wenn er Robinson Crusoe gewesen wäre, hätte er vieles anders angepackt, vor allem aber die Insel niemals wieder verlassen.“
(Jules Verne: „Fünf Wochen im Ballon“)
The Buccaneer (1938 Cecil B. DeMille)
“Das menschliche Auge sehen wir nicht als Empfänger, es scheint nicht etwas einzulassen, sondern auszusenden. Das Ohr empfängt; das Auge blickt. (Es wirft Blicke, es blitzt, strahlt leuchtet.) Mit dem Auge kann man schrecken, nicht mit dem Ohr, der Nase. Wenn du das Auge siehst, so siehst du etwas von ihm ausgehen. Du siehst den Blick des Auges.” (Wittgenstein: Zettel)
Destry Rides Again (1939 George Marshall)
Sie (Marlene Dietrich) solle sich schämen, meint der Titelheld (James Stewart). Slut-shaming! Fast ein Grund, den Film nicht zu mögen. Aber das ist unmöglich – dank der Lieder (von Friedrich Hollaender), die sie singt.
„Da ist das berühmte von den boys in the backroom. Es ist eine Art von Vermächtnis einer Salon-Diva, die allen ihren boys zugetan ist – zweideutig und gutmütig zugleich -, und es läuft (soviel ich verstanden habe) darauf hinaus, dass sie sich auch über den Tod hinweg bei diesen Jungens noch ein herzhaft gutes Andenken bewahren will.“
(Dolf Sternberger, 1960)
The Letter (1940 William Wyler)
Sie (Bette Davis), die sich im Spiegel anschaut, sieht nicht, was wir sehen: die Tür zur Veranda, in den nächtlichen Garten hinaus, ins Mondlicht hinein, wohin es sie ziehen wird, auf der Suche nach irgendeinem Weg zu sterben.
The Little Foxes (1941 William Wyler)
Der Spiegel ist so positioniert, dass sie (Bette Davis) auf sich selbst herabblickt.
Wie es ist, sich zu vergleichen.
Es ergab sich so. Vom Geborgensein in der Katastrophe (Jules Verne) und vom “unrettbaren” Ich (Ernst Mach) führte eine Fährte hin zu Wassertropfen, Himmelskörpern, rundgerahmten Portraits und Spiegeln. Viele Monde vergingen, bis mir – im vorigen Kapitel – Exzesse des Argwohns (Agatha Christie und Wittgenstein) bei der Klärung halfen, was es werden soll, wenn es fertig ist: Eine Morphologie der Unsicherheit.
Cottage To Let (1941 Anthony Asquith)
In Austin Freemans „Auge des Osiris“ (1911) lobt der Detektiv den Erzähler, er habe Talent zum Ermittler: So selten zu finden sind diejenigen, die etwas notieren, was sie für unwichtig und irrelevant halten; wer nur das notiert, was ihm bedeutsam erscheint, macht alles falsch. „Denn er beraubt sich des Materials, über das er nachdenken könnte.“
Flying Fortress (1942 Walter Forde).
Genaugenommen ist niemand lange identisch. „Lippen und Zunge werden alle zwei Wochen erneuert. Die eigene Haut alle vier Wochen. Der allergrößte Teil des eigenen Körpers wird ständig neu synthetisiert. Man hat alle fünf Tage neue weiße und alle drei Monate neue rote Blutkörperchen. Die Zellen der Blutgefäße und des Darms werden alle fünf bis sieben Tage komplett ausgetauscht, sonst wäre man längst tot; die Oberfläche der Lunge alle acht Tage, die Knochen alle zehn Jahre. Die meisten der inneren Organe innerhalb von zwei bis drei Monaten (…) Nur der Zahnschmelz bleibt (wenn auch mit Löchern). Die Linse im Auge; und das Hirn.“ (Valentin Groebner in einem Radio-Essay, 2020)
Went the Day Well? (1942 Alberto Cavalcanti)
„Damals gehörten die Hoden für mich noch nicht zu der Assoziation Auge und Ei. Mein Freund wies mich auf meinen Irrtum hin. Wir schlugen in einem Lehrbuch der Anatomie nach, wo ich sehen konnte, dass die Hoden von Tieren und Menschen eiförmig sind und Aussehen und Farbe des Augapfels haben.“ (Georges Bataille: „Die Geschichte des Auges“)
Dali war der Ansicht, alle Kreativität hätte ihren Ursprung in den Hoden. Deshalb könnten Frauen keine Künstler sein. Das Schönste, was von Dali bleiben wird, ist das Buch, das Amanda Lear über ihn schrieb.
On Approval (1944 Clive Brook)
Diese britische Sexkomödie beginnt mit der Frage: Schon wieder ein Kriegsfilm? Nein, nein.
In der britischen Kinderkomödie Miss Robin Hood (1952 John Guillermin) brüllen wütende Kinder den Slogan “Down with Dali!” Der Grund dafür: Ihr Lieblingscomic hat plötzlich einen neuen Autor, der überhaupt nicht spannend erzählen kann, sich stattdessen in Kunsthistorie verzettelt.
Bluebeard (1944 Edgar Ulmer)
Der Maler (John Carradine) ist auch Puppenspieler und Mörder. Die Mordlust kommt beim Malen. Auf dem Umweg durch den Spiegel sollen sich Blick und Anblick verharmlosen.
Paris Underground / Madam Pimpernel (1945 Gregory Ratoff)
Ein Ehestreit. Es geht um Politik. Deshalb die Trennung. So fängt diese Geschichte an. Sie handelt von Freundschaft, Liebe, Widerstand. Ein Propagandafilm. Geringgeschätzte, hohe Kunstform. Hauptdarstellerin Constance Bennett war auch die Produzentin.
Spellbound (1945 Alfred Hitchcock)
Das Schuldgefühl, Überlebender zu sein.
An der Stelle des toten Bruders zu stehen, totenstarr.
Dalis Eltern erzählten ihm von klein auf, er sei die Wiedergeburt seines Bruders, der den gleichen Namen trug, und dessen Grab sie häufig besuchten – zusammen mit ihm, der dort Blumen auf einen Grabstein mit seinem eigenen Namen legte.
Dali meinte, dass er und sein Bruder „wie zwei Tropfen Wasser einander ähnelten, aber wir hatten unterschiedliche Reflexionen.“
Lacan meinte: Noch bevor wir zwei Jahre alt werden, erkennen wir uns im Spiegel. Zwischen den Geburtsjahren von Lacan (1901) und Dali (1904) liegen die Lebensdaten ihrer Brüder: 1901, im selben Jahr wie Lacan, wurde Dalis Bruder geboren. Er starb 1903. Lacans Bruder wurde 1902 geboren und starb 1904, in Dalis Geburtsjahr.
Spellbound (1945 Alfred Hitchcock)
Seinem „systematisierten Delirieren“ entsprach die Art, wie Dali sprach, eine unaufhörliche Attacke auf die korrekte Aussprache, mit der Ausdauer eines Kindes.
Dali und Lacan importierten Freud nach Frankreich. Philosophie aus Österreich gibt dem Gesprochenen den Vorrang vor der Schrift. Worüber man nicht schreiben kann, davon soll die Rede sein.
Dali & Dr. Lacan und Wittgensteins Hasen-Entenkopf
Jastrows berühmter „Hasen-Entenkopf“ beschäftigte Wittgenstein so sehr, dass er den Gesichtsausdruck und den Charakter des Hasen kritisch besprach.
Als Dali und Lacan, von gegenseitigem Respekt und gleichen Interessen erfüllt, einander in Paris zum ersten Austausch von Ideen trafen, da hatte der Maler etwas im Gesicht, etwas, das der Psychiater nicht ansprach: An Dalis Nasenspitze klebte ein Stück Zigarettenpapier. Das hatte beim Malen störende Reflexe auf einer Kupferplatte vermindern sollen, und war, wenn man Dali glaubt, ganz unabsichtlich an seiner Nase verblieben, ganz einfach vergessen worden. Erst anschließend, wieder allein, beim Blick in den Spiegel fiel es ihm auf. Aha, dachte Dali, war DAS also der Grund für die seltsame Art, wie Lacan ihn während des zweistündigen Gesprächs immer wieder angeschaut hatte?
„Aber warum haben Sie denn damals nichts gesagt?“ fragte Dali vier Jahrzehnte später beim Wiedersehen in New York…
Lacan war der Ansicht gewesen, Dali habe mit dem Papier auf der Nasenspitze eine irritierte Reaktion auslösen wollen, und deshalb hatte Lacan mit keiner Wimper gezuckt.
The Chase (1946 Arthur Ripley)
Der Gangster (Steve Cochran) ist auch Kind und Sadist.
In Bologna sah ich Steve Cochran in Tomorrow is another Day (1951 Felix Feist). Da spielte er einen, der mit 13 wegen Mordes ins Gefängnis kam und achtzehn Jahre später, wieder auf freiem Fuß, nichts über das Leben oder die Liebe weiß. Doch schlimmer als seine Unerfahrenheit ist die dunkle Ahnung, dass sich im Leben alles endlos wiederholt.
Jules Verne: „Fünf Wochen im Ballon“, 1863
„Ich werd‘ verrückt: da drüben fliegt noch ein Ballon… gib Zeichen mit der Fahne… tatsächlich sie erwidern… eine englische Fahne, genau wie unsere… “
Nachdem die Täuschung erkannt und auf Luftschichten verschiedener Dichte zurückgeführt ist, sagt einer der drei Reisenden: „Ich finde, wir sehen in diesem Luftspiegel recht imponierend aus.“
Bedelia (1946 Lance Comfort)
Eine schwarze Perle. So wertvoll, dass Bedelia (Margaret Lockwood) ihren Besitz als Fälschung ausgeben muss, um sich damit schmücken zu dürfen.
Sie will sich auch nicht fotografieren lassen. Aber in ihrem Schlafzimmer sind vier Spiegel.
Der Film enthüllt und feiert ihr Geheimnis, „the deepest of human mysteries – a problem that no detective, physician nor psychologist has ever solved.“
That Brennan Girl (1946 Alfred Santell)
Das Mädchen lernt den Gebrauch des Lippenstifts. Dem Film geht es darum, dass die Tochter anders werde als die Mutter, mütterlicher.
Von einigen der Filme, die von Republic produziert wurden, geht jene Faszination aus, die nur der Redner ausübt, der sich selber gründlich widerspricht.
The Secret Beyond the Door (1947 Fritz Lang),
A Universal Picture.
Verheiratet mit einem Mörder? Der Plot der 40er.
Ihr Mann sammelt Innenarchitektur – die Einrichtung von Räumen, in denen ein Mord geschah.
„Ich habe oft aus einem dummen amerikanischen Film eine Lehre gezogen.“ (Wittgenstein, 1947, Vermischte Bemerkungen)
Take My Life (1947 Ronald Neame)
Ein Mordfall. Das Medaillon führt auf eine Fährte. Die falsche. An die Unschuld des Angeklagten glaubt einzig seine Frau (Greta Gynt). Die folgt im Alleingang einer anderen Spur. Den Noten einer Partitur. Der deutsche Verleihtitel: Das Rettende Lied
The Paradine Case (1947 Alfred Hitchcock)
„Das Bewusstsein in des Andern Gesicht. Schau ins Gesicht des Andern und sieh das Bewusstsein in ihm und einen bestimmten Bewusstseinston. Du siehst auf ihm, in ihm, Freude, Gleichgültigkeit, Interesse, Rührung, Dumpfheit, usf. Das Licht im Gesicht des Andern.“ (Wittgenstein: Zettel)
The Amazing Mr. X (1948 Bernard Vorhaus)
Zwei Schwestern vor dem Spiegel. Es geht um die Quantität von Lippenstift und die Frage: Wer ist die Vernünftigere? Die Witwe hört nachts in ihrem zu großen Haus an der Steilküste eine Totenstimme. Die jüngere Schwester verliebt sich in einen Spiritisten. (Der wird gespielt vom erstaunlichen Turhan Bey.) Licht ins Dunkel bringt ein Detektiv, der einst Zauberkünstler war. Dunkel ins Licht bringt der Kamera-Magier John Alton.
Der Regisseur Bernard Vorhaus (schön ist auch sein Crime on the Hill von 1933) kam, vom FBI als verdächtig “vorzeitiger Antifaschist” klassifiziert, auf Hollywoods schwarze Liste und wurde in den 50ern in Italien unter Pseudonym Second-Unit-Regisseur von Wyler und Vidor.
The Weaker Sex (1948 Roy Ward Baker )
Ein Film gegen die Depression, die nach dem Krieg auf England lag.
„Ich stelle mir ein kleines Zimmer vor, das – an einen Fesselballon geknüpft – hoch oben in den Wolken hängt. Mein Schwebezimmer besteht aus einem Bett, in dem ich liege. Neben mir habe ich die notwendigsten Getränke, Rauchwaren und Nahrung. Niemand kann zu mir. Um mich sind nur Wolken. Ich habe Zeit. Ich könnte anfangen, mal Ordnung in mir zu schaffen. Wie eine alte Kommodenschublade kommt mein Hirn mir manchmal vor, vollgestopft mit Überflüssigem. Vielleicht ist hier und da auch was Brauchbares unter dem alten Ramsch. Ich müsste mal in Ruhe aussortieren können. Vielleicht würde ich auch zu faul sein, um in meiner Hirnschublade aufzuräumen, und würde sie einfach ausleeren. Vielleicht würde ich nur schlafen. Vielleicht würde ich wochenlang da oben bleiben, vielleicht würde ich nach ein paar Tagen wieder reif für die Menschen sein und sie nett und reizend finden.“ (Irmgard Keun: „Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen“, 1950)
Die Zeit mit Dir (1948 Georg Hurdalek)
Gegen die Depression: Die Dauerwelle. Es ist ihre erste.
Nachkriegszeit, das ist auch in den Filmen: Wiederbelebung durch Sex.
„Von den Sätzen, die ich hier niederschreibe, macht immer nur jeder soundsovielte einen Fortschritt, die anderen sind wie das Klappern der Schere des Haarschneiders, der sie in Bewegung erhalten muss, um mit ihr im rechten Moment einen Schnitt zu machen.“ (Wittgenstein, 1948, Vermischte Bemerkungen)
Höllische Liebe (1949 Géza von Cziffra)
Elfie Mayerhofer singt vor der südlichen Hemisphäre einer sich drehenden Weltkugel-Kulisse.
Ein alter filmkritischer Vorwurf lautet: historische Ereignisse seien „lediglich als Hintergrund“ (für irgendwas) benutzt worden. Ein intelligenter Mensch aber wird sich immer beschweren, nur als Vordergrund (für irgendwas) benutzt zu werden.
Geza von Cziffra hat mit Einstein und Schönberg Tischtennis gespielt; Tennis mit Staudte und Nabokov; er kannte alle. Seine Erinnerungen sind „Anekdoten-Raserei“, so nennt er die Sache selbst. Im Bastei-Lübbe-Taschenbuch (Wartesaal zum Ruhm, 1985) zitiert er gern ausführlich. Zum Beispiel den Dadaisten Huelsenbeck: „Der deutsche Dichter hat die Dichtung gepachtet. Er meint, das müsste alles so sein. Er begreift nicht, welch ungeheuren Humbug die Welt mit dem ‚Geist‘ treibt und dass es gut ist, dass Humbug damit getrieben wird.“
Night Unto Night (1949 Don Siegel)
Zwei Schwestern, Rivalinen, begrüßen einander im Spiegel. Und ein Arzt sieht tief ins Auge seines Patienten.
In einem alten Haus an der Ostküste Floridas treffen sich Geisterspuk und Epilepsie; eine schöne Witwe (Viveca Lindfors), die Stimmen hört, und ein Wissenschaftler (Ronald Reagan), der lieber tot als krank sein möchte. Der Meeresstrand und die Musik (Franz Waxman) geben dem Film die wesentlichen Konturen.
La beauté du diable (1949 René Clair)
Die Angst hat Michel Leiris mal gut beschrieben als das, was uns daran erinnert, „dass man selber dem körperlichen Verfall nicht entrinnen kann, wenn einmal die Uhr abgelaufen ist, und dass jetzt, wo das Alter meine Abwehrkräfte untergräbt, die ich noch nötiger hätte als je zuvor, meine abstrakte Angst vor dem Unausweichlichen tief genug ist, um von jedem beliebigen Umstand wachgerufen zu werden und sich praktisch in der Angst vor allem niederzuschlagen.“
In Friedrich Hollaenders Chanson „Das „Berg- und Talbahngefühl“ kommt die Angst in erster Person singular zu Wort, sie klagt, man habe sich an sie – den ständigen Begleiter – längst gewöhnt. Das wunderschön traurige Lied endet überraschend mit dem Rat: „Hab lieber Angst und sogar sehr, denn wer nicht Angst hat, der will gar nichts ändern mehr.“
The Red Menace (1949 R.G. Springsteen)
A Republic Production. Ein Journalist verlässt die Kommunistische Partei. In der Folge findet er nirgendwo mehr Arbeit. Überall kennt man seine Vergangenheit. Um ein Bild für seine Verzweiflung zu finden, geht die Republic-Produktion raus aus dem Studio auf unabgesperrte Locations, in die Stadt bei Nacht, wo der Ausgeschlossene umherirrt. Ob er will oder nicht, betritt der antikommunistische Film so den realen Alptraum des Antikommunismus.
Hellfire (1949 R.G. Springsteen)
Hellfire stromert stolz herum im Grenzgebiet von Feminismus und Fetischismus, in zweifarbigem Trucolor zwischen türkisem Himmel und orangenem Höllenfeuer.
Marie Windsor, Queen of the Bs, Swamp Woman, No Man’s Woman… Unter ihren 170 Filmauftritten war die gefährliche Doll Brown in Hell Fire ihre Lieblingsrolle.
1860 wurde Annie Oakley geboren.
1870 starben Dickens und Dumas.
Das wäre eine Kurzfassung des Rückblicks auf die 1860er. Ein Rückblick, den ich im nächsten Kapitel wagen will.
Noch einmal Jules Verne, Fünf Wochen im Ballon (1863): Um Mitternacht flammte es plötzlich überall auf. Tausende von Tauben mit ölgetränkten, brennenden Schwanzfedern durchkreuzten die Luft, sie waren losgelassen worden, den Ballon in Brand zu stecken.