Samstag, 16.05.2009

Das Hieratische in „Ziao cheng zhi chun“ (Frühling in einer kleinen Stadt, Fei Mu / China 1948)

Es gibt viele Gänge auf diesem teilweise kriegszerstörten Anwesen – und immer dieselben: die Gattin (Wei Wei) hat ihren eigenen Raum und geht von dort zum Wohnraum des Ehemannes oder zu den je nochmal getrennten Wohnräumen der ‚kleinen Schwester’ und des Gastes (dem Arzt, der unverhofft ankommt, und in den die Ehefrau, schon von früher her, verliebt ist). Dann ist da die Stadtmauer, der Weg am Fluss, ideal für Spaziergänge …
Bei diesen Gängen gibt es ein Grundtempo – ‚nicht allzu schnell’ –, und dieses Tempo wird auch, bis in die Gesten hinein, durchgehalten. (Es gibt natürlich Ausnahmen: etwa wenn der Ehemann tablettenvergiftet im Bett liegt und schnell gehandelt werden muss.) Das ist schon deswegen bemerkenswert, weil es auf der Ebene der Emotionen eine ansteigende Kurve gibt, die in der Vollmondnacht und dem sechzehnten Geburtstag der kleinen Schwester, ihren Klimax erreicht: in der Unmöglichkeit dem kranken Gatten das Liebesverhältnis zu gestehen … Das Gleichmässige (Hieratische) der Gänge behauptet sich letztlich (also von Anfang an) gegen den ‚Ausbruch’: sie stehen für das Geregelte – für das Sosein und vielleicht auch für das Ausweglose dieses Daseins. (Das Quirlige der kleinen Schwester wird öfter mal zurechtgestutzt.)
Was mir beim ersten Sehen so gefallen hat: dass die Off-Stimme der Frau Tätigkeiten benennt, die man sie eben tun sieht – wie durch diese ‚Verdopplung’ Innen und Aussen zugleich sind. Die Stimme spricht aus einer Ferne, einer unbestimmten Distanz – eröffnet einen Sehnsuchtsraum (im Ausweglosen des Sichtbaren). Wenn der Mann, dem die Liebe gilt, von aussen kommend, diesen Raum betritt – den realen Raum –, kann die Stimme erstmal verstummen: es ist ja zu sehen, wie die Sehnsucht sich im Sichtbaren erfüllen könnte … Entscheidend dann die Stelle, wenn sie wieder einsetzt.

Die Frage wäre jetzt: Ob dieses Hieratische, mit ‚Entschleunigung’ gleichzusetzen, nicht doch der der Menschheit zuträgliche Zustand wäre? Wenn es kein überhastetes Gehen, keine überhasteten Gesten gibt – das Leben also ‚getragen’ verläuft –, kann es auch keine ‚Abstürze’ oder ‚falschen Bewegungen’ geben, dem Beschleunigungskapitalismus und dem sich überschlagenden Fortschritt, wäre erstmal Paroli geboten. Keine Finanz- und Weltwirtschaftskrisen mehr …
Aber das Hieratische geht in „Ziao cheng zhi chun“ ja mit einem Gefühl der Ausweglosigkeit einher. Die Frage also, ob sich nicht dennoch die Sehnsucht gerade darin erfüllen könnte, die Konstellation im realen Raum zu ändern wäre. Wie und in welcher Konstellation wäre diese Liebe (dieser Fort-Schritt) – auf die Menschheit bezogen, politökonomisch – möglich?
(Aus den Medien schreit es immerzu: ‚unmöglich, unmöglich, unmöglich!’ … wie wenn „die Fesselung des Lebens an die Überwindung des Mangels“ sich so tief eingegraben hätte, dass es keinem gegönnt sei, davon loszukommen.)

Das Hieratische wäre das, was die Dinge im Elementaren zusammenhält, die Beziehungen aufrechterhält. (Dagegen wäre der ‚private banker’ ein verächtliches, aus der Bahn geworfenes Wesen.) Die ‚falsche Bewegung’ – dass der Gatte mithilfe eines Fläschchens Schlafpillen sich davonmachen will – wird ‚zurückgenommen’, ist rückführbar eben deswegen, weil es diese elementaren Beziehungen gibt. Dass der Gatte ein schwaches Herz hat, krank ist, der Hilfe bedürftig, bedeutet ‚Ende des Partriarchats’: kein Herr mehr im Hause. (Es gibt aber noch den Diener, der seinen Dienstherrn rettet.)
Die Frau – und ihre Liebe zu dem Aussenstehenden – ist in den Mittelpunkt gerückt. Am Ende sieht man sie oben auf dem Strässchen stehen (ihr Mann ist ihr, am Stock gehend, gefolgt, steht hinter ihr), den Arm ausstrecken und hinaus deuten – hinaus auf die Welt … (in die hinein ihre Liebe verschwunden ist).

Freitag, 15.05.2009

Wyborny

„Wybornys Aufbruch aus einer als in hohem Maße unbefriedigend empfundenen Gegenwart, insbesondere aus der Gegenwart des Mediums Film, ging in zwei Richtungen gleichzeitig: in die Geschichte des Mediums und in seine Zukunft, – zurück zu Griffith und dem Sündenfall des ersten Schnitts (DAS GRÖSSTE VERBRECHEN ALLER ZEITEN) und voraus in den reinen Himmel des befreiten Sehens, nämlich zur Wiedergeburt des aller narrativen Zwänge ledigen Bildes.“
(Dietrich Kuhlbrodt in Cinegraph, Lg. 16)

Dieses einzigartige Werk – ein Kino, das denken, das komisch, aber auch verzweifelt sein kann – liegt nun in einer vollständigen DVD-Edition vor, die Klaus Wyborny selbst zusammengestellt hat.

Donnerstag, 14.05.2009

shomingeki

Die Nr. 21 der Zeitschrift shomingeki ist erschienen:

Erinnerungen an Claude Forget (Rüdiger Tomczak)
Roger Toupin, Epicier Variété von Benoit Pilon (Rüdiger Tomczak)
Milch (Weiße Serie III) (Bettina Klix)
Navy Cut von Wolfgang Schmidt (Johannes Beringer)
The Killing Of A Chinese Bookie von John Cassavetes (Stefan Flach)
La Ricotta von Pier Paolo Pasolini (Stefan Flach)
Interview mit einem 13jährigen von Bärbel Freund (Johannes Beringer)
Zu drei Filmen:
Der Rote Punkt von Marie Miyayama
Toi von Francois Delisle
The New World (erweiterte Fassung) (Rüdiger Tomczak)
Heimlich und allein (Bettina Klix)
So Long No See von Véronique Goël (Johannes Beringer)
Zu Johannes Beringers Text zu So Long No See (Charles Hersperger)
Zum Kino und Anderswohin (Michael Girke)
Texte zur Berlinale:
L’Encerclement von Richard Brouillette (Rüdiger Tomczak)
Pink von Rudolf Thome (Livia Theuer)
Japan auf dem Festival des Films du Monde, Montreal 2008 (Claude R. Blouin)
Gulabi Talkies von Girish Kasaravalli (Pradip Biswas)
Filmfestivals in Antalya und Kars (Gönül Dönmez-Colin)
The Civil War von John Ford (Stefan Flach)

Dienstag, 12.05.2009

Reklame

GRIMME ONLINE AWARD 2009

»Aus fast 1.700 eingereichten Vorschlägen hat die Nominierungskommission 24 Kandidaten für den Grimme Online Award 2009 ausgewählt.«

Zur Abstimmung für den Publikumspreis geht’s hier lang, CARGO selbst ist hier.

Glückwunsch zur Nominierung.

25/100

Die Geschichte vom Filmjournalisten, der seine Sätze immer dann mit den Worten »nicht zufällig« begann, wenn er sich nicht zu sagen traute, dass er keine Ahnung hatte, worin der Zusammenhang zwischen den beschriebenen Dingen lag, aber gleichzeitig den Wunsch zum Ausdruck bringen wollte, dass doch bittschön hoffentlich ein solcher bestehen möge.

Montag, 11.05.2009

call for reviews –

schreiben

* … the audience is writing

Samstag, 09.05.2009

三橋美智也 – 古城 1959

Two and a half minutes of great beauty.
Mehr hier.

Freitag, 08.05.2009

Schreiben, Schreiben, Schreiben

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Fritz LangM – 1931

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Carl Theodor DreyerVampyr – 1932

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Alfred HitchcockSuspicion – 1941

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Jack ArnoldThe Incredible Shrinking ManGrant Williams – 1957

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Blake EdwardsBreakfast at Tiffany’s – 1961

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Seth HoltThe Nanny – 1965

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Roman PolanskiRosemary’s Baby – 1968

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Mike JudgeIdiocracy – 2006

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Xanten – Fußgängerzone – Peer Steinbrück und Costa Cordalis

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Jean GiraultLe gendarme se marieLouis de Funes und Michel Galabru – 1968

Donnerstag, 07.05.2009

The Quiet Man

In seinem Buch „Das fragile Absolute. Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen“ erzählt Slavoj Zizek eine Filmszene nach, die ihm als Beispiel dient für einen Triumph des Lebens über den Tod. Sie stammt aus John Fords irischer Komödie „The Quiet Man“ (1952): „Eine Szene, in der ein alter Mann stirbt“. Dass er diese Absicht hat, erkannte ich aber beim ersten Sehen nicht, ich sah zwar die Versammlung, die sich um sein Bett eingefunden hatte, hörte die Worte, die ihm von einem Geistlichen vorgelesen wurden, die aber nicht eindeutig biblisch, sondern theatralisch und antik klangen. Erst als der alte Mann den Vorgang unterbricht und sich anders besinnt, wurde für mich nachträglich klar, was die Szene bedeutete. „Doch plötzlich wird die feierliche Würde durch den Lärm einer gewalttätigen Auseinandersetzung gestört.“, schreibt Zizek weiter. „Vor dem Haus findet endlich das Duell zwischen den beiden Helden statt, auf das das ganze Dorf seit langem gewartet hatte; der Sterbende verfolgt das Geschehen aufmerksam, vergisst, dass er eigentlich gerade mit dem eigenen Ableben beschäftigt ist, steht auf und schließt sich den begeisterten Zuschauern des Kampfes an.“ Obwohl ich den Film zum ersten Mal sah, glaubte ich der Inszenierung des Sterbens offenbar nicht, so, als wüsste ich, dass gleich der Weckruf käme. Vielleicht nur deswegen, weil ich mich in einer Komödie befand, die laut Zizek „der Triumph des unzerstörbaren Lebens ist – aber nicht des erhabenen Lebens, sondern des opportunistischen, gewöhnlichen, vulgären Lebens.“

Cinématon n° 411: Juliet Berto

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Land: Frankreich. Beruf: Filmemacherin, Schauspielerin, Schriftstellerin.
gedreht in Bures-sur-Yvette (Frankreich) am 12. Dezember 1984 um 16 Uhr 50.

Außerdem:
Jean-Luc Godard (n° 106, 22. Februar 1981 um 11 Uhr 30)
Maurice Pialat (n° 236, 17. Juli 1982 um 16 Uhr)
Sandrine Bonnaire (n° 106, 17. Juli 1982 um 16 Uhr 20)
und viele andere.

Eine Auswahl von Gérard Courants inzwischen 2174 »cinématons« seit 1977
(Stand: November 2007).


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