Unter der ewigen Sonne. – In der immer größer werdenden Hitze. – Jeden Tag aufs Neue. – Die immer gleichen Gesten. – Die Pyramiden aus Salz.
Eindringlicher, fast liturgischer Tonfall. 1959: Salzgewinnung in der Lagune vor der venezolanischen Halbinsel Araya. Die Gesten und Bewegungen haben sich seit 400 Jahren nicht geändert. Vom Kosmologisch-Historischen ins Familiäre geht die Erzählbewegung des Films, und dann entlang den beiden einzig möglichen, ineinander verschränkten Tagwerken: Fischfang und Salzgewinnung. Alles kommt aus dem Meer.
Das prononcierte Spanisch des Sprechers ist simpel und insistierend. Wie eine Beschwörungsformel. Es gibt darin nur zwei Modi: Benennen und Wiederholen. Archaische Sprachgesten begleiten archaische Körpergesten; beides geschieht so systematisch, dass daraus ein Mantra wird.
Die Gesten der arbeitenden Menschen kann man sehen; anders als die Hitze, in der sie die Salzplatten aus der Lagune lösen, die Boote vorwärtsschieben, die Salzpyramiden aufschichten, die Netze ausbessern. Nur an einer Stelle kommen Text und Bild zusammen, das ist der einzige Moment, wo sich der Text einen Schritt ins indirekte und Metaphorische erlaubt so wie man tastend den Zeh in kaltes Wasser taucht. Die Körper seien idénticos con las sombras, sagt die Stimme, identisch mit ihren Schatten, und tatsächlich: Den Mann, der den Korb auf dem Kopf balanciert, begleitet keinen Schatten. Wir sehen: Die Sonne steht im Zenit.
[Araya, Regie: Margot Benacerraf, Venezuela/Frankreich 1959, Berlinale Forum, am 14.2. um 21.30 Uhr im Delphi]
posted by Volker Pantenburg
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„Stellen wir uns in einem phantastischen Roman einen Menschen (einen Helden oder Heiligen) vor, der krankhaft unfähig wäre, nein zu sagen, und deshalb außerstande wäre, jemandem irgend etwas abzuschlagen. Stellen wir uns vor, wie grotesk und dramatisch zugleich sein Leben verliefe (daraus ließe sich gut eine Fabel à la Voltaire machen) → Sich weigern: eine Frage auf Leben und Tod“
[Roland Barthes: Die Vorbereitung des Romans, 2. Das Werk als Wille, Sitzung vom 19. Januar 1980, Kapitel III: Zweite Prüfung: die Geduld, Unterkapitel Vita Nova, Abschnitt Schutzmaßnahmen, Rubrik Weigerung]
posted by Volker Pantenburg
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Im Schlussquartal 2008 brach der Gewinn des weltgrößten Spielzeugherstellers Mattel um 46 Prozent ein. Dabei wird Barbie (* 1959) gerade interessant. Wir erinnern uns: Vor drei Jahren wies eine Studie der renommierten Universität von Bath in der westenglischen Grafschaft Somerset darauf hin, dass elfjährige Mädchen gerne Barbies „foltern“. Zivilrechtsprozesse gegen einen ganz ähnlich agierenden Fotokünstler aus Utah hatte die Firma Mattel verloren. So irritierend die Freude am Entkleiden, Enthaaren und Enthaupten der Puppe auf Erwachsene wirke, für Kinder sei das alles, laut der englischen Studie, nur der fantasievolle Umgang mit etwas nutzlos gewordenem. Anders aber als Mädchen entwickeln Jungen zu ausgedienten Spielzeugfiguren keine aggressiven, sondern nostalgische Gefühle.
Auf einem der zahlreichen schönen Gemälde von Monika Malewska, ausgestellt im Juniata College Museum in Huntingdon, Pennsylvania, war Barbie und das Knack&Back-Männchen ein hübsches Paar. Das gefiel mir.
In bisher ungeklärtem Zusammenhang empfehle ich diesen erstaunlichen Filmausschnitt auf der Webseite des Radiosenders WFMU. Es geht um Kartoffelsalat.
Und außerdem sagt Camille Paglia, die ein tolles Buch über THE BIRDS geschrieben hat: „Yes, I still like Sarah Palin!“ – – – Kann ich verstehen.
posted by Rainer Knepperges
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Da ist dieses Mädchen in meinem Linguistik-Kurs, sagt der College-Junge zu seiner Jugendfreundin, die er seit Ewigkeiten (»since 8th grade«) kennt. Die beiden sitzen im Schneidersitz im Gras. Sommerferien, Kartenspiel, er kann die Menge der Karten kaum in einer Hand halten. Ich weiß nicht, wie ich an sie herankommen soll. Einmal haben wir uns fast geküsst. Kennst du das? Wenn sich zwei Blicke streifen und aneinander hängen bleiben? Für zehn, fünfzehn Sekunden, wirklich lange? Aber dann hat sie weggeschaut.
Während er das seiner Jugendfreundin erzählt, in den Sommerferien, im Gras, schaut er ihr in die Augen, für zehn, fünfzehn Sekunden, wirklich lange.
[The Exploding Girl, Regie: Bradley Rust Gray, USA 2009, Berlinale Forum, heute um 19.30 Uhr, CineStar 8 und vier weitere Termine]
posted by Volker Pantenburg
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Wir müssen uns langsam auf die Landung vorbereiten, sagt der psychisch Kranke zum Arzt, ich habe noch zwanzig, dreißig Jahre zu leben. Der Arzt nimmt einen Zettel und malt zwei überlappende Kreise, einen kleinen links und einen großen rechts. An den linken zeichnet er die japanischen Schriftzeichen für »Kindheit / Alter«, an den rechten die für »Erwachsensein«. Dann fügt er noch ein paar angedeutete Pfeile auf der Linie des rechten Kreises hinzu, so dass von der Kindheit ausgehend eine Richtung angedeutet ist, die nach dem Durchlauf durch den Kreis wieder beim Alter landet.
Aber wo ist der Tod, wundert sich der Patient.
Der Arzt beginnt eine zweite Zeichnung, wieder mit den gleichen Schriftzeichen, aber anders verteilt, mit dem Unterschied, dass nun ein gerader Strahl von der Kindheit zum Alter führt. Das Schriftzeichen für »Tod« macht er ein paar Zentimeter von diesem Strahl entfernt; der Tod ist wie ein Sprung aus der Achse heraus. Welche Zeichnung gefällt Ihnen besser, fragt er den Patienten. Die mit den Kreisen, antwortet der Patient.
[Mental, Regie: Soda Kazuhiro, Japan 2008, Berlinale Forum, 6.2., 18.00 Uhr, Arsenal 1 und weitere Termine]
posted by Volker Pantenburg
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Malerei / Zeichnungscollagen
von Stefan Hayn
für einen Film
– Erinnerung an die Filme
von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub
zweite Ausstellung:
scotty enterprises
Oranienstr. 46, 10969 Berlin-Kreuzberg
(zwischen Moritz- und Oranienplatz)
vom 3. bis 14. Februar 2009
Mittwoch – Freitag 15-19 Uhr
Samstag 12-16 Uhr
Eröffnung: Dienstag, 3. Februar 2009, 19 Uhr
posted by filmkritik
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„Nun, fangen wir mit dem ‚Wooster Pearmain‘ an, der einmal der beliebteste unter den frühen Äpfeln war, aber man hat sie vom Markt genommen, sie sind heutzutage recht selten. Und ich habe noch einen frühen Apfel, ursprünglich ein deutscher Apfel, genannt ‚Gravensteiner‘, aber er wird auch in englischen Büchern über Äpfel aufgeführt, weil er für lange Zeit in England gepflanzt wurde, und sie haben ein herrliches Aroma. Aber er ist ein früher Apfel, der sich nicht sehr lange hält. Er sollte eigentlich dieser Tage gegessen werden, weil er bald anfangen wird zu faulen. Hier haben Sie einen späteren Apfel, den ‚Ribston Pippin‘, der ins England des 18. Jahrhunderts zurückreicht und ein Ahne des ‚Cox Orange Pippin‘, nach wie vor einer der beliebtesten Äpfel. Eigentlich ziehe ich ihn dem Cox in vielerlei Hinsicht vor, und hier in Suffolk treibt er weit besser, als ein Cox das tut. […]“
[Michael Hamburger in Tacita Deans Film MICHAEL HAMBURGER, 2007, 16mm-Film, anamorphotisch, Lichtton, 28 min; noch bis zum 15.2.2009 gemeinsam mit Deans Filmen DARMSTÄDTER WERKBLOCK, 16mm-Film, Lichtton, 18 min und PRISONER PAIR, 16mm-Film, stumm, 11 min sowie übermalten Fotografien („Painted Kotzsch Trees I-VI“) und einigen anderen sehens- und hörenswerten Dingen in der VILLA OPPENHEIM zu besuchen. Übersetzung des Michael Hamburger-Texts von Marion Dick.]
posted by Volker Pantenburg
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„Wer ohne große Erwartungen ins Kino geht, läßt sich gern überraschen, und die Dankbarkeit für anderthalb unterhaltsame Stunden, wo mäßige Langeweile eingeplant wurde, schlägt leicht in Überschätzung des so freudig Genossenen um. Das, verbunden mit der allzeit verbundenen Bereitschaft, Qualität auf Schleichwegen der Kunst aufzuspüren, wo niemand sie vermutet und sucht, abseits der bequemen Hauptstraßen, auf denen sich ohnehin die Masse der Kritiker tummelt – und schon ist ein Mythos geboren, und nicht weniger schnell sind dessen Widersacher zur Hand, ihn unerbittlich zu zerstören. Und man begreift sie auch: Aufgescheucht und voller Skepsis (wie sollte etwas gut sein, was man bis dahin ignoriert hat!), suchen sie die gepriesenen Filme heim, schrauben ihre Erwartungen in schwindelerregende „Kunstfilm“-Höhe – und können triumphierend feststellen, daß wieder einmal mit einer ernsten Sache Unfug getrieben worden sei. Das unschuldige Vergnügen, das am Anfang stand, hat sich längst verflüchtigt.
Vor zwei, drei Jahren mehrten sich die Anzeichen, daß man in Frankreich (immer diese Franzosen!) im Begriff stand, die Schöpfer italienischer Abenteuerfilme zum Kultgegenstand zu erheben. Vor allem auf dem Haupt eines gewissen Signore Cottafavi häuften sich die Lorbeeren.“
Max Zihlmann schrieb das in der Zeitschrift „Film“, Juni/Juli 1964, und: „Die Entdeckungsfahrten in diese verdächtigen Gefilde lohnten sich wirklich,“ – mit Blick auf „so erstaunliche und schöne, in sich geschlossene Filme, wie Le legioni di Cleopatra (Die Legionen des Cäsaren, 1959)“.
posted by Rainer Knepperges
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„An den Historienfilmen des Italieners Vittorio Cottafavi würden bestimmt manche Leute einen besonderen Spaß haben, wenn sie diese Filme nur schon bemerkt hätten. Deshalb dieser nachdrückliche Hinweis darauf, daß heute und morgen im „Türkendolch“ einer zusehen ist („Die Rache des Herkules“, 1960), und nochmals einer, vermutlich der schönste, am Donnerstag und Freitag der nächsten Woche („Herkules erobert Atlantis“, 1961). Es geht Erstaunliches vor sich, wenn jemand mythisch antikische Abenteuer erzählt und dabei, aus Intelligenz, ständig den Ernst und den Ton wechselt, üblichere Vorstellungen von der mythischen Antike nicht verspottend, sondern überlistend. Schon wer auf die Idee kommt zu filmen, wie zwölf schneeweiße Pferde mit einem goldenen Streitwagen durch unterirdische Palastverliese rasen, Feuer hinter sich ausbreitend, der ist ein interessanter Regisseur.“
Helmut Färber, Süddeutsche Zeitung, März 1969
heute, also jetzt gleich, 14:30 im RBB: Herkules erobert Atlantis; in der Nacht um 2:10 im MDR: Die Rache des Herkules; und morgen früh, 11:00 im MDR: Die Legionen des Cäsaren, von 1959
posted by Rainer Knepperges
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