Freitag, 02.09.2005

FRAME BY FRAME

What shape might film theory take in a post-film world? How might new interfaces – such as the web and more specifically the blog – make possible new structures and discourses of criticism? Whereas a paper book containing a frame-by frame analysis of a two-hour feature film is a practical impossibility, a web site devoted to such a project is unlikely, but possible.

[FRAME 1]

Parameters and Constraints

1. Blue Velvet is approximately two hours long.

2. The analysis is to be conducted frame-by-frame, which is to say: frame step-by-frame step on an Apple PowerBook G4, which turns out to be approximately 24 „frames“ per second.

3. In Blue Velvet there are approximately 172,800 frames, at approximately 24 frames per second. (Everything here – all the calculations – are approximate. I use the word „frame“ here in a sort of metaphorical way. Many thanks to Stuart Willis and Will Luers for input regarding DVD frame rate.)

4. A frame-by-frame analysis of Blue Velvet would take 473 years assuming one frame is presented per day.

5. I hope to offer 2 or 3 frames per week.

6. Annotations are to be no longer than 5 sentences per frame. Sometimes there will be no annotations at all–just the frame.

[Dank an Klaus Volkmer für den Hinweis.]

Substitute for love

„No laughter in the dark . . .“
Madonna, Substitute for Love

Im unten verlinkten Text im Freitag schreibt Matthias Dell: „Es ist ein Irrtum, Filme auf ihre Handlung reduzieren zu wollen, auf ihren Inhalt, ihre Geschichte. Jean-Luc Godard hat einmal über Hitchcocks Filme gesagt, dass man sich an bestimmte Gegenstände erinnern könne, die gelbe Tasche von Marnie etwa, während man vergessen habe, worum es in den Filmen eigentlich gegangen sei.“
Und welcher Gegenstand käme etwa für Marseille in Frage? In der Einstellung (Szene?), die auf die, zumindest bei tiefnächtlicher arte-Rezeption, quälende (aber, „bitte!“, gewiß begründete, motivierte) Strindbergproben-Sequenz folgt, spielt neben dem Rücken der Protagonistin ein teilweise durchsichtiger, teilweise semi-transparenter Wasserball eine wesentliche Rolle. Er wird im sog. Hintergrund von Kindern im Schwimmbecken hin und her geworfen, durchs Bild, und klatscht ab und zu aufs Wasser. Der Ball mag den einen oder anderen Betrachter, quasi proleptisch, an einen anderen Strand (Adria, nicht Provence) erinnern, an eine Stelle (Einstellung? Szene?) in Modiano’s Eine Jugend, nein: in Nabokov’s Gelächter im Dunkeln: „Sie fing an, sich abends zu langweilen; es verlangte sie nach Kinofilmen, schicken Restaurants und negroider Musik. […] Fröhliche Sonnenschirme und gestreifte Zelte schienen in der Sprache der Farben zu wiederholen, was die Rufe der Badenden für das Ohr waren. Ein großer bunter Ball wurde von irgendwoher geworfen und prallte mit einem dumpfen Ton auf den Sand. […] Schlank, sonnverbrannt, mit ihrem dunklen Wuschelkopf und den einen Arm mit dem Glanz eines Armbands noch immer vom Wurf ausgestreckt, erschien sie ihm wie eine köstlich kolorierte Vignette über dem ersten Kapitel seines neuen Lebens.“

Mittwoch, 31.08.2005

TV-Hinweis / Langtexthinweis

Wie es zu solchen Sendeplatz-Entscheidungen kommt, fragt mich M. am Telefon. Ich weiß es nicht, antworte ich. Wahrscheinlich würde es mich nicht glücklicher machen es zu wissen.

„Marseille“ von Angela Schanelec wird heute abend, besser gesagt: morgen früh um 1.05 Uhr auf Arte in die leeren Wohnzimmer mit den leise surrenden Videorecordern hineingestrahlt. Ich erinnere mich, dass mir nicht nur der Film, sondern auch eine Reihe von Texten gefallen hat, die sich dem Film verdanken:

Daniel Eschkötter: Nichts der Provokation und Alles der Sache [Filmtext]

Matthias Dell: Un-Totentanz [Freitag]

Eine schöne Vorbereitung, Verlängerung, Rahmung des Films sind immer noch und weiterhin Angela Schanelecs Aufzeichnungen aus Marseille:

Angela Schanelec: Marseille 1.-10. März

Ein Text mit Notizen, der nach einer Vorführung des Films im Dezember 2003 entstand und sich dann eineinhalb Jahre lang hier in einer Nische meiner Festplatte versteckte, steht jetzt auf der Langtextseite: Nochmal Marseille.

Dienstag, 30.08.2005

Kino-Hinweis

Am 2. September wird der Film „Die Quereinsteigerinnen“ um 21.00 Uhr im Arsenal gezeigt. Die Regisseure Rainer Knepperges und Christian Mrasek sowie die Schauspielerin Claudia Basrawi (rechts im Bild) und der Schauspieler Mario Mentrup werden da sein.

Wer sich professionell auf den Freitagabend vorbereiten will, kann dies faltenderweise mit der beiliegenden Telefonzelle oder lesenderweise mit dem hier verlinkten Text tun.

Noch was: Uns ist das enthusiastische Urteil einer Österreicherin über den Film zugespielt worden, das wir hier auszugsweise zitieren: „Zu allem kommt dann noch, dass absurderweise mehrmals plötzlich Gegenstände aus der Wohnung meiner Eltern aufgetaucht sind, z.B. diese grauenvolle braune Fransenlampe (Hänge- und Stehlampe!!!) – ich schwöre, wir hatten genau diese, ich bin damit aufgewachsen. Und wenn ich meinen Scheitel ändere, nehm‘ ich auch immer Nivea! Jetzt muß ich leider aufhören mit der Lobeshymne und an dem blöden Softwarehandbuch weiterschreiben, sonst wird’s nicht fertig bis morgen.“

Montag, 29.08.2005

Rund ums Fernsehen, Garmisch-Partenkirchen, Bonanza

In der Anlage lernt meine Schwester einen Pudel kennen. Er hält den Kopf schräg, um süß auszusehen. Sein Frauchen spricht von sich als „Frauchen“. Wir bekommen den zweiten Diminutiv. Fräulein H. hat eine Dachgeschoßwohnung in der Dreitorspitzstraße, weiß aber nicht, was es mit dem Namen der Straße auf sich hat und bewundert meine Schwester und mich dafür, daß wir die umliegenden Berge bezeichnen können. Mit ihrem Pudel ist sie für den Ruhestand vom Rheinland nach Garmisch gezogen. Wenn meine Schwester zu ihr geht, um den Pudel zum Ausführen zu holen, begleite ich sie eigennützig. Der Fernseher läuft zuverlässig, wenn wir kommen. Wir kriegen Cola. Das Fräulein bügelt. Ich frage meine Schwester regelmäßig, ob sie den Pudel ausführen möchte und sehe derweil Bonanza. Ben Cartwright lehrt seine Sohnesbrut Mores. In der Mansarde der Dame keimen bei mir Gefühle von Recht und Gerechtigkeit. Um dafür z.B. im Schulhof heldisch kämpfen zu können, gehe ich ins Judo des Eisenbahner Sportvereins Werdenfels.

Donnerstag, 25.08.2005

Langtexthinweis

Ein paar Dinge über Michel Delahaye stehen hier.

Freitag, 19.08.2005

Rund ums Fernsehen, Garmisch-Partenkirchen, Olympiade und Skispringen

Umzug ins Mehrfamilienhaus mit Lüftlmalerei nach Garmisch-Partenkirchen. Eine alte Frau mit Dutt, im Stockwerk über uns, hat einen Farbfernseher. Olympiade 72 vom kurzflorigen Perser aus. Mark Spitz wird zum Helden erklärt. Ich bewundere ihn, wie empfohlen. Um der Schlesierin nicht lästig zu fallen, kaufen meine Eltern eine eigene Glotze. Als sie sie heimbringen und auf dem Eßtisch abstellen, streichle ich das Gerät. Die Plastik-Kühlrippen haben scharfe Grate. Die Schalter heißen Sensoren, eine Berührung genügt.
Selbst von unserer gartenanteiligen Erdgeschoßwohnung aus ist die Olympiaschanze am Eckbauer zu sehen. Bei der Vier-Schanzen-Tournee 73 schillert der Verlauf der eispolierten Exponentialkurve in der Sonne. Die Kandahar-Abfahrt im Hintergrund ist bereits blau. Im orangenen Vorhangschatten neben dem Panoramafenster steht die graue Glotze. Wir gucken die Direktübertragung an, bei der die Skispringer auf dem Schirm gut zwei Sekunden später erst in die Rinnen treten, beschleunigen, von der Rampe sich lösen, als ich es in der Wirklichkeit links daneben durchs Fenster verfolge. Hier rutschen die Skispringer im Flug hinter die jungen Bäume der benachbarten Anlage. Die Landung der Springer und einen harmlosen Sturz des DDRlers Rainer Schmidt sehen wir jedoch nur in der Glotze. Schmidt gewinnt die Tournee.

Mittwoch, 17.08.2005

This is so contemporary (Hollywood)

In Michael Bays „The Island“ gibt es eine Szene, die Anfang der 90er Jahre – als eigentlich schon entschieden war, wohin sich die kapitalintensivste Filmform nach der zweiten Übernahme- und Fusionswelle bewegen würde – noch ein Selbstreflexivitäts-Kärtchen eingeheimst hätte. Scarlett Johansson, die einen Klon spielt, erlebt dort ihr warenästhetisch verschobenes Spiegelstadium, als sie ihr originales Anderes in jenem Calvin-Klein-Spot erspäht, der vor dem Film auch schon im Werbeblock zu sehen war. Der Blockbuster, als initiative Plattform einer Produktpalette, deren Rentabilität sich wesentlich aus „intellectual property“, also Lizenzpolitik speist, kennt jedoch kein ökonomisches Außen mehr, weshalb es in dem, was früher „Diegese“ genannt wurde (und heute eher sensuell aufgeladenes, hyperkinetisches Environment ist), eben auch kein identifikatorisches Anderes mehr gibt, das nicht auf dieselbe Warenlogik hört. Sean Cubitt spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen filmischen Totalität, die monadisch und global ist. Schleichwerbung gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und das Sentiment emanzipierter Kopien bei Spielberg – also dort, wo es noch im klassischen Sinn um Repräsentation und Referenzialisierbarkeit geht. Scarlett Johansson hingegen schenkt ihren auch nur halb erstaunten Blick einem Modus, der ihre eigene Screentime multipliziert und eine Verwertungskette in Gang setzt, die sich mittlerweile strukturell ins Zentrum der High-Concept-Filme vorgearbeitet hat.

The Island (Michael Bay) USA 2005

Sonntag, 14.08.2005

Rund ums Fernsehen, Hochbrück, Black Beauty

Wohnblock in Hochbrück bei München. In den Sandkästen zwischen den Hochhäusern zertrampeln Fiese die Sandburgen und klauen Matchboxautos. Holger und Pamela nehmen meine Schwester und mich mit in die Wohnung. Es riecht würziger, als ich es kenne, nach Bratwurst und Parfüm. Der Teppich hat lange Haare und ist lieb zu uns. Holger trägt eine dicke Hornbrille. Weil er nicht gut sieht, sitzen wir nah an der Mattscheibe. Die Füße der Mutter in Nylonstrümpfen versinken im lila Flokati. Barfuß gehen ist bei uns zuhause nicht wohl gelitten. Meine Schwester ist gebannt von Black Beauty. Die Mutter von Holger und Pamela hat dieselbe Frisur wie die Reiterin des Heldenpferdes, ein Pony. Meine Mutter toupiert ihre Haare. Black Beauty langweilt mich, und ich gehe, will raus, zum Pappel-Kanal, renne über die Straße. Ein kastenförmiger, orangener BMW muß bremsen. Stumm steigt ein Mann aus, packt mich heftig am Arm, zerrt mich auf den Gehsteig, frägt, wo ich wohne und schleppt mich dorthin. Er sagt meiner Mutter in die Sprechanlage, daß er mich beinahe erwischt hätte und schiebt mich nach dem Türöffnersurren ins Treppenhaus. Meine Schwester kommt nach Black Beauty heim. Um Ecken hören wir, daß die Tochter des BMW-Fahrers, der auch in einem der Blocks wohnt, im Jahr zuvor überfahren wurde.

Freitag, 12.08.2005

Langtexthinweis [= Hände IV]

„Die Angst vor den Händen, die im Spiel sind, den Händen, die berühren und berühren wollen, als gehorchten sie keinem Willen, Hände, die zurückzucken und zurückgwiesen werden und ein Wille, der nicht weiß, ob er den Händen folgen kann, die wie abgetrennt vom Willen und vom Körper tun, was sie wollen. Hände.“

(Wunder II) Lucrecia Martel: La Niña santa (Argentinien 2004), ein Text von Ekkehard Knörer.


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